25. Mai 2003

Sammler des siebenbürgischen Sagengutes

In der von den Brüdern Grimm erzählten Sage "Der Rattenfänger von Hameln" - es ist übrigens die weltweit am meisten verbreitete Sage - heißt es, die vom Rattenfänger entführten Kinder seien in Siebenbürgen wieder ans Tageslicht gelangt und seien die Vorfahren der Siebenbürger Sachsen. Friedrich Müller (1828-1915), dessen 175. Geburtstag wir dieser Tage begehen, weiß es genauer. In der Sagenvariante seiner Sammlung gibt es sogar eine Ortsangabe: Die Kinder sind - so lesen wir - aus der Almascher Höhle im Hargita-Gebiet hervorgekommen und haben das Land besiedelt.
Friedrich Müller der Ältere. Ölbild von Hans Hermann nach einer alten Fotografie, 1902, Presbyteriumssaal Schäßburg. Bildarchiv Konrad Klein.
Friedrich Müller der Ältere. Ölbild von Hans Hermann nach einer alten Fotografie, 1902, Presbyteriumssaal Schäßburg. Bildarchiv Konrad Klein.

Friedrich Müller, Historiker, Theologe und Sagenforscher gehört zur Generation der großen siebenbürgischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts. Am 15. Mai 1828 in Schäßburg geboren, studierte er in Leipzig und Berlin und diente dann als Lehrer, ab 1863 in der Nachfolge von Georg Daniel Teutsch als Rektor dem Schäßburger Gymnasium. Dann war er Stadtpfarrer in Hermannstadt und schließlich 1893-1906 Sachsenbischof. Seine wissenschaftliche Tätigkeit war fruchtbar wie auch die als Theologe und Politiker. Sein volkstümlichstes Werk ist die Sammlung "Siebenbürgische Sagen", die 1857 in Kronstadt ein Jahr nach Haltrichs Märchensammlung (1856) erschien und zu seinen Lebzeiten 1885 eine zweite, erweiterte Auflage erfuhr (bei C. Graeser/Wien und W. Krafft/Hermannstadt). Eine neue, nochmals ergänzte Auflage gab Misch Orend 1972 in Göttingen heraus. Müllers erste Auflage enthielt 444 Sagen, während die zweite bereits 620 umfasste, also um fast die Hälfte angewachsen war.

Schon als Studenten in Leipzig hatten sich unter dem Einfluss der deutschen Romantik-Bewegung die siebenbürgischen Kollegen F. Müller, F. W. Schuster, J. Haltrich, J. A. Mätz und J. Albert verschworen, nach der Heimkehr sich der Sammlung und Erforschung des siebenbürgischen Volksgutes zu widmen. Sie haben dieses Ziel auch ein Leben lang konsequent verfolgt. Schuster sammelte Lieder und Gedichte, Haltrich Märchen, Müller widmete sich dem Sagenschatz. Seine Sammlung ist auch heute das Referenzwerk der siebenbürgischen Sagenkunde. Zum Unterschied von Haltrich, der sich auf die deutschen Volksmärchen beschränkte, ist Müllers Sammelgebiet weitläufiger und umfasst nicht nur sächsische Sagen. Er unterscheidet mythische und geschichtliche Sagen und im Rahmen der mythischen Sagen den deutschen, magyarischen, walachischen und Zigeuner-Sagenkreis. Er geht auch auf antike Quellen zurück, wenn Bezüge zum historischen siebenbürgischen Raum bestehen. Von seinen außer den Sagen auch gegenwärtig häufig zitierten Arbeiten sind insbesondere zu erwähnen: "Die Sprachdenkmäler aus Siebenbürgen aus schriftlichen Quellen des 12. bis 16. Jahrhunderts gesammelt" (Hermannstadt, 1864), "Beiträge zur Geschichte des Hexenglaubens und des Hexenprozesses in Siebenbürgen" (Braunschweig, 1854); mit M. Ackner veröffentlichte Müller 1865 "Die römischen Inschriften in Dazien".

Friedrich Müller starb im 87. Lebensjahr hochverehrt am 25. April 1915. Müllers Sagen wurden zum Unterschied von Haltrichs Märchen im kommunistischen Rumänien nicht neu aufgelegt, wohl weil der Bereich der historischen Sagen in Bezug auf Siebenbürgen rumänischen nationalen Empfindlichkeiten ausgesetzt waren. Früher haben Sagen aus Müllers Sammlung aus keinem siebenbürgischen Lesebuch gefehlt , hatte er das Buch doch ausdrücklich den Schulen gewidmet :"Den deutschen Schulen in Siebenbürgen zu treuer Pflicht".

Walter Roth


(gedruckte Ausgabe. Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 31. Mai 2003, Seite 10)

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