Herta Müller . Ehrung

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Lavinia
schrieb am 20.08.2009, 19:54 Uhr (am 20.08.2009, 21:19 Uhr geändert).
Carl Gibson trollt ganz offensichtlich und ungeniert und versucht eine Diskussion zu verhindern. Ich denke, dass ein vernünftiges Gespräch mit Sicherheit bestens ohne seine Kommentare auskommt - wir sollten tunlichst gar keine Notiz von ihm nehmen.


Die Verfolgung Homosexueller beschreibt Herta Müller aus der Sicht Leos als: nazionalsozialistisch-ideologisch, rumänisch-staatlich, gemeinschafts-sächsisch, religiös und lagerrussisch:

„Damals, kurz vor dem Lager und genauso nach meiner Heimkehr bis 1968, als ich das Land verließ, hätte es für jedes Rendezvous Gefängnis gegeben. Mindestens fünf Jahre, wenn man mich erwischt hätte.“ Und: „Vor, während und nach meiner Lagerzeit, fünfundzwanzig Jahre lang habe ich in Furcht gelebt, vor dem Staat und vor der Familie. Vor dem doppelten Absturz, dass der Staat mich als Verbrecher einsperrt und die Familie mich als Schande ausschließt.“ Und: „Mein Geheimnis war, rein körperlich betrachtet, schon höchste Abscheuligkeit. Mit einem Rumänen kam noch Rassenschande dazu.“ Und: „Neben dem Seitenaltar auf einer Säule stand der Heilige im grauen Mantel und trug als Mantelkragen ein Schaf im Nacken. Dieses Schaf im Nacken ist das Schweigen. (…), das Schweigen im Nacken ist etwas anderes als das Schweigen im Mund.“


@siebenschläfer: Dass sich an der Verfolgung und Ächtung dieser Menschen bis heute in den rumänischen Köpfen nicht wesentlich was geändert hat, ist kein Grund dafür, die deutsche Nase allzu weit nach oben zu recken. Die Akzeptanz Andersdenkender oder -Lebender entwickelt sich erst in einem Klima, welches in D-land , beispielsweise auch durch die ‚Multireligiösität‘, speziell aber auch durch den asiatischen religiösen Einfluss, eher gegeben war als anderswo.
Ich sehe im orthodoxen Glauben ein großes Hemmnis, was diese Frage betrifft. Und auf die Religion stützt sich zu einem großen Teil das rumänische nationalen Selbstbewusstsein.

@bankban."Meine These ist somit: ethnische Minderheitenkultur ist (wenn sie einigermaßen umfassend alle Kulturbereiche abdeckt) stets eine Kultur des Widerstandes, weil sie hilft, dem alles gleichmachenden Druck des Mehrheitsvolkes standzuhalten."

Das ist eine ziemlich radikale These. Ich glaube sie schießt etwas über das Ziel hinaus. Mir fehlt darin die subversive Intention und mir scheint das Individuelle im kulturellen Akt zu stark in den Hintergrund zu treten. Was ist beispielsweise mit dem Komponisten, der wunderbare 'sächsische Lieder' schreibt, sich aber auch für das Experimentieren mit rumänischen oder zigeunerischen Rhythmen nicht zu schade ist, also gewissermaßen zur "Verwischung" der klaren Grenzziehung beiträgt? Wie sieht es mit Autoren in dem Fall aus, die sich durch ihre Art des Schreibens doch absetzen vom allzu breit getretenen Kultur-Pfad und als Nestbeschmutzer gelten? Dein Modell geht von einer Minderheiten- und Mehrheitenkultur aus. Was ist aber mit einem z.B. afrikanischen Land, welches meist aus etlichen, sehr unterschiedlichen Kulturen zusammengefügt wurde, welches "identitätsstiftende" Instanzen zu etablieren versucht, die auf die Einbindung aller Minderheitenkulturen zielt, zwecks Förderung einer "nationalen Einheit", auch kulturell?
bankban
schrieb am 20.08.2009, 21:31 Uhr
@ Lavinia: danke für deine Fragen. Denke über sie bis morgen nach und antworte dann.
seberg
schrieb am 20.08.2009, 22:49 Uhr (am 20.08.2009, 23:06 Uhr geändert).
@Lavinia: Einige Stellen aus deinem Beitrag von vorgestern haben mich überlegen lassen, warum ich wohl das Buch Atemschaukel schon gleich anfangs als „nicht leicht zu genießen“ bezeichnet habe. Du sprichst von der Bildergewalt Herta Müllers, die dir zu nahe kam, von Hemmungen bei dir nahe stehenden/kommenden Menschen/Texten beim Versuch sie zu analysieren und davon, dass durch die Poetik von H.Müllers Sprache, das Erlittene eine Unmittelbarkeit bekommt. All dies hat etwas mit großer Nähe zum Erzählten zu tun, die beim Lesen des Buches entsteht, Nähe, die paradoxerweise gerade durch oft nur kurze und sachlich gehaltene Sätze entstehen, wodurch aber der Schrecken des Erzählten um so intensiver wirkt. Diese merkwürdige Mischung aus knapper, unterkühlter Sachlichkeit einerseits und Metaphernflut andererseits erzeugt wohl eine besonders tiefgehende emotionale Beteiligung beim Leser. Eine Distanzierung ist kaum möglich.

