15. Juni 2003

Vom schwierigen In-der-Welt-Sein

Der österreichische per procura Verlag lässt diesmal in seiner der Poesie als Übersetzung zugeeigneten Reihe abrasch einen Vertreter der rumänischen Dichtung der achtziger und neunziger Jahre zu Wort kommen. Der 1960 in Kronstadt geborene und heute als freier Autor in Bukarest lebende Daniel Banulescu ist in Rumänien bekannt durch seine unkonventionelle, provozierende, scheinbar erotische Lyrik, die von der rumänischen Kritik wohlwollend, wenn auch mit wenig Verständnis aufgenommen wird „als Ausdruck einer als unverständlich geltenden Realität“, wie es im Nachwort des Übersetzers heißt.
Der selbstbewusst-protektiv zur „Republik des Daniel Banulescu“ erklärte Band hat als Vorlage drei in Rumänien erschienene Gedichtbände des Autors, aus denen Ernest Wichner, der bekannte Übersetzer und Schriftsteller, die Auswahl traf und zwar: Ich werde dich lieben bis zum Ende des Bettes (1993), Die Ballade des Daniel Banulescu (1997) und Daniel, des Gebets (2002).

Was der Band zeigt, ist eine vielleicht schwer verständliche, aber zwiespältige und konfliktreiche Auseinandersetzung des Dichters mit der hinter dem Pronomen du verborgenen Welt und dem Ewigweiblichen als deren grundlegenden Erscheinungsform. Dieses ist einerseits seine Heilung (wollte mich unbedingt umbringen / Aber du hast mir ein Klistier gesetzt / tineam cu tot dinadinsul sa ma sinucid / Si mi-ai facut purgatie), seine Muse (Ach hätte ich doch eine Mundharmonika / Wärest du doch eine arme Mundharmonika – meine Mundharmonika / Ich wäre besessen aufs Mundharmonikaspielen / O daca as avea o muzicuta /Daca tu ai fi o biata muzicuta si ai fi muzicuta mea / M-as innebuni dupa cantat la muzicuta), aber auch die Begründung und Begrenzung seiner Existenz: Du trägst meinen Sauerstoff in deiner Sauerstoffflasche / Imi porti oxigenul in butelia ta de oxigen, die ihn aber ungleich Goethe nicht hinan zieht (Doch du läufst gelb an / Wir keuchen / Und schaffen’s nur noch bis zum Lift / Dar te ingalbenesti / Gafaim / Si nu reusim s-ajungem decat pin’ la lift). In seinem faustischen Streben ist der Dichter allein (Denn gleich wenn ich eingeschlafen bin gibt es dich für mich nicht mehr / Pentru ca imediat ce adorm tu nu mai existi pentru mine), da das Ewigweibliche den Weg zu seinem Selbst nicht finden kann. Zu diesem, meinen höchsten Gedanken / gandurile mele cele mai inalte, gelangen nur die Langeweile das Bedauern die Zärtlichkeit oder die Wut / numai plictiseala regretul tandretea sau furia. Da dem Ewigweiblichen nichts Lebensverneinendes innewohnen kann, hat es nur mehr die Berechtigung zur Existenzsicherung: Geh doch zurück zu deiner guten Schlange bei den Tomaten / Intoarce-te la buna ta coada la rosii – dem Dichter aber bleibt die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit: Bist bloß ein Gedanke meiner Socken, die meine Füße satt haben / Wie die Brust eines Arbeitslosen die voll proletarischer Lieder steckt / Esti numai un gand al sosetelor mele doldora de picioarele mele / Ca un piept de somer plin de cantece muncitoresti. Auch das widersprüchliche Verhältnis des Dichters zum Vaterland ist eine Form der Beziehung zum Ewig Weiblichen: „Ein Feind des Volkes” – der sein Vaterland liebt! / „Dusman al poporului“ – amant al patriei! Das Motiv des Vaterlandes (das rumänische Wort patrie ist weiblichen Geschlechts) als Geliebte oder Hure ist ein beliebtes Motiv bei den der Ästhetik des Hässlichen verpflichteten Schriftstellern – im Falle Banulescus spricht nur (und die Übersetzung verdeutlicht es) die verzweifelte Liebe zu dem, was hinter dem so arg misshandelten und missbrauchten Wort liegt: Auch ich habe vom Schilf deiner Zärtlichkeit geschnitten / Auch ich war am Kanal auch mir war der Tod auf den Bauch gekrochen / Am taiat si eu la stuful tandretei tale / Si eu am fost la canal si mie moartea mi se catarase pe pantec. Sinn und Ziel der dichterischen Bemühungen ist Gott – unerreichbar nah, wie einst Radio Freies Europa, das den Rumänen von einer anderen Welt erzählte: Freute ich mich daß Gott seinen Radioapparat in meiner Nähe eingeschaltet hatte / Ma bucuram ca Dumnezeu si-a lasat deschis aparatul lui de radio in preajma mea. Ins Transzendentale führt aber nur das Gebet, und damit wird der Dichter zum Erlöser: Und ich bete ohne Unterlaß / Daß Gott mich zu jenen zählen möge / Die allein mit dem Namen ihres Gottes im Sinne tanzen / Und deretwegen er eine Festung verschont / Rugandu-ma neincetat / Ca Dumnezeul meu sa ma treaca intre numele acelora / Care danseaza numai cu Numele Dumnezeului lor in minte / Si pentru care Dumnezeu iarta o cetate.

Was solcherart aus den Gedichten und Gesängen spricht, ist die Stimme einer Schriftstellergeneration, die ihre Ausbildung und ihr literarisches Debüt in den letzten Jahren der Diktatur erfuhr, im Schatten der allmächtigen Securitate, und die seit der Wende versucht, den mit Widersprüchen behafteten Zustand des Überganges zu meistern und in Anlehnung an die zeitgenössische angelsächsische Poesie, aber auch an die Schriftsteller der Aktionsgruppe Banat (Herta Müller und Richard Wagner) ihre Eigenständigkeit durch Umwertung, Umdeutung, ja Verzerrung der Alltagssprache und der alltäglichen Erfahrungen zu behaupten. Das aus den Elementen Alltagssprache und -erfahrungen gebildete Schema soll den Erwartungshorizont des Lesers keinesfalls befriedigen, sondern ihm vielmehr durch die Erzeugung einer gewissen Vertrautheit die Möglichkeit geben, mit dem Dichter in den Parnass zu gehen: Es wäre so als hättest du den Rhythmus genau getroffen und könntest wie ich sagen: / „Ein grauenhafter Abend – neblig absurd hinterlistig dürstend und böse” / Ar fi ca si cum ritmul l-ai prinde exact și ai putea recita dupa mine:/ „O seara ingrozitoare o seara parsiva cetoasa ticaloasa și rea”. Der Weg dorthin verläuft über das lebende, offene Buch: Ich schriebe ein Buch. Schreibe an einem Buch. Bloß Fleisch und Scharniere und Türen / As scrie o carte scriu la / O carte numai carne balamale si usi, wie es einladend auf dem Schutzumschlag geschrieben steht. Der graphisch elegant gestaltete Band ist es auf jeden Fall Wert, dies- und jenseits der Sprache gelesen zu werden.

Ana Cletiu



Daniel Banulescu: Schrumpeln wirst du, wirst eine exotische Frucht sein. Gedichte. Rumänisch/Deutsch. Aus dem Rumänischen und mit einem Nachwort von Ernest Wichner. edition per procura, Wien, Lana, 2003 (Reihe abrasch Nr. 5), 12 Euro, ISBN 3-901118-51-9.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 31. Mai 2003, Seite 9)

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