In Gedenken an meinen Vater

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Palukes
schrieb am 14.05.2010, 16:00 Uhr (am 14.05.2010, 23:04 Uhr geändert).
Es ist nun fast 20 Jahre her, als mein Vater starb und alle Erinnerungen an seine alte Heimat Zuckmantel mitnahm. Wir haben nicht viel darüber gesprochen, ich war einfach zu jung und das Erlebte für ihn wohl zu schmerzlich.

Mir wird bewusst, dass mir die Identität fehlt, nun mit fast 60 Jahren. Dies ist auch eine Folge, zwar nicht direkt betroffen, jedoch jahrzehntelang spürbar.

Die Mutter heimatvertrieben aus Pommern, der Vater heimatvertrieben aus Siebenbürgen. Es wurde geschwiegen, verdrängt und fleissig gearbeitet und aufgebaut. Ich verstehe heute warum. Sie waren Fremde in der neuen Heimat. Auf uns Kinder hat es abgefärbt, die Stille, Sehnsucht, Trauer, Zurückgezogenheit und auch Ängstlichkeit.

Palukes war ein Wort von Vater, das einzige Wort was ich aus seiner Heimat kannte. Er hatte Pfannkuchen, auch für uns, daraus gemacht.

Viel habe ich als Kind in Gesprächen mit anderen von ihm gehört. Oft waren wir bei Schullers und Müllers. Dort hat man sich in der Heimatsprache unterhalten. Ich habe nichts verstanden. Ich denke aber, dass man sich sehr verbunden war. Für mich war nichts verständlich und fühlte mich auch nicht dazugehörig. Jedoch bemerkte ich immer einen Schwermut und eine Sehnsucht nach der alten Heimat.

Mein Vater hatte in Zuckmantel einen Hof, Land un Weinberge. Ich weiss, wie man dort ein Schwein schlachtete und dass er Wein lieferte.

Mein Vater lebte mit seiner Mutter und seinem Großvater auf dem Hof, welchen sie zu dritt bewirtschafteten. Sein Großvater verstarb nach einer Lungenentzündung. Seine Mutter war geschieden.

Dort heiratete mein Vater zum ersten Mal und bekam einen Sohn und eine Tochter.

Es passierte dann das, was sein Leben grundlegend veränderte. Der Krieg und die Folgen. Ihn traf keine Schuld. Er diente in der "SS", heute weiss ich, dass das üblich war, es wurde bestimmt und er hatte keine Wahl. Als Kind habe ich vielleicht ein paar wenige Sätze davon gehört. Es wurde nicht darüber gesprochen.

Nach seiner Gefangenschaft konnte Vater nicht mehr zurück in seine Heimat, so sagte er. Heute verstehe ich warum. Es waren die damaligen politischen Umstände.

Frau, Kinder, Mutter und Heimat musste er zurücklassen, was für ihn bestimmt sehr schmerzlich war. Doch niemals hatte er sie vergessen. Irgendwann wurde die Ehe geschieden.

In jungen Jahren hatte ich mit meiner Schreibmaschine sehr viele Anträge auf Familienzusammenführung für ihn gestellt.
Wir waren bereits eine neue Familie. Vater dachte auch an seine "alte" Familie. Ich/wir haben ihn unterstützt.

Viele Pakete hat Vater mit mir zur Post nach Siebenbürgen gebracht. Fracht und Zoll hatte er auch bezahlt. Es kostete viel Geld, selbst hatten wir auch nicht viel. Lebensmittel, Geschenke, sogar Glühbirnen. Es musste damals
grosse Not gewesen sein.

Später kam seine Mutter, sie durfte als "Alte" ausreisen.
Erst bei uns, besorgte Vater ihr eine eigene Wohnung. Hier haben wir sie oft besucht. Wir Kinder haben die Gespräche der Erwachsenen nie verstanden, es war für uns eine fremde Sprache. Oma war eine starke Frau. Sie kam mit dem Zug allein nach Deutschland mit vielen Koffern und Taschen. Sie
brachte Nüsse, Eier, Speck und vieles andere. Vielleicht dachte sie, es gibt in Deutschland nichts zu essen. Stets war Oma traurig. Es war nicht gut, dass sie ihre Heimat verließ. Einsam ist Oma verstorben.

