Hertha Mueller ein Symbol der rumaeniendeutschen Literatur

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robertop52
schrieb am 11.04.2008, 09:16 Uhr

Die wohl bekannteste Schriftstellerin der gewesenen Aktionsgruppe Banat ,nominiert zum Nobelpreis,Hertha Mueller wird Sonntag 13.04.08, 11 Uhr im Saal Atelier des Nationaltheaters Bukarest einen Vortrag halten.
Auch gibt es in der heutigen Online-Ausgabe der Zeitung "Evenimentul Zilei"ein aufschlussreiches Interview
mit der Schriftstellerin.

Schrftsteller wie Richard Wagner oder der so frueh verstorbene Rolf Bossert und viele mehr haben das Bild des Aufschwungs der rumaeniendeutschen Literatur gepraegt.Das ist alles Geschichte,manche wie Hertha Mueller haben eine glaenzende Karriere als Schriftsteller,andere sind bekannte Journalisten in Deutschland geworden.Von rumaeniendeutscher Literatur heute im rumaenischen Raum zu sprechen,ist natuerlich kein Thema mehr.
Welche Erinnerungen habt ihr an jene Zeiten des Aufschwungs der rumaeniendeutschen Literatur,an die Lesungen z.B. im Bukarester Schiller-Haus oder andersweitig im Land,an die viel erwarteten Neuerscheinungen im "Kriterion"-Verlag oder in der "Neuen Literatur" ?
Sind die noch wirkenden rumaeniendeutschen Authoren fuer Euch in Deutschland ein Begriff,wie werden diese in der bundesdeutschen Kulturlandschaft aufgenommen ?

seberg
schrieb am 11.04.2008, 11:27 Uhr
Der damalige „Aufschwung“ der rumäniendeutschen Literatur ist wohl untrennbar verbunden mit der politischen und gesellschaftlichen Katastrophe jener Zeit in Rumänien, auch Herta Müller spricht in dem Interwiew in der EvZ eigentlich von nichts anderem und bis heute scheint das ihre Triebfeder zum Schreiben zu sein und bis heute ist der Arm der Securitate aus ihrer Sicht und vielleicht auch in Wirklichkeit nicht viel kürzer als damals, wenn auch unter anderem Namen („Wenn ich heute in Rumänien lebte, würde ich ein zweites Mal verrückt werden“).

Tatsächlich war das Interesse an Literatur damals sehr verbreitet, es gab viele Literatur-Kreise, für Leute aus dem Westen ein Kuriosum, man hatte den Eindruck, dass jeder Zweite Gedichte schrieb und sich mitteilen wollte. Es war wohl, indem man sich an (deutsche) Sprache und literarische Fiktion klammerte, ein Versuch, sich zu vergewissern, dass es auch noch etwa anderes geben konnte und musste, als das stalinistische Gefängnis in dem man saß (einschließlich der deutschspachigen Presse, deren Macher sich heute so gerne im selben Boot und solidarisch mit den Lesern damals sehen und erklären). Die Gedanken sind frei: das galt auch damas, als eine Art Rettungsanker, viel Idealismus war dabei im Spiel, der erst im freien aber nüchternen Westen für viele wohl schmerzhaft aber heilsam in Frage gestellt werden konnte.

(Dass Herta Müller zum Nobelpreis nominiert sei ist übrigens, wie auch die Bezeichnung „Aufschwung“, etwas euphemistisch ausgedrückt: sie war es 1999)
robertop52
schrieb am 11.04.2008, 12:06 Uhr
[im (Dass Herta Müller zum Nobelpreis nominiert sei ist übrigens, wie auch die Bezeichnung „Aufschwung“, etwas euphemistisch ausgedrückt: sie war es 1999)

