Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur

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MCRANTA
schrieb am 28.12.2009, 12:26 Uhr
tja... als ich Kafkas text integral zitiert habe, wurde ich "niedergemacht"... c'est la vie!!!
Robert (Administrator)
schrieb am 03.01.2010, 21:31 Uhr
Beschwerdeflut aus Rumänien am Gerichtshof für Menschenrechte

Knapp 100.000 Menschenrechtsbeschwerden sind am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte derzeit noch anhängig. Gegen manche Staaten Ost- und Südost-Europas werden besonders häufig Beschwerden vorgebracht.
(...)
Die Beschwerdeflut aus dem Europaratsmitglied Rumänien erklärt die deutsche Richterin Renate Jaeger mit einem generellen Misstrauen der rumänischen Bürger gegen ihre Justiz. Ganz gleich, ob dieses Misstrauen berechtigt sei oder nicht, es sei eben da, hat Jaeger beobachtet. Daher wollten die Menschen ihre Anliegen in Europa geklärt haben, so die Richterin.

Können die Urteile des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wirklich etwas verändern?

Quelle: Deutsche Welle
getkiss
schrieb am 05.01.2010, 11:59 Uhr
Eine nüchterne, unaufgeregte und historisch gut fundierte Meinung:
- über die Securitate im Laufe der Zeit;
- über die wahren Opfer und Informanten;
- über mehr oder weniger selbsternannte Opfer;
- und wie man Söllner verteufelt hat;
geäußert von Dieter Schlesak auf seinem Blog:

schlesak.blogspot.com/2010/01/securitate.html
Lavinia
schrieb am 05.01.2010, 14:08 Uhr (am 05.01.2010, 18:01 Uhr geändert).
@getkiss, danke, dass Du der Aufforderung Carl Gibsons vom Banatblog so prompt nachgekommen bist. Obwohl...unter seinem Nick "Don Carlos", der nicht gelöscht ist (?), hätte er es auch selber reinstellen können...

"Ich bitte darum, die Existenz des Blogs auch bei Schlesaks Landsleuten auf http://www.Siebenbuerger.de bekannt zu machen. (...)
Von Carl Gibson in Jan 5, 2010 - 11:55"

Vorneweg: ich schätze Schlesak sehr. Seine Ausführungen sind wichtig und absolut lesenswert.
Mein erster Eindruck: Wir befinden uns auf einem Jahrmarkt (der Eitelkeiten?).
Hier wird die Securitate des Stalinismus gegen die Securitate des Ceausismus ausgespielt, die Dissidenz derjenigen, die im Gefängnis saßen, gegen jene, die ihm entkamen, die Parteimitgliedschaft gegen parteilose "nur" IM-Tätiglkeit, es werden die jeweiligen persönliche Risiken im Falle der Verweigerung der Mitarbeit gegeneinander aufgerechnet und dabei werden unterschiedliche Maßstäbe angesetzt. Dies alles aus dem geschichlichen "Rückspiegel". Differenziert wird auch nicht durchgehend, obwohl der Versuch, gerade im Fall des Herrn Söllner deutlich spürbar ist, nicht aber beispielsweise in Falle der Partei, die mit der Securitate in einen Topf geworfen wird. Den Frust darüber, dass bestimmte Widerständler nicht ins Scheinwerferlicht gerückt werden, kann ich verstehen; der Logik, den "Dissidentent-esten" aufzuspüren und zu kühren, kann ich nicht folgen. (Ungenauigkeiten wie der Gefängisaufenthalt Gibsons sind da noch eher verständlich.)
Zu Herta Müller: Dieter Schlesak hat in seiner Laudatio zu dem Literaturnobelpreis der Herta Müller darauf abgestellt, dass die speziellen Umstände prägend waren für einen spezifische Umgang mit Sprache der rumäniendeutschen Autoren generell. Bis jetzt scheint das einsame Strahlen des Nobelpreises jedoch lediglich eine Art Schattentheater anderer rumäniendeutschen Autoren zu beleuchten. Die ihre gespaltene Vergangenheit (gegeneinander) aufarbeiten. Das Publikum sitzt mediengerecht und gespannt vor der Leinwand, und die Akteure dahinter. Und wartet auf den nächsten Akt.




Johann
schrieb am 05.01.2010, 18:19 Uhr (am 05.01.2010, 18:30 Uhr geändert).
Der Beitrag von Schlesak ist sehr ausgewogen. Es wird Niemand gegeneinander ausgespielt, sondern nur die Sachen ins rechte Licht gerückt. Kann da fast nur zustimmen!

Bin gespannt, ob sich nun die Müller-Wagner-Hagiographen trauen, genauso auf Schlesak wie auf Gibson herumzutrampeln.

Die Verdienste von Müller als Schriftstellerin bleiben davon unberührt. Da hat Gibson über das Ziel hinausgeschossen.
"Luxusdissidenz" (Schlesak) trifft die Sache ganz gut.

Folgende Auffassungen teile ich ganz:

"die KP war also die höhere Instanz und der Schreibtischtäter, und somit ist der Status des Parteimitgliedes negativ höher zu werten als der eines parteilosen IM, der unter Umständen eher als Opfer anzusehen ist. Wenn auch manche meinen, diese „Umkehrung“ sei „moralisch“ nicht wahr, muss man darauf bestehen: leider ist es so: die „Drecksarbeit“ hat die Securitate im Namen der Partei geleistet, sie war auch deren Henker und nicht irgendeine teufli-sche selbständige Organisation"

"Die Securitate jener Zeit (Ceausescu-Zeit JL) war so nur eine Angst- und keine Foltersecuritate, sie diente als Angstproduzent und Herrschafts-Instrument der Partei, und war kein Vernichtungsinstrument mehr"
Etwas idealtypisch, überspitzt formuliert, es gab aber einen großen Unterschied, auf den man zu recht hinweisen sollte.

"Die Dissidenz jener Jahre spiegelt dann auch diese clownartige, doch sinistre Theaterwelt der Macht wider, und war nicht die tödliche Dissidenz der sechziger Jahre, wo es sogar noch bewaffnete Partisanen in den Karpaten gab."
Joachim
schrieb am 05.01.2010, 18:23 Uhr
Exakt !
Ich sitze erste Reihe mitte......
und warte..... auf die Aufführung.....
schully
schrieb am 05.01.2010, 18:36 Uhr
bei klick auf den link kommt leider
"Die Seite, nach der Sie im Blog suchen, dieter schlesak existiert leider nicht."
ob die securitate ihre hände im spiel hatte ?
schade!
servus

Johann
schrieb am 05.01.2010, 18:48 Uhr
Ich habe den Beitrag kopiert, weil ich keinen Text lese, der auf schwarzen Hintergrund publiziert wird (eine verbreiteter Designer-Quatsch).
Hier der Text!

