7. Oktober 2009

Höchste Zeit für eine echte Chance auf parlamentarische Mitbestimmung

Dem 17. Deutschen Bundestag gehört kein einziger Vertreter der deutschen Aussiedler und Spätaussiedler an - dieser Personenkreis umfasst u. a. rund 2,8 Millionen Deutsche aus Russland und über 600 000 Deutsche aus Rumänien. Die Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Adolf Fetsch, der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Bernhard Krastl, sowie des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Dr. Bernd Fabritius, erklären dazu:
Den Einzug in unser höchstes Gesetzgebungsorgan geschafft haben 622 Abgeordnete aus sechs Parteien. Vertreten sind alle Landesteile, alle Generationen und so gut wie alle Interessengruppen, die in den Parteien Arbeitsgemeinschaften gegründet haben. Auch aus dem 3,4 Millionen Wählerinnen und Wähler starken Personenkreis der Aussiedler und Spätaussiedler aus Russland und Rumänien gab es Bemühungen, Vertretungsmandate im Bundestag zu erreichen - leider blieben diese ohne Erfolg. Werner Henn, Berglanddeutscher, hat mit nur gut 23 % der Direktstimmen ein Direktmandat der SPD in Baden-Württemberg verpasst. Dr. Bernd Fabritius, Siebenbürger Sachse, und Dr. Arthur Bechert, Deutscher aus Russland, waren von der Christlich-Sozialen Union (CSU) nominiert worden (Listenplatz 32 bzw. 55) und haben mangels Zuteilung von Listenmandaten für die CSU ebenfalls ein Mandat verfehlt. Diese Schieflage mag einen Hauptgrund im geltenden Wahlsystem haben: Ein Direktmandat kann nur erlangen, wer durch die Parteibasis nominiert wird und in seinem Wahlbezirk die Stimmenmehrheit auf sich vereint. Dafür muss man in den Ortsverbänden langjährig verwurzelt sein und allgemeine Politikfelder vertreten. Die gezielte Interessenvertretung für unsere Personengruppe der Aus- und Spätaussiedler ist jedoch kein geeigneter Weg, um für Direktmandate von der Parteibasis nominiert zu werden.

Der notwendige Ausgleich dafür sollte über Kandidaturen auf den Zweitstimmenlisten der Parteien geschaffen werden. Auf diesem Weg bekommen die Arbeitsgemeinschaften bestimmter Personengruppen eine Chance, in die parlamentarische Mitbestimmung im Deutschen Bundestag einbezogen zu werden. Deshalb haben die Landesverbände der Landsmannschaften der Deutschen aus Russland, der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen in Bayern mit Dr. Fabritius einen gemeinsam abgestimmten Kandidatenvorschlag zur Bundestagswahl unterbreitet, den die Union der Vertriebenen und Aussiedler (UdV), eine Arbeitsgemeinschaft der CSU, als Wahlvorschlag aufgenommen hat. Die Nominierung erfolgte dann auf Listenplatz 32. Eine halbherzige Entscheidung der Partei, bedenkt man, dass damit die Wahl eines Vertreters der Aus- und Spätaussiedler über die Landesliste unwahrscheinlich und selbst ein Nachrücken von vornherein so gut wie ausgeschlossen war. Andere Arbeitsgemeinschaften, deren Beteiligung bereits über sechs Direktkandidatinnen abgesichert war, wurden gleich mit einem ganzen Block an Listenbewerbern vorgezogen nominiert. Die Wahl unseres Vertreters rückte damit ins Spekulative, eine echte Chance bestand nicht mehr. Dieses Signal ist angekommen.

Die über drei Millionen deutschen Aussiedler und Spätaussiedler sind damit auf die solidarische Begleitung und „Fremdbestimmung“ durch ihre Mitbürger angewiesen, die aber von dem Schicksal dieser Personengruppe und den daraus erwachsenden besonderen Umständen oft unzureichende Kenntnisse haben. Lediglich in der Unionsfraktion im Bundestag gibt es eine „Arbeitsgruppe für Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler“. Doch schon im letzten Bundestag war dort kein einziger Aussiedler oder Spätaussiedler vertreten, und auch kein Heimatvertriebener der Erlebnisgeneration. Um so höher ist der Einsatz der Mitglieder dieser Arbeitsgruppe einzuschätzen, die das Schicksal unserer Bevölkerungsgruppe meist nur aus Erzählungen kennen.

Auch das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, seit Jahren sehr engagiert von Dr. Christoph Bergner wahrgenommen, soll hier Ausgleich schaffen. Dr. Bergner ist Ansprechpartner auf Bundesebene für Aussiedler und Spätaussiedler und hat so manche Problemlösung be-wirken können, die vielleicht gar nicht erst erforderlich geworden wäre, wenn Aus- und Spätaussiedler bereits im Rahmen parlamentarischer Mitbestimmung beteiligt worden wären.

Die Folgen dieser Schieflage sind in den letzten Jahren oft nur zu deutlich ge-wesen: So wurde 1996 durch die im Bundestag beschlossenen und sogar vom Bundesverfassungsgericht kritisierten einseitigen Rentenkürzungen bei Aus- und Spätaussiedlern der Vertrauensschutz verletzt und ein erhebliches Integrationshemmnis gesetzt. Übergangsvorschriften wurden - rund 10 Jahre später - ohne deren Einbeziehung nicht minder ungerecht gefasst. Auch die Begrenzung der Geltungsdauer der Aufnahmebescheide für Deutsche im neuen Zuzugsrecht war eine Fehlentscheidung des Bundestages, die auf fehlendes Einbeziehen von Erfahrungen und Sachkenntnis der Betroffenen zurückzuführen und erst nach deren massiver Intervention wieder korrigiert wurde. Diese wenigen Beispiele verdeutlichen, wie notwendig die Einbeziehung der Betroffenen in die parlamentarische Mitbestimmung ist. Diese Chance ist nun leider für die kommenden Jahre vergeben worden.

Es bleibt abzuwarten, ob die neue Regierung aus Union und FDP einen außerparlamentarischen Ausgleich für dieses Defizit schaffen wird. Und „nach der Wahl ist vor der Wahl“: Für den nächsten Bundestag in vier Jahren wird es Aufgabe aller Leistungsträger aus dem Bereich der Aus- und Spätaussiedler sein, sich in allen demokratischen Parteien mit noch mehr Nachdruck und Entschlossenheit um ein Vertretungsmandat in direkten Wahlkreisen und um realistische Nominierungen auf den Landeslisten zu bewerben. Es wird Aufgabe aller demokratischen Parteien sein, diese Bewerbungen entschlossener als bisher zu unterstützen, wenn sie sich ernsthaft um die Anliegen aller Bürgerinnen und Bürger dieses Landes kümmern wollen. Und es wird nicht zuletzt Aufgabe aller Aus- und Spätaussiedler in Deutschland sein, diese Aspekte noch genauer zu beachten und durch ihr konsequentes Abstimmungsverhalten für die nötigen Korrekturen zu sorgen.

Schlagwörter: Wahlen, Bundestag, Aussiedler, Spätaussiedler

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