Antwort:
Du hast recht ,die Nominierung ist aelteren Datums.Denke aber doch ,dass es bis jetzt kein einziger Schriftsteller aus Rumaenien es geschafft hat zum Nobel Preis nominiert zu sein .Und dass Herta Mueller ,obwohl sie nicht in Deutschland geboren ist,20 Jahre nach ihrer Auswanderung ,doch als Deutsche nominiert wurde,ist schon eine schoene Anerkennung.
Zur Bezeichnung Aufschwung,moeglich , das von mir benutzte Wort ist durch die komunistische Propaganda etwas abgedroschen und das hat Dich zu einer Gegenwehr bewogen(indem Du das Wort in Anfuehrungszeichen gestellt hast).
Aber im guten Sinne des Wortes war es dann Anfang der siebziger Jahren ein einmaliges Zusammenwirken zwischen Begeisterung und Entschlossenheit die rumaeniendeutsche Literatur trotz bestehender Zustaende mutig zu foerdern.Und bei den Lesungen gab es oft lebhafte Debatten zwischen den Schriftstellern und Lesern,welche sich in einem engeren Kreis bei einem "Bierchen" bis spaet in die Nacht fortsetzten.Vielleicht war es auch eine Chance aus dem grauen Alltag jener Jahre,in die Literatur zu fluechten und sich an kleinen Freuden der unter den Umstaenden so errungenen"Freiheit" das Dasein zu verschoenern.
Fuer mich als Student in jenen Jahren,bleiben schoene Erinnerungen darueber
Elsi
schrieb am 18.04.2008, 16:27 Uhr
seberg schrieb:

Es war wohl, indem man sich an (deutsche) Sprache und literarische Fiktion klammerte, ein Versuch, sich zu vergewissern, dass es auch noch etwa anderes geben konnte und musste, als das stalinistische Gefängnis in dem man saß (einschließlich der deutschspachigen Presse, deren Macher sich heute so gerne im selben Boot und solidarisch mit den Lesern damals sehen und erklären). Die Gedanken sind frei: das galt auch damas, als eine Art Rettungsanker, viel Idealismus war dabei im Spiel, der erst im freien aber nüchternen Westen für viele wohl schmerzhaft aber heilsam in Frage gestellt werden konnte.

Tatsächlich war das Interesse an Literatur damals sehr verbreitet,... , man hatte den Eindruck, dass jeder Zweite Gedichte schrieb und sich mitteilen wollte.



seberg, ich trau mich die Frage zu stellen: ich bin sicher, dass Literatur auch die Funktion übernimmt, die du oben beschreibst, allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass das Interesse an Literatur (lesen oder schreiben) zwingend damit in Verbindung gebracht werden muß. Also: ist es nicht vielmehr "normal" sich damit zu beschäftigen?
Albanezul
schrieb am 18.04.2008, 17:20 Uhr
robertop52 schrieb: [im (Dass Herta Müller zum Nobelpreis nominiert sei ist übrigens, wie auch die Bezeichnung „Aufschwung“, etwas euphemistisch ausgedrückt: sie war es 1999)

Antwort:
Du hast recht ,die Nominierung ist aelteren Datums.Denke aber doch ,dass es bis jetzt kein einziger Schriftsteller aus Rumaenien es geschafft hat zum Nobel Preis nominiert zu sein .Und dass Herta Mueller ,obwohl sie nicht in Deutschland geboren ist,20 Jahre nach ihrer Auswanderung ,doch als Deutsche nominiert wurde,ist schon eine schoene Anerkennung.


Doch, doch da gab es schon ein paar, wer suche der finde. Nun ist die Nominierung kein Vorauswahlverfahren, sondern in den einzelnen Gebieten von bestimmten Kreisen (Professoren best. skandinavischer Universitäten, von Präsidenten div. Schriftstellerverbände (für Lit-Nobelpreis) usw.) einzubringen. Es gibt daher in den Gebieten immer eine ziemlich grosse Anzahl an Nominierten.
Über die Rechtfertigung der einzelnen Laureaten kann man dann sicherlich auch streiten. Für die Fächer Chemie und Physik kann man aber sagen, dass die allermeisten den Preis auch verdient haben (Ausnahmen bestätigen die Regel) und die meisten "Grössen" (Einstein, Heisenberg, Feynman usw.) haben ihn auch bekommen. In anderen Gebieten kann das anders sein, wenn man bedenkt wer alles den Literatur-Nobelpreis nicht bekommen hat.