"Montag, 4. Januar 2010
Securitate
Dieter Schlesak
SECURITATE
Verweigerung und Todesangst

Die zwei Epochen der Securitate, ihr Foltermethoden, ihre Dissidenten und Informanten.
Persönliche Erfahrungen

1
„Der zu Verhörende wurde mit dem Kopf nach unten aufgehängt… Mit einer Sonderzange wurden ihm die Fingernägel ausgerissen … Seine Fußsohlen wurden mit einer Stichflamme gebrannt … die Hoden wurden mit einem dicken Bleistift oder einer dünnen Weidenrute so lange geschlagen, bis das Opfer unter fürchterlichen Schreien in Ohnmacht fiel, und in vielen Fällen verstarb. (Methode des Securitate-Folterers Franţ Ţandără, der auch nasse Sandsäck-chen zu Schlägen auf Rückgrat und Nieren benützte. Sein Bekenntnis erschien am 21. März in der Zeitschrift „Singur“ in Bukarest) …Schreckensschreie oder Stöhnen von nahen Ver-wandten wurden dem Opfer zu Gehör gebracht… Schläge mit einem Prügel auf den Kopf des Opfers … Tritte mit dem Stiefelabsatz in den Mund, die Zähne des zu Verhörenden … Hetzen eines Wolfshundes auf das nackt an einem Pfahl festgebundene Opfer … Isolierung des Gefangenen über Wochen und Monate in engsten Zellen, wo er nur stehen konnte …“
Die Quellen sind inzwischen weitgehend zugänglich, vor allem durch den offiziellen „Raport Final“, eine Art Schwarzbuch des rumänischen GULAG, erschienen in Bukarest 2007 im Humanitas Verlag. Die Aufzählung der Foltermethoden stammt aus diesem Bericht. Der ehemalige politische Häftling Cezar Zugravu zählt in seinem Bericht „ Die Foltermethoden der Securitate“ Einundvierzig „Methoden“ auf.
Es wird neuerdings zum Thema Securitate viel Unsinn geschrieben, noch mehr gequatscht und angegeben; man kann sich der vielen selbstgerechten Moralisten, Widerständler, Dissi-denten und tapferen Autoren der späteren, der sanften Tauwetter - und Ceauṣescu-Zeit kaum erwehren. Vergessen aber wird die Folter- und Schreckenszeit vor 1965 mit über zwei Mil-lionen Opfern. Man muss dabei nicht auf die vielen Memoiren, etwa von N. Steinhardt, Lena Constante, auf das Buch über das furchtbare, jede Vorstellung überschreitende Folter-Experiment in den Zellen des Gefängnisses von Piteṣti in Südrumänien (im „Raport Final, S. 598-614), die Gefängnis-Romane von Paul Goma oder auf das Dokumentar-Buch über das Folterregime der stalinistischen Hölle, das 1959 auch fünf deutsche Schriftsteller 1959 traf, zurückgreifen. (Es ist deutsch 1993 im Verlag IKGS der Münchner Uni unter dem Titalre: „Worte als Gefahr und Gefährdung“ erschienen). Wie sehr es dem Terror-Regime darum ging, jeden Glauben, jede Identität zu zerstören, die menschliche Würde mit Füßen zu treten, das Gewissen umzukehren, um ein negatives glaubensloses Hasssubjekt in seinen Zwangsdienst nehmen zu können, zeigt im unerträglichen Extrem die „Reeducare“ (Umschulung, Umerziehung) im Vernichtungsgefängnis Piteṣti: „Die delierierende Phantasie von Eugen Ţurcanu – schreibt Virgil Ierunca, der das wohl wichtigste Buch zum „Phänomen Piteṣti“ 1991 in Bukarest veröffentlicht hat, „wurde vor allem dann entfesselt, wenn er es mit Studen-ten zu tun hatte, die an Gott glaubten und versuchten, ihren Glauben nicht zu widerrufen. So wurden diese jeden Morgen „getauft“, indem ihr Kopf in einen Kübel mit Fäkalien und Urin getaucht wurde, während die Umstehen die Taufformeln psalmodieren mussten.“
Ein Blick in den außerordentlich akribisch und mit einer Überfülle an Dokumentar-Material belegten offiziellen „Raport Final“ über die rote Diktatur, wo auch diese Details ausführlich zitiert werden, genügt, um zu erkennen, wie relativ harmlos die siebziger und achtziger Jahre im Verhältnis zur stalinistischen Zeit der fünfziger und sechziger Jahre waren. Unter den vie-len Folterberichten und Fällen aus dem rumänischen Gulag, gibt es im „Raport Final“ keinen einzigen aus der Ceauṣescu-Zeit. Das gleiche gilt für die Untersuchungen der in Europa am meisten anerkannten Aufarbeitungsstelle der roten Verbrechen in Rumänien, die Gedenkstät-te Sighet (Memorial- Sighet), von der bekanntesten rumänischen Lyrikerin Ana Blandiana und ihrem Ehemann Romulus Rusan begründet, dessen erschütternder Bericht, „Chronologie und Geografie der kommunistischen Unterdrückung in Rumänien,“ Fundaţia Academia Civică, 2008, ist kürzlich auch auf Deutsch erschienen.
Ich habe diese Quellen, ohne die ein Verständnis der Securitate und ihrer Spitzel- und Folter-welt unmöglich ist, in keiner der inzwischen massenhaft erschienenen Artikel zum Nobelpreis 2009 an Herta Müller oder zum IM-Fall Werner Söllner gefunden. Auch die beeindruckenden Augenzeugenberichte einer Zeitschrift des rumänischen Schriftstellerverbandes „Memoria“ nicht. Wichtig ist „Memoria“, vor allem Nr. 1/1990, weil sie Fakten aufklärt, die die Securitate-Verfolgung der Autoren in Rumänien betrifft; und sie ist gleich nach dem Fall der Diktatur erschienen, sie zeichnet schlimmste Folterberichte auf, auch aus der Folterkammer „camera 4-spital“ Piteṣti, jener einmaligen Erfindung der Securitate, wo Häftlinge sich Tag und Nacht gegenseitig folterten mussten, einmalig in der ganzen Gulag-Geschichte, gleich nach dem Fall der Diktatur von Betroffenen veröffentlicht!
In „Memoria“ wird auch der vielen Toten und Verschwundenen gedacht, sogar eine Suchliste wird veröffentlicht. Doch kein einziger Bericht oder Fakt stammt aus der sanften Tauwetter-Zeit Ceauṣescus. Und die Aufarbeitungs-Moral heutzutage ist in den meisten Fällen nichts als ein Mäntelchen, das sich alle, auch jene, die keine Ahnung vom Stoff haben, umhängen. Und die sich ausschließlich mit der Ceauṣescu-Zeit beschäftigen, die im Verhältnis mehr als harmlos, aber sehr viel bunter und „medien-gerechter“ ist.
Mit einer Ausnahme, der kurzen Analyse des Literaturkritikers Gerhardt Csejka, der objektiv und präzise die ganze kommunistische Epoche ins Blickfeld rückt und nicht nur den harmlo-seren Tauwetter-Ausschnitt, dabei auch dem Rufmord-Opfer Werner Söllner gerecht wird. Csejka schreibt über die „Zäsur“, die das „Tauwetter“ der Ceauṣescu-Zeit ab 1965 charakter-siert: „Zu den kulturpolitisch relevanten Folgen dieser Zäsur gehörte eine deutliche Reduktion der Angst, sich mit einem falschen Wort um Kopf und Kragen zu reden (oder zu schreiben). Auch der Gedanke an die ständige Präsenz der Securitate-Lauscher war in der Folgezeit weit weniger verhaltensbestimmend als in der Zeit davor.“ Csejka, der selbst einmal Mitglied der „Aktionsgruppe Banat“ war, ist Jahrgang 45, er hat die Zeit des fürchterlichen rumänischen Gulag noch am eigenen Leib miterlebt, die fast zehn Jahre Jüngeren der „Aktionsgruppe“ hatten keine Erinnerung daran. Nirgends sonst wird der Folterepoche der Stalinzeit vor Ceauṣescu und der wirklichen Opfer gedacht, jener in den Untersuchungs- und Foltergefäng-nissen Ermordeten, der in den Securitate-Kellern oder in den Lagern am „Kanal“ und im Do-naudelta Umgekommenen.
Es gab freilich auch in der Ceauṣescu-Zeit Einzelfälle von Morden, doch beschränkte sich die Securitate auf diese, die massenhaften Verhaftungen, die oben beschriebenen Foltermethoden, und den physischen Genozid gab es nicht mehr, unter Ceauṣescu gab es wenige Prozesse; dazu gehört etwa der Prozess gegen Widerständler und ganzer Gruppen und „Rädelsführer“ von Arbeiteraufständen, etwa in Kronstadt, oder gegen die freie Gewerkschaft SLOMR mit etwa 2000 Mitgliedern. All das war auch ein Resultat der größeren Freiheitsmöglichkeiten, undenkbar in der Gulag-Zeit. Es gab also nicht nur den Literatenwiderstand der „Aktions-gruppe Banat“ (der als Randerscheinung in den Quellen kaum, meist keine Erwähnung fin-det!), da sie nur im Alleingang wirkte und keinerlei Verbindung oder gar Solidarität mit den realen sozialen Aktionen zeigte. Was heute zu heftigen Reaktionen und sogar Angriffen, etwa des Bürgerrechtlers Paul Goma oder des SLOMR-Mitbegründers Carlos Gibson gegen die Aktionsgruppe geführt hat. Beide Kontrahenten Goma und Gibson, saßen jahrelang im Ge-fängnis, Goma auch in der Gulag- und Folterzeit. Was man von den Banater Literaten nicht behaupten kann. Sie unterstützten diese Initiativen nicht, wussten vielleicht gar nicht von ih-nen. Goma, der „rumänische Soljenitzyn“ hat sie in einem Artikel auf seiner Webseite (Frag-ment de jurnal, 9 octombrie 2009) heftig attackiert, und spricht etwa der neuen Nobelpreisträ-gerin jeden Anspruch auf Dissidenz ab. Die „Aktionsgruppe“ habe sich 1977, als Goma sich der tschechischen Charta zur Verteidigung der Menschenrechte anschloss, selbst eine Charta gründete, geschwiegen. Und Carlos Gibson hat die Banater Literaten in seinem Buch „Symphonie der Freiheit“ ( Dettelbach, 2008) ebenfalls heftig angegriffen.
