3. August 2017

Interview mit dem Aussiedlerbeauftragten Hartmut Koschyk: "Ein von Weitblick und Empathie getragener Einsatz"

Hartmut Koschyk, MdB, beendet in Kürze sein Amt als Bundesbeauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, das er seit Januar 2014 innehat. Sein Werdegang qualifizierte ihn bestens für dieses Amt. Geboren am 16. April 1959 in Forchheim/Oberfranken als Sohn oberschlesischer Eltern, wirkt er von 1987 bis 1991 als Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen und ist CSU-Bundestagsabgeordneter seit 1990. Im Bundestag war er Vorsitzender der Gruppe Vertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten (1990-2002), innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Parlamentarischer Geschäftsführers der CSU-Landesgruppe. Als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium wirkte er von 2009 bis 2013, bevor er als Aussiedlerbeauftragter ins Bundesinnenministerium wechselte. Viele seiner Initiativen hat er in exzellenter Zusammenarbeit mit Dr. Bernd Fabritius, MdB, Präsident des Bundes der Vertriebenen und Verbandspräsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, erarbeitet und durchgesetzt. „Mit Hartmut Koschyk beendet ein den Anliegen deutscher Heimatvertriebener, Aussiedler und Spätaussiedler auf das engste verbundene Politiker seine aktive Tätigkeit. Für seinen stets von Weitblick und Empathie getragenen Einsatz werden wir ihm immer dankbar sein“, erklärte Fabritius gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung. Das folgende Interview mit dem Aussiedlerbeauftragten führte Siegbert Bruss.
Herr Koschyk, Sie kandidieren nicht mehr für den nächsten Bundestag und scheiden damit als Aussiedlerbeauftragter. Wie fällt Ihre Bilanz nach knapp vierjähriger Amtszeit aus?
Wir sprechen in Deutschland zu Recht vom Kontinuum eines Amtes, dieses gilt auch für den Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Ich konnte bei Amtsantritt auf der – mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen durchgeführten – erfolgreichen Arbeit meiner vier Vorgänger im Amt aufbauen und sicher wird meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger wohl an meiner Arbeit anknüpfen, sicher aber auch selbst eigene, neue Akzente setzen.
Betreffend die Frage einer Bilanzierung ist es mir wichtig zu betonen, dass ein Aussiedler- und Minderheitenbeauftragter alleine nur sehr wenig erreichen kann, die Erfolge entstehen stets im Zusammenwirken mit den Menschen, für die er zuständig ist, mit deren Organisationen, mit den Regierungen und Verwaltungen der Partnerländer, mit den Kolleginnen und Kollegen in Parlament und Regierung, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den verschiedenen Bundesministerien. Diese Auflistung ließe sich noch fortführen. Als Produkt dieses gemeinsamen Wirkens glaube ich aber feststellen zu können: Wir haben sehr gute Arbeit geleistet: für die Aussiedlerinnen und Aussiedler, für die nationalen Minderheiten in Deutschland und die deutschen Minderheiten im östlichen Europa und in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion.
Der Aussiedlerbeauftragte Hartmut Koschyk, MdB. ...
Der Aussiedlerbeauftragte Hartmut Koschyk, MdB. Foto: Henning Schacht
Ehemalige deutsche Zwangsarbeiter werden seit 2016 einmalig mit 2 500 Euro entschädigt. „Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir für die Anerkennungsrichtlinie gekämpft haben und diese beschlossen wurde“, sagten Sie kürzlich im Beirat für Spätaussiedlerfragen im BMI. Weshalb ist diese Entschädigungsleistung so wichtig, auch wenn sie für den Einzelnen nicht sehr hoch ausfällt?
Eine Anerkennungsleistung auch für deutsche zivile Opfer von Zwangsarbeit war schlichtweg moralisch geboten und überfällig. Der Deutsche Bundestag hat in den vergangenen Jahren Entschädigungen für mehrere Gruppen von Opfern des Nationalsozialismus und des Kommunismus beschlossen, somit ist die Gewährung der Anerkennungsleistung nur konsequent. CDU und CSU hatten sich über Jahre hinweg für die Anerkennungsleistung für deutsche zivile Opfer von Zwangsarbeit eingesetzt.
Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass es ­vielen Betroffenen nicht auf die Höhe der Entschädigungsleistung von 2 500 Euro ankommt, sondern vielmehr darum geht, dass die Bundesregierung das persönliche Schicksal nach so langer Zeit würdigt. Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir hierfür erfolgreich gekämpft haben. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich im September letzten Jahres der 92-jährigen Frau Elisabeth Till, die im siebenbürgischen Mühlbach (Sebeș) geboren wurde, im Banat aufwuchs und als junge Frau in der Sowjetukraine mehrere Jahre härteste Zwangsarbeit leisten musste, den ersten Bescheid über eine Anerkennungsleistung aushändigen durfte. Ich werde die Worte, die Frau Till mir zum Abschied sagte, nie vergessen: „Nach so langer Zeit wird unser Schicksal gewürdigt!“
Es gibt aber auch nicht wenige Betroffene, für die der Betrag von 2 500 Euro eine wirklich spürbare Summe darstellt. Ich freue mich, wenn sich diese Menschen jetzt etwas leisten können, was ihnen bislang nicht möglich war. Deshalb war es für uns als Befürworter der Anerkennungsleistung sehr wichtig, dass diese nicht auf andere staatlichen Leistungen, wie etwa Sozialhilfe oder Grundsicherung, angerechnet wird, sondern in voller Höhe bei den Betroffenen verbleibt.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit anerkennend darauf hinweisen, dass auch Rumänien mit einer für Staaten der Europäischen Union einzigartigen Geste den von Deportation und kommunistischer Verfolgung betroffenen Rumäniendeutschen unabhängig von ihrer heutigen Staatsangehörigkeit und ihres heutigen Wohnsitzes eine Entschädigung in Form einer Rente gewährt.