Das sie als Deutsche nominiert wurde, kann (man möge mich korrigeren), daran liegen, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, odr?

Das soll aber alles keine qualitative Aussage über Hertha Müllers Werk sein, da ich nicht viel von ihr kenne, kann ich mir auch schlecht ein Urteil bilden (nur falls obiges wieder in den falschen Hals kommt :-))

Interessant ist übrigens die Legende darüber, warum es keinen Nobelpreis für Mathematik gibt :-), ist aber ein anderes Thema :-))

seberg
schrieb am 18.04.2008, 21:17 Uhr (am 18.04.2008, 21:20 Uhr geändert).
Elsi schrieb:
...ich bin sicher, dass Literatur auch die Funktion übernimmt, die du oben beschreibst, allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass das Interesse an Literatur (lesen oder schreiben) zwingend damit in Verbindung gebracht werden muß. Also: ist es nicht vielmehr "normal" sich damit zu beschäftigen?


Eine sehr spannende Frage und auf den ersten Blick würde ich dir sofort darin zustimmen, dass es „normal“ ist, sich mit Literatur, Lesen, Schreiben usw. zu beschäftigen, zumindest, dass es nicht erst extreme totalitäre gesellschaftliche Bedingungen dafür braucht, das Meiste und vieles Bedeutende wird ja glücklicherweise unter „normalen“ Umständen gelesen und geschrieben.

Aber auch du hast ja „normal“ vorichtshalber und zu Recht in Anführungszeichen gesetzt und ohne mich auf die nicht zu beantwortwende Frage einzulassen, was denn „nomal“ sei, würde ich also auf den zweiten Blick trotzdem sagen: nein, es ist nicht „normal“ sich überhaupt mit irgendwelchen „geistigen“ Dingen zu beschäftigen: Lesen, Schreiben, Denken sind ohne irgendeine „Notsituation“, die als „unnormal“ empfunden wird, nicht denkbar (das plapperere ich jetzt natürlich bedeutenden Leuten nach, aber ich ich bin davon halt überzeugt!).

(Hier könnte ich jetzt behaupten, dass Sprache und Denken – in dieser Reihenfolge! – in Laufe der letzten paar Hundertausend Jahre überhaupt nicht entstanden wären ohne extreme Notsituationen, was ich aber lieber lasse, um hier nicht unnötigerweise Karikaturen als Antwort zu provozieren)

In meiner Antwort an robertop52 hatte ich ja nur den besonderen "Aufschwung" der rumäniendeutschen Literatur mit den besonderen materiellen und vor allem geistigen Not-Umständen im damaligen totalitären Rumänien (wo ja auch noch die vorausgegangene Nazi-Katastrophe als Erschütterung mit hineinspielte) in Zusammenhang gebracht. Besser wäre sicher gewesen, diese Literatur wäre unter „normaleren“ Umständen entstanden, keine Ahnung, wie sie dann ausgesehen hätte, ob es dann z.B. eine Schriftstellerin Herta Müller gegeben und wie sie dann geschrieben hätte usw.
Eine Funktion sollte Literatur, wie alle Kunst, übrigens überhaupt nicht übernehmen, je weniger, desto besser, meine ich, davon solltem man seit dem sog. sozialistischen Realismus ja genug haben.

Oder hat sie doch immer die "Funktion" irgendeiner "Befreiung"?? Versklaven kann ja Vieles, auch Inneres! :)

Aber man braucht ja nur an Kafka oder Th.Mann zu denken (ja-ja, auch Th. Mann, dieser wohlhabende, angeblich bürgerliche „Großschriftsteller“), die ja ihre Werke (Th. Mann die meisten) in ganz „normalen“ Zeiten geschrieben haben, um darüber ins Grübeln zu kommen, unter welchen „unnormalen“ Dingen die wohl gelitten haben müssen, dass sie aber haben, davon bin ich allerdings überzeugt und bei Kafka ist das ja auch ganz offensichtlich und gar nicht in erster Linie an seinem Jüdischsein.