Die Methoden des kommunistischen Königs Ceauṣescu waren andere als bisher, persönliche Rachakte einer les majestatis: er ließ auch Gegner der deutschen Minderheit einfach ermorden, so wurde Georg Horn 1987 von Securitateleuten vor der Deutschen Botschaft in Bukarest erschlagen, und Roland Kirsch wurde noch 1989 in seiner Temeswarer Wohnung ermordet.
2
In der gegenwärtigen Pressekampagne geht es jedoch nicht um Todesfälle, sondern vor allem um eine „Luxusdissidenz“, um den Seelenschmerz von AutorInnen in einer Zeit, da es diese wirklichen Schrecken gar nicht mehr gab. Es geht vor allem um diese literarische Dissidenz in der Tauwetterperiode des „dynastischen Kommunismus“ nach 1965, die nun die ganze Aufmerksamkeit und das Medienecho allein auf sich lenkt. Die Alltagsangst im Ceauṣescustaat samt den drei F (foame, frig, frică, Hunger, Kälte, Angst) galt freilich für die gesamte Bevölkerung, nicht nur für die Literaten; der oberste Bonze, der Herr der eigenen Eitelkeit mit Zepter und unsichtbarer Partei-Krone setzte Angst als Regimekitt, die ebenfalls alle täglich erfuhren. Die Securitate jener Zeit war so nur eine Angst- und keine Foltersecuri-tate, sie diente als Angstproduzent und Herrschafts-Instrument der Partei, und war kein Ver-nichtungsinstrument mehr; in dieser gewandelten Form freilich, war sie besonders wichtig. Es ging nach 1964/65 nicht um Gefängnis, Lager und Folter, die in einem geheimen Partei-Dokument von 1967 als Verhörmethode sogar kritisiert und als abgeschafft betrachtet wur-den, sondern es ging nur noch um psychischen Terror (hinter dem aber kein fürchterliche Gulag und kein mögliches Verschwinden stand wie in der Zeit vorher! Und das wusste je-der!), es ging nur um Einschüchterung als „Prophylaxe“, um das Entstehen von Widerstand und politischer „Delinquenz“ von vorneherein zu verhindern! Außerdem musste ja in der lächerlichen Zepterwelt des kommunistischen Dynasten, die diplomatische Außenwelt (auch nach einigen internationalen Abkommen! Und Aufnahme des Landes in die UNO) eine gute Figur machen, um Gelder und Ehren zu ergattern; alles im Dienste der regierenden Familie. Die Dissidenz jener Jahre spiegelt dann auch diese clownartige, doch sinistre Theaterwelt der Macht wider, und war nicht die tödliche Dissidenz der sechziger Jahre, wo es sogar noch bewaffnete Partisanen in den Karpaten gab.
Doch zurück zum heutigen Echo im westdeutschen Medienbetrieb 2009 auf das Literaturecho der ehemals jungen rumäniendeutschen Autoren in jener finsteren Theaterwelt der Ceauṣescu-Zeit: Nicht einmal des eigentlichen Opfers aus der „Aktionsgruppe“, William Totok wird gedacht, der 1975 acht Monate Haft erleiden musste - einzig publizistische Entlarvung aus dem Westen, erzwangen seine Freilassung. (Diese publizistische Aktion setzte mit Recht auf die Eitelkeit der Parteikönige („dynastischer Kommunismus“), auf deren Sorge um ihren Ruf und die Gelder aus dem Westen. Es gab damals in der Tauwetter- und Öffnungszeit diese schöne Macht der Westmedien, um gefährdete Kollegen zu schützen! Ich darf darauf hinweisen, dass ich selbst mit einem Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ und einer Sendung im hr, beteiligt war.) Und der Autor Helmuth Frauendorfer, der auch bei der Securitate „unterschrieb“, aber dann unter Risiko, die Mitarbeit verweigerte, erhält als Opfer kaum Aufmerksamkeit. Wichtiger sind jetzt andere, eben die Literaturdissidenten, die dazu noch vom roten Regime gepäppelt wurden (Herta Müller nahm mit Dank den Preis des kom-munistischen Jugendverbandes an!) oder Parteimitglieder waren, sogar veröffentlichen und in den Westen reisen durften.
3
Im Dezember 2009, wird, ebenfalls mit bereitwilliger und naiver West-Medienhilfe, es ist erstaunlich, wie wenig Ostdeutschland da mithält, nicht nur der wirklichen Opfer nicht ge-dacht, sondern es werden neue Opfer produziert, die als Täter vorgestellt - denn zum Guten gehört ja das Böse – jene Diktaturzeit anschaulich und fast greifbar machen. Vor allem diese mutige und hochmoralische Leid- und Widerstandsgröße ist es, die weltweit Bewunderung erweckt, bei mir Bewunderung auch für das taktische Geschick und die Art, wie man aus We-nigem Viel machen kann. All dieses verhilft dazu, dass man die Securitate neu auferstehen lassen kann, da sie ja als Werk- und Lebensthema weiter gebraucht wird. Vorzeigbare Täter werden dazu gebraucht. Vor allem, wenn ein hochmoralischer Anspruch, den das Publikum begeistert annimmt, im Vordergrund steht. Dabei geht es, wohlgemerkt nicht um die kriminel-len Zuträger und Denunzianten aus der Folterzeit, die Menschenleben auf dem Gewissen ha-ben, sondern es geht ausschließlich um Täter aus der Theaterwelt des kommunistischen Kö-nigs, um mehr oder weniger harmlose und schwach gewordene Opfer der Hauptideologie der Securitate jener Zeit: die Einschüchterung!
Ich spreche hier vor allem vom Fall Werner Söllner, der inzwischen – was er mit seinen Gedichten und seiner Dinescu-Übersetzung so nicht schaffen konnte – nun auch Literatur-fremden als IM-Bösewicht präsentiert, medienbekannt wird wie ein bunter Hund.
Es mag sein, dass diese ganze emotionsgeladene Kampagne in Interviews und Beiträgen Ma-terial liefert, wo Augenzeugen im Lebens- und Erinnerungsvergleich beim Umgang mit ihren eigenen Securitate-Akten, die aber niemals als Quelle historischer Wahrheit eingesetzt werden dürfen, sondern Terror-Bürokratie ist und bleibt im Dienst der Verfolgung Unschuldiger und der lügenhaften Untersuchungen, um „Feinde“ auszumachen; all das kann die Grundlage und der Anstoß für spätere ernsthafte wissenschaftliche Untersuchungen werden, jedoch niemals als Quelle von Tatsachen oder gar von Wahrheitsbehauptungen wie in den erwähnten Artikeln! Material, das dann, wie die Akten selbst, von ernsthaften Analysen in Betracht gezogen werden muss; zur Zeit aber ist alles vorbelastet und, wäre es ein Straf-Prozess, müssten die Zeugen wegen „Befangenheit“ abgelehnt werden.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die wirklichen Täter, Folterknechte, deren Namen sogar bekannt sind, „Führungsoffiziere“, soweit noch am Leben, frei herumlaufen, ihre Pen-sionen als „Staatsbeamte“ genießen, während ihre durch Angstmethoden angeheuerten Opfer im „freien Europa“ nun zur Verantwortung gezogen, riskieren, dass ihre Karrieren und ihr Berufsleben, ja, ihr Leben zerstört wird; einige Selbstmorde wurden bekannt. In Ostdeutsch-land genau so wie in Rumänien oder in den ehemaligen Satellitenstaaten bis hin zu Russland, wurden die eigentlich Schuldigen nie bestraft, nur ihre Opfer! Und man könnte nun fast von umgekehrten oder wiedergekehrten Parteifunktionären sprechen bei all diesen Denunziatio-nen, die nicht nur andere Kollegen-Karrieren, sondern auch Leben vernichten.
