12. September 2008

Bundesregierung bekennt sich zu Aussiedlern und Minderheiten

Der Aussiedlerbeauftragte Christoph Bergner und seine Vorgänger, Horst Waffenschmidt, Jo­chen Welt und Hans-Peter Kemper, haben „20 Jahre erfolgreiche Politik“ betrieben, aber die Arbeit sei nicht so erfolgreich gewesen, dass der Beauftragte abgeschafft werden kön­ne. Die Bundesregierung bekenne sich auch für die Zukunft zu ihrer besonderen historischen Ver­antwortung gegenüber Aussiedlern und zu die­sem Amt, erklärte Bundeskanzlerin Dr. An­gela Merkel auf einer Fachtagung zum Thema „Zwei Jahrzehnte Politik für Aussiedler und nationale Minderheiten“. Bergner sei engagier­ter An­sprechpartner für jene, deren Themen nicht jeden Tag auf Seite Eins in der Zeitung stehen, sagte die CDU-Politikerin. Bundesvor­sitzender Dr. Bernd Fabritius brachte auf der Tagung Anliegen der Siebenbürger Sachsen vor.
Vor 20 Jahren, im September 1988, wurde der damalige Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenministerium (BMI), Dr. Horst Waffenschmidt, zum ersten Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung berufen. Dieses Jubiläum hat der derzeitige Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, der Parlamentarische Staatssekretär im BMI, Dr. Christoph Bergner, zum Anlass genommen, zu einer Fachtagung einzuladen. Rund 200 Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis zogen am 3. und 4. September 2008 in Berlin Bilanz und berieten über zukünftige Schwerpunkte und Perspektiven der Aussiedler- und Minderheitenpolitik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte in einer Grundsatzrede am 4. September großes Verständnis für das ureigene Bedürfnis, sich zur eigenen kulturellen Identität zu bekennen, die eigene Sprache zu sprechen sowie Traditionen, Sitten und Bräuche zu leben. Das gelte für die nationalen Minderheiten in Deutschland ebenso wie für die deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa, in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion und natürlich für diejenigen, die als Aussiedler nach Deutschland gekommen sind. Die Existenz deutscher Volksgruppen in Osteuropa sei ein Teil der europäischen Siedlungsgeschichte und „unser aller Geschichte“.
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und ...
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Aussiedlerbeauftragter Dr. Christoph Bergner bei der Fachtagung in Berlin. Foto: BMI / Hans-Joachim M. Rickel
Seit 1950 sind insgesamt 4,5 Millionen Aussiedler in die Bundesrepublik zugezogen. Von den drei Millionen Menschen, die seit 1988 nach Deutschland übersiedelten, kamen rund 2,2 Millionen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und etwa 800 000 aus mittel- und osteuropäischen Staaten. In den vergangenen 20 Jahren half das Bundesinnenministerium den deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten der Aussiedler mit insgesamt 970 Millionen Euro. Ihren Höhepunkt erreichte die Aussiedleraufnahme im Jahr 1990 mit fast 400 000 Personen, im letzten Jahr wurden nur noch 5 700 Zuzüge verzeichnet. Trotz rückläufiger Aussiedlerzahlen und besserer Bedingungen für die deutschen Minderheiten in den osteuropäischen Staaten müsse die Verbundenheit mit ihnen von Generation zu Generation neu belebt werden, sagte Merkel. „Das bleibt eine Verantwortung auch für die nächsten Jahrzehnte.“

Bundesrepublik strebt beispielhafte Minderheitenpolitik an

Früher haben vor allem politische Faktoren die Entfaltung der kulturellen Identität erschwert, heute sind es oft demografische Gründe, stellte die Kanzlerin fest. „Dank ihres hohen Ansehens üben die deutschen Minderheiten in anderen Nationen inzwischen auch eine wichtige Brückenfunktion im bilateralen Verhältnis Deutschlands zu diesen Ländern aus.“ Die Bundesrepublik sei daran interessiert, beispielhaft in der Aussiedler- und Minderheitenpolitik zu agieren. „Gemeinsam wollen wir dafür eintreten, dass wir es in einigen Jahrzehnten in ganz Europa und darüber hinaus als Selbstverständlichkeit ansehen können, dass Minderheiten einen festen, berechtigten Platz in demokratischen Gesellschaften haben.“

Wolfgang Schäuble: "Hilfenpolitik darf nicht ersatzlos gestrichen werden"

Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble hatte die Tagung am 3. September mit einer Rede eröffnet. Er erläuterte die historischen Hintergründe, die zur Schaffung des Amtes des Aussiedlerbeauftragten geführt hatten. Es sei eine Reaktion auf den beginnenden politischen Wandel in den ehemaligen Ostblockländern gewesen. „Mit der Berufung des Aussiedlerbeauftragten hat sich die Bundesregierung eindeutig und nachhaltig zur Solidarität mit den Deutschen im Osten bekannt, die im Ergebnis der Politik des nationalsozialistischen Deutschlands wegen ihrer Volkszugehörigkeit ein schweres Kriegsfolgenschicksal zu erleiden hatten“, sagte der Innenminister. Aufnahme und Integration der Aussiedler in Deutschland einerseits, Hilfe und Unterstützung für die deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten andererseits, das seien stets zwei Seiten der gleichen Medaille gewesen. Die Hilfenpolitik dürfe keinesfalls ersatzlos aufgekündigt werden und müsse sich stärker als bisher den Fragen der „Erhaltung der kulturellen Identität“ widmen.

Das Amt des Aussiedlerbeauftragten wurde 2002 um die Dimension der Wahrnehmung der Interessen der vier anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland – Dänen, Friesen, Sorben sowie die Sinti und Roma – erweitert.

Aussiedlerbeauftragter Christoph Bergner erklärte, auch künftig dürfe die Anerkennung der deutschen Volkszugehörigkeit den Menschen nicht verweigert werden, deren Familien wegen eben dieser Zugehörigkeit in Mittelosteuropa oder in der Sowjetunion ein schweres Kriegsfolgenschicksal erleiden mussten. Er kündigte eine Publikation an, die die Ergebnisse der Tagung festhält und zugleich Leitfaden der künftigen Aussiedlerpolitik sein könnte.

Der Präsident des Bundesverwaltungsamtes Dr. Jürgen Hensen hatte in seinem Referat festgestellt, die Aussiedleraufnahme sei stets „ohne Friktionen“ verlaufen. Man habe stets versucht, die Anliegen der Betroffenen im Blick zu haben.

Bernd Fabritius: Aussiedler brauchen weitere opolitische Unterstützung

Daraufhin stellte der Bundesvorsitzende des Verbands der Siebenbürger Sachsen, Dr. Bernd Fabritius, fest, dass die Aussiedleraufnahme nicht allein nach rechtlichen Maßstäben bewertet werden dürfe. „Sie muss auch menschlich betrachtet werden, da es immer um menschliche Einzelschicksale geht.“ Weitere politische Unterstützung sei erforderlich, um die wenigen Landsleute, die Fabritius als „vergessene Leidtragende“ des wechselhaften Aufnahmeprozesses bezeichnete, aus einer unbefriedigenden Lage zu befreien. Es gehe um deutsche Landsleute aus Rumänien, die mit einem zwischen 1993 und 1998 vom Bundesverwaltungsamt ausgestellten Aufnahmebescheid und mit Zustimmung der Länder zugezogen seien. Nach der Aussiedlung, die im Vertrauen auf den Bescheid des Bundesverwaltungsaktes erfolgt sei, würden sich diese Menschen, die größtenteils noch zur Erlebnisgeneration gehörten und Verschleppung nach Russland und andere Folgen des Zweiten Weltkriegs erlebt hätten, als Ausländer in Deutschland wiederfinden. Trotz des Aufnahmebescheids des Bundesverwaltungsamtes würden sie nicht als Aussiedler anerkannt, was zu großen Härten und menschlicher Tragik führe, betonte Fabritius. Dr. Hensen teilte diese Auffassung, merkte aber an, dass das Thema im Verantwortungsbereich der Länder liege.

Des Weiteren dankte Dr. Bernd Fabritius dem Aussiedlerbeauftragten Dr. Bergner für seinen stetigen Einsatz für die Belange unserer Landsleute und betonte, dass der siebenbürgische Verband das Amt des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung als sehr wichtig und unverzichtbar betrachte. „Er ist Wächter und Anwalt für unsere Anliegen. Es gilt, negativen Entwicklungen in der Gesetzgebung durch zutreffende Information rechtzeitig entgegenzuwirken.“ Besonders auf dem Gebiet des Rentenrechtes sei weiterhin Vorsicht und Einsatz nötig, erklärte der Bundesvorsitzende.

Bezüglich der in Berlin thematisierten „Förderung der deutschen Minderheit im Ausland“ regte Fabritius an, die Einheit der ausgesiedelten und verbliebenen Deutschen in Südosteuropa zu erkennen und als Chance zu werten. „Wir sind trotz Ausreise weiterhin Siebenbürger Sachsen und betrachten uns als Einheit mit allen unseren Landsleuten in der Welt, besonders auch mit jenen in Siebenbürgen.“ Diese grenzüberschreitende Komponente sei die beste Basis, um die zugeschriebene Brückenfunktion wahrzunehmen.

Siegbert Bruss

Schlagwörter: Aussiedlerfragen, Integration, Bundesregierung

Bewerten:

22 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.