In deutschen Medien wird das Gelingen der Integration der russlanddeutschen Aussiedler oft kritisch hinterfragt. Ist diese 2,5 Millionen starke Gruppe tatsächlich so anfällig für die Wahlversprechen der AfD und die Propaganda russischer Medien?
In letzter Zeit müssen sich die russlanddeutschen Aussiedler tatsächlich zunehmend gegen die Behauptung erwehren, sie seien schlecht in die deutsche Gesellschaft integriert und besonders anfällig für rechtspopulistische Parolen. Wissenschaftliche Untersuchungen sprechen eine andere Sprache: Nach einer Studie der Boris Nemzow Stiftung auf der Grundlage einer im Sommer 2016 durchgeführten Umfrage unter russischsprachigen Einwohnern Deutschlands, die zum überwiegenden Teil russlanddeutsche Spätaussiedler und deren Angehörige waren, fühlen sich von ihnen vier Fünftel in Deutschland gut integriert. 84 Prozent sprechen sich für die Demokratie als Staatsform aus. Auch die immer wieder verbreitete Behauptung, Russlanddeutsche nutzten vorwiegend russischsprachige Medien, ist durch diese Studie widerlegt: Tatsächlich werden in allen abgefragten Medienarten überwiegend Angebote in deutscher Sprache genutzt.
Auch die pauschale Behauptung einer vermeintlichen besonderen Nähe der Deutschen aus Russland zu rechtspopulistischen Positionen möchte ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Vielmehr wirkt die außerordentlich starke christliche Bindung unter den Deutschen aus Russland einer politischen Radikalisierung entgegen. Gerade aus ihrer christlichen Haltung heraus sind auch viele Aussiedlerinnen und Aussiedler in der Flüchtlingshilfe aktiv.

Als Festredner beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl haben Sie 2014 gesagt, Deutschland sei stolz auf seine Siebenbürger Sachsen und die Bundesregierung bemühe sich, ihr „großartiges kulturelle Erbe“ zu erhalten. Welches sind nach Ihrer Einschätzung die effektivsten Maßnahmen, um dieses Kulturerbe sowohl in Deutschland als auch in Rumänien möglichst weit in die Zukunft zu tragen?
Die Bundesregierung ist sich der großen Bedeutung des siebenbürgischen Kulturerbes sehr wohl bewusst. Deshalb hat die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Frau Staatsministerin Professor Monika Grütters, Anfang 2016 dem Bundeskabinett eine Weiterentwicklung der Konzeption zur Erforschung, Bewahrung, Präsentation und Vermittlung der Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) vorgelegt, die die Schaffung einer neuen Kulturreferentenstelle explizit für die Siebenbürger Sachsen vorsieht. Dieses betrifft nicht nur die siebenbürgischen Aussiedler in Deutschland, sondern auch die Siebenbürger Sachsen, die heute noch in ihrer angestammten Heimat leben. Im Juni 2017 hat die Kulturstaatsministerin Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Minderheiten und die Kulturreferentinnen und -referenten ins Bundeskanzleramt eingeladen, um sich über die konkreten Möglichkeiten einer verstärkten Zusammenarbeit auszutauschen. Flagge für die Siebenbürger Sachsen zeigt der Bund auch durch die Förderung des Umbaus von Schloss Horneck zu einer Museums- und Begegnungsstätte, wofür im Bundeshaushalt 2017 1,9 Millionen Euro bereitgestellt wurden.
Nichts steht mehr für das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe mehr als die großartigen, aber leider vom Verfall bedrohten Kirchenburgen, von denen sieben völlig zu Recht in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen worden sind. Hier leistet die Stiftung Kirchenburgen wertvolle Hilfe, die unter der Schirmherrschaft des rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis und des deutschen Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier steht.

Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis hat Ihnen bei seinem Arbeitsbesuch am 20. Juni in Berlin für die „ausgezeichnete Arbeit“ als Vorsitzender der Deutsch-rumänischen Regierungskommission gedankt. Die bilaterale Zusammenarbeit im Bereich der Minderheitenpolitik sei vorbildlich für ganz Europa. Welche Prioritäten hat die Bundesregierung in letzter Zeit bei der Förderung der deutschen Minderheit in Rumänien gesetzt? Und was sollte über Ihr Mandat hinaus beachtet werden, um dieser Arbeit Nachhaltigkeit zu verleihen?
Dem Besuch Präsident Johannis war im April dieses Jahres die 20. Sitzung der deutsch-rumänischen Regierungskommission für Angelegenheiten der deutschen Minderheit in Rumänien vorangegangen, die im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich des 50. Jahrestages der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen sowie des 25. Jahrestages der Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa stattfand. Gemeinsam mit der rumänischen Regierung, dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien sowie den drei rumäniendeutschen Landsmannschaften haben wir die Ziele einer noch besseren Unterstützung für das deutschsprachige Schulwesen in Rumänien, das schon jetzt Vorbildcharakter für andere deutsche Minderheiten besitzt, sowie einer Verstärkung der Jugendarbeit innerhalb der deutschen Minderheit bekräftigt. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Stärkung der Sozialvorsorge für die Angehörigen der deutschen Minderheit durch den rumänischen Staat, vor allem für die ältere Generation.

In ihrem Wahlprogramm 2017 setzen sich die CDU und CSU für höhere Renten für Spätaussiedler ein, die infolge der Rentenkürzungen von 1996 durch Altersarmut bedroht sind. Welche Chancen hat diese Forderung der Union – abhängig auch vom Ausgang der Bundestagswahl vom 24. September 2017 –, in der nächsten Legislaturperiode als Gesetz verabschiedet zu werden?
Zum ersten Mal nach dem Beschluss über die Kürzung der Fremdrenten findet sich die Forderung nach einer Korrektur dieser Entscheidung im Wahlprogramm zweier im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Das zeigt, dass die Diskussion in Bewegung gekommen ist. Die Kürzung war seinerzeit u.a. damit begründet worden, dass die ehemaligen Bürger der DDR zunächst ebenfalls eine vergleichsweise geringe Rente bezogen haben. Nachdem nunmehr der Fahrplan für die Angleichung der „Ost-Renten“ auf 100 Prozent des West-Niveaus steht, sollte sich niemand der ernsthaften Diskussion über die Altersversorgung von Spätaussiedlern verweigern.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wie kann das Amt des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung gestärkt werden? Wäre die Zusammenführung aller Anliegen der Aussiedler, auch der Kulturförderung, beim Aussiedlerbeauftragen eine Option?
Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ist bereits jetzt für alle Belange der Aussiedler und Spätaussiedler, der nationalen Minderheiten in Deutschland sowie der deutschen Minderheiten im östlichen Europa, selbstverständlich einschließlich der Kulturförderung, zuständig. Ich habe mich in den vergangenen Jahren hier auch stark engagiert, u.a. mit dem Ergebnis, dass in der – bereits genannten – Förderkonzeption der Bundesregierung nach § 96 BVFG die Aussiedlerkulturarbeit eindeutig gestärkt wurde und die deutschen Minderheiten im östlichen Europa nunmehr ausdrücklich als „Träger deutscher Kultur“ anerkannt und einbezogen sind.
Der große Mehrwert eines Regierungsbeauftragten liegt ja gerade darin, dass er nicht einem einzelnen Ressort zugeordnet ist, sondern vor dem Hintergrund der Zuständigkeit mehrerer Ministerien als zentraler Ansprechpartner für die Belange der Aussiedler und nationalen Minderheiten fungiert und innerhalb der Bundesregierung das politische Handeln koordiniert. Zudem hat das Thema der nationalen Minderheiten in den letzten Jahren weltweit an Bedeutung gewonnen, auch deshalb sollte nach meiner Überzeugung das Amt eines Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten künftig beibehalten werden. Es könnte jedoch durch Kompetenzzuwachs gestärkt werden. So sollte darüber nachgedacht werden, das Amt um die Zuständigkeit für die deutschen Heimatvertriebenen und die deutschen Gemeinschaften in Übersee zu erweitern, da diese beiden wichtigen Gruppen bislang über keinen zentralen Ansprechpartner in der Bundesregierung verfügen. Auch über die Verortung des Amtes innerhalb der Bundesregierung kann man sicherlich nachdenken.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Schlagwörter: Politik, Aussiedlerbeauftragter, Aussiedler, Minderheiten, Koschyk

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