27. Februar 2003

Leserecho: Erinnerungen an Georg Scherg

Im Januar 1977 begingen wir bei Familie Scherg in Hermannstadt Georgs 60. Geburtstag. Die Party mit den Kollegen vom Hermannstädter Lehrstuhl stellt einen der Höhepunkte im Leben des bedeutenden Schriftstellers und Universitätsdozenten Georg Scherg dar.

War er 1959 zu Unrecht im Kronstädter Schriftstellerprozess verurteilt und inhaftiert worden, so hatte sich - Gott sei Dank - das Blatt während der sechziger Jahre gewendet. Georg Scherg war nicht nur freigesprochen, sondern auch rehabilitiert worden und kam nach kurzer Lehrtätigkeit in Klausenburg und Kronstadt 1970 als Leiter an den Hermannstädter Germanistiklehrstuhl. Unter Schergs Fittichen etablierte sich auch der deutschsprachige Literaturkreis, der Autoren wie Wolf von Aichelburg oder Joachim Wittstock Gelegenheit bot, aus ihren noch in Entstehung begriffenen Werken zu lesen.

1978 erhielt ich aufgrund einer Einladung der "Internationalen-Robert-Musil-Gesellschaft" den ersten Pass meines Lebens und nahm die Gelegenheit wahr, der Unfreiheit des Systems zu entfliehen. Die Verbindung zu Georg Scherg brach trotzdem nicht ab. Und das hatte zunächst mit der Musil-Gesellschaft zu tun, in deren Kuratorium Scherg als Mitglied aufgenommen wurde. In diesem Gremium, dessen Rang durch Namen wie z. B. Marcel Brion, Bruno Kreisky, Klaus von Dohnanyi belegt wird, verblieb er bis zu seinem Tod vor wenigen Tagen.

1990 nach Deutschland ausgesiedelt, waren ihm noch zwölf Jahre beschieden: Georg Scherg nutzte sie intensiv. Natürlich wurden dem vielerorts lesenden Autor auch Ehrungen zuteil. So z. B. 1995, als er in Rottweil zum Siebenbürgischen Ritter wider den tierischen Ernst gekürt wurde, oder zu Pfingsten 2000, als er den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis erhielt. Als einen bis ins hohe Alter pointiert lesenden Schriftsteller, der nicht nur in Stuttgart, Tübingen und Rottweil wiederholt Akklamationen und Lob erntete, dessen gekonnt vorgetragene Texte oft mit vergnügtem Schmunzeln oder gar lautem Lachen quittiert wurden, behalten ihn viele in Erinnerung. Auch aus diesem Grund wird uns unser einstiger Chef und nachmaliger Freund, Georg Scherg, der zu den bedeutendsten Dichtern siebenbürgischer Herkunft zählt, arg fehlen.

Siegfried und Traute Habicher


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 3 vom 28. Februar 2003, Seite 10)

Bewerten:

1 Bewertung: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.