15. Dezember 2003

Wissenschaftlicher Nachwuchs wird internationaler

Auf Einladung des Siebenbürgen-Instituts fand das dritte Diplomanden- und Doktorandenkolloquium vom 9. bis 11. November 2003 statt. 18 Nachwuchswissenschaftler aus sechs Ländern präsentierten ihre Arbeiten im Festsaal des Schlosses Horneck in Gundelsheim am Neckar. Mit Siebenbürgen als gemeinsamem Nenner und gemeinsam mit Fachleuten (Daniel Bein, Prof. Dr. Konrad Gündisch, Prof. Dr. Paul Niedermaier, Dr. Harald Roth, Marius Tătaru, Dr. Cornelius Zach und Dr. Krista Zach) wurden in fünf Abteilungen verschiedene Themen erörtert.
Die Geschichte (von Mittelalter bis Zeitgeschichte) bildete einen deutlichen Schwerpunkt, während Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte im Vergleich zu den Vorjahren stark unterrepräsentiert waren. Etwa die Hälfte der Forschungsvorhaben befasste sich mit den Siebenbürger Sachsen, sei es aus soziologischer, kunst-, kultur- oder zeithistorischer Perspektive. Bedenkenswert ist, dass sich unter den Teilnehmern kein einziger Siebenbürger Sachse befand.

Die Kolloquiumsteilnehmer gehören zu den eifrigen Nutzern der Siebenbürgischen Bibliothek Gundelsheim, teils über Fernleihe, teils durch kürzere oder längere Aufenthalte vor Ort, die häufig durch Stipendien ermöglicht werden. Von den über hundert wissenschaftlichen Abschlussarbeiten zu Siebenbürgen, die in Gundelsheim bekannt sind, werden etwa ein Drittel von Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben (!), jeweils ein Fünftel von Rumänen, Ungarn und Bundesdeutschen und der Rest von Personen anderer nationaler Zugehörigkeit verfasst. Dabei ist es ganz selbstverständlich, dass sich etwa die Siebenbürger Sachsen rumänischen Themen annehmen oder Rumänen sächsische Themen beleuchten.

Die Beschäftigung mit Siebenbürgen verzeichnet offenbar eine gewisse Konjunktur, so dass die wissenschaftliche Buchproduktion über Jahre gesichert sein dürfte. Es bleibt zu hoffen, dass diese reiche Literatur auch Leser und Käufer außerhalb der Wissenschaft finden wird.

Mancher Laie wird sich fragen, ob noch so viele Einzeluntersuchungen zu Siebenbürgen und den Siebenbürger Sachsen nötig sind. Ist denn nicht schon alles dazu gesagt worden? Gibt es nicht schon eine vierbändige Sachsengeschichte der Bischöfe Georg Daniel und Friedrich Teutsch? Diese Werke sind zum Teil mehr als einhundert Jahre alt und widmen sich nicht der gesamten Geschichte Siebenbürgens, sondern nur die Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk. Aufgrund neuer Theorien und Methoden müssen deshalb frühere und jüngere Ereignisse neu erklärt und interpretiert werden. Zudem kann man heute aufgrund besserer Quellenlagen gewisse Dinge vergleichend erforschen. So vergleicht eine ungarischstämmige, heute in Deutschland lebende Kunsthistorikerin die Sakramentshäuschen und -nischen in ganz Siebenbürgen mit solchen in Mitteleuropa. Sie sucht in neu erschienenen Urkundenbüchern Hinweise auf Auftraggeber und Ausführende dieser sakralen Gegenstände. Ihr Werk bringt der Fachwelt neue Erkenntnisse.

Der Stand der in Gundelsheim präsentierten Forschungsarbeiten war recht unterschiedlich. Während einige Teilnehmer konkrete Ergebnisse ihrer bisherigen Recherchen vorstellen konnten, versuchten andere zunächst ihre Fragestellung zu präzisieren. Dementsprechend diente auch die Diskussion, die jedem statement folgte, unterschiedlichen Zwecken: einzelne Aspekte des untersuchten Themas hervorzuheben, bibliographische Tipps zu geben, Informationen zur Archivlage auszutauschen oder - was oft betont wurde- eine Klärung der Begriffe vorzunehmen. Die lebendige und konstruktive Diskussion lieferte dabei viele nützliche Denkanstöße.

Anregend wirkte auch die internationale Atmosphäre: Die Diplomanden und Doktoranden waren aus Rumänien, Ungarn, Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Großbritannien angereist, und der Übergang von einer Sprache zur anderen erwies sich als äußerst natürlich. Die Frage der ethnischen Zugehörigkeit rückte in den Hintergrund und der menschliche Kontakt in den Vordergrund, begünstigt auch durch das ländliche Quartier auf dem Michaelsberg und die nächtliche Expedition durch die Gundelsheimer Weinberge.

Das Kolloquium war zugleich ein Barometer für die sich ändernden Verhältnisse zwischen Ost- und Westeuropa. So wurde auf wissenschaftlicher Ebene festgestellt, dass der Zweite Weltkrieg oder der historische Stellenwert des Antisemitismus nicht immer mit der gleichen Sensibilität behandelt werden. Zudem fällt auf, dass in Osteuropa noch Begriffe (Wortkomposita von „Volk“ u.a.) verwendet werden, die im Westen längst nicht mehr tragbar sind. Thematisch bevorzugen die im Westen betreuten Arbeiten theoretische Fragestellungen (Konstruktion von Identitäten, Diskurs und Repräsentationen). Was die Forschungsmethoden betrifft, ist jedoch kein Unterschied zwischen Ost und West erkennbar, zumal viele Teilnehmer einen regelmäßigen fachlichen Austausch praktizieren.

PT/GB


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2003, Seite 6)

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