29. März 2003

Patenland debattiert über Aussiedlerförderung

„Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens muss die Förderung der Kulturarbeit der Heimatvertriebenen und Aussiedler nach Paragraph des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes wichtiger nehmen als bisher“, erklärte der Beauftragte für die Heimatvertriebenen und Spätaussiedler der CDU-Landtagsfraktion, Hagen Jobi. Der siebenbürgische Landtagsabgeordnete reagierte damit auf eine Antwort der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf die Große Anfrage der CDU zur Förderung der Kultur der Vertriebenen.
In ihrer Antwort auf die Große Anfrage (Drucksache 13/3591) stellte die Landesregierung in Düsseldorf, namentlich das Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie, fest, dass Norhein-Westfalen in der Vergangenheit der Verpflichtung gemäß § 96 „mit großer Verantwortung und mit erheblichem finanziellen Engagement nachgekommen“ sei. Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) verpflichtet Bund und Länder das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslands zu erhalten sowie entsprechende Einrichtungen und die Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen zu fördern. Allein von 1990 bis 2002 wurden aus dem Landesetat NRW für die Aussiedler- und Vertriebenenförderung rund 28 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs hat die Landesregierung die Kulturpflege im Sinne grenzüberschreitender Kulturarbeit neu definiert.

Hagen Jobi würdigte am 20. März in seiner Rede vor dem Düsseldorfer Landtag die Haltung Nordrhein-Westfalens, das sich – im Gegensatz zum inzwischen abgewählten niedersächsischen Ministerpräsidenten Gabriel – für den Erhalt des Paragraphen 96 des Bundesvertriebenengesetzes eingesetzt habe. Zudem wies der Siebenbürger Sachse auf die Aktualität des Themas Vertreibung hin. So habe der Spiegel aus Anlass der Leipziger Buchmesse erst kürzlich getitelt „Die Enkel wollen es wissen“. Dabei geht es um die dramatische Geschichte der Vertreibung und Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg. Immer mehr junge Menschen interessieren sich für die Geschichte der Deutschen in den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten, die lange tabuisiert wurde. Das Thema hat auch Günter Grass in seinem Roman „Krebsgang“ einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht.

Aussiedler als Botschafter der Verständigung

„Nur durch die gemeinsame Erinnerung an die katastrophale Geschichte kann die europäische Integration gelingen.“ Gerade die Heimatvertriebene und Aussiedler seien „zu Botschaftern der Aussöhnung und Verständigung“ geworden, betonte Jobi. Der 1947 in Berkau geborene Siebenbürger Sachse ist seit 1982 Mitglied des Stadtrates in Wiehl, Stellvertretender Bürgermeister seit 1989, Stellvertretender Landrat seit 1999, Landtagsabgeordneter seit Mai 2000 und stellvertretender BdV-Landesvorsitzender seit letztem Jahr.

Gemessen an den gesamten Kulturausgaben in Nordrhein-Westfalen kommt die Förderung der Aussiedler und Vertriebenen zu kurz. NRW habe die Kulturausgaben seit 1995 von rund 227 Millionen DM um 48 Prozent auf 336 Millionen DM im Jahr 2000 erhöht, sagte der CDU-Abgeordnete. Im gleichen Zeitraum seien die Aufwendungen für ostdeutsche Kulturarbeit jedoch von 4 auf rund 3,7 Millionen DM gesenkt worden. Dadurch sei NRW auch im Vergleich zu anderen Bundesländern bei der Kulturförderung der Vertriebenen zurückgefallen. Im letzten Jahr gab Bayern für 0,54 Euro pro Einwohner aus, Baden-Württemberg 0,35 Euro und Hessen immerhin 0,23 Euro pro Einwohner aus. NRW fördere die ostdeutsche Kulturarbeit mit lediglich 0,10 Euro pro Einwohner und sei damit das Schlusslicht im Vergleich zu den großen Flächenländern, rechnete Jobi der Landesregierung vor.

Fast alle Mittel für ostdeutsche Kulturarbeit fließen seit Ende der 90er Jahre in die institutionelle Förderung. Gelder für Veranstaltungen und Projekte, zum Beispiel für die Landsmannschaften oder den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat in Gundelsheim, wurden „systematisch gekürzt“. Obwohl von anerkannten Fachleuten als förderungswürdig eingestuft, wurden und werden viele Projekte abgelehnt. Die Einrichtungen könnten „ihre aktive Kulturarbeit“ und Arbeit im Sinne der Verständigung und Versöhnung dadurch nicht mehr leisten. Jobi forderte daher eine Projektförderung auf höherem und angemessenem finanziellen Niveau. Sinnvoll wäre nach Ansicht des Siebenbürgers auch ein Regierungsbeauftragter für Vertriebene und Aussiedler, ein Amt, das es in anderen Bundesländern gibt. Die Kultur der Aussiedler und Vertriebenen müsse zudem stärker in den Schulplänen verankert werden. „Wir brauchen ein neues zukunftsfähiges Gesamtkonzept für die Sicherung und Pflege des Kulturerbes der Heimatvertriebenen und Aussiedler“, forderte Jobi.

Die Vertriebenenarbeit steht allerdings auch bei vielen Sozialdemokraten hoch im Kurs. So hatte der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement in seinem Grußwort zum Tag der Heimat 2002 gesagt: „Ich setze auf die Zusammenarbeit mit dem Bund der Vertriebenen, der traditionsbewusst und heimatverbunden, liberal und weltoffen für eine gemeinsame Zukunft im gemeinsamen Europa eintritt“.

Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt es auch zwischen dem Patenland Nordrhein-Westfalen und der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen. Aus der Patenschaft, die 1957 übernommen wurde, habe sich eine „Partnerschaft“ entwickelt, betonte der damalige Ministerpäsident und heutige Bundespräsident Johannes Rau beim Heimattag 1997 in Dinkelsbühl. Das nordrhein-westfälische Sozialministerium gewährt der Münchner Bundesgeschäftsstelle und der Düsseldorfer Landesgeschäftsstelle der siebenbürgischen Landsmannschaft nach wie vor einen jährlichen Patenschaftszuschuss.

Siegbert Bruss


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2003, Leitartikel)

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