Ach so! Zur Not (Ananke) kommt natürlich noch die Liebe (Eros) dazu (fast hätte ich sie vergessen ), als unabdingbare normale?/unnormale? Bedingung für solche „Interessen“.
Elsi
schrieb am 18.04.2008, 23:03 Uhr (am 18.04.2008, 23:28 Uhr geändert).
seberg:
"Eine sehr spannende Frage und auf den ersten Blick würde ich dir sofort darin zustimmen, dass es „normal“ ist, sich mit Literatur, Lesen, Schreiben usw. zu beschäftigen, zumindest, dass es nicht erst extreme totalitäre gesellschaftliche Bedingungen dafür braucht, das Meiste und vieles Bedeutende wird ja glücklicherweise unter „normalen“ Umständen gelesen und geschrieben.

Aber auch du hast ja „normal“ vorichtshalber und zu Recht in Anführungszeichen gesetzt und ohne mich auf die nicht zu beantwortwende Frage einzulassen, was denn „nomal“ sei, würde ich also auf den zweiten Blick trotzdem sagen: nein, es ist nicht „normal“ sich überhaupt mit irgendwelchen „geistigen“ Dingen zu beschäftigen: Lesen, Schreiben, Denken sind ohne irgendeine „Notsituation“, die als „unnormal“ empfunden wird, nicht denkbar (das plapperere ich jetzt natürlich bedeutenden Leuten nach, aber ich ich bin davon halt überzeugt!).

(Hier könnte ich jetzt behaupten, dass Sprache und Denken – in dieser Reihenfolge! – in Laufe der letzten paar Hundertausend Jahre überhaupt nicht entstanden wären ohne extreme Notsituationen, was ich aber lieber lasse, um hier nicht unnötigerweise Karikaturen als Antwort zu provozieren)

In meiner Antwort an robertop52 hatte ich ja nur den besonderen "Aufschwung" der rumäniendeutschen Literatur mit den besonderen materiellen und vor allem geistigen Not-Umständen im damaligen totalitären Rumänien (wo ja auch noch die vorausgegangene Nazi-Katastrophe als Erschütterung mit hineinspielte) in Zusammenhang gebracht. Besser wäre sicher gewesen, diese Literatur wäre unter „normaleren“ Umständen entstanden, keine Ahnung, wie sie dann ausgesehen hätte, ob es dann z.B. eine Schriftstellerin Herta Müller gegeben und wie sie dann geschrieben hätte usw.
Eine Funktion sollte Literatur, wie alle Kunst, übrigens überhaupt nicht übernehmen, je weniger, desto besser, meine ich, davon solltem man seit dem sog. sozialistischen Realismus ja genug haben.

Oder hat sie doch immer die "Funktion" irgendeiner "Befreiung"?? Versklaven kann ja Vieles, auch Inneres! :)

Aber man braucht ja nur an Kafka oder Th.Mann zu denken (ja-ja, auch Th. Mann, dieser wohlhabende, angeblich bürgerliche „Großschriftsteller“), die ja ihre Werke (Th. Mann die meisten) in ganz „normalen“ Zeiten geschrieben haben, um darüber ins Grübeln zu kommen, unter welchen „unnormalen“ Dingen die wohl gelitten haben müssen, dass sie aber haben, davon bin ich allerdings überzeugt und bei Kafka ist das ja auch ganz offensichtlich und gar nicht in erster Linie an seinem Jüdischsein.

Ach so! Zur Not (Ananke) kommt natürlich noch die Liebe (Eros) dazu (fast hätte ich sie vergessen ), als unabdingbare normale?/unnormale? Bedingung für solche „Interessen“."



