11. September 2019

Leserecho: Entlarvende Vorurteile

Zur Kritik von Oberstudienrat i.R. Ernst-Georg Seidner am äußeren Erscheinungsbild mancher Jugendlicher in seinem Leserbrief "Muss das sein?"
Der Leserbrief von Ernst-Georg Seidner hat mich zugleich verärgert und belustigt. Verärgert, weil er Vorurteile offenbart. Belustigt, weil der Verfasser sich selbst entlarvt: Er fordert Respekt, verweigert diesen Respekt aber allen, die sich anders kleiden, als er es gerne hätte. Wenn Jugendliche Trachten tragen, gehören dazu keine Jeans – da sind sich wohl alle Leser dieser Zeitung einig. Doch im Brief geht es ja nicht um Trachtenumzüge, sondern um Schule und Freizeit allgemein. Wer Jeans trägt (fast jeder) oder tätowiert ist (jeder vierte Deutsche), ist für den Verfasser ein „Exemplar“, das irgendwas mit Subkultur, Hippies und Bahnhof Zoo zu tun hat und das man nicht „als voll“ nehmen muss. Diese Einstellung sagt mehr über den Leserbriefschreiber aus als über jene, die er so harsch kritisiert.

Übrigens haben Jugendliche schon immer versucht, ihre eigene Kultur zu finden, um sich von der älteren Generation abzugrenzen. Und die ältere Generation hat sich schon immer über die Jugend und deren Mode beschwert. Ein englisches Magazin klagte 1772: „Wohin sind der männliche Elan und das athletische Aussehen unserer Vorfahren verschwunden? Diese verweiblichten, selbstverliebten, ausgemergelten Narren können niemals direkt von unseren Helden abgestammt sein.“ (Quelle: welt.de) Dennoch ist die Welt bis heute nicht untergegangen – vielmehr kämpft „die Jugend“ zurzeit genau dafür, dass das trotz Klimakrise nicht geschieht. Merke: In tätowierten Köpfen können auch Verantwortung und schlaue Ideen stecken.

Heidrun Rau, Stuttgart

Schlagwörter: Leserecho, Leserbrief, Jugend, Trachten

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