29. November 2019

„Unser Verband ist nach wie vor attraktiv“: Interview mit der ehemaligen Bundes- und neuen Ehrenvorsitzenden Herta Daniel

Die von 2015 bis 2019 amtierende Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Herta Daniel, setzt ihre Verbandstätigkeit fort. Beim Verbandstag in Bad Kissingen ist die 67-jährige gebürtige Hermannstädterin einstimmig zur Ehrenvorsitzenden gewählt worden. Auf welchen Feldern sie sich künftig engagieren möchte und wie überdies ihre persönliche Bilanz der abgelaufenen Legislaturperiode ausfällt, ist Gegenstand des nachfolgenden Gesprächs, das Christian Schoger mit Herta Daniel führte im Sinne einer Standortbestimmung der aktuellen Verbandsarbeit.
Frau Daniel, beim Verbandstag in Bad Kissingen wurden Sie zur Ehrenvorsitzenden unseres Verbands gewählt. Herzlichen Glückwunsch! Was bedeutet Ihnen diese einstimmig erfolgte Wahl der Delegierten?

Danke für den Glückwunsch! Mein ganz persönlicher Glückwunsch geht an Dr. Bernd Fabritius, der ebenfalls Ehrenvorsitzender unseres Verbandes wurde, verbunden mit einem herzlichen Dank für die außerordentlich gute und harmonische Zusammenarbeit während unserer gemeinsamen Verbandszeit. Das Ergebnis dieser Abstimmung bedeutet mir sehr, sehr viel. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein scheidender Bundesvorsitzender die Ehrenmitgliedschaft erhält, dies stellt einen großen Vertrauensbeweis, aber auch eine genauso große Verpflichtung dar. Diesen Vorschlag des Bundesvorstands, über den der Verbandstag, die oberste Instanz und ranghöchstes Organ unseres Verbandes, abgestimmt hat, und das Ergebnis der Abstimmung hätte es ohne die Zufriedenheit der Mitglieder über geleistete Arbeit nicht gegeben. Und diese erfolgreiche Arbeit war nur möglich, weil ich in den vergangenen Jahren gemeinsam mit einem sehr guten und tatkräftigen Team zusammenarbeiten durfte! Ich fühle mich all diesen Ehrenamtlichen zu Dank verpflichtet und weiß das Engagement jedes Einzelnen sehr zu schätzen.


Sie haben die Bereitschaft bekundet, Projekte weiterzuführen. Um welche handelt es sich dabei?

Das wären in erster Linie unsere Bemühungen zur Beseitigung der Benachteiligungen der Spätaussiedler im Rentenrecht, die Vertretung des Verbandes im Vorstand des Vereins Siebenbürgisches Kulturzentrum „Schloss Horneck“ und das Dauerthema Restitution des im kommunistischen Rumänien widerrechtlich enteigneten Besitzes.

Ich wurde in verschiedene Gremien gewählt oder entsendet, wie z. B. Hörfunkrat von Deutschlandradio, Beirat für Vertriebenen- und Spätaussiedlerfragen des Bayerischen Sozialministeriums, Landesverband Bayern des Bundes der Vertriebenen, UdV-Landesverband Bayern (UdV: Union der Vertriebenen und Aussiedler der CSU; die Redaktion). Der neugewählte Bundesvorstand wird darüber entscheiden, welche Aufgaben ich für den Verband weiterverfolge oder welche gegebenenfalls hinzukommen.

In Bad Kissingen vollzog sich mit dem Führungs- auch ein Generationswechsel an der Verbandsspitze (vgl. dazu Verbandsspitze erheblich erneuert). Was wünschen Sie Ihrem Amtsnachfolger Rainer Lehni (siehe Der neue Bundesvorsitzende Rainer Lehni im Interview)? Und was erhoffen Sie sich?

Ich wünsche ihm die Augen eines Adlers, um Fehler rechtzeitig zu erkennen und diesen vorbeugen zu können; die Weisheit von Philosophen und die Weitsicht von Propheten, um die richtigen Entscheidungen vorausschauend treffen zu können; die Entscheidungsfreudigkeit und Durchsetzungsfähigkeit von erfolgreichen ­Managern, um das Notwendige umzusetzen; das Geschick eines Diplomaten, um unliebsame, aber notwendige Änderungen in allen Bereichen durchzusetzen und auch Politiker davon zu überzeugen; und nicht zuletzt den Humor eines Schmiden Titz!
Herta Daniel, hier noch als Bundesvorsitzende, in ...
Herta Daniel, hier noch als Bundesvorsitzende, in Tracht als Bekenntnis zur siebenbürgisch-sächsischen Tradition. Foto: George Dumitriu
Ich erhoffe mir, dass der neue Bundesvorstand von den unangenehmen Vorkommnissen, die in meiner Amtszeit als Bundesvorsitzende geschahen, verschont bleibt und keine Rücktritte oder krankheitsbedingtes Ausscheiden erfolgen, so dass eine geschlossene, handlungsfähige Mannschaft zusammenbleibt und erfolgreich wirken kann.


