14. Oktober 2004

Gedanken zum Kleinschelker Treffen

Bei strahlendem Sonnenschein trafen sich, wie in dieser Zeitung berichtet, vom 15.-17. August zum ersten Mal über 700 ehemalige Kleinschelker in ihrem siebenbürgischen Heimatort, um das alle zwei Jahre stattfindende traditionelle Treffen ihrer Heimatortsgemeinschaft zu feiern.
In Anwesenheit des Ehrenvorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Prof. Dr. Paul Philippi, des Vorsitzenden des Hermannstädter Kreisrates, Martin Botesch, des Dechanten Reinhart Guib und des Kleinschelker Bürgermeisters entwickelte sich eine Veranstaltung, die sowohl von der organisatorischen Seite, als auch durch ihre politische Botschaft zu den außergewöhnlichen Ereignissen dieses Jahres in Siebenbürgen zählt. Das bestätigte auch der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien, Wilfried Gruber, der am 16. August bei seiner Kurzvisite in der Kleinschelker Kirchenburg den im großen Schulsaal feiernden Gästen aus der Bundesrepublik seine Grüße überbrachte.

Schon die Einfahrt in ihr Heimatdorf bot den Gästen eine Überraschung. Alle Baumstämme am Straßenrand waren weiß gestrichen, die Hausfassaden der Häuser leuchteten in hellen Farben. In der Niedergasse erstrahlten zahlreiche Gebäude in neuem Glanz. Über 70 ehemalige Kleinschelker haben inzwischen ihre Häuser wieder zurückgekauft und diese nicht nur von Grund auf renoviert, sondern auch zu Ferienhäusern umgebaut. Die in Kleinschelken lebenden Rumänen nennen diese Straße deshalb auch „Strada vacanței“ (Ferienstraße), weil die überwiegende Zahl der Gebäude nur im Frühjahr und Sommer während der Urlaubszeiten bewohnt ist.

Das Fest wurde in dem bis auf den letzten Platz gefüllten und vollständig renovierten Kirchengebäude mit einem Gottesdienst nach Kleinschelker Tradition eröffnet. Pfarrer Hans Auner, selbst Kleinschelker und an allen Treffen seiner Landsleute beteiligt, gestaltete den Gottesdienst, der von wunderschönen Einlagen des Böblinger Chores unter der Leitung von Andreas Stühler begleitet wurde. Aus Mediasch holte man das alte Taufbecken, ein Werk des Hermannstädter Glockengießers Leonardus von 1477, und stellte es wieder auf seinen angestammten Platz. Die Orgel wurde restauriert und erklang in frischen Tönen. Wie bei einer großen Kleinschelker Hochzeit zog nach Abschluss des Gottesdienstes ein unendlicher Zug von Jung und Alt in ihren farbigen Trachten an den Adjuvanten vorbei in Richtung Schulsaal.

Blick auf die Kirchenburg Kleinschelken. Foto: Erich Simonis
Blick auf die Kirchenburg Kleinschelken. Foto: Erich Simonis

Hans Weiss, Vertreter der Böblinger Nachbarschaft und Koordinator des Treffens, eröffnete die Veranstaltung mit einer Ansprache, die einfühlsam an die Vergangenheit in Kleinschelken erinnerte und gleichzeitig dem tiefen Dank aller Anwesenden an die Organisatoren Ausdruck gab. Deren unermüdlichem Einsatz ist es zu verdanken, dass eine so große Gruppe nicht nur untergebracht, sondern über vier Tage rund um die Uhr versorgt wurde. Die Eröffnung wurde von einem umfangreichen kulturellen Programm umrahmt, das von perfekten Darbietungen des Böblinger Chores bis zu Tanzdarbietungen und Vorträgen reichte. „Als Freunde kommen wir...“, sang dieser Chor zuerst in deutscher, dann in rumänischer Sprache vor der wiedervereinigten Gemeinschaft der Kleinschelker Sachsen, den Vertretern der rumänischen Behörden und den Gästen aus der Politik. Dieses Motto prägte den gesamten Ablauf der Veranstaltung.

Der Nachmittag erreichte seinen Höhepunkt im gemeinsamen Auftritt aller ehemaligen Kleinschelker Musikanten, die in den unterschiedlichen Formationen des Dorfes aktiv gewesen waren. Sie schufen im Saal eine Stimmung wie in früheren Zeiten, als noch über 1400 Sachsen in den Häusern wohnten, und ließen nach ihrem Abgang ein begeistertes Publikum zurück. Doch was wäre ein Fest in Kleinschelken ohne Dieter Huber und seine Musik. Der gebürtige Heltauer mutierte schon in seiner Jugendzeit zum überzeugten Kleinschelker, zu einem Original, das auf keiner Hochzeit und keinem Fest fehlen durfte. Zusammen mit seiner Frau Renate spielte er zum Tanz für Jung und Alt. Tief gerührt gestand der rumänische Dorfarzt, er habe den Eindruck, man habe einen Film, der 1989 gerissen sei, wieder zusammengeklebt und nun laufe er weiter.