Später durfte seine erste Familie aus Siebenbürgen nach Deutschland ausreisen. Ich habe Halbgeschwister, das ist mir bewusst. Einmal hatte ich meine Halbschwester bei einem Besuch kennengelernt. Aber eigentlich hatten wir keinen Kontakt, ich war zu jung und der Altersunterschied zu hoch. Es war auch fremd, es war anders. Doch Vater kümmerte sich um seine Tochter und ihren Mann. Meine Mutter war auch sehr stark. Sie akzeptierte und tolerierte dies und war stets gastfreundlich. Meinen Halbbruder habe ich nie kennengelernt. Es sind verschiedene Erfahrungen und Leben.
Vater hielt durch Briefe stets Kontakt zu seiner früheren Familie. Er behielt es für sich. Ich glaube, dass er sehr gelitten hat.

Als mein Vater die Rente beantragte, ist es ihm nicht gelungen, die Beschäftigungszeiten als Landwirt in Zuckmantel zu belegen.
Alle Unterlagen waren nicht mehr da und Zeugen fehlten. Die wenigen Zeugen waren schon so krank, dass sie sich nicht mehr an ihn erinnerten. Auch Zeiten beim Militär waren unvollständig. Es gab die Auskunft, dass keine Angaben über ihn vorhanden waren. Das war sehr bitter für meinen Vater. So wurden auch aus seinem Arbeitsleben und der Soldatenzeit einfach Lebenszeit eleminiert, so, als ob er nicht existiert hätte.

Fast 20 Jahre ist Vater tot. Seine persönlichen Briefe hatte er vorher vernichtet. Seine Erinnerungen nahm er mit. Seine Fotos hatte er gelassen, für denjenigen, der sie möchte. Ich habe sie an mich genommen, es war sein Leben.

Ich behalte Vater in guter Erinnerung. Als einen fleissigen, ehrbaren und pflichtbewussten Vater. Er war uns ein guter Vater.

Auf der Suche nach meinen Wurzeln stelle ich immer mehr fest, dass ich eigentlich keine Identität habe. Es wäre besser gewesen, irgendwo fest verwurzelt zu sein. So fühle ich mich zerrissen zwischen den Welten, zwar nicht direkt betroffen, aber in der Familiengeschichte.

Es ist ein grosser Wunsch von mir, einmal die Heimat meines Vaters in Zuckmantel zu besuchen. Den Ort, wo er sich wohlfühlte und nach dem er sich still sehnte. Ich werde dann etwas Erde mitnehme und auf sein Grab legen. Dann ist der Kreis geschlossen.

In Erinnerung und grosser Dankbarkeit an meinen lieben Vater.
Che
schrieb am 14.05.2010, 17:59 Uhr
Und du meinst keine Identität zu besitzen?
Dann lies nochmal die Geschichte die du hier geschrieben hast, das ist wohl ,,Identität´´.

Sehr schön und bewegend erzählt.Wenn das vielleicht ein kleiner Trost ist: Abertausende Siebenbuerger (und deren Nachkommen) der damalige Zeit könnten ähnliche Geschichten erzählen, das gibt den Leuten wohl eine Identität, so wie sie dir eine gibt.

MfG,

Che
seberg
schrieb am 14.05.2010, 18:19 Uhr
Ich stimme Che zu. Die eigene Geschichte zu erzählen, kann ein Stück Identität geben.

