Altes Haus - Brücken in die Vergangenheit

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Maikind
schrieb am 03.04.2020, 14:08 Uhr (am 03.04.2020, 14:10 Uhr geändert).
Altes Haus

siebzehnhundertund
Jahre bröseln
wo Abschiede tränen
ein liebes Lied weilt
heilt.

Gedichte und Kurzgeschichten
Heiteres und Trauriges - Erinnerungen
Rückblick auf Siebenbürgen.
Kurt Binder
schrieb am 03.04.2020, 18:32 Uhr

So steht es geschrieben, so soll es geschehn!

So lasset hoch uns Dichterlingen
des Optimismus Hymne klingen!
Wenn auch die Verse mal verhäckselt,
der Jambus mit Trochäus wechselt,
sei es uns dennoch gutgeschrieben,
weil wir trotz allem - drangeblieben!

Wenn wer auch was zusammenbrienzt
und sehr zufrieden drüber grinst,
hats doch, dem Tadel zum Verdruss,
für Laien eben Hand und Fuß!

Ich selber aber bleib hinfurt
mitmachbereit - euer alter Kurt.


Maikind
schrieb am 03.04.2020, 23:09 Uhr (am 03.04.2020, 23:10 Uhr geändert).
In Erinnerung an die Dorfgänse und -enten die zum Teil durch die Dorfmitte stolzierten und zur Geräuschidylle beitrugen... wer kennt das nicht?

Er wór amól en klinzig Goas
dae stånd um Blunken áf der Goss
uch faeng det Schnattern un
droff kumm dá Ínt vun far zárack
ánd hiert diém zá án Uģenblack
uch dåcht sich: en Zigun!
Kurt Binder
schrieb am 04.04.2020, 08:53 Uhr

Mit Sprachen steht's nur mittelprächtig;
ich bin des Sächsischen nicht mächtig!
So muss ich „Altes Haus" hier passen,
und euch das Protchesen überlassen! :-((
Maikind
schrieb am 04.04.2020, 10:34 Uhr
Ist ein kleiner Versuch weils gerade gepasst hat :-)
Kurt Binder
schrieb am 04.04.2020, 10:53 Uhr (am 04.04.2020, 10:54 Uhr geändert).
Deinen "kleiner Versuch", wie Du (errötend?) gestehst, liebe Ute, werte ich wie eine Weichenstellung für manche zögernden Landsleute! Das wird garantiert Schule machen ... Ich tob mich inzwischen pflichtbewusst zu andern Themen aus :-)) !
Kurt Binder
schrieb am 08.04.2020, 09:46 Uhr (am 08.04.2020, 09:48 Uhr geändert).
Ich kehre dennoch zu Deinem köstlichen Mundartgedicht zurück. Sächsisch sprechen kann ich zwar nicht, vertehe aber alles!
Vorschlag für eine Entwicklung, die sowohl den sächsisch sprechenden, als auch den unsprechenden eine Chance bietet: Jeder verfasst in „seiner Sprache“ eine Strophe, die an Deine mit der „klinzig Goas“ anknüpft, so dass die Reihe nach dem Goas-Schema aa b cc b wie gehabt im Zickzack-Kurs weitergesponnen wird! Zum Beispiel:

Das Schnattern von dem jungen Gänschen
vernimmt des Nachbars Junge Hänschen.
Er nähert sich dem Kleinen,
das ängstlich aufgeplustert weg
zum Schutz sich drängt ins Mauereck
und anfängt, leis zu weinen.



Maikind
schrieb am 20.04.2020, 22:45 Uhr
In alten Mauern

die Hähne wecken
über Zäune und Höfe
vertraute Gesichter
in Bildern voll Leben
vor und bei
einer Furcht
die Augen zu öffnen
und nichts zu sehen als leere
Fassaden hinter fehlenden Bäumen
verriegeltem Tor.