Wir wissen, dass der Kollege Werner Söllner bei einer Tagung am 8. Dezember in München zum späten Thema „Securitate“, seine Zuträgertätigkeit und Mitarbeit offenbarte, sich dazu entschloss, eher entschließen musste! Und zerknirscht, dann auch Interviews gab und in einem beeindruckenden Auftritt in 3sat bekannte, dass er zwar nach 30 Jahren nicht mehr genau wisse, was er wirklich getan, doch durch einen ungeheuren Angstdruck, dem er nicht lange widerstehen konnte, sondern – er bezichtigte sich selbst – Charakterschwäche gezeigt habe, im Dienste des Geheimdienstes Gedichte und andere Texte von Kollegen, darunter auch Texte von Richard Wagner, Herta Müller, Johann Lippet, Gerhart Ortinau, William Totok u.a., „interpretiert“ und nach „systemfeindlichen Inhalten“ ausgeforscht habe. Er sollte also dem berühmten „Versteckspiel in der Metapher“ auf der Spur sein, was fast ein Hohn für die ru-mäniendeutsche Literatur jener Zeit (1971-75, aber auch für meine Zeit nach 1964-1968) war, eine kleine Literatur, die damit groß geworden war, indem sie ihre Sprache unter solchen Ge-fahren geschärft hatte, und so Werte schaffen konnte, die sie dann bis zum Nobelpreis hinauf katapultierte. (Der Preis ist nicht nur für literarische Werte, die ja in hohem Maße da sind, wenn auch angezweifelt, so von Iris Radisch in der ZEIT, sondern auch für einen „mutigen Widerstand“ gegen die Diktatur und nun stellvertretend für alle Dissidenten in welchem Re-gime auch immer, verliehen wurde).
Das Gegenteil von der nun in den Himmel gehobenen Kollegin Müller ist Werner Söllner, kein schlechterer Autor, aber einer, der ins Inferno der Ächtung verstoßen wurde. Bittere und zerknirschte Bekenntnisse hat er, der sensible Lyriker und gewissenhafte Mensch, den ich als aufrichtigen, ausgewogenen und sehr leidensfähigen Schriftsteller kenne, selbst unter Schock geliefert. Denn seine Akte lag auf dem Tisch oder zumindest in den Köpfen der Teilnehmer, so dass er in Vorausverteidigung sozusagen gezwungen war, diese „mutige“ Tat zu begehen, seine „Jugendsünde“ (er war Student und 20 Jahre alt), seine geheimdienstphilologische Tä-tigkeit unter dem Decknamen „Walter“ zu gestehen. Es war eine gefährliche Offenbarung, deren Folgen ihm sicher klar waren: Entlassung aus seinem Brotjob beim Hessischen Litera-turforum, Ausschluss aus dem PEN, aber vor allem ein negatives Image als Autor und Poet, der seinen Namen in die finsterste Ecke verbannt sehen muss. Seine Fürsprecher, Eva Demski , Gerhard Mahlberg (im HR), Gerhardt Csejka, vor allem aber Michael Markel, der schon bei der Tagung sagte, dass Söllners „Interpretationen“ ihn vor Schlimmem bewahrt, ja, ihn gerettet haben, wurden jedoch sofort von Richard Wagner im Blog der „Achse des Guten“ attackiert und Söllner an den Pranger, ja an die Wand gestellt. (Vor allem auch in der FAZ vom 16.Dezember 2009).
Man darf freilich nicht vergessen, dass der Fall im Securitate-Schriftstellerbereich sympto-matisch ist, dass solche geheimdienstlichen Text- „Deutungen“ auch im Falle der fünf deut-schen Schriftsteller 1958-1959, also in der härtesten Zeit, eine große Rolle gespielt haben. Immer ging es um diese literaturversteckte interlineare „Tat“, die ein verstecktes “feindliches“, ja „regimefeindliches“ Denken offenbarte, bis hin zum angeblich „umstürzlerlischen“ Bewusstsein. Das vom Regime am meisten verfolgte, gefürchtete wilde Tier, war der Wahr-heitsträger Sprache, und damit in erster Reihe Literatur und Witz! (Beim 1959 verurteilten rumäniendeutschen Autor Hans Bergel war es etwa schon das von „Geheimdienstphilologen“ aufgedeckte Gegensatzpaar „Fürst und Lautenschläger“, Dichter contra Diktatur, das ihm zum Verhängnis wurde!)
4
Doch zurück zum unglücklichen Werner Söllner: Auch wenn alles wahr wäre, was gegen ihn vorgebracht wird, darunter „Tatsachen“, diese „Entlarvung“ hätte 1975 geschehen müssen, als sie noch geholfen hätte, das war damals aber unmöglich. So bleibt die Frage offen, wem hilft sie heute, und wozu das alles? Aufarbeitung? Wahrheit? Oder Rache, gekoppelt mit den Vorteilen des hellen Rampenlichts.
Allerdings, auch wenn wir vom wirklich wahrheitsmäßig Authentischen und der Substanz ausgehen, und diese „Aufarbeitung“ als wichtiges historisches Pensum ansehen, bleibt die Frage: Wer kann, wer darf da anklagen, und mit welchem Beweismaterial. Nun ergibt sich auch hier eine unangenehme Tatsache: Jene, die anklagen, haben möglicherweise kein Recht, kein Mandat dazu, denn einige haben selbst, zumindest als Parteimitglieder bis 1989 mit dem Regime kollaboriert. Und die Partei war es doch, die der Securitate die Aufträge gab (Die Securitate (Directia Generala a Securităţii, als Parteiinstrument wurde vom Sekretariat des Zentralkomitees der RAP (PMR ) am 10. Juli 1948 durch das „Dekret“ Nr. 221 gegründet, und ihre Terror- „Aufgaben“ festgelegt, die sich im Wesentlichen bis 1989 nicht verändert haben), die KP war also die höhere Instanz und der Schreibtischtäter, und somit ist der Status des Parteimitgliedes negativ höher zu werten als der eines parteilosen IM, der unter Umstän-den eher als Opfer anzusehen ist. Wenn auch manche meinen, diese „Umkehrung“ sei „mora-lisch“ nicht wahr, muss man darauf bestehen: leider ist es so: die „Drecksarbeit“ hat die Se-curitate im Namen der Partei geleistet, sie war auch deren Henker und nicht irgendeine teufli-sche selbständige Organisation.
Aber dass Söllner, sollte das wirklich stimmen, zur Zerschlagung der Aktionsgruppe SO mit beigetragen hat, wäre es ein nun unvergessliches literaturhistorisches Phänomen in der Ge-schichte der Aktionsgruppe und damit in der rumäniendeutschen Literatur, die via Nobelpreis ja nun auch für die deutsche Literaturgeschichte eine viel größere Bedeutung hat als bisher! Und da ist noch etwas, was mich im „Fall“ Söllner besonders aufbringt: Vergleichbar wie er hat auch der Romancier Eginald Schlattner , aber in einer ganz anderen Zeit, gehandelt, dem Druck nachgegeben, aber unter ganz anderem lebensbedrohendem Druck, und er saß zwei Jahre im Gefängnis, wo er „bearbeitet“ wurde, so dass er als Kronzeuge der Anklage gegen fünf Kollegen auftrat. Oder ein anderer Fall: nach jahrzehntelangem Gefängnis wurde der rumänische Lyriker Ion Caraion, der 7 (11) Jahre gesessen hatte (wegen vier in den Westen geschickter Gedichte), der initiativreichste Autoren- IM, der Secu-Portraits über viele Kolle-gen schrieb. Schlattner hat in seinem Roman „ Rote Handschuhe“ (Wien, 2000), wo er diese Erfahrungen verarbeitet, als Grundargument für seinen Verrat auch Gewissensgründe vor-gebracht, dass er von der Zukunft des Kommunismus damals überzeugt gewesen sei (viele andere Autoren, auch in Ostdeutschland, waren damals 1960 „Überzeugte“, wie wir das nannten! Und ich nehme mich nicht aus!) Doch Söllner im Jahre 1974?! Er war weder im Gefängnis, noch drohte es ihm, als Drohung brachte „Hertza“, sein Führungsoffizier, nur die Exmatrikulierung aus der Uni ins „freundschaftliche“ Gespräch. Und man fragt sich heute: wäre diese Exmatrikulation nicht ein geringerer Preis gewesen als die jahrzehntelange Ge-wissensnot? Und ob dieser Preis damals 1971 auch wirklich zu zahlen gewesen wäre, steht sehr in Frage. Nicht nur Herta Müller verweigerte sich in jenen Jahren, sagt sie, sie habe aber der Verweigerung ihrer Mitarbeit wegen ihren Jobs als Übersetzerin verloren; Hellmut Frau-endorfer, Mitglied der Gruppe, der nach eignem Bekenntnis (Interview mit Helmuth Frauen-dorfer: In den Fängen der rumänischen Securitate, Stern.de, 17.12.2009), zuerst sogar „unter-schrieben“ hatte, dann aber jede Mitarbeit verweigerte und alles sogar „dekonspirierte“, Kol-legen offengelegt hatte, was einer strafwürdigen Tat gleichkam, hatte keine Folgen zu erlei-den! Und mir ging es in den viel härteren Zeiten um1960, als Redakteur der „Neuen Literatur“ in Bukarest, genau so, ich verlor ebenfalls - als ich die Mitarbeit verweigerte - meinen Posten nicht, sondern wurde nur weiter verfolgt und bedroht! Ich hatte seltsamerweise das gleiche Argument, die Mitarbeit zu verweigern, wie Müller: ihr „Charakter“ mache sie zu solchen „Diensten“ ungeeignet. Ich hatte das gleiche Argument – 1960 als mir das drohte, was Schlattner geschah! Ich wurde nicht entlassen! Hatte ich es meinem guten Chef, Emmerich Stoffel, Mitglied des ZK, zu verdanken, oder war ich viel zu harmlos und mit wenigen Mög-lichkeiten, Berichte zu schreiben!? Aber - ich war ja nicht nur in einer Fabrik Übersetzer, sondern immerhin Redakteur der „Neuen Literatur“, einer Enklave im Regime, die besonders scharf beobachtet wurde! (für Lyrik verantwortlich, der ähnliches, auch in jener viel gefährli-cheren Zeit! schon damals betrieb: Versteckspiel in der Metapher! Und es auch von meinen Kollegen, denen ich ihre Gedichte in der Zeitschrift veröffentlichte, verlangte! - Gab es denn keine Wanzen in meinem Redaktionszimmer? Ich war verrückt mutig damals. Dass mir nicht mehr geschah, war ein großes Wunder! Es waren wohl nicht nur die evangelischen Schutzen-gel aus Siebenbürgen, die mir geholfen haben, nachdem ich mich einigen meiner Kollegen offenbart hatte, also voller weiterer Angst auch Strafwürdiges tat, nämlich „dekonspirierte“. Doch weder Müller, Frauendorfer, noch ich sollten uns auf unsere Verweigerung etwas ein-bilden! Es gab viele, die es taten, ich kenne auch einige Fälle aus jener harten Zeit.