Ich bin immer wieder erstaunt – diesmal auch freudig überrascht – was dabei rauskommt, wenn man ganz simple Frage stellt: meistens ist die Antwort total interessant, wenn die Fragestellung keine einengenden Grenzen vorgibt…
Wir wollen auch keine linguistischen Schulen ins Gespräch bringen, um zu klären, ob tatsächlich eine „Notsituation“ die Sprache gebar (nur soviel, das muß sein: sowohl de Saussure als auch Chomsky betrachten die Sprache als im Menschen angelegt), ob das Denken die Sprache strukturiert oder umgekehrt, auf jeden Fall würde ich sagen, dass Literatur in dem Spannungsfeld entsteht, in dem die Denkstrukturen mit den Sprachstrukturen nicht deckungsgleich oder unvereinbar sind. Eine Inkonkordanz zwischen der Realität, die an das Denken gekoppelt ist und dem sprachlichen Ausdruck, der der Realität /Denken immer etwas nachhinkt und neue Formen „erfinden“ muß, um sich an die neuen Gegebenheiten zu adaptieren. So ähnlich habe ich zumindest die Literatur Herta Müllers verstanden. Und ich verstehe sie nicht so sehr unter dem "politischen" Aspekt, obwohl mir durchaus bewußt ist, dass der immens wichtig ist - für sie selbst als auch für ihre Rezeption.

Ich habe „Funktion“ gesagt in dem Sinne des Ausdrucks. Sprache vermittelt Informationen, dient aber auch dazu, sich auszudrücken. Literatur benutzt die Sprache in erster Reihe als Ausdrucksmittel, nicht um eine message zu senden. Da sind wir uns einig. Ich glaube auch, dass diese Seite der Sprache sehr gewaltig ist, so dass ich schon davon ausgehe, dass dies evt. Eine Art „innere Notwendigkeit“, „Notsituation“ darstellen könnte. Der Impetus sich auszudrücken, ist mit Lust verbunden…Ich glaube, das ist eher die Bedingung für „solche Interessen“. Nicht bei jedem, nicht immer, nicht notwendigerweise. Es ist nur meine Sicht der Dinge.

rhe-al
schrieb am 19.04.2008, 14:23 Uhr
Albanezul schrieb:

Das sie als Deutsche nominiert wurde, kann (man möge mich korrigeren), daran liegen, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, odr?

Das soll aber alles keine qualitative Aussage über Hertha Müllers Werk sein, da ich nicht viel von ihr kenne, kann ich mir auch schlecht ein Urteil bilden (nur falls obiges wieder in den falschen Hals kommt :-))



Dazu würde ich anmerken:
In der Demokratie kann man eine Meinung haben, muß aber nicht.

Ich selber habe fast alle Bücher Herta Müllers gelesen und finde diese auch gut.

In ihren Büchern beschreibt sie nicht nur das Leben in der Zeit der Ceausescu-Diktatur, der Leser gewinnt auch einen kritischen Einblick in die Banat-schwäbische "Dorfidylle" jener Zeit.

Viele Banater Schwaben sehen deshalb auch eine "Nestbeschmutzerin" in ihr.
seberg
schrieb am 19.04.2008, 15:29 Uhr (am 19.04.2008, 17:57 Uhr geändert).
Elsi schrieb: ...So ähnlich habe ich zumindest die Literatur Herta Müllers verstanden...

Das kann man bei Herta Müllers Literatur so sehen, dass der sprachliche Ausdruck ihrer Literatur durch Adaptation an eine bestimmte „Realität“ geformt wird, z.B. die für sie von Anfang an als unerträglich erlebte oder auch nur kritisch gesehene Realität in Rumänien (und bis heute viele andere „ungerechte Realitäten“, auf die sie extrem sensibel reagiert, was vermutlich mit beigetragen hat zu ihrer Nominierung zum Nobel-Preis, eine übrigens ebenso sensible wie kontroverse Diskussion, ähnlich wie bei der Lit.-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek). Das würde ja gerade beweisen, wie sehr sie durch eine Notsituation sich gezwungen fühlt, Sprache zu erfinden, ihre literarische Sprache.

Skeptisch macht mich bei dieser Vorstellung, dass Sprache als Instrument gesehen wird mit der Funktion, sich an eine zuvor wahrgenommene und durch Denken erfassten präexistierende „Realität“ zu adaptieren und diese in sprachlicher Form auszudrücken, sie zu „komunizieren“, zu beschreiben (also so wie z.B. auch rhe-al bei der Müller das Leben unter Ceausescu oder im dörflichen Banat beschrieben findet). Ich hänge eher der Vorstellung an, dass das, was wir „Realität“ nennen, viel mehr an das ursprünglichere Phänomen Sprache gebunden ist (allein schon körperlich-triebmäßig), als an das „fluidere“ Denken, das ideo-logischer, aufgesetzter, konstruierter und als Konstrukt zwar eben „bewusster“ ist, aber keineswegs „wahrer“). In anderen Worten: ich sehe eher eine Abhängigkeit des Denkens von der Sprache, also dass letztere das erstere strukturiert, nicht umgekehrt, ich glaube, dass eher die Sprache in erster Linie an Realität gekoppelt ist und nicht das Denken, welches eher der Sprache/Realität hinterherhinkt (wenn es auch unbestritten das Atout der bewussten Rationalität für sich beanspruchen kann).