Ich habe Ihre Schilderung über den Vater und die Familie gerne gelesen, es hat mich beeindruckt, was Sie über die innere Zerissenheit und die Identitäts-Unsicherheit schreiben, über Angst, Trauer, Schwermut und Sehnsucht. Und darüber, dass Vieles in der Familie unausgesprochen blieb, vielleicht bleiben musste.
Sie haben Ihrem Vater damit einen schönen Gedenkstein gesetzt.
Georg51
schrieb am 14.05.2010, 22:15 Uhr
Sehr geehrter Herr -"Palukes",
vielen Dank für diesen offenen-familären Beitrag.
Sie werden viele unserer älteren Landsleute ansprechen und "selisch" berühren.
- Es ist für die älteren Leut nicht so einfach eine neue Heimat hier zu finden.(alte Bäume lassen sich schwer verpflanzen...)

Zitat von Ihnen;
Den Ort, wo er sich wohlfühlte und nach dem er sich still sehnte. Ich werde dann etwas Erde mitnehme und auf sein Grab legen. Dann ist der Kreis geschlossen.

In Erinnerung und grosser Dankbarkeit an meinen lieben Vater.


- Viele von unseren Eltern verstehen und empfinden in diese Richtung,- viele würden sich wünschen, im alten Heimatsort neben unseren Vorfahren den/ihren Ewigen Frieden zu finden....
>> Die erste Heimat bleibt eben die ORIGINALSTE, wahre Heimat ! <<
gloria
schrieb am 14.05.2010, 22:32 Uhr (am 14.05.2010, 22:34 Uhr geändert).
Palukes,Ihr Vater würde stolz sein auf Sie!Es ist Ihnen gelungen die Situation so vieler siebenbürgischer Familien zu schildern.Familienväter mit zwei Familien,hin- und hergerissen zwischen der ersten und der zweiten Familie.Ich kenne solche Situationen aus meinem Heimatort und kann sehr gut nachempfínden wie Ihnen zu Mute ist.Fahren Sie doch mal nach Siebenbürgen,besuchen Sie Zuckmanteln - ich kenne den Ort,es war einst eine schöne Ortschaft.Ich weiß dass aus Nürnberg verschiedene Gruppen nach Siebenbürgen fahren,vielleicht ist es sinnvoller mit einer Gruppe zu fahren.Frau Annemarie Wagner aus Nürnberg organisiert eine Reise oder über das Reisebüro Michael Schmidt,auch Siebenbürger aus Nürnberg.Wünsche Ihnen viel Glück,Gottes Segen und gutes Gelingen !
Wittl
schrieb am 15.05.2010, 02:43 Uhr
eine wunderschöne Vatertagsgeschichte, hat mich so sehr berührt dass es wehtat, gleichzeitig freut es mich zu lesen in welch innigen Gedanken Erinnerungen an den Vater festgehalten werden.
Fahren Sie ruhig in das Land Ihrer Väter Palukes, es ist jedoch ein anderes als jenes aus Erinnerungen Ihres Vaters, erweisen Sie ihm die Ehre mit "back to the roods" u. einer handvoll Heimaterde, um somit "the circle of life" zu schliessen.

"der Flieder duftet nicht wie früher..."

"meine Augen brauchen Zeit
um sich zu erinnern,
um sich zu vergewissern.
Auf der Suche
nach den Hinterhöfen
meiner Kindheit
besuche ich meine letzten Gassen.
...
Die Kinder auf den Gassen
haben neue Spiele.
Die Mütter auf den Türschwellen
haben andere Zurufe"

(aus "wo ich sterbe ist meine Fremde"
Said "ich habe immer gelebt...von der Patina vergangener Zeiten")