Dass Söllner in der „sanften“ Tauwetter-Zeit nachgab, war im Grunde genommen ein Akt, der allem zuwiderlief, was wir alle versuchten! Unser aller Widerstand (mit einigen Ausnah-men, es gibt auch genug TMs und Schwächlinge zuhauf, die nur aus Familiären und Karrie-regründen schon mal in die Partei eintraten, ohne allgemeinen Nutzen, doch auch kaum all-gemeinem, außer vielleicht persönlichem moralischem Schaden; doch gab es nicht nur eine Minderheit unter den Rumäniendeutschen, sondern es gab recht viele, die versuchten, auf ihre Art leise und unbemerkt dem Regime zu trotzen, wie viele gab es doch in allen Bereichen, nicht nur die „Aktionsgruppe Banat“, sogar die Kirche (und da bin ich mit der Haltung von Kollegin Herta Müller, die auch die Evangelische Kirche Siebenbürgens der Securitate-Mitarbeit verdächtigt, ganz und gar nicht einverstanden!), Lehrer, aber auch viele Leute in den Betrieben, Hochschullehrer, Journalisten, Kritiker, Bauern, Angestellte, Beamte, Autoren, Fernsehleute etc.etc. die mit Taktiken der Idiotie des Systems trotzen! Und es gab auch bei Zensur-Miarbeitern„Interpretationen“, die Gedichte und Menschen retteten. Auch Söllner half dem Hochschullehrer Michael Markel durch seine Geheimdienstphilologie. In meinem Fall wurde von einer Kollegin durch „Interpretation“ politischer Gedichte in Interlinearversion, mein Gedichtband „Grenzstreifen“ ermöglicht, und ich vor Securitate-Folgen bewahrt, polti-sche Gedichte wurden von ihr als Natur- oder Liebesgedichte interpretiert! Es war meine Studienkollegin Viorica Niṣcov, die mich und meinen Band retteten, so dass mir nichts ge-schah, sondern der Gedichtband „Grenzstreifen“ mit unglaublich aggressiven Gedichten, 1968, erscheinen konnte! Ihr sei Dank. Wie viele andere Bücher und Menschen sie auf diese Weise gerettet hat, weiß niemand. Auch Parteieintritte, wie bei Wagner, Absprachen, zumin-dest mit der Zensur und der Partei, gar dem ZK, wie im Falle Stoffels oder des Redaktions-kollegen und Romanciers Arnold Hausers, konnten auch als taktisches Manöver, als ein Sich-Einlassen mit dem Teufel eingesetzt werden. Auch bei den Rumänen wurde so gearbeitet, ich denke an den Fall des großen rumänischen Philosophen Constantin Noica, der viele Jahre in den Securitate-Kellern gesessen hatte, und der dann nur mit bis zum Verrat reichenden Komp-romissen, sogar mit Securitate-Mitarbeit, seine „Akademie“, eine Gesprächrunde au der Ho-hen Rinne“ bei Hermannstadt, zu der auch der spätere Außenminister Andrei Pleṣu gehörte, in den Bergen aufrechterhalten konnte! Alles Methoden, die es möglich machten, dass sowohl eine rumänische, als auch eine deutsche Kultur überhaupt weiter bestehen konnte, die dann 1989 neu zum Vorschein kam!
Söllners „Opferakte“ ist einsehbar, er wurde ja auch von der Securitate verfolgt, vor allem nachdem er 1974 seine Mitarbeit als IM „Walter“ dann doch mutig aufkündigte, eine Akte, die er Richard Wagner zur Verfügung stellte, in der irrigen Meinung, sie sei zu seiner Vertei-digung geeignet; die Akte ist die - nicht ganz faire - Grundlage von Wagners nüchterner und vernichtender Attacke, und zeigt, wie sehr Söllner seine „Tätigkeit“ unterschätzt hat. Irgend-wo erscheint da auch jene motivierende Gewissensfrage - wie bei Eginald Schlattner -: dass sogar Söllners Vater, selbst ein Lyriker, das Regime zwar kritisierte, es jedoch für „verbesse-rungsmöglich“ hielt, und es dem Sohn als Zukunftsmodell anpries, wie man es denn mit dem Regime, den Ideen hält. Verbergen sich schon zwischen den Zeilen der Opferakte andere, schlimmere Fakten als die geheimdienstphilologischen? Fakten, die wohl niemals zum Vor-schein kommen werden, da Söllners „Täterakte“ verschwunden ist. Es handelt sich bei Wag-ners „Beweismaterial“ immer nur um „Abschriften“ des Führungsoffiziers, die Wagner zitiert. Wie aber, und das wäre die wichtigste Verteidigungsmöglichkeit Söllners, wenn dieser Hert-za, um seine Offiziers-Aktivität zu schönen und vor seinen Vorgesetzten anzugeben, wie viel er aus seinen TMs herausholen kann, in seinen Berichten die Söllnerinterpretationen verfälscht und in ihrer Aussage gegen die Kollegen überspitzt oder gar einiges dazugedichtet hat? Auch Herta Müller spricht von solchen Verfälschungen in ihren beiden Dossiers (ebenfalls eine Täter- und eine Opferakte! Dazu: Herta Müller, Die Securitate ist noch im Dienst, DIE ZEIT, 23. Juli 2009, Nr. 31.) Söllner hat die „Abschrift“ sozusagen nochmals als authentisch beglaubigt, indem er sie Wagner ohne Kommentar gab.
Nachdem ich nun immer mehr Material zum Fall, auch „Report Final“ gelesen habe, zweifle ich immer mehr an dieser einseitigen Darstellung, die mich verführt hat, den Kollegen Söllner so schwarz zu sehen. Und ist dieses Gedicht Söllners, das besonders zynisch wirkt und wie ein Hohlspiegel des egoistischen Poetenwahns, das Richard Wagner wie einen „Beweis“ zi-tiert, nicht wieder eine Interpretationssache, es in den Securitatezusammenhang zu stellen?
„Wie es war und warum, / wen geht es was an? / Aufrecht oder krumm: / man geht, wie man kann. // Wovor dir graut: / was vergessen ist. / Ist die gerettete Haut auch eine List?“
Aber schon aus Fairness muss dieser Vernichtungsaktion entgegengetreten werden. Nicht Gerhard Mahlberg, nicht Eva Demski, sondern Gerhardt Csejka zitiere ich dazu (Büßen für die Schurken. IM ja, Spitzel nein? Der Tagesspiegel, 12.12.2009.) Csejka ist da völlig unver-dächtig , da er selbst zur „Aktionsgruppe“ gehört hat, deren Texte Söllner im Auftrag der Securitate deuten musste, und dieses ist eigentlich sein einziges „Delikt“: „Ehe keine Kopie der (handschriftlichen?) Originalberichte von Werner Söllner vorliegt, lässt sich nicht darüber urteilen, ob er jemandem zum Schaden oder (wie offenbar im Fall des Klausenburger Germa-nisten Michael Markel) zu dessen Gunsten berichtet hat… Ich weigere mich allerdings zu glauben, dass er ein Spitzel war, also jemanden im Sinne der Securitate-Vorgaben ausgehorcht hat…Diese Sorte IMs ist in den Akten massiv vertreten, ja es lassen sich da noch einmal Abstufungen der Verwerflichkeit beobachten. Bei aller nötigen Deutlichkeit der Unter-scheidung zwischen Tätern, Opfern und Nichttätern wäre es eine unerträgliche Verwischung des tatsächlichen moralischen Reliefs der beteiligten Menschenlandschaft und eine himmel-schreiende Ungerechtigkeit, wenn die übelsten Schurken unerkannt und ungeschoren davon-kommen und einer, der sich mit seiner Schuld spät aber doch dem Urteil der Öffentlichkeit aussetzt, quasi auch für die größten Schweine büßen muss.“
Dazu aber sehr viel schwerwiegender noch: Die anderen IMs , die wirklich Menschenver-nichtendes getan haben, oder etwa Söllners Führungsoffiziere ebenso, genießen einen unver-dienten Ruhestand im Osten oder Westen und würden über all diese Auseinandersetzungen unter „verrückten Schriftstellern“ nur höhnisch lachen.

