31. Juli 2000

Politische Karten werden neu gemischt

Das rumänische Staatsoberhaupt Emil Constantinescu hat in einer Fernsehrede am 17. Juli überraschend bekannt gegeben, bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden November nicht wieder zu kandidieren. Durch den Verzicht könne er sich verstärkt dem Kampf gegen die Korruption widmen, dem er sich schon seit seinem Amtsantritt im Spätherbst 1996 verschrieben habe. Der Präsident bat alle um Entschuldigung, die ihn 1996 in der nun enttäuschten Hoffnung gewählt hatten, er werde ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Als Präsidentschaftskandidat jener demokratischen Kräfte, die sich von Iliescus Postkommunisten klar absetzen wollen, könnte der derzeitige Premier Mugur Isarescu ins Rennen gehen. Er hat bisher jedoch keine verbindliche Zusage gemacht. Der postkommunistische Parteiführer und frühere Staatspräsident Ion Iliescu verliert indes an Zustimmung. Er ist in diverse Korruptions- und Geldwäscheaffären verwickelt, die Korruptionsvorwürfe gegen ihn verdichten sich.
"Wie ein Spinnennetz" habe sich die Korruption über das Land gelegt, das Bankwesen sei ausgeplündert, die Schiffsflotte ausverkauft worden und die „Mafia des Erdöls und der chemischen Düngemittel“ habe dem Land gleichfalls riesigen Schaden zugefügt. Einer kleinen Handvoll von Experten der Polizei, Staatsanwaltschaft, Justiz und Rechnungshof sei es mittlerweile gelungen, Teile des mafiotischen Systems aufzudecken und die Verantwortlichen zu verurteilen. Die Fortsetzung der Ermittlungen werde jedoch von bestimmten Kräften als "gegen die Opposition gerichtete Wahlkampagne" ausgelegt. Durch seinen Verzicht auf alle politischen Ämter nach Ablauf der Amtsperiode fühle er sich nun frei, "bis zum letzten Tag meines Mandats" einen bedingungslosen Kampf gegen das Grundübel der Korruption zu führen, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Man treibe in Rumänien einen schwunghaften Handel mit "Prinzipien, Ideologien, Parlamentssitzen und Regierungsposten", zürnte Constantinescu. Mit dieser Welt wolle er künftig nichts mehr zu tun haben, sich weder um einen Parlamentssitz noch um ein Führungsamt in einer Partei bewerben. Der Präsident bat alle um Entschuldigung, die ihn 1996 in der nun enttäuschten Hoffnung gewählt hatten, er werde ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Dennoch kündigte er die Erhöhung der Mindestrenten für Bauern auf 250 000 Lei und jener für Stadtbewohner auf eine Million Lei an.
Constantinescus Verzicht wird von der Neuen Zürcher Zeitung als "Eingeständnis eines Misserfolgs" bewertet. "Für die Freunde hat das Staatsoberhaupt viel Mut bewiesen, indem er den eigenen Misserfolg im Kampf gegen die Korruption eingestand und die Konsequenzen zog.“ Es bedeute „ein neues Element im öffentlichen Leben des Landes“, dass jemand auf die politische Karriere verzichte, weil er sie moralischen Werten unterordne. Für die Widersacher stehe dagegen in erster Linie fest, dass das Staatsoberhaupt angesichts der ihm drohenden Niederlage vor dem Kräftemessen zurückgeschreckt sei. Die Zeitung bestätigt Constantinescu "den ehrlichen guten Willen" ebenso wie "die feste Überzeugung, dass Rumäniens Zukunft in der Annäherung an den Westen und allgemein in der Öffnung liegt". Allerdings habe der Universitätsprofessor stets auch als ein "etwa naiver und gutmütiger Zögerer" gewirkt, "der sich mit der ihn umgebenden Welt schlecht zurechtfand".
