6. Januar 2004

Faszinierende Erkenntnisse über Emigration der Siebenbürger Sachsen

Es gibt viele Arten, sich mit der Auswanderung der Siebenbürger Sachsen aus Rumänien auseinander zu setzen: die persönlichen Erinnerungen aufschreiben, bildende Kunst schaffen, Bräuche pflegen. Das Autorenteam um Georg Weber hat sich der Emigration auf andere Art und Weise genähert und liefert nun eine umfassende sozialwissenschaftliche Studie zum Thema "Emigration der Siebenbürger Sachsen".
Über mehrere Jahre hinweg haben namhafte Sozialwissenschaftler vorhandenes Material gesichtet, Reisen nach Siebenbürgen unternommen und zahlreiche Interviews geführt und ausgewertet. Das Ergebnis ist eine breit angelegte Studie, die faszinierende Erkenntnisse über die Emigration der Siebenbürger aus Rumänien nach Deutschland in den vergangenen 50 Jahren liefert. Über 900 Seiten soziologische, ethnologische, rechtliche und literaturwissenschaftliche Informationen haben die Autoren zusammengetragen und damit ein Buch vorgelegt, das sich durch seine Ausführlichkeit und Vielfältigkeit auszeichnet.

In einem ersten Schritt werden die verschiedenen theoretischen und empirischen Konzepte der Migrationsforschung vorgestellt. Ziel ist es, auf der Grundlage dieser Konzepte die theoretische Basis für die eigenen Untersuchungen festzulegen. Der vorliegenden Studie wird eine konstruktivistische Migrationstheorie zu Grunde gelegt, die sich vor allem auf die verschiedenen Kontexte von Migration und ihre kommunikative Verarbeitung konzentriert.

Das nächste Kapitel befasst sich mit der Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Von den Anfängen im 12. Jahrhundert bis hin zu den Auswanderungswellen in den 1990er Jahren begeben sich die Autoren auf Spurensuche. Dieser historische Exkurs dient besonders der Untermauerung der Grundannahme, die Siebenbürger seien als ethnische Gruppe zu betrachten. Zudem wird eine zwar knappe, aber lückenlose Darstellung der Entwicklung des siebenbürgischen Volkes geliefert. Besonderes Gewicht wird hier auf die gesellschaftliche und politische Situation in Rumänien nach dem zweiten Weltkrieg gelegt, da in dieser Zeit schwer wiegende Umbrüche stattfanden, die unmittelbare Folgen für die Siebenbürger hatten und letztlich auch Vorbereitung und Anstoß für die Auswanderung vieler waren. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der rechtlichen Situation von Aussiedlern in der Bundesrepublik. Die Nachkriegs- sowie die aktuelle Gesetzeslage werden ausführlich dargestellt, Aufnahmevoraussetzungen und juristische Definitionen erläutert.

Auf die rechtliche Auseinandersetzung mit Emigration folgt das Kernstück der Studie: die Beschäftigung mit biographischen Details ausgewählter siebenbürgischer Emigranten. Anhand von Interviews, die mit den gleichen Personen jeweils kurz vor, unmittelbar und ca. sechs Monate nach der Auswanderung geführt wurden, erstellten die Autoren Biographien. Die Lebensläufe lassen verschiedene Handlungsmuster erkennen, die konstituierend für Migrationsprozesse sind und Aufschluss über die unterschiedlichen Motive zur Auswanderung geben. So erstellten die Autoren eine Typologie, die als Ergebnis dieser empirisch-qualitativen Untersuchung gelten kann. Weitere Schwerpunkte der Studie sind die quantitative Darstellung der Emigration, die Beschäftigung mit den intra- und interpersönlichen Konflikten, die die Auswanderung mit sich bringen kann und eine Untersuchung über die Neubesiedlung ehemals siebenbürgischer Ortschaften.

Den Abschluss der Studie bildet ein literaturwissenschaftlicher Exkurs. Prosawerke von Richard Wagner, Herta Müller und Dieter Schlesak, die Auswanderung zum Thema haben, werden ausführlich analysiert und zu den bis dahin vorgestellten Erkenntnissen in Beziehung gesetzt. Dieser Ansatz ermöglicht einen persönlicheren Zugang zum Thema Emigration und entspricht dennoch dem wissenschaftlichen Anspruch der Studie.

Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis, eine Liste aller siebenbürgischer Ortsnamen in deutscher und rumänischer Sprache sowie zahlreiche Abbildungen, Tabellen und Karten runden die Darstellung ab und regen zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema „Emigration der Siebenbürger Sachsen“ an. Es gibt viele Studien, die sich mit Migration im Allgemeinen befassen, aber Georg Weber und seinem Team ist es gelungen, sich ausschließlich auf die siebenbürgische Thematik zu beschränken und diese von den verschiedensten Warten her zu beleuchten, sodass eine umfassende und fundierte Darstellung gewährleistet ist.

Doris Roth

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Georg Weber, Armin Nassehi, Renate Weber-Schlenther, Oliver Sill, Georg Kneer, Gerd Nollmann, Irmhild Saake: „Emigration der Siebenbürger Sachsen. Studien zu Ost-West-Wanderungen im 20. Jahrhundert“, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2002, XIV, 910 Seiten, 49,90 Euro, ISBN 3-531-13671-2.

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