Gekürzt aus: Dieter Schlesak, „SECURITATE, Augenzeugenberichte, Dokumente und persönliche Erfahrun-gen“ in Vorbereitung als Parallelerscheinung zum Dokumentarroman „Capesius, der Auschwitzapotheker, 2006, 2.Aufl. 2009
Eingestellt von dieter schlesak um 08:06
Labels: Ceausescu, Dieter Schlesak, Herta Müller, Paul Goma, Pitesti, Richard Wagner, Securitate, Werner Söllner"

schully
schrieb am 05.01.2010, 19:29 Uhr
danke, Johann!
servus
bankban
schrieb am 05.01.2010, 20:17 Uhr
Der Artikel von Schlesak ist der Tendenz nach recht gut und informativ. Insbesondere gut gefällt mir, dass er darauf hinweist, dass Dissidenz in den 1970er und 1980er Jahren eine "Luxusdissidenz" gewesen war. Auch wenn der Begriff übetreibt und letztlich die realen Ängste (und im Falle mancher Verhörten: die blutigen physischen und unblutigen psychischen Schmerzen) der damaligen Dissidenten lächerlich macht, muss er doch so gelesen werden, dass Dissidenz in den 70ern mit generell anderen Risiken einherging als in den 50ern. Wie das im Einzelfall war, hängt eben vom Fall, von der Person etc. ab. Freilich, Johann, dieser geringere Grad von Risiko gilt dann für alle, mithin für Gibson und Goma ebenfalls, nicht wahr?
Womit ich, Johann, nicht einverstanden bin, ist die bejahende Übernahme jener Stelle, die die Partei als "höhere Instanz" gegenüber der Securitate bezeichnet. Dies geht von einem chronologisch gleichbleibenden Verhältnis zwischen Parteiapparat und Geheimdienst aus. Fakt ist demgegenüber, dass die Partei in den 70ern noch recht mächtig war und manch führende lokale Parteisekretäre ("alte Kämpfer" zumal) sich durchaus gewisse Freiheiten der Zurechtweisung gegenüber Mitgliedern des Geheimdienstes herausnehmen durften und konnten. Dieses Verhältnis änderte sich dagegen in den 80ern, als die Securitate zunehmend stärker wurde, weil ihr eine noch größere Rolle in der Verbreitung prophylaktischer Furcht zukam. Sie gewann also die Oberhand gegenüber den Parteistellen. Fazit: das Verhältnis Partei vs. Securitate war kein statisches, sondern einer Entwicklung unterworfen, infolge dessen der Geheimdienst immer stärker wurde.
Nicht einverstanden bin ich auch mit der bar jeglicher Differenzierung erfolgten Einordnung aller Parteimitglieder. Wir wissen doch alle, dass die Parteimitgliedschaft in den meisten intellektuellen Berufen einfach die Bedingung war. Da Anfang der 1980er Jahre das Ende des Systems nicht absehbar war, ist es aus meiner Sicht verständlich, wenn jemand, der davon ausging, sein verdammtes Leben in dem System verbringen zu müssen, in die Partei eintrat. Nicht aus Überzeugung, sondern weil er Schwierigkeiten so am besten aus dem Weg gehen konnte. Ja, auf diese Weise sogar auf den Rest noch vorhandenen Schutzes der Partei gegenüber dem Geheimdienst zählen konnte. Die erwähnte Gleichmacherei und Verdammung der Parteimitglieder lässt außerdem außer Acht, dass viele Dissidenten und Oppositionelle ebenfalls Parteimitglieder waren. Wonöglich waren sie beim Eintritt in die Partei in den 60ern, 70ern überzeugt von ihrem Schritt gewesen und änderten erst später ihre Meinung. Ist es aber nicht das Recht eines jeden, Fehler zu machen? Worauf ich hinauswill, ist, dass man schon differenzieren sollte und nicht jeden einfachen Mensch, der Mitglied war, auf diese Stufe stellen sollte, wie einen Geheimdienstmitarbeiter. (Dass er gar noch schlimmer gewesen sein soll, wie Schlesak behauptet, ist, wie oben dargestellt, davon abhängig, von welchem Zeitabschnitt wir sprechen.)
Finally, noch ein letzter Punkt: Schlesak schreibt, und du zitierst es, Johann, vom bewaffneten Widerstand in den Karpaten in den 1960ern. Diesen Widerstand hat es zwar gegeben, doch meines Wissens hörte er spätestens nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes 1956 auf. Dass es ihn noch in den 1960ern gegeben haben soll, ist neu für mich und ich denke auch, dass sich Schlesak diesbezüglich verschrieben hat.
Bankban
getkiss
schrieb am 05.01.2010, 23:06 Uhr
@Bankban:"Dieses Verhältnis änderte sich dagegen in den 80ern, als die Securitate zunehmend stärker wurde, weil ihr eine noch größere Rolle in der Verbreitung prophylaktischer Furcht zukam. Sie gewann also die Oberhand gegenüber den Parteistellen."