Erholsames WE a tutti
herzlichst
Wittl
Georg Fritsch
schrieb am 15.05.2010, 11:38 Uhr
Hallo Palukas,
mehr als gefühlvollgeschrieben ,wäre sicher auch von der Schreibweise ein" Best-seller".Danke für so viel gefühl!
ich bin selbst ein nachkomme von Siebenbürgern.Vater aus Felldorf ,Mutter aus Rode.
Mein Vater ist leider letztes Jahr im Alter von 76 jahren viel zu bald verstorben.Ich hatte das Glück auf mein Drängen heraus von Ihm noch ein paar geschichten zu erfahren .Unteranderem seine Flucht mit 10 Jahren.
Diese Geschichte (ein Teil daraus)steht im Orte :Felldorf unter Geschichten.Mehr als Hundert Bilder habe ich von seiner Heimat zusammengesammelt."Ahnenvorschung hilft zu verstehen".Auch ich möchte Ihm (Vater) gerne Erde aus seiner Heimat mitnehmen um Ihm Heimat zu geben.
Nun bin ich bemüht ein Kulturelles Erbe zu erhalten die Kirchenburg von Felldorf.Die Leitstelle Kirchenburgen in Hermannstadt hilft mir dabei mehr als grandios!.
Danke nochmal für Ihre tollen Zeilen !
MfG. "klinzich Jirku"
notango
schrieb am 15.05.2010, 12:14 Uhr
Ich kann das alles sehr gut nachvollziehen.
Meinem Vater fehlte hier in Deutschland auch die alte Heimat, die Freunde, sein Status, das eingebunden sein in eine Gesellschaft.
Er sagte: In Rumänien war ich ein Ausländer. Als ich nach Deutschland kam war ich wieder ein Ausländer.
Die Trennung der Familie durch den Krieg gehört auch zu unserer Familiengeschichte.
Ich fahre im Sommer nach Rumänien um ein Stück meiner Identität zu finden.

Liebe Grüße
Hanzi
der Ijel
schrieb am 15.05.2010, 12:45 Uhr (am 15.05.2010, 12:48 Uhr geändert).
Zitat Palukes : Mir wird bewusst, dass mir die Identität fehlt, ---sie fehlt nicht, sie ist vorhanden , wie alle Teilnehmer hier feststellen.

Es war nicht gut, dass sie ihre Heimat verließ. Einsam ist Oma verstorben.

Vieles hat Palukes hier auf den Punkt gebracht.
Er hatte Pfannkuchen, auch für uns, daraus gemacht.

Mutig von ihm sein Einzelschicksal hier aufzuarbeiten ,welches ja wie man sieht, im Grunde kein Einzelschicksal ist.

Es ist Stoff für eine „Familiensaga“
Ein geografisches Dreieck Pommern, Siebenbürgen, Deutschland.
Die reale, nüchterne Beziehung zu den Wurzeln solltest Du Palukes, aus dem Gesamtkontext der geschichtlichen Vorgänge, noch einmal betrachten,
und die sensiblen familiären Gefühlsempfindungen weiter aufarbeiten.
Finde ich rührend, informativ und literarisch zugleich.

Einen Namen welcher siebenbürgischer klingen könnte als Palukes, könntest Du kaum finden
doch darfst Du zu deiner wahren Identität stehen und musst dich gar nicht verstecken.
notango
schrieb am 15.05.2010, 15:35 Uhr
Namen welche siebenbürgerischer klingen als Palekes gibt es kaum.
Aber Balflisch, Zwiwel, Beebrit, Fat, Paradeis, Knewleng gehieren uch schien derzieh.

Hanzi
getkiss
schrieb am 16.05.2010, 10:34 Uhr
Hervorragende, gefühlsvolle Erinnerung!
Ein "Palukes" (auf Sb.-sächsisch Polenta), langsam gekocht, gut abgeschmeckt, nicht zum explodieren geeignet, sondern zum Nachsinnen und libevollem Erinnern an den eigenen Vater und unser Schicksal...
Franz
schrieb am 16.05.2010, 13:06 Uhr
Hallo Palukes! Recht schönen Dank für die berührende Geschichte und vor allem das Du den Mut hattest darüber zu schreiben,es ist eben auch ein Anfang Licht ins Dunkeln zu bringen.Vermutlich warst Du ja noch nie in Rumänien,ich fahre im Juni zusammen mit meiner Frau für 4 Wochen in Urlaub nach Ro. Ich könnte Dir behilflich sein bei Deiner Aufarbeitung,kenne die Rumänische Sprache,und bin mobil in Ro. unterwegs.Habe mich über die Geografische Lage von Zuckmantel erkundigt.
Wo wohnst Du in Deutschland,ich bin in der Nähe von Ulm gelandet Gruss Franz!!

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