13. Juli 2005

Auf den Spuren deutscher Ostgeschichte

In einer der masurischen Geschichten von Siegfried Lenz macht sich die ganze Dorfgemeinschaft von Suleyken solidarisch auf den Weg, um einen ihrer Mitbürger auf seiner Fahrt in die Fremde zu begleiten. Weil es dem Suleyker Amadeus Loch an einem "Kilochen Nägel mangelt", nimmt er zum Einkauf seine Frau mit, diese ihren Schwager, der seinen ... usw. Ähnliches geschah in Mannheim, als Hans Wester, Vorsitzender der Kreisgruppe Mannheim-Heidelberg der siebenbürgischen Landsmannschaft, zu einer Masurenfahrt seine Frau mitnahm, diese ihre Schwägerin, die wiederum ...
Schließlich waren es 23 Mitglieder der Kreisgruppe, die sich mit dem Reiseunternehmen Schmidt auf den Weg ins ehemalige Ostpreußen machten. Hier waren sie - der Einfachheit halber - als "Familie Wester" registriert und als solche Großfamilie wurden sie auch in jedem Hotel eingecheckt.

Auf der Reise durch Pommern mit den wunderbar wiederaufgebauten alten Hanse-Städten Danzig und Stettin, durch das landschaftlich reizvolle Kaschubenland, das uns Günter Grass in seiner Blechtrommel näher bringt, dann durch das Ermland und Masuren bewegte man sich auch auf den Spuren deutscher Ostgeschichte und konnte dabei viele Parallelen zur eigenen Historie feststellen. Die Geschichte dieser Landstriche ist eine sehr wechselvolle und blutige, denn sie wurde mit dem Schwerte geschrieben: die gewaltsame Christianisierung der slawischen Pruzzen durch den Deutschen Ritterorden mit der Folge deutscher Besiedlung und Kolonisierung, aus der schließlich das Herzogtum und Königreich Ostpreußen hervorging. Die letzte große Veränderung, die der 2. Weltkrieg mit sich brachte, wurde von der reizenden polnischen Fremdenführerin Agneska etwas schwammig mit dem Begriff eines "Bevölkerungsaustausches" umschrieben; denn die vertriebenen Deutschen wurden bei der neuen Grenzziehungen durch Zwangsumsiedlung von Polen, Weißrussen und Ukrainern "ausgetauscht". Heute betrachten sie das Land als ihre Heimat, die bis ins tiefste Hinterland ein erstaunlich positives Bild bietet: wohlbestellte Felder, gepflegte Häuser, Sauberkeit und Ordnung, so dass man eventuell mitgebrachte Vorurteile ruhig ablegen konnte.

Auf Spuren deutscher Vergangenheit stieß man allenthalben, sind die meisten Städte doch Gründungen des Deutschen Ritterordens. Die imposante Marienburg am Ufer der Nogat wurde 1226 gegründet, als der Orden aus Siebenbürgen vertrieben worden war und sich hier seinen neuen Stammsitz aufbaute. An die unselige neuere (deutsche) Geschichte erinnerte die Besichtigung von Hitlers Hauptquartier, der "Wolfschanze". Das vollgestopfte Programm enthielt auch kulturelle Beigaben (zwei Konzerte auf den berühmten historischen Orgeln von Oliva/ Danzig und Heiligelinde). Man ließ sich gefangen nehmen von dem lieblichen Reiz der masurischen Landschaft mit ihren dunklen Wäldern und kristallklaren (3000) Seen, etwa bei einer Fahrt durch die Johannesburger Heide, bei einer Staken-Fahrt auf dem idyllischen Flüßchen Krutinnen, ließ sich von Störchen beklappern und von der masurischen Küche mit Pierogi und Bigos, sauren Gurken und süßen "Kathrinchen" (Lebkuchen) verwöhnen. Bei schnurrigen Anekdoten und Erzählungen (wie etwa den köstlichen masurischen Geschichten von Siegfried Lenz So zärtlich war Suleyken) verlief die Weiterfahrt von Allenstein/ Olsztyn über das quirlige Studentenstädtchen Thorn/ Torun, Geburtsstadt von Nikolaus Kopernikus, und Posen/Poznan, dessen Pracht die einstige Hauptstadt Großpolens heute noch verrät. Alles in allem eine äußerst interessante, kurzweilige und informative Reise mit vielen Seitenblicken auf unsere eigene Geschichte.

Prof. Heinz Acker


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