Mut zur Wahrheit - Schlesaks "Capesius"

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Don Carlos
schrieb am 05.02.2009, 13:29 Uhr
Dieter Schlesak, ein "Nestbeschmutzer"? Oder spricht da der Mut zur Wahrheit? Nach meiner Auffssung hat der Dichter und Essysist aus Siebenbürgen ein "heißes Eisen" fabriziert, das die Gemüter noch beschäftigen und erregen wird.
Er hat 30 Jahre abgewartet, bevor er es veröffentlichte ( gerade 30 Jahre, auch für mich eine symbolische Zahl)- vielleicht um die Psyche seiner siebenbürgisch-sächsischen Landsleute zu schonen? Vielleicht aber auch, um der Festigung der Wahrheit und der moralischen Wertung noch Vertiefung zu ermöglichen?

Capesius, der Auschwitz-Apotheker ist ein tiefschürfendes und aufwühlendes Buch ( bankban hat es natürlich von Alpha bis Omega gelesen, verstanden und empfohlen!), das an die Substanz geht, nach der eigenen Identität fragt und nach der kollektiven Identität, ein Buch, das ins Grundsätzliche geht, und über die individuelle Schuld einer Person, einer Volksgruppe, ja eines Volkes hinaus zielt.
Es wurde hier schon andiskutiert - doch die vertiefende Diskussion muss weiter gehen, auch im allgemeinen Forum, weil "Capesius" nicht irgendein Buch ist, sondern eines - gerade in den Tagen der Holocaustleugner wie Bischof Williamson - das Grundlegendes anspricht und vielleicht den Kulminationspunkt des geistigen ( ich sage bewusst nicht dichterischen) Schaffens von Dieter Schlesak darstellt.
Sein "Vlad. Die Korrektur" ( auch ein interssantes, bisweilen provozierendes Sujet mit viel Akzeptanz beim Publikum) ist - ungeachtet aller Wissenschaftlichkeit und literarischer Redlichkeit nur eine "Posse" gemessen an der Tragweite des "Capesius".
Schlesak - ein "Nestbeschmutzer"?
Die Brisanz dessen, was der Siebenbürger Autor Schlesak( zufällig versteht er sich nur als Regisseur einer Collage)in "Capesius" leistet, geht über alles hinaus, was eine Herta Müller je geschrieben oder was man der Banater Autorin an "Nestbeschmutzertum" vorgeworfen hat.

Demenstprechend bedeutender ist der "Capesius", auch wenn sich der Schristssteller Schlesak bewusst zurückhält.
Die Fragen, die einen kritischen Literatur-Analytiker und Interpreten bei Herta Müllers oder Dieter Schlesaks Werken bewegen, etwa bei einzelnen Kurzgeschichten aus "Niederungen", dem Roman "Herztier" bzw. im Werk "Capesius", werden immer wieder neu gestellt und beantwortet werden müssen:
Historische Wahrheit, Fiktion, Moralische Wertung - von Warte zu Warte werden sie unterschiedlich ausfallen ( das zeigte die oben zitierte, bisherige Debatte). Wir müssen uns auch dieser Auseinandersetzung stellen.

Schlesak schrieb für sich, um, auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens angelangt, erstmals für sich selbst Klarheit zu finden, die Klarheit des Alters - und es ist erfreulich, das er den Mut fand, sich selbst zu überwinden und - nach dem Tod der Eltern - auch über Tabus zu schreiben; und - nach einer Existenz als ewiger "Zwischenschaftler und Brückenbauer zwischen den Kulturen - auch bereit zu sein, die Grenze zu überschreiten, Tabus zu brechen und aufzuklären: wie im Interview angedeutet, schonungslos in alle Richtungen und bei Ablehnung jeder totalitären Haltung.
Was viele nicht sehen: das ist der Kampf mit dem Selbst und den Schmerz der Selbstüberwindung, eine Materie zu bearbeiten, die schon dem Leser viel Selbstdisziplin und Überwindung abfordert.
Carl Gibson, Autor

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