20. Mai 2015

Deutsch-Weißkirch – „Lebendes Museum im UNESCO-Welterbe“

Längst ist die schneeweiße Kirchenburg, die dem kleinen Dorf im Landkreis Kronstadt seinen Namen gab, nicht mehr die einzige Touristenattraktion in Deutsch-Weißkirch. Als international bekanntes Modell für eine gelungene Vereinigung von Traditionen, Kulturerbe, sozialen Projekten und einem umweltfreundlichen Tourismuskonzept lockt die seit dem Exodus der Sachsen wiederbelebte Dorfgemeinschaft vor allem jene an, die sich von der Idee eines Daseins im Einklang mit der Natur angezogen fühlen. Hierzu zählt vor allem der britische Thronfolger Prinz Charles, der sich als Schirmherr des Mihai Eminescu Trusts (MET) seit Jahren für die Bewahrung der dörflichen Authentizität einsetzt. Als „lebendes Museum im UNESCO-Welterbe“ bezeichnete auch der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk das sächsische Vorzeigedorf. Doch für Caroline Fernolend, Vizepräsidentin des MET und Gemeinderätin, ist es vor allem eins: Heimat.
Freilich hat auch sie zur Zeit des Kommunismus mit der Aussiedlung nach Deutschland geliebäugelt. Doch als 1989 die Wende kam, sagte sich die junge Frau: „Nun sind wir frei. Nun können wir unsere Pläne und Ideen auch hier umsetzen!“ Nach dem Wirtschaftsstudium in Kronstadt 1983 in den Schoß des Dorfes zurückgekehrt, wo sie zuerst als Buchhalterin der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft und später als Grundschullehrerin arbeitete, ist ihr vor allem der Auszug der Sachsen in schmerzlicher Erinnerung geblieben: „Im Januar 1990 waren wir noch 300, im Dezember nur noch 68“. „Wer soll nun erhalten, was Generationen vor uns mühevoll aufgebaut haben?“, fragte sie sich und begann, Objekte zu sammeln, die Auswandernde verkauften oder zurückließen. Sollte sie ein Museum einrichten? Noch hatten ihre Pläne keine konkrete Form.

Der Mentor aus Übersee

Diese zeichnete sich erst mit dem Besuch von Professor Glenn Ernst Lich aus Texas ab, der 1991 zu Studienzwecken nach Deutsch-Weißkirch kam und dort Carolines Mutter, Sara Dootz, kennenlernte, die inzwischen zusammen mit Ehemann Gerhard die Aufgabe als Burghüter übernommen hatte. Sie war es, die ihm von den Plänen ihrer Tochter, ein Museum zu gründen, erzählte. Am dringendsten drückte Caroline damals die Frage, wohin mit den gesammelten Dingen. „Geh zum Bischof“, riet ihr der Amerikaner. „Ich – zum Bischof?“ echote die junge Frau. Doch nach dem ersten Schock fasste sie sich ein Herz und erhielt die Erlaubnis, im dörflichen Pfarrhaus eine Ausstellung einzurichten. Fortan trafen sich die ambitionierte Sächsin und ihr Mentor drei Monate lang fast täglich. „Ihr müsst ein Dorffest ins Leben rufen, wenn ihr Aufmerksamkeit wollt“, empfahl er ihr als nächstes. Das erste Kronenfest seit dem Fortgang der Sachsen erwies sich als großartiger Erfolg. Die Gäste strömten aus ganz Siebenbürgen und sogar aus Bukarest herbei: deutsches Fernsehen, Journalisten, Botschaftsvertreter ...
Natur- und Dorftourismus in Deutsch-Weißkirch ...
Natur- und Dorftourismus in Deutsch-Weißkirch
Wider Erwarten gelang es ihr auch, die Dorfgemeinschaft neu zu motivieren: 60 Freiwillige – diesmal Rumänen und Roma – kamen, um das Schuldach zu reparieren. „Wir Sachsen haben ja auch nicht gewartet, bis der Staat etwas für uns tut“, hatte sie ihnen erklärt. „Schreib einen Businessplan“, forderte der Professor sie dann eines Tages heraus. Telefonzentrale, Möbel für die Schule, ein Fußballplatz ... Ideen, die heute längst verwirklicht sind, gewannen so erste Konturen. Seit 1992 ist Caroline Ferno­lend Mitglied im Gemeinderat von Bodendorf, zu dem Deutsch-Weißkirch gehört. Auch diesen Schritt verdankt sie ihrem Mentor. „Wenn du etwas bewirken willst, musst du in die Politik gehen“, hatte er immer wieder insistiert.