Als aussichtsreichen Präsidentschaftskandidat für die Mitte-Rechts-Kräfte hat Constantinescu den derzeitigen Premier Mugur Isarescu ins Gespräch gebracht. Der frühere Gouverneur der Nationalbank hat dank seiner politischen Neutralität und sachlichen Kompetenz landesweit an Ansehen gewonnen. Ob er sich als einigende Figur jener demokratischen Kräfte erweisen wird, die sich von Iliescus Postkommunisten klar absetzen wollen, ist ungewiss. Isarescu hat noch keine verbindliche Zusage gemacht. Er präzisierte, er habe sich bisher einzig dazu bereit erklärt, die Arbeit am Regierungsprogramm sowie die Anstrengungen zur Annäherung des Landes an Europa fortzusetzen. Falls er dazu die Unterstützung glaubwürdiger Kräfte erhalte, werde er seine Entscheidung über die Annahme der Kandidatur selber treffen und zeitgerecht bekannt geben.
Hauptträger der rechten Mitte ist vor allem die Christlich-Demokratische Bauernpartei (PNTCD) von Ion Diaconescu, die allerdings eine herbe Niederlage bei den Kommunalwahlen im Juni hinnehmen musste. Durch das Ausscheren der Nationalliberalen Partei (PNL) von Mircea Ionescu-Quintus, die bei den Wahlen im Juni auf separaten Listen angetreten war, wurde die Demokratische Konvention praktisch aufgelöst. Verhandlungen für ein neues Mitte-Rechts-Wahlbündnis werden derzeit von der Bauernpartei mit der Union der Rechtskräfte (UFD) von Varujan Vosganian, der Christdemokratische Allianz (ANCD) von Victor Ciorbea, zwei ökologische Parteien und Bürgerrechtsbewegungen, geführt. Ein Linksrutsch droht der PNL, die vor allem vom stellvertretenden Parteivorsitzenden Valeriu Stoica (derzeit Justizminister) hin zu einem Bündnis mit der Allianz für Rumänien (ApR) von Teodor Melescanu, eine aus der PDSR hervorgegangene Partei, gedrängt wird. Nicolae Manolescu und Traian Remes, zwei liberale Vorstandsmitglieder, erklärten daraufhin ihren Rücktritt aus der Partei bzw. Regierung. Premier Isarescu lehnte jedoch die Demission seines Finanzministers ab, dem eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Reformprogrammes zukommt. Die Gespräche zwischen PNL und ApR gerieten mittlerweile ins Stocken, so dass sich die Liberalen wieder den Mitte-Rechts-Kräften anschließen könnten.
Verlierer nach Constantinescus Verzichtserklärung ist vorläufig der frühere Präsident Ion Iliescu. Einer Meinungsumfrage von INSOMAR zufolge steht der postkommunistische Parteiführer zwar mit 35,5 Prozent weiterhin auf Platz 1 in der Wählergunst, verlor aber 5,7 Prozentpunkte innerhalb von nur drei Wochen. Präsidentschaftskandidat Isarescu schaffte auf Anhieb Platz zwei (18,5 Prozent), gefolgt von Teodor Stolojan (16,2), einem früheren Premier unter Ion Iliescu, Teodor Melescanu (13), Corneliu Vadim Tudor (9,1) und Petre Roman (7 Prozent der Befragten). Iliescu gerät zunehmend unter Druck selbst in der eigenen Partei (PDSR), die Einbußen auch bei den Parlamentswahlen befürchtet. Dem 70-Jährigen misst auch die Tageszeitung Adevarul schlechte Karten bei, da er als Politiker im Vergleich zum wesentlich jüngeren und reformfreudigen Isarescu verbraucht sei. Der Kreis um Iliescu und weitere PDSR-Politiker, die in diverse Korruptions- und Geldwäscheaffären verwickelt sind, wird indes immer enger. Dicke Dossiers des Falles Adrian Costea sind aus Frankreich in Bukarest eingetroffen, ebenso laufen Ermittlungen, etwa wegen Erdölschmuggels während des Embargos nach Jugoslawien (Fall Jimbolia), auf Hochtouren.

S. B.

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