26. Juli 2002

Geschichten rund um den Handball in Siebenbürgen (X)

Weltklasse auf der Königsposition / Mit dem Namen Hans-Günther Schmidt ist der steile Aufstieg des VfL Gummersbach verbunden / Mit 338 Toren zum „Mister Europapokal“ avanciert
Hinter einer Natursteinmauer führen ein paar Stufen zu einem dreigeschossigen Haus. Sechs Klingeln. An der obersten links der Name Schmidt. Nicht mehr, nicht weniger. Durchs Treppenhaus gelangen wir in die oberste Etage. Die Tür tut sich auf zu einer geschmackvoll eingerichteten Wohnung. Hier, in der Klosterstraße in Derschlag bei Gummersbach, sind Karin und Hans-Günther Schmidt zu Hause. Hansi, wie alle den 1,96 Meter großen Hünen liebevoll nennen, bittet auf den terrassenähnlichen Balkon. Der oberbergische Wind weht uns um die Ohren und droht die auf dem Tisch ausgebreiteten Blätter wegzublasen.

Es ist der erste Ferientag, und der verbeamtete Lehrer hat jetzt viel Zeit. Seine Schläfen sind ein wenig angegraut, doch an seinem Körper ist auch heute noch kein Gramm Fett zu viel. Das erste Glied seines rechten Zeigefingers ist ein wenig gekrümmt: Das Handballspiel hat seine Spuren hinterlassen. Wir wollen wissen, was Hansi Schmidt heute tut.

Mit seinem Beruf ist Hansi zufrieden – er unterrichtet mit Hingabe seine Lieblingsfächer Geschichte und Politik an der Hauptschule in Bergneustadt. Mit dem professionellen Handball hat er heute nicht mehr viel zu tun. Das Geschehen um den VfL Gummersbach beobachtet er aber noch aufmerksam. Hin und wieder spielt er Hand- oder Fußball, ab und zu auch Tennis in Prominentenmannschaften – für einen guten Zweck. Als Ausgleich zum Schulalltag spielt er Tischtennis.

Im November 1963 ohne Zeugnis in Deutschland angekommen, muss er zunächst ein zweites Mal das Abitur machen, erzählt er. Im Sommer 1964 beginnt er an der Uni Köln Geschichte und Sport zu studieren, wechselt dann aber zur Pädagogischen Hochschule in Bonn, wo er sein Studium in Mathematik, Geschichte und Sport beendet. In Rumänien hat er bereits an der Universität Temeswar und am Sportinstitut in Bukarest Sport studiert, doch das zählt in Deutschland nicht, weil die rumänischen Behörden sein Abiturzeugnis nicht herausrücken. Doch er beißt sich durch und schafft es.

„Wenn du bei uns geblieben wärst, stündest du heute als Weltmeister da.“, sagte der Spielmacher der rumänischen Handball-Nationalmannschaft, Cristian Gatu, dem deutschen Nationalspieler H.-G. Schmidt 1970 in Bukarest. Doch der Marienfelder Schmidt hat die Flucht in die Freiheit vorgezogen und ist nie Weltmeister geworden. Auch wenn Gatu dem Deutschen damit auch zu verstehen gibt, dass man auch ohne ihn ausgekommen sei, so bedauert doch keiner die Flucht Schmidts mehr als sein ehemaliger Trainer von Steaua Bukarest, Johnny (Ioan) Kunst, der sich später den Beinamen Ghermanescu zulegt und Präsident des Rumänischen Handball-Verbands wird. Am Rande eines für die Tageszeitung Neuer Weg geführten Interviews bekennt Kunst hinter vorgehaltener Hand: „Wenn dieser Schmidt nicht durchgebrannt wäre, hätten wir die Weltmeisterschaft 1967 in Schweden niemals verloren.“ Rumänien belegte damals Platz drei hinter der Tschechoslowakei und Dänemark.

Doch Freude hin, Bedauern her: Für Schmidt ist alles gut gelaufen. Er hat immerhin in einer Weltmeistermannschaft gespielt, umgeben von sechs Weltklasseleuten. „Ich hatte das Glück, bei Steaua auf der Königsposition spielen zu dürfen. Gheorghe Gruia spielte halbrechts, ich halblinks. Und mit Josef Jakob hatten wir den damals besten Rechtsaußen der Welt. Hans Moser spielte noch, und Gatu war im Kommen.“

Doch auch ohne WM-Titel hat der Mann, der auch Beckenbauer des deutschen Handballs genannt wird, eine Bilanz aufzuweisen, die ihresgleichen sucht: Vier Siege im Europapokal der Landesmeister mit dem VfL Gummersbach gegen Dukla Prag, Dynamo Berlin, Steaua Bukarest und MAI Moskau. Mit diesen Siegen und 338 Toren in 53 Europapokalspielen ist Schmidt zum „Mister Europapokal“ avanciert. Er wird siebenmal deutscher Meister und bestreitet 18 Länderspiele für Rumänien und 98 für Deutschland. Mit 484 Toren für die deutsche Mannschaft nimmt er in der ewigen Torschützenliste einen Spitzenplatz ein. Dazu kommen die in Rumänien erzielten Erfolge: ein Juniorenmeistertitel, ein Vizemeistertitel mit Stiința Temeswar sowie ein Meister- und ein Vizemeistertitel mit Steaua Bukarest. Hoch wertet er heute noch den Gewinn des Europapokals der sozialistischen Armeen mit Steaua Bukarest gegen Dukla Prag.

Mit dem Namen Schmidt ist der steile Aufstieg des VfL Gummersbach verbunden; ohne ihn wären die großen Erfolge dieses Klubs bis zu seinem Abgang 1976 nicht möglich gewesen. Hansi berichtet selbst: „Zusammen mit meinem Trainer habe ich einen Teil der rumänischen Handballschule in Gummersbach eingebracht.“ Mit seinen unnachahmlichen verzögerten Sprungwürfen wird das baumlange Kraftpaket zum Schrecken aller Torsteher. Mit dem VfL Gummersbach erreicht er zehnmal das Finale um die deutsche Meisterschaft und gewinnt sie siebenmal. In 173 Bundesligaspielen erzielt Hansi 1066 Tore für Gummersbach und wird achtmal Bundesliga-Torschützenkönig. Dreimal wird er in die Weltauswahl berufen und spielt zweimal mit – eine Einladung nach Belgrad schlägt er aus Sicherheitsgründen aus. Kunst, der zum Trainer einer Weltauswahl berufen wird, versucht vergebens, Hansi auszuladen. Ausgerechnet im Heimspiel in der Westfalenhalle in Dortmund soll der Gummersbacher nicht auflaufen. Kunsts Rache: Er setzt Hansi kaum ein.

Johann Steiner


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2002, Seite 15)

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