Das luxemburgische Theater erobert Rumänien

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reuter_jerome
schrieb am 18.02.2009, 22:33 Uhr
Am 28. Februar und am 1. März wird der Regisseur und Direktor des Escher Theaters, Charles Muller, „Fin de Partie“ von Samuel Beckett am Théâtre National „Radu Stanca“ in Sibiu in Rumänien inszenieren. Mit dem Tageblatt sprach er über die Herausforderungen dieser grenzüberschreitenden Produktion und zeigte einmal mehr seine Liebe zum Theater./ Interview: Janina Strötgen

„Tageblatt“: Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen den beiden Theatern?
Charles Muller: „Kennen gelernt haben wir uns für die Aufführungen der Metamorphosen von Ovid im Rahmen des Programms der Kulturhauptstädte Luxemburg und Sibiu 2007. Die Inszenierung war ein Riesenprojekt. Der große rumänische Regisseur Silviu Purcarete hat die Metamorphosen in lateinischer Sprache mit einer gemischten Truppe von rumänischen, luxemburgischen, französischen und belgischen Schauspielern inszeniert. Das Escher Theater hat in seinen Werkstätten das Bühnenbild gebaut und ist als Koproduzent miteingestiegen, nachdem das Kapuzinertheater kurzfristig abgesprungen war. Es war eine große Herausforderung für uns. So ein großes Bühnenbild haben wir in Esch noch nie gebaut. Und wir haben es geschafft. Nach der guten Zusammenarbeit waren dann die Türen offen …“

„T“: … für ihre Inszenierung „Fin de Partie“ von Samuel Beckett im Théâtre National „Radu Stanca“. Wie ist es für Sie, Beckett in Rumänien auf Rumänisch mit rumänischen Schauspielern zu inszenieren? Beckett ist ja nicht gerade leichte Kost …
C.M.: „Die klassische Moderne, also auch Beckett, wurde in Rumänien eigentlich nie gespielt. Als die Mauer 1989 aufging, wurden sofort die Zeitgenossen, die Autoren aus den neunziger Jahren aufgeführt. Autoren aus den Fünfzigern, Sechzigern, Siebzigern übersprang man. Und vor dem Mauerfall spielte man sie sowieso nicht, Autoren wie Beckett waren unter Zensur, wegen Moraluntergrabung. Seit zwei Jahren hat Radu Stanca ’En attendant Godot’ in einer Inszenierung von Silviu Purcarete im Repertoire, aber ’Fin de Partie’ wurde dort bis jetzt noch nie aufgeführt. Beckett ist revolutionär für Rumänien, weil Beckett sich so viele Freiheiten nimmt, mit denen man erst lernen muss, umzugehen.“

„T“: Sie inszenieren das Stück in rumänischer Sprache. Gibt es da keine Schwierigkeiten?
C.M.: „Das Stück wird in das Repertoire des Theaters aufgenommen, deshalb muss es in rumänischer Sprache aufgeführt werden. Aber das hat mich gereizt: luxemburgisch ist das Bühnenbild von Anouk Schiltz und meine Regie, aber belebt wird das Stück von den rumänischen Schauspielern und der rumänischen Technik. Das ist eine sehr spannende Mixtur.
Als ich allerdings mit der Übersetzerin die beiden Texte auf Rumänisch und auf Französisch verglichen habe, sah ich, dass rund 20 Prozent in dem rumänischen Text fehlten. Alles Grobe, Religiöse und Sexuelle war in der offiziellen rumänischen Übersetzung gestrichen. Natürlich habe ich die Originale wieder reinsetzen lassen. Ganz klar!“

„T“: Wie haben die Schauspieler reagiert?
C.M.: „Als wir das Stück gelesen haben, gab es ganz schön lange Gesichter, erschrockene Gesichter. ’Das können wir dem Publikum nicht zumuten, das ist ja depressiv, viel zu negativ, etc‘. Und als ich dann das Stück und Becketts Begriff der Antigenesis erklärte, waren sie noch entsetzter. Man darf den Einfluss der griechisch-orthodoxen Kirche in Rumänien nicht unterschätzen. Ich sage das mit großem Respekt vor dieser Kirche und ich respektiere den Glauben eines jeden, auf der anderen Seite erwarte ich dann auch Toleranz von ihnen. Man muss einen anderen Standpunkt vertreten dürfen. Ich musste den Schauspielern erst einmal klar machen, dass sie diese Worte jetzt auf der Bühne aussprechen dürfen, dass sie niemand daran hindern darf. An diese Freiheit mussten sich die Schauspieler gewöhnen. In ihnen ist immer noch die Überzeugung verwurzelt, dass man keine eigenen Entscheidungen treffen darf, sondern auf Anweisungen wartet.“

