19. September 2017

Kammwanderung in den Fogarascher Bergen

Mit dem diesjährigen Sachsentreffen in Hermannstadt, das vom 4.-6. August unter dem Motto „In der Welt zu Hause, in Siebenbürgen daheim“ stattfand, spannte sich generationsübergreifend die Brücke zwischen den Menschen mit siebenbürgischem Ursprung und Bezug, über Länder und Kontinente hinweg. Als Zeichen der Verbundenheit mit der heimischen Bergwelt wurde eine Kammwanderung in den Fogarascher Bergen angesetzt, die unter demselben Bezug diesen speziellen Akzent setzen wollte.
Die Tatsache, dass sich die Siebenbürger Sachsen aus ihrer weltweiten Verstreuung erneut in ihrer Haupt- und Hermannstadt trafen, geistige Festigung und kulturelle Verankerung sowie feierliche Augenblicke erleben wollten, führt auch zu diesem Teil unserer Identität: der Natur- und Heimatverbundenheit mit der Bergwelt der Karpaten, einem Raum, der Generationen über viele Zeitenwenden hinweg, Zielort der Selbstfindung, Zuflucht und Freiraum gewesen ist. Erlebte Gemeinschaft und verfestigte Freundschaft begleitet seither alle, denen dieses besondere Erleben zuteilwerden konnte.

War zu Beginn der Keim dieser Liebe zur heimischen Bergwelt in der Familie gelegt und entwickelte sich als zartes, aber robustes Pflänzchen in der Schulzeit, wurde es in Jugendjahren zu einer bestimmenden Sehnsucht des Natur- und Gemeinschaftserlebens von Generationen. An diese Tradition anknüpfend, mit dem mutigen Vorsatz, möglichst viele Interessierte anzusprechen, plante bereits mehr als ein Jahr im Voraus Heinz-Walter Hermann diese Wanderung, um Eltern und Großeltern ein Wiedererleben bereits vergangener glücklicher Augenblicke zu ermöglichen und der heranwachsenden Generation eben diese besondere Ausprägung siebenbürgisch-sächsischen Selbstverständnisses näher zu bringen.

Am Morgen des 1. August trafen sich achtzig Teilnehmer am Busparkplatz am „Dicken Turm“ in Hermannstadt, um mit einem großen und zwei kleinen Bussen Richtung Bâlea-See aufzubrechen. Die heterogene Gruppe umfasste Teilnehmer im Alter zwischen acht und sechsundsechzig Jahren, denen mit dem Startpunkt der Wanderung auf einer Höhe nahe des Hauptkamms entgegengekommen wurde. Um halb zehn Uhr wurden wir von den Bussen abgesetzt und von der Bergwacht begrüßt, kurz in die Tagestour eingewiesen und starteten anschließend mit dem Aufstieg zum Paltinu-Sattel. Dieser erste Aufstieg sollte den Teilnehmern helfen, einen eigenen Gehrhythmus zu finden und auf die kommenden Stunden der Kammwanderung einstimmen. Leider mussten bereits hier zwei Teilnehmer aufgeben, da es ihnen nicht gut ging. Die Gruppe wartete im Sattel bis alle aufgeschlossen hatten und setzte die Tour unter Umgehung des Laița-Turms über den Lăițel-Gipfel auf 2390 m zum Călțun-See fort, den wir gegen ein Uhr erreichten. Hier gab es die wohlverdiente Mittagspause mit der Gelegenheit, die Wasservorräte aufzufrischen. Aufgrund von Schäden an Wanderschuhen und bedingt durch kräftezehrende Wanderung gaben hier zwei weitere Gruppenmitglieder auf, um zum Bâlea-See umzukehren.
Die Wandergruppe kurz vor dem Beginn der Tour am ...
Die Wandergruppe kurz vor dem Beginn der Tour am Bâlea See. Foto: Brigitte Bonfert
Gestärkt begann für den Rest der Gruppe der Aufstieg zum Negoiu. Den Călțun-Gipfel linker Hand hinter uns lassend, entschieden sich die meisten Teilnehmer zur Querung der Nord-Ostwand des Negoiu-Gipfels und Überschreitung der Bergerscharte. Vierzehn Teilnehmer folgten dem weiteren Aufstieg über die Strunga Doamnei auf den mit 2535 m zweithöchsten Gipfel der Südkarpaten, den Negoiu, der nach stetigem, kraftvollem Gehen im Schatten einer „gnädigen“ Wolke um halb vier Uhr erreicht wurde. Dem Augenblick des Gipfelerlebens schloss sich ein besonderer Moment an, den „Sherpa“ Ludwig und Andy Roth als Überraschung geplant hatten. Aus Ludwigs auffällig großem Tourenrucksack erschien ein Jugendakkordeon, auf dem Andy wohlbekannte Weisen zum gemeinsamen Mitsingen anstimmte. Als die Wolke aufriss und den überwältigenden Rundumblick, vor allem auf die Nordseite freigab, stimmten wir als Höhepunkt das Siebenbürgenlied an. Die Gruppe unter uns, die gerade ein Schneefeld überquerte, konnte dies mithören und -erleben.