Vier Jahre lang haben Sie den Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland als Bundesvorsitzende geführt. Wie fällt Ihre Bilanz aus hinsichtlich positiver Entwicklungen und Erfolge, was ist misslungen bzw. steht weiterhin auf der Agenda?

Sehr erfreulich ist das Engagement der SJD (Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland; die Redaktion), deren Selbstverständnis, sich in die Verbandsarbeit einzubringen und unsere Traditionen in die Zukunft zu tragen, insbesondere auch die Entwicklung ihrer Mitgliederzahlen. Positive Entwicklungen haben sich bei gemeinsam mit anderen Organisationen in Angriff genommenen Projekten abgezeichnet. So war das 2017 vom Siebenbürgenforum auf die Beine gestellte große Sachsentreffen, bei dem unser Verband als Partner in Erscheinung trat, bei vielen unserer Landsleute ein unvergessliches Ereignis. Für diese Möglichkeit danke ich dem Siebenbürgenforum herzlich!

Die gemeinsame Aktion zur Beseitigung der Benachteiligung der Spät-/Aussiedler im Rentenrecht war in der Zusammenarbeit mit anderen Landsmannschaften eine wertvolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Allerdings ist es bis jetzt nicht gelungen, darüber ein von uns gewünschtes Gespräch mit Vertretern der Regierung zu führen, wenn man von dem Gespräch im Bundesministerium für Arbeit und Soziales absieht. Dieses Thema sollte weiter mit Nachdruck verfolgt werden, genauso wie der Bereich Restitution, wobei auch hier die gute Zusammenarbeit mit der rumänischen Botschaft nicht unerwähnt bleiben soll.

Bestnote für das Schloss-Projekt

Sie haben sich persönlich stark engagiert für Schloss Horneck. Wie würden Sie auf einer Notenskala von 0 bis 10 den bisherigen Projekterfolg des im Aufbau befindlichen Siebenbürgischen Kultur- und Begegnungszentrums bewerten und mit welcher Begründung?

Ohne Zweifel vergebe ich allen ehrenamtlichen Fachleuten die Note 10! Es ist bewundernswert, wie die Planungen, die Anträge – vier Aktenordner pro Antrag! – in kürzester Zeit ­erfolgt sind, so dass die Förderungsmittel bewilligt wurden, wie die Baumaßnahmen penibel überwacht wurden, so dass die Arbeiten planmäßig verlaufen.


Wie optimistisch sind Sie, dass dieses Gemeinschaftsprojekt langfristig gelingt?

Ich bin sehr zuversichtlich, zumal die als äußerst streng bekannte Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien dem konservativ verfassten langjährigen Betriebskonzept für die nächsten 25 Jahre dieses Begegnungszentrums zugestimmt hat.


Wie beurteilen Sie die Chancen, dass das von der bayerischen Regierung in Aussicht gestellte Siebenbürgische Kulturzentrum in München in den kommenden Jahren realisiert wird?

In der Koalitionsvereinbarung der CSU und Freien Wähler ist Folgendes vereinbart: „Neben der Realisierung des Sudetendeutschen Museums in München gründen wir in Nürnberg ein Kulturzentrum für die Deutschen aus Russland und prüfen ein weiteres für die Donauschwaben und Siebenbürger Sachsen.“ Man muss genau hinsehen: „prüfen“ heißt nicht realisieren oder gründen! Diese Wortwahl kann aber auch als Kompliment für unseren Verband aufgefasst werden, bei anderen Landsmannschaften muss man ein Kulturzentrum erst errichten oder etwas realisieren, bei uns kann man auf etwas Bestehendes aufbauen. Tatsache ist, dass wir – außer gelegentlichen Erwähnungen bei Ansprachen von Politikern – nicht einmal eine schriftliche Zwischenantwort auf unser bereits im Dezember 2018 eingereichtes Konzept für ein siebenbürgisches Kulturzentrum in Bayern erhalten haben. Genau genommen wissen wir gar nichts über den Lauf der Entscheidungen, es wird eben noch „geprüft“. Ich erhoffe Näheres über den Stand der Dinge in einem von der Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für Vertriebene und Aussiedler, Sylvia Stierstorfer, angekündigten Gespräch zu erfahren.


Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt Ihrer Amtszeit war der Kampf gegen die ungerechten Fremdrentenkürzungen. Viele Initiativen, und doch bleibt das Ergebnis offen. Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales befasst sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit den Möglichkeiten der Umsetzung einer Fondslösung für Härtefälle in der Rentenüberleitung. Der Abschluss der Gespräche ist für Ende dieses Jahres 2019 avisiert. Was erwarten Sie sich von dem Verfahren aus Betroffenensicht?