Ein Prinz als Retter

Mut, Glück und eine gute Portion an Sturheit gehören seither zum Erfolgsrezept von Caroline Fernolend. Das Glück kam in Person von Jessica Douglas-Home, Präsidentin des MET, der sich seit 1987 für den Erhalt authentischer Dörfer in Rumänien einsetzte. Von Carolines Aktivitäten begeistert, versprach sie, Prinz Charles nach Deutsch-Weißkirch zu bringen. „Wir hatten acht Minuten, um ihn von unseren Ideen zu überzeugen“, erinnert sich Caroline Fernolend. Zwei Jahre später begegnete sie ihm anlässlich der Schirmherrschaftsübernahme in London wieder. „Warum bist du nicht wie damals in der schönen Tracht gekommen?“, neckte sie der Thronfolger. Seit 2005 ist Caroline nun selbst Vizepräsidentin des MET. Über 1200 Projekte in 80 Dörfern und fünf Städten wurden zwischen 2000 und 2014 unter ihrer Regie durchgeführt. Das Repertoire reicht von Fassadenrestaurationen über soziale und Umweltprojekte. Ein Schwerpunkt liegt auf der Wiederbelebung traditioneller Handwerksberufe, die arbeitslosen Familien eine finanzielle Basis geben soll.

„Damit wollten wir nicht nur soziale Probleme lösen, sondern auch das Bewusstsein für Kulturerbe schulen“, erklärt die Gemeinderätin. In den ersten Jahren werden die vom MET ausgebildeten Handwerker noch mit Aufträgen unterstützt, doch das Projekt sieht vor, dass sie irgendwann unabhängig werden. In Deutsch-Weißkirch ist dies bereits gelungen: Lokale Einwohner, aber auch Fremde, gehören zum festen Kundenkreis.

Wiedergeburt mit Modellcharakter

Caroline Fernolend freut sich, dass es ihr gelungen ist, ihren Heimatort neu zu beleben. „Gemeinsam haben wir hier eine Gemeinschaft geschaffen – anders als früher, aber auch schön“, lächelt sie zufrieden. „Von Oktober bis April empfangen wir keine Touristen“, fährt sie fort, „denn diese Zeit gehört nur der Dorfgemeinschaft“. Dann bleiben die Gästehäuser geschlossen und die Menschen treffen sich zum Feiern, Plaudern und Pläneschmieden.
Eine authentische Dorfidylle. Fotos: George ...
Eine authentische Dorfidylle. Fotos: George Dumitriu
Längst ist es nicht mehr nötig, für Tourismus in Deutsch-Weißkirch zu werben. „Mit 100 Betten haben wir ein Limit erreicht, mehr wäre gar nicht gut, um nicht an Authentizität zu verlieren.“ So versucht sie, das Interesse auf weitere fünf Dörfer – Deutsch-Kreuz, Malmkrog, Almen, Reichesdorf und Arkeden – umzulenken. Für Almen konnte sie norwegische Fonds zur Restaurierung der dortigen Kirchenburg an Land ziehen. Vorzeigecharakter hat Deutsch-Weißkirch aber auch als erstes Dorf Rumäniens mit Naturkläranlage für über 1000 Personen. „Ich habe das damals in Belgien gesehen und 15 Jahre dafür gekämpft“, erklärt Caroline Fernolend. Der Klärprozess erfolgt auf Basis von Bakterien oder Schilf. Die Abwässer werden in drei Lagunenbecken außerhalb des Dorfes gesammelt. Die zwischen 2008 und 2011 gelegte Kanalisation hatte der MET für das Dorf finanziert. Der Betrieb der 2011 errichteten Naturkläranlage kostet übrigens keinen Pfennig. Bedauerlich ist nur, dass die geplante Übertragung des Modells auf weitere zehn Dörfer, fest mit Rovana Plumb vereinbart, durch den Wechsel der Ministeriumsleitung im Sande verlief. „Als hätten wir den Vertrag nur mit der Person abgeschlossen“, bemerkt Caroline trocken. Die Kraft für ihr Lebenswerk verdankt sie ihrer Ehrfurcht vor dem Kulturerbe der Ahnen. „Meine Großmutter, Sara, hat diesen Samen der Liebe in mein Herz gelegt“, gesteht sie und erzählt: „Einst fragte ich sie als Kind: Wie ist es möglich, dass wir eine so schöne Kirchenburg haben?“ „Weil jedes Paar bei seiner Trauung einen Wagen voll Steine für ihre Reparatur mitbringen muss“, antwortete diese. Die Botschaft kam an: Geteilte Mühen und stetiger Einsatz können auch hehre Träume in erreichbare Ziele verwandeln.

Nina May

Schlagwörter: Deutsch-Weißkirch

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