19. Januar 2005

Hermannstadt mittendrin in der Kultur Europas

Eine Vortragsveranstaltung über Hermannstadt als Mittelpunkt der Verständigung zwischen den Deutschen in Rumänien und anderen Nationen fand am 10. Dezember 2004 im Haus der Geschichte in Bonn statt. Die Tagung widmete der Ostdeutsche Kulturrat als eine der ersten bundesdeutschen Kulturorganisationen der Vorbereitung eines prestigeträchtigen Großereignisses: Luxemburg und Hermannstadt als Kulturhauptstädte Europas 2007.
Während Luxemburg als Sitz europäischer Institutionen sowie als Finanzstandort schon europaweit bekannt ist, rückt nun auch Hermannstadt in den Mittelpunkt des europäischen Interesses.

Gesamteuropäisches weist die Stadt am Zibin schon längst vor. So entwickelte Conrad Haas hier zwischen 1529 und 1556 das erste Modell der Mehrstufenrakete, ebenfalls im 16. Jahrhundert wurde die Hermannstädter Bibel (Biblia de la Sibiu), eines der ersten Bücher in rumänischer Sprache, gedruckt. In Hermannstadt residierte auch der kulturell bedeutende Landesgouverneur Siebenbürgens Samuel von Brukenthal (1721-1803), der als einer der ersten Verwalter der Habsburger Kaiserin Maria Theresia (1740-1780) in seinem Palais ein Kunstmuseum mit unschätzbaren Gemälden besonders der flämischen Malerei einrichtete. Das Museum wurde 1817 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und ist damit älter als der Louvre in Paris. Die Einrichtung trägt auch heute den Namen Brukenthals ebenso wie das deutschsprachige Gymnasium, in dem nach dem Massenexodus der neunziger Jahre 90 Prozent Schüler von Haus aus rumänisch- oder ungarischsprachig sind. Die Absolventen des Brukenthallyzeums sprechen allerdings besser Deutsch als viele Studenten der Germanistik in Ost- und Südosteuropa.

Aus Hermannstadt und seiner Umgebung kamen auch bedeutende rumänische Dichter und Schriftsteller wie Octavian Goga, Lucian Blaga, nach dem auch die nach dem Umbruch 1989 gegründete Universität heißt, und der auch im Westen bekannte Essayist und Philosoph Emil Cioran. Blaga erwarb übrigens seinen Doktortitel in Philosophie in der Zwischenkriegszeit in deutscher Sprache und erfüllte damit das europäische Ideal der Zwei- und Mehrsprachigkeit.

Der Präsident der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Prof. Dr. Eberhard G. Schulz, stellte einführend zur Tagung fest, dass die Siebenbürger Sachsen schon im 12. Jahrhundert nach Hermannstadt eingewandert seien, als Vorläufer der mittelalterlichen Ostsiedlung. Es sei ihnen gelungen, unter Wahrnehmung ihrer Eigenart eine kulturelle Symbiose sowohl mit den Rumänen als auch mit den Ungarn und anderen Nationalitäten einzugehen. In der Haupt- und Hermannstadt habe es eine beispielhafte völkerverbindende Zusammenarbeit gegeben, die auch heute fortgeführt werde. Ein Vortrag von Bürgermeister Klaus Johannis, den 90 Prozent der Hermannstädter im Juni 2004 im Amt bestätig hatten, fiel wegen Terminschwierigkeiten aus.

Einen belletristischen Leckerbissen bot der Literaturkritiker und Übersetzer Georg Aescht. Der siebenbürgische Publizist ist ein gründlicher Kenner von Erwin Wittstock (1899-1962), den er als den größten siebenbürgisch-sächsischen Erzähler einschätzt. Aescht zeichnete anhand dessen Erzählung "Der Viehmarkt von Wängersthuel" (1967 in Bukarest erschienen) ein komplexes Bild Siebenbürgens. Aescht verglich das Wittstock'sche Bild mit einer Schilderung Hermannstadts durch Nicolae Iorga. Der wohl bedeutendste rumänische Historiker hatte in der Zwischenkriegszeit in Leipzig promoviert und trug mit seinem Essay „Wer sind und was wollen die Siebenbürger Sachsen“ wesentlich dazu bei, dass die Sachsen nach den Anschluss von 1918 an Rumänien besser bekannt wurden unter den Rumänen des „Altreichs“ (regat).