Das ist umso erstaunlicher, als Herta Müller nach eigenem Bekunden schon sehr früh (in Rumänien) den Thomas Bernhard gelesen hat und wohl auch von seinen Schriften beeinflusst wurde, dieser aber das Theater des Lebens und der Welt, wenn man so sagen kann, aus einer Art unendlichen Ferne betrachtet und erzählt. Beiden aber ist offensichtlich gemeinsam das Bewusstsein, dass über das Eigentliche und Wesentliche nichts gesagt werden kann – es sei denn vielleicht eben poetisch, erzählerisch und mit „anderer Sprache“. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“… oder es eben doch zu versuchen mit dem „Drumherumreden“. Hier wäre dann also der Bezug Herta Müllers zu Ludwig Wittgenstein zu suchen. Ob sie dessen philosophische Arbeiten gelesen hat, weiß ich nicht, aber die Linie über Th. Bernhard ist ganz klar: dieser nämlich stand der Philosophie Wittgensteins sehr nahe und hat neben ihm kaum andere geistige Größen (außer vielleicht Schopenhauer) bestehen lassen. Eines seiner schönsten Bücher (das als einziges auch vor Reich-Ranitzki „Gnade“ fand (seine liebenvollste Geschichte), ist denn auch das Buch „Wittgensteins Neffe“.
(PS. was du oben von "keine Notiz nehmen" gesagt hast, findet meine volle Unterstützung)
bankban
schrieb am 21.08.2009, 07:28 Uhr (am 21.08.2009, 09:19 Uhr geändert).
@ Lavinia
"Das ist eine ziemlich radikale These"
Lohnt es sich, andere aufzustellen?

"Mir fehlt darin die subversive Intention"
Minderheitenkultur (in einer nationalistischen Diktatur) in ihren jeglichen Facetten begriffen als Akt des Widerstandes gegenüber einer Mehrheit - ist das nicht subversiv? Wenn jedes Gedicht, jeder Popsong etc. absichtlich in der eigenen Sprache stattfindet, um der offiziellen Sprache auszuweichen - hat das dann keine unterminierende Funktion/Intention?

"und mir scheint das Individuelle im kulturellen Akt zu stark in den Hintergrund zu treten."
-Es war/ist doch gerade die persönliche Entscheidung eines jeden Minderheitenangehörigen, der sich lieber für eine unsägliche, aber in seiner Sprache gedruckte Zeitung entschied, der sein Kind in eine Minderheitenschule hat einschreiben lassen, obwohl die rechtzeitige und frühe Aneignung der Staatssprache "rational" bestimmt besser für das Kind gewesen wäre. Das alles und vieles mehr waren individuelle Entscheidungen des Alltages, die zusammen zu einem kollektiven Akt und Zeichen geworden waren.