So könnte man ja auch deinen Satz verstehen: „Literatur benutzt die Sprache in erster Reihe als Ausdrucksmittel, nicht um eine message zu senden“: Bei Literatur (als Kunst) ist die Ausdrucks-Form (Sprache) wichtiger, bzw. das Vorrangige, gegenüber der bewussten Aussage, der message (Denken), sowohl auf der produktiven Seite (Schreiben) als auch bei der rezeptiven (Lesen). Welche message der Leser letzlich „versteht“ und „mitnimmt“, also was er daraus macht oder versteht, das ist sein eigener sehr persönlicher und origineller Beitrag zum „kreativen“ und realitätsstrukturierenden Prozess.

Ich bin sogar der Meinung, dass wir aus dieser realitätserzeugenden und –formenden Eigenschaft der Sprache überhaupt nie heraus können, in ihr regelrecht „gefangen“ sind, auch z.B. jetzt in diesem Augenblick im Forum, wo wir doch vordergründig meinen, dem anderen nur eine message zukommen zu lasse, ihm/ihr klare und eindeutige Gedanken zuzusenden. Im gewissen Sinne jedoch machen wir alle immer „Kunst“, strukturieren und „machen“ Realität, ohne uns darüber so recht im Klaren zu sein, sobald wir uns der Sprache bedienen, sie benützen, Künstler/Dichter machen das Gleiche, nur eben systematischer, „bewusster“, „sturer“, „verrückter“, mit "Hintersinn", oder halt irgendwie „gläubiger“, also „talentierter“ und „begabter“…

Schön dass du de Saussure erwähnst, ich verstehe nicht viel von Linguistik, aber für mich und meinen Gebrauch gehört er zusammen mit Jacobson und Levi-Strauss zum Ausgangpunkt für Lacans strukturalistische Auffassung von Sprache als „synchronem“ System, das aus jedem geschichtlichen und biologischen, also „diachronem“ Entwicklung-Prozess herausfällt, ihn konterkariert. Angeboren ist zwar uns allen die Sprach-Fähigkeit als irgendwie biologisch-erblich verankerte, typisch menschliche Voraussetzung, also als eine sog. „anthropologische Konstante“. Die bei unsere Geburt von jedem vorgefundene Sprache hingegen wird uns als fix und fertiges System durch die uns präexistirenden Menschen (Eltern, Gemeinschaft, Gesellschaft) regelrecht aufgezwungen und übergestülpt (wie auch die gesellschaftl. Gesetze, Bräuche, Regeln), wir werden in unsere Sprache hineingeboren, ohne etwas dagegen tun zu können, es sei denn wir verweigern uns mutistisch, autistisch oder durch psychotische „Verwerfung“ (etwas pointiert könnte man sagen: statt ewig im Mutterschoß geschützt, bzw. an der Mutterbrust hängen zu bleiben, müssen wir irgendwann anfangen aus der Not-wendigen Trennung heraus zu schrei(b)en (Notsituation!)), Mutter–Sprache benützen, um damit unsere „Realität“ zu verändern, zunächst ganz platt „objektiv“ (Kind kriegt Brust)…gleichzeitig aber und eher unbewusst und subjektiv sie neu zu „erfinden“ und zu strukturieren im Zwischenmenschlichen zu einer neuen aber um so wirkungsvolleren „Realität“.

