5. Dezember 2000

Rumänien hat gewählt. Und wie!

Rumänien steht nach den Wahlen vom 26. November vor einer schwierigen Situation. Es gilt zum einen, die fatalistische Stimmung im Landes selbst zu bessern, zum anderen dafür Sorge zu tragen, dass das Land sauber regiert wird und seine Orientierung nach Europa beibehält.
Rumänien hat gewählt. Und wie! Die regierenden Konservativen wurden aus dem Parlament gejagt. Das ist die von Kennern der politischen Szene des Landes schon lange erwartete Quittung für die öffentlich ausgetragenen partei-internen Querelen, für eine zögerliche, bisweilen sogar "rückwärts gewandte" Reformpolitik, für die Unfähigkeit, Korruption und Bürokratie zu bekämpfen (niemand freilich hat erwartet, dass hier überwältigende Erfolge erzielt werden) und nicht zuletzt für die Tatsache, dass die Armut in Rumänien krasser denn je ist und landesweit die Kaufkraft gesunken ist anstatt zu steigen. Eine Quittung auch dafür, dass der Mittelstand in Rumänien von der Regierung allein gelassen wurde, kaum Chancen hat, an Kapital zu gelangen. Nur mit dem moralischen Anspruch - der Präsident Constantinescu sicherlich zugestanden werden muss - stillt man keinen Hunger. Und die Integrität Mugur Isarescus galt im Ausland (in erster Linie als Gouverneur der Nationalbank) mehr denn "zu Hause". Schade - Isarescu hatte zu wenig Zeit um zu beweisen, dass er die Probleme seines Landes stemmen könnte.
Rumänien hat gewählt. Und wie! Die PDSR Iliescus wird stärkste politische Kraft in Rumänien. Auch das ist keine Überraschung - alle Meinungsumfragen der letzten Monate deuteten darauf hin. Der nächste Präsident - per Stichwahl am 10. Dezember 2000 zu wählen - wird aller Voraussicht nach Ion Iliescu heißen. Das ist nicht weiter schlimm - Iliescu hat es schon in der Vergangenheit vermocht, staatsmännisch aufzutreten. Auch wenn ihm - meist von westlichen Kommentatoren, die das Land doch mehr vom Hörensagen kennen - vorgehalten wird, er habe wichtige Reformen auf die lange Bank geschoben, bleibt festzustellen, dass er ein klares Bekenntnis zu Europa abgelegt hat. Und die erwarteten Reformen sind auch vier Jahre nach Iliescu ausgeblieben - ebenso wie die erhofften Investitionen aus dem Ausland. 1998 waren es ganze 335,25 Millionen US-Dollar (davon 89,18 Millionen US-Dollar aus Deutschland); 1999 gar nur 334,20 Millionen Dollar (98,49 Millionen aus Good Old Germany). Iliescu als Investorenschreck? Mitnichten - bis 1996 (so ein Investor) wusste man wenigstens, woran man war. Planungssicherheit nennt man das. Der nächste Premierminister - er wird wohl Adrian Nastase heißen - wird bemüht sein, das Investitionsklima in seinem Land nicht noch tiefer rutschen zu lassen (geht das überhaupt?). Also: Fürchten wir uns nicht vor den Sozialdemokraten, die einst (wie auch viele Christdemokraten) Kommunisten waren!
Rumänien hat gewählt. Und was! Fürchten sollten wir uns davor, dass der Urnengang der Rumänen ernst gemeint war und Schule macht. Da erringt die Partei eines faschistoiden Wendehalses, der vom Poeten am Hofe des Diktators zum populistischen Rechtsextremisten - umgeben, so sagt man , von äußerlich ebenso gewendeten Ex-Securitate-Schergen - mutierte, rund 20 Prozent der Stimmen und wird zur zweitstärksten Macht im Parlament. Schade: Europa scheint für mindestens ein Fünftel der Rumänen noch ganz weit entfernt. Nur so ist diese Wahl, die den starken Anschein eines Eigentors hat, zu erklären.
Rumänien hat gewählt. Und nun? Während die Wahlverlierer offensichtlich schweigend ihre Wunden lecken, haben die sozialdemokratischen Gewinner schon mal klar und deutlich Stellung bezogen: Sie haben angekündigt, bei einem Wahlsieg des Rechtspopulisten Tudor in der Stichwahl am 10. Dezember, in die Opposition zu gehen. Möge uns das erspart bleiben, möge Iliescu im Fall des Falles aber Wort halten.
Rumänien steht vor einer schwierigen Situation. Es gilt zum einen, die fatalistische Stimmung im Landes selbst zu bessern, zum anderen dafür Sorge zu tragen, dass das Land sauber regiert wird und seine Orientierung nach Europa beibehält. Für die Herren Iliescu und Nastase sowie für deren Weggefährten heißt das, klare Signale zu setzen: Ein eindeutiges Bekenntnis zu Europa, zur Demokratie - auch zu den Minderheiten in Rumänien. Die führenden Köpfe der PDSR sind sich und ihrer Partei auch während der Zeit als Oppositionspartei treu geblieben - das macht sie für Europa kalkulierbar.

Mathias H. Walther

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