"Was ist beispielsweise mit dem Komponisten, der wunderbare 'sächsische Lieder' schreibt, sich aber auch für das Experimentieren mit rumänischen oder zigeunerischen Rhythmen nicht zu schade ist, also gewissermaßen zur "Verwischung" der klaren Grenzziehung beiträgt?"
Ich sehe den Widerspruch nicht. Gerade mit seinen "sächsischen Liedern" trägt in diesem Fall dieser Komp. zur Identitätserhaltung seiner Minderheitenangehörigen bei. Das schließt genauso wenig aus, dass er zugleich/nebenbei rum. Lieder komponiert wie der bewusste Kauf einer dt. Ztg. aus nationalitätenpolitischen Überlegungen den Kauf einer rumänischen Ztg. nicht ausschloss.
"Wie sieht es mit Autoren in dem Fall aus, die sich durch ihre Art des Schreibens doch absetzen vom allzu breit getretenen Kultur-Pfad und als Nestbeschmutzer gelten?"
Ich habe ja nicht behauptet, dass Kultur als Identitätsbewahrung nur das Setzen von positiven Beispielen bedeutet. (Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, zu glauben, man müsse als unter einem Druck stehende ethnische Gruppe die negativen Aspekte der eigenen Vergangenheit um des positiven Zusammenhalts und der moralischen Haltung wegen verschweigen. Mitnichten!) Davon abgesehen, dass die Ein- und Zuordnung eines Kunstwerkes als "Nestbeschmutzung" Interpretationssache ist, muss auch darüber nachgedacht werden, ob nicht eine solche "Beschmutzung" eine notwendige Katarsis auslöst, die den Grundstein für die künftige Identitätsbewahrung, für die Besinnung auf das Eigene legen kann... (welches Eigene, nunmehr bereinigt, als umso bewahrenswerter erscheint). Somit wäre wiederholte "Nestbeschmutzung" sogar eine notwendige Bedingung einer Identitätspolitik, da sich diese ja nicht auf Lügen gründen kann.
"Dein Modell geht von einer Minderheiten- und Mehrheitenkultur aus." Ja
"Was ist aber mit einem z.B. afrikanischen Land, welches meist aus etlichen, sehr unterschiedlichen Kulturen zusammengefügt wurde, welches "identitätsstiftende" Instanzen zu etablieren versucht, die auf die Einbindung aller Minderheitenkulturen zielt, zwecks Förderung einer "nationalen Einheit", auch kulturell?" Ich wollte ja keine orts- und zeitunabhängige These aufstellen, sondern bezog mich an einer anderen Stelle des Beitrags explizit auf den Ostblock der 70-er und 80er Jahre. Dennoch gilt auch in Afrika, dass die bewusste Identitätspflege einen Akt des Widerstandes ggü. den Anmaßungen der anderen Gruppen darstellt. Nur und gerade die übertriebene Oktroyierung der eigenen Kultur ist es, die dort zu soviel Leid führt (welches natürlich auch unzählige andere Ursachen wie Ressourcenknappheit, soziale Probleme, Korruption oder etwa die Benachteiligung auf dem Weltmarkt etc.).
seberg
schrieb am 21.08.2009, 12:27 Uhr (am 21.08.2009, 13:29 Uhr geändert).
gelöscht von mir
seberg
Günther (Administrator)
schrieb am 21.08.2009, 12:28 Uhr (am 21.08.2009, 13:17 Uhr vom Moderator geändert).
Joachim
schrieb am 21.08.2009, 12:40 Uhr
Ich habe mit Homosexuellen die Erfahrung gemacht, das sie sehr tollerant waren. Das hat sie mir sehr symphatisch gemacht und hat meinen Horizont erweitert. Es hat mich angeregt über Minderheiten mehr nachzudenken und auch mehr Verständnis zu entwickeln. Man kann sagen eine positive Bereicherung.
Gruß
Joachim
Administrator
schrieb am 21.08.2009, 13:12 Uhr (am 21.08.2009, 13:13 Uhr vom Moderator geändert).
Nach Absprache der Betreiber wurde der Beitrag von "Carl Gibson" (erstellt am 21.08.2009, 10:57 Uhr und am 21.08.2009, 11:35 Uhr geändert) entfernt, weil Oskar Pastior
instrumentalisiert wurde um gegen H. Müller zu hetzen.
Zusätzlich wurden Herrn Gibson die Schreibrechte für dieses Forum entzogen.
Georg Schnell
schrieb am 21.08.2009, 15:09 Uhr
Der nächste bitte;-)
Lavinia
schrieb am 21.08.2009, 15:20 Uhr
@seberg: "Diese merkwürdige Mischung aus knapper, unterkühlter Sachlichkeit einerseits und Metaphernflut andererseits erzeugt wohl eine besonders tiefgehende emotionale Beteiligung beim Leser. Eine Distanzierung ist kaum möglich."