„T“: Wie haben Sie die Schauspieler an diese neue Freiheit herangeführt?
C.M: „Es war völlig neu für die Schauspieler, dass ich sie nach ihren Empfindungen beim Lesen des Textes gefragt habe. Sie fragten zurück: ’Was müssen wir denn empfinden? Du bist doch der Regisseur, du sagst uns, was wir zu denken und zu sagen haben’. Doch das ist für mich Regiediktatur, das kann ich nicht. Danach war erstmal großes Rätselraten angesagt. Ich brauche die Improvisation, das Assoziieren. Ich habe versucht, ihnen klar zu machen, dass ich ihnen zwar viele Türen aufmache, aber dass sie dann mit den verschiedenen Möglichkeiten des Ausdrucks spielen und sich in Räume hineinwagen müssen, die sie bisher in ihrer Fantasie noch nicht betreten haben. Sie mussten ihre Toleranzgrenzen weit aufmachen. Dazu musste ich Ihnen den Beckettschen Witz näherbringen.“

„T“: Sprang der Funke über? Konnten Sie den beckettschen Humor vermitteln?
C.M.: „Den Schauspielern in Luxemburg, mit denen ich Beckett inszeniert habe, war der schwarze, britische Humor viel schneller klar. Es war für sie überhaupt kein Problem, sich über Sachen lustig zu machen, bei denen die Rumänen eine viel höhere Hemmschwelle haben. Aber ich habe ihnen klar gemacht, dass Beckett nicht so pessimistisch ist, wie er vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag. Ich interpretiere ihn eher im Lutherschen Sinn, wenn morgen die Welt untergeht, dann pflanze ich heute noch mein Apfelbäumchen. Auf dieser Basis können dann auch die rumänischen Schauspieler mit dem Humor etwas anfangen und über beckettsche Sätze wie ’Wenn ich die Ratte nicht umbringe, dann wird sie sterben‘ lachen.“

„T“: Sie fliegen für die Endphase der Proben am Donnerstag nach Sibiu. Was erwartet sie?
C.M.: „Wir haben noch gut zwei Wochen, die Texte sind gelernt und jetzt werden wir die verschiedenen Spielformen ausprobieren. Zu Beginn der Proben hatte ich den Schauspielern ihre Sicherheit genommen, indem ich ihnen die Wahl ließ, wie sie sich ausdrücken. Ich habe ihnen nichts vorgeschrieben. Doch daran haben sie sich jetzt gewöhnt. Durch das Spielen haben sie ihre Sicherheit wiedergewonnen. Jetzt wird es interessant, wir werden improvisieren. Darin liegt ja auch meine Stärke. Ich bin dazu da, ihnen aufzuzeigen, wie sie spielen könnten. Denn spielen können sie allemal, alle vier sind sehr sinnliche Schauspieler, sie haben großen Tiefgang und das richtige Alter. Außerdem habe ich das große Glück, mit Ensemble-Schauspielern zu arbeiten. Sie kennen sich gut, sind aufeinander eingespielt. Die Hemmschwellen gegenüber den anderen Schauspielern sind gering, schließlich stand nach jahrelanger Zusammenarbeit jeder schon einmal seelisch in Unterhose vor seinen Kollegen da. In solch einer engen Atmosphäre kann man richtig gut arbeiten, loslassen und sich in neue Sphären hineinspielen. Das ist eine schöne Sache.“

„T“: Wie glauben Sie wird Ihr Stück wirken?
C.M.: „Das Stück wird den Humor und die Sinne ansprechen. Ich kann Beckett nicht mehr so inszenieren, wie Regisseure es in den fünfziger Jahren getan haben: Ein schwarzer Raum, mit nichts drin, vielleicht einem Stuhl und zwei kleinen Fenstern. Das grenzte schon beinahe an Theaterverweigerung. Ich brauche etwas für die Sinne, für die Augen, da muss was los sein auf der Bühne. Deswegen hat Anouk Schiltz auch ein aufwendiges Bühnenbild entworfen, eine Art Schiffchen zwischen Himmel, Erde und Wasser. Doch es kann schon sein, dass das Stück schockieren wird. Gleich der erste Satz ist: ’Du stinkst‘. Das ist nicht gerade eine nette Begrüßungsformel. Es wird spannend!“

„T“: Werden Sie die Zusammenarbeit mit „Radu Stanca“ weiter ausbauen?
C.M.: „Während des Kulturjahres wurden Sehnsüchte geweckt, denen wir jetzt nachgehen. Der Koordinator von Luxemburg 2007, Robert Garcia, hat immer von Nachhaltigkeit gesprochen, diese zu gewährleisten, versuchen wir. Die Metamorphosen von Ovid, die wir hier im Kulturjahr 2007 aufgeführt haben, werden wir im Juni 2009 auf dem internationalen Theaterfestival in Sibiu zeigen. Das ist schon geplant. Ich habe auch „Lulu“ von Frank Wedekind in einer fabelhaften Neuinterpretation von Silviu Purcarete eingeladen, im Spätherbst hier im Theaterzelt zu spielen. Parallel dazu wollen wir eine Ausstellung rumänischer Kunst zum Thema ’Frau‘ konzipieren. Dann werde ich sehen, wie es weitergeht. Aber die Projekte stehen.“
reuter_jerome
schrieb am 18.02.2009, 22:36 Uhr (am 18.02.2009, 22:37 Uhr geändert).
Hier noch etwas Hintergrundinfos zum luxemburgischen Theater: www.gouvernement.lu/publications/luxembourg/ap_theatre/ap_theatre_2008_DE.pdf
der Ijel
schrieb am 19.02.2009, 11:04 Uhr
cet culture pure
wer kann da mithalten ?

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