Als Überraschungsgast angekündigt, traf am Montag der Musiker Adolf Kiertscher in Kleinschelken ein. Aus dem in Kleinschelken geborenen Autodidakten wurde in der früheren DDR ein exzellenter Tanzmusiker, der über 250 Titel aus dem Effeff spielt und heute eine Musikagentur leitet, die über einhundert Musiker und Revuekünstler unter Vertrag hat. Nach der Wende wurde er zum Unternehmer mit zahllosen Aufträgen in den neuen und alten Bundesländern, denn seine Agentur bietet inzwischen nicht nur Programme, Konzerte und Tanzmusik an, sondern auch die volle gastronomische Betreuung und Dekoration der Festzelte und Säle. Kiertscher zeigte nicht nur, welche Talente in ihm stecken, sondern spendete eine größere Summe auf das Konto der HOG, wofür ihm unser Dank gebührt.
Am Nachmittag meldete sich ein weiterer Überraschungsgast an. Der Botschafter der Bundesrepublik in Rumänien, Wilfried Gruber, stellte sich den Anwesenden vor und äußerte den Wunsch, die frisch renovierte Kirchenburg zu besichtigen. Nach einer Führung durch die Anlage zeigte er sich sehr interessiert an der Tätigkeit der HOG Kleinschelken in der Bundesrepublik, den Projekten der Rückkäufer im Dorf und den Reaktionen der rumänischen Bevölkerung auf diese Entwicklung.

Als Hommage an das frühere Sportleben in Kleinschelken war das Fußballturnier auf dem „Kokosch“ gedacht. Der gemeinsame Einmarsch aller Mannschaften im großen Saal sollte an die zahlreichen Turniere der Vergangenheit erinnern. Tatsächlich gab es in der Fußballsaison 1983 in diesem Dorf acht Mannschaften. Jede Mannschaft musste 14 Spiele absolvieren. Während der anschließenden Feiern wurden 450 Liter Wein konsumiert und zwei Schweine geschlachtet.

Nach drei Tagen und drei Nächten, in denen nicht nur getanzt, sondern auch gesungen und gelacht wurde, waren sich alle Beteiligten einig, dass sie das gelungenste Kleinschelker Treffen aller Zeiten miterlebt hatten. Eine organisatorische und logistische Meisterleistung, geprägt durch die Kontakte und Erfahrungen von Georg Draser, der „grauen Eminenz“ vor Ort. Und dafür danken wir allen Organisatoren wie Hans Weiss, Hans Stolz, Andreas Stühler, Katharina Reuß, Georg Weiss und Katharina Hermann sowie den zahlreichen anderen Vertretern der Böblinger und Sindelfinger Nachbarschaft, deren Namen wir aus Platzgründen hier nicht nennen können. Unser Dank gilt auch dem unermüdlichen Einsatz der Freundeskreise um Georg Schmidt und Uwe Draser, der „Plus“ sowie den vielen Jugendlichen, die an den Vorbereitungen dieses großartigen Festes beteiligt waren. Doch der Erfolg lag nicht nur an der perfekten Organisation, für die wir unsere Landsleute aus Böblingen und Kleinschelken bewundern, sondern auch an den zahlreichen Beiträgen zum Unterhaltungsprogramm, die in zahllosen Stunden voller harter Arbeit von den engagierten Frauen und Männern aus Böblingen, Sindelfingen und Umgebung vorbereitet wurden. Höhepunkt waren dabei immer wieder die Auftritte der von Katharina Hermann und Katharina Reuß geleiteten Trachtentanzgruppe. Sie alle bleiben für uns ein Beispiel dafür, dass Gemeinschaftsleben und Wirken für die Gemeinschaft auch in der Bundesrepublik nicht verloren gegangen ist.

Die Rückkauf- und Renovierungsarbeiten in Kleinschelken sind sicherlich außergewöhnlich, weil sie in diesem Ausmaß in keiner anderen siebenbürgischen Ortschaft stattfinden. Doch wie muss man sie deuten? Der Bischofsvikar Klein und Professor Philippi vertraten in ihren Begrüßungsansprachen die Ansicht, diese Entwicklung sei als hoffnungsvolles Zeichen einer potentiellen Rückwanderung zu sehen, „nachdem klar geworden sei, dass man auch in Rumänien gutes Geld verdienen könne“. Die betroffenen Kleinschelker sehen das eher anders. Für sie ist Kleinschelken ein Urlaubsgebiet, in dem man seine Ferien sehr preisgünstig verbringen kann. An Rückwanderung denkt dabei kein einziger unter ihnen. Es bleibt somit die Hoffnung, dass die nächste Generation, vorwiegend ohne rumänische Sprachkenntnisse aufgewachsen, vor dem Hintergrund des Beitritts Rumäniens zur Europäischen Union ihre Urlaubsziele nicht ändert und dem Heimatort ihrer Eltern erhalten bleibt.

Hans Gerhard Pauer

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 16 vom 15. Oktober 2004, Seite 24)

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