Bevor ich zur sogenanten "großen" Komission gerufen wurde, um wegen der Ausreise "geprüft" zu werden, hatte ich - auf mein Wunsch, eine Unterredung mit dem zuständigen Sekretär des Kreisparteikommitees Kronstadt.
Ich erfuhr privat, der sei der entscheidende Mann.
Also ging ich zum Kommitee (1986). Der Portier wollte mich nicht hereinlassen. Ich bestand darauf, der Mann traute sich offensichtlich nicht mich zu stoppen, sagte mir nur die übliche Drohung:"Sie werden schon sehen was der Genosse mit Ihnen macht". Üblicher Secu-Quatsch.
Der Genosse empfing mich höflich, distanziert, hörte mein Anliegen und meine Gründe an und beschied mir ich solle warten.
Bei der Kommission allerdings war er nicht mehr so höflich sondern "combativ".

Ich hatte für die Ausreise keinen Kontakt mit irgend einer Secu-Stelle. Aus meinem persönlichen empfinden heraus kann ich nur sagen: Auch 1986 hatten die Parteioberen im Kreis das sagen. Es war auch offiziell so festgelegt:
"Führende Rolle der Partei".

Selbstverständlich gab es da Rivalitäten und Machtkämpfe. Der "Oberste Genosse" entschied dann.
Sehr interessant sind die im Internet erschienene Erinnerungen von Paul Goma an die Zeit seiner "Eingaben"(1977), die so große Aufmerksamkeit hervorriefen - auch in dieser Hinsicht.

Was ich gerne erfahren würde: Welche Belege hat Bankban für seine These, die Secu wäre in ihrer letzten Zeit über der Partei gestanden? Denn dies einfach so zu behaupten, ist als Meinungsäusserung zulässig, aber nicht belegt.
getkiss
schrieb am 05.01.2010, 23:13 Uhr
@Schully:
Bei mir funktioniert der Link.
@Joachim: Vergiss nicht den Mund zumachen vor lauter staunen, lach.
@Lavinia: Richtig bemerkt. Und da Sie so aufmerksam den Banatblog verfolgen, hätten auch Sie den Link setzen können. Aber der Inhalt passte wohl dann doch nicht.
seberg
schrieb am 05.01.2010, 23:37 Uhr (am 06.01.2010, 09:43 Uhr geändert).
Mich hat vor allem die Stelle beeindruckt, wo Schlesak in Zusammenhang mit dem "Fall" Werner Söllner den Gerhardt Csejka zitiert: „Bei aller nötigen Deutlichkeit der Unterscheidung zwischen Tätern, Opfern und Nichttätern wäre es eine unerträgliche Verwischung des tatsächlichen moralischen Reliefs der beteiligten Menschenlandschaft und eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn die übelsten Schurken unerkannt und ungeschoren davonkommen und einer, der sich mit seiner Schuld spät aber doch dem Urteil der Öffentlichkeit aussetzt, quasi auch für die größten Schweine büßen muss.“

Ich musste dabei an meine eigene vorschnelle Unterscheidung zwischen Täter und Opfer in diesem "Fall" denken (im Thread ‚Herta Müller – Ehrung“, 18.12.09): Söllner schuldig – Frauendorfer unschuldig. Nach diesem Text von Schlesak bin ich vorsichtiger geworden. Es scheint, es gibt immer die noch „übleren Schurken“. Muss man sie sich schließlich und zuletzt als Monster und Bestien in Menschengestalt vorstellen? Und weiß man dann endlich, wer zum Abschuss freizugeben ist, damit die Welt wieder in Ordung ist?
Oder ist die wichtigere Aufarbeitung sogar jene, die bis zur kritischen Selbsbefragung zurückgeht, zum "Mit-sich-selbst-ins-Gericht-gehen"? - Schlesak weiß das natürlich und versucht es zumindest in Ansätzen auch dort, wo er von sich selbst spricht.