Ja, stimmt. Und trotzdem ich das weiß, der "Mechanismus" mir 'rational' einleuchtet, bleibt das 'Berührt-sein' nicht aus...Ich will das jetzt nicht mystifizieren, aber es scheint so, dass durch/über die Metaphern, ein Zugriff/Zugang zu einem tieferen Verständnis möglich wird, welches letztendlich auch die konkrete reale Erfahrung auf eine bestimmte Art ersetzen kann. Und merkwürdigerweise fühlt sich diese Art der Wahrnehmung "richtig(er)" an. Vielleicht weil das "Bilder/Metaphern-lesen" an sich schon ein kreativer Akt ist und dieser kreativen Prozess eine größere Nähe zu einem selbst ermöglicht...
Das, was wir machen, indem wir das Gelesene 'ordnen', 'systematisieren' ist doch auch ein Versuch, die Eindrücke in eine Art eigene Sprache des Verstehens einzufügen/einzuordnen. Leo muss die Lager-Realität neu ordnen, um sie irgendwie zu beherrschen: mit Hilfe von neuen Worten und Wortverbindungen, mit Hilfe von (neu)erfundenen Zugängen zur Realität (über z.B. den Geruch), denn die aus der Heimat mitgebrachte Sprache versagte in der neuen Wirklichkeit ihren Dienst. Deswegen wahrscheinlich das 'Schweigen' jener Deportierten, die mit ihrer mitgenommenen Sprache/Sinnen auch nur jeweils sagen konnten, was diese Sprache hergab: dass sie schrecklich gefroren haben oder furchtbaren Hunger gelitten haben.

Aber wem sag ich das...;-)! .

Schiwwer
schrieb am 21.08.2009, 15:32 Uhr (am 21.08.2009, 19:57 Uhr geändert).
Aus Zeitmangel und weil ich das Buch erst zu Ende lesen und verdauen will, habe ich erst heute hier reingeschaut und "rückwärts" gelesen, mich gefreut an den vielen Facetten.

zu: "..."Gab es so etwas wie “kulturellen Widerstand” in der Ceausescu-Diktatur?"

Es gab sicher, gerade Lyrisches eindeutig Zweideutiges. Aber gerade Lyrik hatte keinen Einfluss. Wieso ca. 1984 Mircea Dinescus Gedichte auch Deutsch erscheinen konnten, oder z. B. sein Gedicht "Deratizare" die Runde machte, in der "Neuen Literatur" Hodjaks subversiver Zweizeiler, "Wulf Kirsten und ich trinken gemeinsam ein Bier, er in Weimar, ich hier" (in beiden Ländern gab es keine Reisefreiheit) oder das Gedicht von Bossert über den Gartenzwerg im Weizenfeld mit den Endzeilen
"... dahinten stampft die Industrie,
ein Land geht langsam in die Knie"
... ich hatte mir damals schon die Frage gestellt "Wieso erlaubt man das?" und ich kam und komme zu dem Schluss: Lyrik hatte keine Breitenwirkung, das wussten die Secus und die staatlich subventionierte "Neue Literatur" wurde an alle "Kulturschaffenden" verschickt, aber die Generation unserer Eltern konnte damit nicht viel anfangen (bei uns wurde sie von meinen Eltern keines Blickes gewürdigt!), eher wurde sie begeistert in der DDR gelesen. Und die Partei konnte ins Ausland signalisieren: "Seht her, wir hegen und pflegen unsere Minderheit, wir haben Meinungsfreiheit"...
getkiss
schrieb am 21.08.2009, 15:54 Uhr
Wenn ich diese wunderbaren Ehrungskommentare lese überkommt mich das Weinen. Gibt es noch Literaturautoren außer Frau Müller?
Lavinia
schrieb am 21.08.2009, 16:04 Uhr (am 21.08.2009, 16:05 Uhr geändert).
@getkiss: Andere Autoren? Such doch mal in einem anderen thread, vielleicht...;-) !?
bankban
schrieb am 21.08.2009, 16:05 Uhr
Bestimmt. Sie dürfen für Ihre Idole gerne neue Threads eröffnen und ihnen dort weinend huldigen. (Es sei denn die Admins löschen Ihre Beiträge...)
getkiss
schrieb am 21.08.2009, 16:58 Uhr
@bankban:
Das ist halt mein Unterschied zu den Beiträgen hier:
Ich habe Autoren die ich gerne lese, aber keine Idole.
Idolatrisierung erinnert an:
"Partidul e-n toate..."

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