Sprache kann „verbinden“, aber nur, weil wir zuvor für immer und schmerzlich getrennt wurden und als als In- di-vi-duum existieren müssem und diese Trennung nur sehr ungenügend und surrogatmäßig ausgleichen können … durch Liebe oder eben durch – Sprache…

Na ja, das ist jetzt alles vielleicht irgendwie zu weit gefasst und ausufernd und ich würde auch nicht dagegen protestieren, wenn Moderator/Admin das alles löscht – ist ja nur irgenwie ein „Gedicht“… eben subjektiv und „meine Sicht der Dinge“…
rhe-al
schrieb am 19.04.2008, 17:04 Uhr
seberg schrieb:
Das kann man bei Herta Müllers Literatur so sehen, dass der sprachliche Ausdruck ihrer Literatur durch Adaptation an eine bestimmte „Realität“ geformt wird, z.B. die für sie von Anfang an als unerträglich erlebte oder auch nur kritisch gesehene Realität in Rumänien (und bis heute viele andere „ungerechte Realitäten“, auf die sie extrem sensibel reagiert, was vermutlich mit beigetragen hat zu ihrer Nominierung zum Nobel-Preis, eine übrigens ebenso sensible wie kontroverse Diskussion, ähnlich wie bei der Lit.-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek). Das würde ja gerade beweisen, wie sehr sie durch eine Notsituation sich gezwungen fühlt, Sprache zu erfinden, ihre literarische Sprache.


seberg, deine Diktion erweckt den Eindruck, als wäre die vorgefundene/erlebte "Realität" Herta Müllers im Ceausescu Rumänien nur ihre "Realität", nur ihre Wahrnehmung und du diese nicht teilst. (verschone uns jetzt bitte mit einer Exkursion ins innere ego und individueller einizartiger Wahrnehmung)

seberg schrieb:
Skeptisch macht mich bei dieser Vorstellung, dass Sprache als Instrument gesehen wird mit der Funktion, sich an eine zuvor wahrgenommene und durch Denken erfassten präexistierende „Realität“ zu adaptieren und diese in sprachlicher Form auszudrücken, sie zu „komunizieren“, zu beschreiben (also so wie z.B. auch rhe-al bei der Müller das Leben unter Ceausescu oder im dörflichen Banat beschrieben findet).


ist es nicht so, dass die Sprache jedes Schriftstellers zum "Instrument" wird?

seberg schrieb:
Ich hänge eher der Vorstellung an, dass das, was wir „Realität“ nennen, viel mehr an das ursprünglichere Phänomen Sprache gebunden ist (allein schon körperlich-triebmäßig), als an das „fluidere“ Denken, das ideo-logischer, aufgesetzter, konstruierter und als Konstrukt zwar eben „bewusster“ ist, aber keineswegs „wahrer“). In anderen Worten: ich sehe eher eine Abhängigkeit des Denkens von der Sprache, also dass letztere das erstere strukturiert, nicht umgekehrt, ich glaube, dass eher die Sprache in erster Linie an Realität gekoppelt ist und nicht das Denken, welches eher der Sprache/Realität hinterherhinkt (wenn es auch unbestritten das Atout der bewussten Rationalität für sich beanspruchen kann).


wir wollen nicht über wahr oder unwahr streiten, aber ich dachte bis dato, dass es einer Sprache bedarf um sich seine Gedanken zu ordnen, das Gedachte also "in Form gießen", nicht aber dass die Sprache den Gedanken die Richtung vorgibt
Elsi
schrieb am 19.04.2008, 17:34 Uhr
Seberg:
„Ich hänge eher der Vorstellung an, dass das, was wir „Realität“ nennen, viel mehr an das ursprünglichere Phänomen Sprache gebunden ist (allein schon körperlich-triebmäßig), als an das „fluidere“ Denken, das ideo-logischer, aufgesetzter, konstruierter und als Konstrukt zwar eben „bewusster“ ist, aber keineswegs „wahrer“). In anderen Worten: ich sehe eher eine Abhängigkeit des Denkens von der Sprache, also dass letztere das erstere strukturiert, nicht umgekehrt, ich glaube, dass eher die Sprache in erster Linie an Realität gekoppelt ist und nicht das Denken, welches eher der Sprache/Realität hinterherhinkt (wenn es auch unbestritten das Atout der bewussten Rationalität für sich beanspruchen kann)“

Ich glaube, diese Vorstellung würde sich mit der von Herta Müller decken. Sie spricht von „verordneter Sprache“, sie spricht über diese andere Wahrnehmen der Realität und eines anderen Denkens anhand von verschiedenen sprachlichen Konstruktionen (der Wind geht/der Wind weht/ vintul bate), sie sagt sogar, dass ma sich es nicht angewöhnen muß, in Worten zu denken….