Wittstock lässt in der Schilderung der Märkte, Plätze und Hinterhöfe Hermannstadts mit ihrer jahrhundertealten Geschichte einen „doppelten Boden“ widerhallen und zeichnet das komplexe Schicksal Transsylvaniens und seiner Bewohner nach. Dem Raunen von einem möglichen Niedergang, den Bildern voller Wehmut und Trauer, folgte zwar kein endgültiger, unwiederbringlicher Verlust, aber schmerzliche Veränderungen blieben nicht aus.

Georg Aescht hatte vor einigen Jahren im Klagenfurter Wieser-Verlag die Anthologie „Siebenbürgen erlesen“ herausgegeben und festgestellt, Siebenbürgen gäbe es heute nicht mehr. Bei der Tagung in Bonn war er nun froh, sich widersprechen zu können: Siebenbürgen gebe es noch immer, wenn auch stark verändert.

Einen Vortrag zum Thema „Hermannstadt als Schmelztiegel der Nationalitäten Siebenbürgens“ hielt Dr. Paul Niedermaier, Leiter des Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt und Autor zahlreicher Studien über den mittelalterlichen Städtebau in Siebenbürgen und Westrumänien. Nach dem Umbruch von 1989 und Massenexodus der Deutschen aus Rumänien habe es einen Wendepunkt zum Neubeginn gegeben, etwa durch die Gündung der Evangelischen Akademie Siebenbürgens 1991 und vor allem die Gründung des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt 1990, das dann als Modell für das Siebenbürgen- und Landesforum diente.

Inzwischen habe sich auch die Evangelische Kirche weitgehend geöffnet, Gottesdienste würden teilweise zweisprachig abgehalten, erklärte Niedermaier, der auch Landeskirchenkurator ist. Hermannstadt soll 2007 nicht nur mit Luxemburg Kulturhauptstadt Europas werden, sondern im selben Jahr auch die große ökumenische Konferenz der europäischen Kirchen beherbergen mit Tausenden von Gästen. Zudem soll die Innenstadt von Hermannstadt in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen werden. Prinz Charles von England, der bundesdeutsche Innenminister Otto Schily u.a. machen sich dafür stark. Im Mittelalter war Hermannstadt ein Knotenpunkt des Handels zwischen Wien und Konstantinopel/Istanbul , in Zukunft dürfte es wieder zu einem Bindeglied zwischen West und Ost werden, wie die Hermannstädter nicht unberechtigt hoffen.

Einen dritten Vortrag hielt Professor Dr. Werner Schaal von der Universität Marburg. Als Kopräsident und Vertreter der Partneruniversität Marburg an der Lahn leitet er gemeinsam mit dem Rektor der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt, Dumitru Pop Ciocoi, den Aufbau und die Organisation dieser Hochschuleinrichtung am Zibin. Professor Schaal berichtete über die Schwierigkeiten dieser Neugründung, die überwunden wurden und in einen Hochschulbetrieb auf europäischem Niveau mündeten. Heute zählt die Hermannstädter Universität 16 000 Vollzeitstudenten und 10 000 Fernstudenten. Das souverän vorgetragene, mit vielen Daten und Fakten gespickte Referat war gewissermaßen der krönende Abschluss der aufschlussreichen Vortragsveranstaltung.

Die fruchtbare universitäre Partnerschaft zwischen Hermannstadt und Marburg trägt sicherlich dazu bei, neue Akzente zu setzen und ein Missgeschick aufzuheben. 1989 hatte in Marburg eine Tagung zum Thema „Nachruf auf die rumänischdeutsche Literatur“ stattgefunden. Im gleichnamigen, 1990 herausgebrachten Band wurde der Eindruck erweckt, in Rumänien seien die Lichter der deutschsprachigen Literatur ausgegangen.

Dem ist keineswegs so, denn gerade auch in Hermannstadt und Umgebung leben eine Reihe namhafter deutscher Autoren wie Eginald Schlattner und Joachim Wittstock. Aber auch die Kinderbuchautorin Ricarda Terschak, der Erzähler und Lyriker Gottfried Seydner, der Lyriker Wilhelm Meitert bereichern das kulturelle Leben. Und nicht zuletzt der Bukarester Autor Hans Liebhardt, der aus Großpold bei Hermannstadt stammt und in seinen Erzählungen zum Teil Jugenderinnerungen in der Landlergemeinde thematisiert.

Ingmar Brantsch

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