Weit schwieriger als der Gipfel, gestaltete sich die Überquerung der Bergerscharte, auf Rumänisch Strunga Ciobanului. Vor allem der mit Ketten gesicherte Abstieg erwies sich für viele Teilnehmer als besondere Herausforderung, die dank der Hilfe der Brüder Bonfert aus Heltau sowie weiterer beherzter Bergfreunde überwunden werden konnte.

Die Gipfelgruppe wanderte indessen zum Cleopatra-Sattel, um von da an der Cleopatra-Nadel vorbei ebenfalls ins Scara-Tal abzusteigen. Zu ihrer Überraschung begegneten sie den jüngsten Teilnehmern am Zusammenschluss der Wege über die Bergerscharte und den Negoiu-Gipfel, die stets an der Gruppenspitze zu gehen pflegten, was so viel bedeutete, als dass die übrigen Gruppenteilnehmer noch am Übergang der Bergerscharte waren.

Der weitere Abstieg zog sich für viele Teilnehmer über den Nachmittag bis in den Abend hin. Obwohl die Waldgrenze und mit ihr die Hütte in greifbarer Nähe schienen, sind es dennoch knapp tausend Höhenmeter, die im ersten Teil über Schiefergeröll mühsam abwärts zurückgelegt werden müssen. Heinz-Walter Hermann bildete als Letzter den Abschluss und begleitete die Nachzügler auf ihrem Abstieg zur Negoiu-Hütte auf 1546 m. Vor allem dieser letzte Teil des ersten Wandertages war es, der kräftezehrend auf viele Teilnehmer unserer Wandergruppe wirkte und die meisten bewog, sich für einen Abstieg am darauffolgenden Tag zu entscheiden. Nach dem Abendessen und dem Bezug des Nachtlagers in der Hütte wurde mit allen Teilnehmern eine Besprechung abgehalten, bei der entschieden wurde, mit dem Großteil der Gruppe am nächsten Morgen ins Frecker Tal abzusteigen. Der Abend klang für alle versöhnlich am Lagerfeuer aus, an dem Gesang und Gespräche die Teilnehmer zusammenbrachten. Bezüglich der Negoiu-Hütte kann man sagen, dass man über deren Unzulänglichkeiten nicht hinwegsehen kann, was die Ausstattung und insbesondere die sanitären Anlagen (die meisten geschlossen) und die „Freundlichkeit“ des Hüttenwarts betrifft, jedoch die Schönheit der Natur kompensiert einiges. Sechzehn Wanderfreunde blieben noch einen weiteren Tag auf der Hütte, unternahmen einen Ausflug zu den Șerbota-Wasserfällen und wanderten am dritten Tag ins Porumbacu-Tal ab, wo der Bus auf sie wartete, um sie wohlbehalten nach Hermannstadt zu bringen.

Nach einer erholsamen Nacht und einem ausgiebigen Frühstück starteten wir am 2. August ab halb zehn Uhr in den zweiten Wandertag. Wir querten während des Vormittags das Porumbacu-Tal und seine Zuläufe, um danach den Bârcaciu-Grat zu überqueren und mittags an der Bârcaciu-Hütte auf 1550 m (etwa auf gleicher Höhe wie unser Startpunkt) anzukommen. Auf dieser kleinen, in den letzten Jahrzehnten kaum äußerlich veränderten Hütte wurden wir vom Hüttenwirtpaar herzlich aufgenommen. Klein, bescheiden, jedoch sauber und fein, kann man über diese bewirtete Schutzhütte zusammenfassend feststellen. Es gab für jeden Besucher ein Mittagessen. Nachdem die Gemüsesuppe ausging, bemühte sich die Hüttenwirtin, zumindest einen Maisbrei, den traditionellen Palukes, anzubieten. Erfrischungsgetränke, auf Wunsch auch Bier, jedoch vor allem selbstgemachte Kräuterlimonade wurden aus dem Hüttenkeller hervorgezaubert und stärkten alle müden Wanderer für das bevorstehende Wegstück. Nachdem alle eingetroffen und versorgt waren, stiegen wir zunächst über eine Rodung, danach im schattigen Wald ab, spürten jedoch mit fast jedem abwärts gehenden Höhenmeter die aufsteigende Hitze. Es wurde klar, dass die Entscheidung für die vorzeitige Rückkehr nach Hermannstadt die für alle vernünftigere Alternative gewesen war.