Mit neuen Schlüsseln
und zwinkerndem Auge
weichen Tore wedeln
aufgehende Fensterläden
Lächeln in die Stuben
zeichnen Sonnenstrahlen
Schatten warmer Gedanken
im Küchenraum
finden Bilder voll Leben
ein offnes Zuhaus.
Kurt Binder
schrieb am 12.05.2020, 10:21 Uhr (am 12.05.2020, 10:22 Uhr geändert).
Der Einzug neuen Lebens "In alten Mauern", eine optimistische Vision, ein buntes Gemälde des Neuanfangs – beeindruckend, Maikind!
Es hat mich unwiderstehlich zu einem Rückblick inspiriert, in dem die Vision - Vergangenheit ist!

Altes Haus
in Hermannstadt, Neustift Nr.1

Rostiges Quietschen warnt mich:
"Lass es - schon dich!"
Das morsche Hoftor klemmt,
hängt schief in den Angeln -
ich schließe die Augen, trete in den Hof ...

Wir spielen im Sand,
Kathi, Mircea, Gretchen,
wir spielen Mama und Tata -
offenbaren uns, staunen ...

Ich lächle, öffne langsam die Augen -
Grausen krallt mich -
die Realität spricht der süßen Erinnerung
bitteren Hohn, 73 Jahre danach -
das Haus meiner Kindheit - eine Ruine,
die Karikatur ihrer selbst!

Wir laufen die Treppen hoch,
ein Blick über die Mauer zu Hermels,
weiter auf den Aufboden -
geheimnisvoll, düster im Staub
vom Sonnenstrahl durchtrennt,
uralte Bücher, Kleider,
Faschingskostüme in Kisten …
ein Blick durch die Dachaugen
hinab in den Hof:
Kathi tanzt in der Sonne,
Gretchen wiegt
meine kleine Schwester auf dem Schoß ...

Geborstene Mauern knirschen
unter der Last des eingebrochenen Daches,
Tauben gurren im angefaulten Gebälk,
durch bröckelnden Putz
quälen sich Seufzer aus der Vergangenheit,
paaren sich mit stummen Schreien der Gegenwart -
disharmonischer Chorus
qualvollen Verendens,
den niemand hört – hören will ...

Im Marktgässchen ums Eck
vertrautes Ring-Ring
einer Bizikelklingel ...
ich renne hinaus -
Tata kommt nach Hause,
hebt mich auf die Stange
des Adler-Zweirads - aus Deutschland!
Ich strahle wie ein Feldherr -
Ring-Ring, Ring-Ring …

Gestrüpp, Disteln, Unkraut
erschweren mir den Weg zum Haus.
Eng an Sträuchern und Bäumen vorbei -
der Hof fast völlig zugegrünt -
Herzklopfen geleitet mich
in unser altes Haus.

Unbeschwertes Kinderlachen -
ich renne übers Doppelbett,
Mama ruft besorgt: "Pass auf, er fällt!".
Meine kleine Schwester
mit großer, weißer Masche im Haar
jubelt mit, knabbert an einem Keks -
von der Offizierswitwe Frau Stancu.

Regenwasser tropft auf meinen Kopf,
die Zimmerdecke vom Einsturz bedroht,
alle Räume leer,
die Wände nass, verschimmelt,
keine Diele auf dem Fußboden,
kein Nagel in der Wand -
Tränen verschleiern meinen Blick
beim Hinausgehen ...

Im Garten - reife Akawetzen!
Ich klettere auf den Birnbaum, futtere ...
Der Schaukelbalken läd zum Hutschen ein,
Hanklich von Minna-Omama,
Brunoonkels erhobener Finger droht,
wenn ich seinen glänzend
schwarzen FORD anfasse ...

Krieg - Zäsur im Frieden!
Krankes, fauliges Gehirn
zwingt die Welt ins Verderben,
Rassenwahn, Größenwahn -
Massenmorde, rechtfertigt durch
die Ode an den Tod:
„Deutschland, über alles" ...

Und Deutschland marschiert - unser Tata mit,
von Wendehälsen des eigenen Volkes genötigt,
von der SS gepresst - zack zack ...
im Marsch ... im Marsch ...
ohne Wiederkehr!
Franz Liszt, Les Préludes –
der Hymnus besiegelt den Untergang.


Beängstigende Stille im Haus,
wir fühlen Mamas Angst -
rumänische Nachbaren,
unsre Feinde?
Sie helfen uns!