Tut mir leid, mein Besuch ist da…ich komme darauf zurück!
seberg
schrieb am 19.04.2008, 17:34 Uhr (am 19.04.2008, 17:37 Uhr geändert).
rhe-al schrieb:
seberg, deine Diktion erweckt den Eindruck, als wäre die vorgefundene/erlebte "Realität" Herta Müllers im Ceausescu Rumänien nur ihre "Realität", nur ihre Wahrnehmung und du diese nicht teilst. (verschone uns jetzt bitte mit einer Exkursion ins innere ego und individueller einizartiger Wahrnehmung)

Ich habe nichts gegen deine Eindrücke beim Lesen meines Textes, ich finde sie interessant, auch wenn sie vielleicht falsch sind.

rhe-al schrieb:
ist es nicht so, dass die Sprache jedes Schriftstellers zum "Instrument" wird?

Doch, aber das genügt nicht, um mit und aus Sprache Kunst zu machen. Du benützt Sprache hier ja gerade auch als Instrument. Um aber künstlerisch mit Sprache umzugehen und ein Kunstwerk zu schaffen, muss man damit wohl noch ganz anderes umgehen können, oder?

rhe-al schrieb:
wir wollen nicht über wahr oder unwahr streiten, aber ich dachte bis dato, dass es einer Sprache bedarf um sich seine Gedanken zu ordnen, das Gedachte also "in Form gießen", nicht aber dass die Sprache den Gedanken die Richtung vorgibt


Ich habe auch nichts gegen das, was du beim Lesen meines Textes denkst, im Gegenteil, ich finde es interessant, auch wenn ich es für falsch halte.
rhe-al
schrieb am 19.04.2008, 17:55 Uhr
seberg schrieb:

Doch, aber das genügt nicht, um mit und aus Sprache Kunst zu machen.


Du sprichst Herta Müller also ihre künstlerische Fähigkeit mit Sprache umzugehen ab?


seberg schrieb:

Ich habe auch nichts gegen das, was du beim Lesen meines Textes denkst, im Gegenteil, ich finde es interessant, auch wenn ich es für falsch halte.


würdest du mir bitte erklären was genau du darin falsch findest?
seberg
schrieb am 19.04.2008, 18:12 Uhr (am 19.04.2008, 18:15 Uhr geändert).
rhe-al schrieb:
Du sprichst Herta Müller also ihre künstlerische Fähigkeit mit Sprache umzugehen ab?


Wie kommst du auf so einen Schmarrn? Wo habe ich das behauptet? Ich kann nichts dafür, dass du meinst, sie benütze Sprache einfach nur als Instrument und wenn du nicht siehst, dass sie mit Sprache in einem noch ganz anderen Sinne umgeht und gerade dadurch zur Künstlerin wird.

rhe-al schrieb:
würdest du mir bitte erklären was genau du darin falsch findest?

Ich würde meinen obigen längeren Text ja gerne für dich wiederholen, aber du kannst ihn auch einfach noch einmal lesen und dich dann meinetwegen auch mit de Saussure, Jacobson, Levi-Stauss, Lacan usw. beschäftigen. Viel Spaß!
rhe-al
schrieb am 19.04.2008, 18:26 Uhr
seberg schrieb:

Wie kommst du auf so einen Schmarrn? Wo habe ich das behauptet?



nun, der Schmarren stammt aus deiner Feder, bzw. Tastatur.
hier für dich zum nachlesen:

rhe-al schrieb:
ist es nicht so, dass die Sprache jedes Schriftstellers zum "Instrument" wird?

seberg schrieb:

Doch, aber das genügt nicht, um mit und aus Sprache Kunst zu machen.

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