Unter diesen Eindrücken, welche die Teilnehmer in entspannten Gesprächen untereinander austauschten, stiegen wir in kleinen Gruppen über den Picorul Bârcaciului die 800 Höhenmeter bis zur Hütte „Poiana Neamțului“ ab. Dort angekommen versammelten sich die nach und nach eintreffenden Wanderer auf der schattigen Terrasse, wo wir uns mit Erfrischungsgetränken und Kaffee versorgten. Mit dem um 17 Uhr pünktlich ankommenden Bus trafen auch die letzten Teilnehmer unserer Wandergruppe ein.
Nach der Bergtour: Die Wandergruppe bei der ...
Nach der Bergtour: Die Wandergruppe bei der Ankunft am 2. August am Busparkplatz beim "Dicken Turm" in Hermannstadt. Foto: Brigitte Bonfert
Die Rückreise durch das Frecker Tal ging erst über eine Schotterstraße durch den Wald, weswegen die Lüftung im Bus abgeschaltet bleiben musste. Die Temperaturen weit über dreißig Grad ließen dessen Fahrgäste erheblich schwitzen, trotz geschlossener Fenster drang Staub ins Innere des Busses. Da in der Zwischenzeit viele Ferienhäuser dem Tal folgend entstanden sind, konnten wir ab einer orthodoxen Klause auf der Höhe der „Gura Jimbrii“ über die geteerte Straße nach Freck gelangen. Am späten Nachmittag trafen wir mit schönen Erinnerungen im Gepäck wieder am Busparkplatz am „Dicken Turm“ ein.

Abschließend stellte Heinz froh und erleichtert fest, dass wir eine herausfordernde Bergtour in beachtlicher Gruppenstärke ohne ernsthafte Zwischenfälle erlebt hatten. Dafür danken wir ihm, als dem Organisator des Ausflugs und der helfenden, geduldigen, guten Seele der Gruppe. In den darauffolgenden Tagen haben sich die meisten neuen Bergfreunde während des Sachsentreffens in Hermannstadt wiedergesehen und neben den unvergesslichen Eindrücken, die für alle bleibend sein werden, ergaben sich auch engere Kontakte, vor allem unter den jugendlichen Teilnehmern. Letzteren die Bergwelt und die Atmosphäre einer gemeinsam bewältigten Tour ermöglicht zu haben, gehört zu den besonderen Freuden ihrer Eltern, zu denen auch der Verfasser zählt, und nährt unsere Hoffnung, ihnen mindestens ein Körnchen der Freude und Lust an der Bergwelt im Allgemeinen und der siebenbürgischen im Besonderen vermittelt zu haben. Insgesamt haben die Tage in Siebenbürgen, die für die achtzig Teilnehmer mit dem Ausflug in die Fogarascher Berge begannen, sich über das Sachsentreffen fortsetzten und danach in die Herkunftsorte und Regionen führten, Beziehungen geschaffen und gestärkt, Eindrücke vertieft und zu einem besonderen Genuss des Wiederfindens geführt. Unzählige Begegnungen, gemeinschaftliche und besinnliche Gottesdienste, wunderbare Ausstellungen und Aufführungen rundeten die im bewegenden Singspiel „Beim Brännchen“ in der Sommerresidenz Samuels von Brukenthal in Freck gipfelnden Erlebnisse neuer Gemeinschaft ab. Den vielen sichtbaren und oft unsichtbaren, dienstbaren Geistern, die mit Hand, Herz und Verstand zum Gelingen des Heimfindens so vieler Landsleute beigetragen haben, gebührt daher großes Lob und unser aller Dank.

Helge Krempels

Schlagwörter: Wanderung, Fogarascher Berge, Bericht, Sachsentreffen

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