Brennende Bücher,
Pflichtlektüre im 3. Reich -
Braunhemd, schwarzes Halstuch,
Opfer richtender Flammen.
Gürtel mit Koppel, Querriemen,
Fahrtenmesser, brauner Lederknoten
vergräbt Mama im Garten –
die Angst gräbt mit ...

Die Russen kommen!
Neun Einquartierungen,
beschert von Schwarzer Lederjacke,
stimmen auf die Wende ein -
auf neue Symbole:
Sichel und Hammer statt Hakenkreuz,
auf neues Siegesgedönse:
Das Deutschlandlied
weicht der Internationale,
auf neue Herrscher:
Analphabeten haben das Sagen,
auf einen neuen Anfang -
für ein vorgezeichnetes Ende!

Von neuen Gefahren bedroht
verlassen wir unser altes Haus,
ziehen in die Salzgasse um -
verstehen die Welt nicht mehr ...

(Besuch in Hermannstadt vor einigen Jahren)
































































































Maikind
schrieb am 21.05.2020, 14:26 Uhr
Sehr schön!!
die Brücken in die Vergangenheit
ganz toll!!
und die damit verbundene Stimmung.

Maikind
schrieb am 21.05.2020, 15:52 Uhr
Ein Sommerschnipsel
Erinnerungen aus dem Feld

Den "Butterkorb" bis Oberkannte gefüllt mit Leckereien aus der Speisekammer, kam auf die Picknickdecke.

Der heiße Tag zeichnete sich in den rotverschwitzten Gesichtern ab, die reihum in die Knie gingen. Im Schatten des Baumes wurde es jedoch wunderbar erträglich vor allem in der Vorfreude auf das was der Korb hergab.

Speck und Zwiebeln, eingelegte Wurst und saure Gurken. Gekochte Eier und Kartoffeln, das Salz und das Brot. Im Korbkrug das kühle Wasser, wurde als erstes in die Runde gereicht.

Uns Kindern die den Tag noch im Schatten verbringen durften, hatte es hier draußen immer am besten geschmeckt.
Kurt Binder
schrieb am 23.05.2020, 10:16 Uhr
Ein herbes Gemälde, Dein „Sommerschnipsel“, liebe Ute, eine weitere Brücke in die Vergangenheit, das uns beinahe andächtig mühevolle Feldarbeit, Genügsamkeit und Dank in knappen Strichen skizziert. Es wäre überlegenswert, „Brücken in die Vergangenheit“ als neues Thema einzuführen, da bei uns allen früher sicher interessante Ereignisse stattgefunden haben, die uns in Form von kurzen Erzählungen zu einem Schmunzeln, Verständnis und Mitgefühl bewegen würden!
Kurt Binder
schrieb am 24.05.2020, 16:10 Uhr
Ein weiterer Rückblick in meine Vergangenheit nötigt mich geradezu, Maikinds Butterkorb mit - süßen Ribiseln zu ergänzen!

Süße Ribisel

Es geschah im Sommer des Jahres 1944. Wir Kinder, mein jüngerer Bruder, meine vierjährige Schwester und ich befanden uns unter der Obhut unsrer Truditante in einem von den Ortsgruppen organisierten Ferienaufenthalt in Burgberg, wo wir bei der Familie Lienerth untergebracht waren. Die Ankunft von Städtern, die anfangs mit einiger Skepsis als „des Herrn“ bezeichnet wurden, hatte unter den Dorfkindern Interesse geweckt, nicht zuletzt bei den Mädchen. So kam es, dass die zwei Binderbuben bald ihre Sympathien fanden. Ich schwänzelte um die stille, pausbackige Anna Henning herum, deren roter Schmollmund es mir auf Anhieb angetan hatte. Mein Bruder hatte sich der temperamentvollen, mundgewandten Ledder-Fisi zugewand.
Als nach einigen Tagen unser gegenseitiges Vertrauen ins Unermessliche gediehen war, stellten uns unsre kessen Bräute etwas Süßes in Aussicht, das uns erschauern ließ: Wir sollten aus dem Garten des Schulrektors Ribisel klauen, die gerade in voller Reife standen. Das sei ganz einfach; wir müssten bloß aufpassen, vom Rektor nicht erwischt zu werden! Natürlich – das leuchtete uns ein! Fisi und Anna übernahmen die Führung in des Rektors Garten, und wir schlichen wie zwei noch nicht ertappte Sünder durch das Gartentürchen hinterher. Am Tatort angekommen, hockten wir uns hinter die dichten Ribiselbüsche und begannen, genüßlich zu schnabulieren.
Plötzlich öffnete sich das Türchen, und ein Mann in bäuerlicher Arbeitskleidung und verdreckten Gummistiefeln betrat den Garten. Er erblickte uns und kam stracks auf uns zu.
„Was macht ihr Purligaren hier?“, fragte er unwirsch. Die Mädels wurden blass. Ich erklärte ihm, dass wir süße Ribisel äßen, dabei aber aufpassen müssten, vom Rektor nicht erwischt zu werden. Der Mann brummte wütend etwas, und ging verärgert ins Haus. Wir klaubten und aßen ruhig weiter. Anna und Fisi starrten uns entgeistert an.
„Warum nascht ihr nicht mehr?“, erkundigte ich mich. „Der Rektor kommt jetzt bestimmt nicht her!“
„Aber ... “, stotterte Anna, „ aber ... das war doch der Rektor!“