An anderer Stelle fragt Schlesak: “Wer kann, wer darf da anklagen, und mit welchem Beweismaterial?“. Und er zählt alles auf, was es bei Menschen aller sozialer Schichten an Kompromissen mit den rumänischen kommunistischen Machthabern gab, von Parteieintritten bis zur Securitatemitarbeit, und er sagt dazu: „Alles Methoden, die es möglich machten, dass sowohl eine rumänische, als auch eine deutsche Kultur überhaupt weiter bestehen konnte, die dann 1989 neu zum Vorschein kam!“

Aber klar, schnelle und selbstgerechte Ankläger werden sich immer finden... Vor allem solche, die nicht dabei und in der Situation waren...
Lavinia
schrieb am 05.01.2010, 23:41 Uhr (am 06.01.2010, 00:35 Uhr geändert).
Wenn Johann einfach nur die Zitate, denen er zustimmt, reinsetzen würde und nicht im gleichen Atemzug, in dem er provoziert, sich einer antizipierten Entgegnung dieser Provokation paliativ erwehren würde, dann dürfte so mancher Kommentar von ihm einfach unbeachtet bleiben… So muss ich aber ran und die Sachen ins rechte Licht rücken…;-)
Aber wirklich ärgern tut er ja nicht, denn sein Lieblingswort, „Hagiographen“ stimmt mich immer wieder versöhnlich, erinnert es mich doch an den Witz meiner Mutter, wenn ich als Kind ihre Brille aufsetzte: “Oh, Annabelle, du bist so intellektüell…“ . Das Wort ist Deine Brille, Johann...;-)

getkiss, die joviale Aufforderung Gibsons richtete sich explizit an Dich. Deshalb ließ ich Dir den Vortritt...Aber wie immer man es auch macht,richtig mach ich es nimmermehr, gell, getkiss?
Aus deinem Beispiel bin ich nicht schlau geworden...wofür stand es denn? für die Macht des Parteibosses? Konntest du ausreisen, nachdem der Parteiboss sich "combativ" verhielt?
Ach ja, getkiss...wo bleibt dein Ruf nach copyright, wenn du dir das Zitieren des integralen Textes von Schlesak so anguckst? Passt dir wohl, stimmt's....?

Aber wenden wir uns Schlesak’s Ausführungen zu.
Ich denke, dass der Begriff „Luxusdissidenz“ sehr griffig und publikumswirksam ist aber im Endeffekt Betroffene verhöhnt und zynisch ist. Führt man den Gedanken weiter, dann ist auch monatelange Isolierung auf engstem Raum eine „Luxusfolter“ im Vergleich zum Fingernägel ausreißen usw. No go. Auch in der Tatsache, dass sich viele Menschen insbesondere zur Ceausescuzeit äußern sehe ich keinen Grund zum Tadeln, sondern Betroffenheit und Interesse. Und wir leben in einer medialen Welt… Goma, der Herta Müller jede Dissidenz abspricht kennt nur einen Maßstab: sich. Sein Leiden. Sein Heldentum. Und Helden kommen nur ganz schlecht zurecht mit der Anziehungskraft der Erde… Mein Eindruck.
Die Securitate hat auch in der Ceausescuzeit, die Dieter Schlesak „ nur noch Angst-und keine Foltersecuri-tate“ nennt, Existenzen vernichtet. Ich finde es bedauerlich, dass die Einschätzung Schlesaks, dass ‚jeder das wußte’, (dass es sich bei den Securitatemaßnahmen um „Prophylaxe“ handelte, um das Entstehen von Widerstand zu verhindern), die Realität der Betroffenen ausklammert. Ihr Leiden negiert.
Aus der „Rückspiegelperspektive“ betrachtet, mag wohl die Realität viel weniger gefährlich gewesen sein. Für die Verfolgten, Abgehörten, Abgefischten, Zermürbten, Verängstigten etc. sieht gelebte Realität anders aus. Deswegen ist auch die Vortäuschung von nahem Tod Folter. (Guantanamo). Es scheint mir, gelinde gesagt, unziemlich, ganz besonders im Fall Herta Müllers in Verbindung mit dem Rummel um ihren Nobelpreis, von ‚taktischem Geschick’ zu sprechen, wenn man selbst gerade ein Buch über die Securitate schreibt und solcher Art Unterstellungen zur eigenen Person weit von sich weisen würde, wie ich annehme. Und zu Recht. Es gilt wahrzunehmen, dass Herta Müller einen anderen Ansatz und Schwerpunkt hatte und hat, als den, die Folter und ihre Knechte aus der Vor-Ceausescuära dokumentarisch aufzubereiten. Sie hat andere Verletzungen erlebt und darüber schreibt sie.
Und ich denke, dass die Täter-Opfer-Differenzierung wahrscheinlich sehr viel einfacher sein dürfte für die 50-er und 60-er Periode als für die Zeit danach. Ich finde die Erklärungen zu Fragen wie… wieso ein solches Unterdrückungssystem, gerade nach einer Gulagzeit, mit solchem „Erfolg“ weitergeführt werden konnte, für sehr wichtig. Die Verstrickungen, das Hineinschlittern, das Erkennen der subtilen Mechanismen der Macht(ausübung) sind wichtig.
Der Forderung Schlesaks, die „Richtigen“ (Führungsoffiziere) zur Rechenschaft zu ziehen würde sich wahrscheinlich ausnahmslos jeder anschließen. Nur die zur Rechenschaft ziehen zu wollen halte ich für falsch, denn das wäre ein Freibrief für verbogenes Verhalten für jeden, vorausgesetzt, er hat keine hohe Position inne. Es würde den Einzelnen der Verantwortung entbinden, an seinem Platz "aufrecht" zu handeln...Ich hoffe, das habe ich einfach nur falsch verstanden. Übrigens, die Verantwortlichen scheinen für ihn beispielsweise nicht im Kirchenvorstand zu suchen zu sein… Meint er. Die heutige Welle von Denunziation, so sagt Schlesak, vernichtet Karrieren und Leben. Er führt das Beispiel Söllner an. Wie viel schneller und radikaler konnten dann diese in der clownsartigen Theaterwelt der Macht’ vernichtet werden…? Den Hohn, den Schlesak in folgender Bemerkung zum Ausdruck bringt, kann ich nicht wirklich nachvollziehen: „Aber dass Söllner, sollte das wirklich stimmen, zur Zerschlagung der Aktionsgruppe SO mit beigetragen hat, wäre es ein nun unvergessliches literaturhistorisches Phänomen in der Ge-schichte der Aktionsgruppe und damit in der rumäniendeutschen Literatur, die via Nobelpreis ja nun auch für die deutsche Literaturgeschichte eine viel größere Bedeutung hat als bisher!“ Dieter Schlesak berücksichtigt, meiner Meinung nach, zu wenig, dass die Situation in der gelebten Zeit ganz anders einschätzen kann als aus der Perspektive, die man im Nachhinein annehmen kann. Und, dass Menschen, bei gleichen Ausgangsbedingungen nicht zur gleichen Einschätzung der Situation kommen und schon gar nicht zum gleichen Verhalten dazu. Dies aber zeigt Herta Müller brilliant auf.

bankban
schrieb am 06.01.2010, 09:39 Uhr
@ getkiss:
Ich glaube kaum, dass es zulässig ist, Ihre Behandlung durch Partei- oder/sowie Securitatestellen in der Angelegenheit Ihrer Aussiedlung zu vergleichen mit der Behandlung von (vermeintlichen oder tatsächlichen) Oppositionellen durch die gleichen Stellen. Wurde jemand in den 1980ern oppositioneller Tätigkeit verdächtigt, bekam die Person es sofort und vor allem mit der Securitate zu tun. Aber nicht oder allenfalls am Rande mit dem Parteivertreter des Betriebes/der Institution, welcher Vertreter natürlich Vorwürfe machen konnte, warum und wieso man undankbar etc. sei.
Zur gewachsenen Bedeutung der Securitate innerhalb der staatlichen Institutionen seit Ende der 1970er Jahre möchte ich aus dem Stegreif auf den Aufsatz des englischen Rumänienspezialisten Dennis Deletant verweisen: "Securitatea si statul politienesc in Romania (1949-1989)", der die Einleitung des Bandes "Banalitatea raului. O istorie a Securitatii in documente 1949-1989", welcher von Marius Oprea im Jassyer Polirom Verlag irgendwann um 2002 herausgegeben wurde.

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