Maikind
schrieb am 24.05.2020, 18:41 Uhr (am 24.05.2020, 18:44 Uhr geändert).
Im Stall

Den süsslich- warmen Duft im Kuhstall mochte ich besonders gern.
Während mein Großvater dem alltäglichen Abendritual nachging
saß ich meistens in einer Ecke auf Stroh und schaute zu.

Mit ruhiger monotonen Stimme redete er auf die Tiere ein, die ebenso gemächlich nach der Tränke im Hof, ihre Plätze im Stall einnahmen.

Doina und Joiana hießen die beiden Milchkühe die darauf zu warten schienen, die prallen Euter geleert zu bekommen.

Hier im Stall herrschte absolute Andacht in jedem einzelnen Arbeitsschritt den Großvater unternahm.

Den Stall hatte er bereits ausgemistet während die Tiere noch im Hof tranken, und mit frischem Stroh ausgelegt.
Dann band er die Schwanzhaare an ein hinteres Bein an und wusch sich im bereitgelegten Eimer die Hände und sehr sorgfältig und begutachtend die Euter der Kühe.
Aus einer Dose Melkfett nahm er eine Portion heraus und rieb die Euter damit ein.
Erst danach griff er nach dem Melkhocker und dem Milcheimer und molk die Kühe behutsam Milchstrahl für Milchstrahl.
Dieses Geräusch zusammen mit dem gelegentlichen Muhen der Kühe und dem tiefen Gemurmel meines Großvaters werde ich nie vergessen.

Als Belohnung wurden die Tiere noch ausgiebig gestriegelt, sodass sie fast mit dem nächtlichen Glanz des Mondes hätten wettstreiten können.

Jeden Tag der Woche, ganze Jahre lang wurden die Tiere auf dem Hof noch vor dem Frühstück begrüsst und gefüttert, sowie der Arbeitstag mit dem Zurruhebringen der Tiere beendet.

Auch das Bild von Großvater wie er den Abend mit einem Kännchen Wein abschließt und meine Großmutter nach ebenso arbeitsamen Tag still und mit gefaltenen Händen daneben sitzt, ist ein Schatz für mein Leben.
Kurt Binder
schrieb am 26.05.2020, 09:10 Uhr (am 26.05.2020, 09:11 Uhr geändert).
Ein ausdrucksvolles Gemälde, Maikind, durch die Augen eines Kindes in Duft und Klang gemalt! In Deiner Erinnerung erweckt die liebevolle Zuwendung Deines Großvaters zu Doina und Joiana, das Ritual des Melkens und des Striegelns sowie der andachtvolle Tagesabschluss mit Großmutter den Eindruck ländlicher Idylle, läßt aber ebenso deutlich die dazwischen liegende, über den Tag verteilte harte Knochenarbeit erahnen.
Ich hoffe, bald an weiteren Eindrücken aus der Vergangenheit der Leser, an „Schätzen ihres Lebens“ teilhaben zu können!

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