Auch hier verweisen fast alle Politiker, ob Bundesregierung, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ministerpräsidenten der Länder, Bundestags- oder Landtagsabgeordnete, auf den Koalitionsvertrag und die dort festgelegte „Prüfung“. Und wie wir wissen, heißt Prüfung nicht Umsetzung. Wie eine solche Prüfung ausgeht, kann niemand voraussagen. Eine große Hilfe in dieser Angelegenheit ist der Entschließungsantrag des Freistaates Bayern vom 18. September 2018, der aufgrund eines Gespräches des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten erfolgte, an den Bundesrat, dem am 15. Februar 2019 mehrheitlich mit den Stimmen der von CDU/CSU, Grünen und Linken regierten Ländern zugestimmt wurde. Die Bundesregierung ist nun aufgefordert, die für Spätaussiedler geltenden rentenrechtlichen Vorgaben zu prüfen, zu bewerten sowie festgestellte etwaige Nachteile im Sinne der sozialen Gerechtigkeit auszugleichen. Ich erwarte allerdings kein Ergebnis bereits 2019, sondern erst viel später.

Mitgliederwerbung ist eine kollektive Aufgabe

In Ihrem Tätigkeitsbericht weisen Sie darauf hin, dass die Mitgliederzahl unseres Verbandes „weiterhin rückläufig“ ist. Zum Stichtag 1. September 2019 waren es 19386 Mitglieder, das heißt Familien; das sind 1717 Familien weniger gegenüber dem Verbandstag vor vier Jahren. Die hohe Altersstruktur spielt hier eine maßgebliche Rolle. An welchen Stellen müssen wir gemeinsam den Hebel ansetzen, damit unser Verband auch zukünftig leistungsstark bleibt?

Ich erinnere daran, dass ich vor vier Jahren nicht mit falschen Versprechungen zur Wahl der Bundesvorsitzenden angetreten bin. Ich hatte bereits damals bei der Vorstellung meiner Ziele auf dem Verbandstag 2015 darauf hingewiesen, dass ich nicht versprechen werde, die Mitgliederzahlen „steigen zu lassen“, weil trotz der unterschiedlichen Maßnahmen in der Vergangenheit, wie beispielsweise im Handbuch der Kreisvorsitzenden angeführte Maßnahmen oder Werbegeschenke, dies nicht funktioniert hat.

Es ist nach wie vor so, dass die Familie und deren Selbstverständnis, sich zu den Siebenbürger Sachsen gehörig zu fühlen oder nicht, unsere Werte und Traditionen weiterzugeben oder nicht, eine tragende Rolle bei der jungen heranwachsenden Generation und damit bei der Entwicklung der Mitgliederzahlen unseres Verbandes spielen. Hinzu kommt der engere Freundeskreis, über den manche mehr oder wenig zufällig auf den Verband stoßen oder diesem entfremdet werden. Was nicht heißen soll, dass nicht jeder von uns um Mitglieder werben sollte. Das direkte Gespräch hat sich bisher immer als richtige Maßnahme zur Mitgliederwerbung erwiesen. Unser Verband ist nach wie vor so attraktiv, dass wir jedes Jahr einige hundert neue Mitglieder verzeichnen. Diese können aber die Anzahl der Todesfälle in den Reihen unserer Mitglieder nicht aufwiegen.


Ihr Amt als Föderationsvorsitzende haben Sie noch inne. Welche Akzente wollten und konnten Sie in den vergangenen Jahren in dieser Funktion setzen?

Diese Jahre waren gekennzeichnet von der Weiterführung und Konsolidierung des Bestehenden. Die Planung bis 2038 über Kulturaustausch und Jugendtreffen steht. Der Föderationsrat ist sich darüber einig, dass der Kulturaustausch und das Föderationsjugendlager aufrechterhalten und gefestigt werden sollen. Großer Wert wird auf die gegenseitigen Besuche der Bundesvorsitzenden bei den Heimattagen gelegt.

Dem Populismus trotzen mit Zuversicht und Toleranz

Im Zuge der Globalisierung mit sichtbar einhergehender gesellschaftlicher Spaltung nehmen auch in Deutschland Angst vor sozialem Abstieg, vor Identitätsverlust zu, so auch Verrohung und Hass. Rechtspopulisten versuchen diese Stimmungslagen zu verschärfen, nationalistische Strömungen finden Zulauf. Welchen Beitrag können wir Siebenbürger Sachsen da zu einem besseren gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten?

Wir sollten uns daran erinnern, wie der Zweite Weltkrieg zustande kam, und dass eine Folge davon das bekannte Schicksal der Siebenbürger Sachsen war. Wir sollten allerdings in all unserem Tun unsere Satzung im Auge behalten und uns darauf konzentrieren, was uns dort vorgegeben wird, und uns nicht in populistische Auseinandersetzungen reinziehen lassen, die mit dem Zweck, den Grundsätzen und den Zielen des Verbandes nicht vereinbar sind. Die Stärke und Zuversicht, die unsere Gemeinschaft aus den Erfahrungen der Vorfahren schöpft, ich zitiere aus der Präambel unserer Satzung, „sind auch heute und in Zukunft von Nöten, um die vielfältigen Herausforderungen in einem zusammenwachsenden Europa und einer mehr und mehr zusammenrückenden Welt zu bewältigen. Gemeinschaft ist auch und gerade hier gefragt, und zwar Gemeinschaft und Verständnis auch über Grenzen hinweg. Hierzu will der Verband seinen Beitrag leisten.“ Zu den Erfahrungen unserer Vorfahren gehört u.a. auch ein äußerst wichtiges Ereignis aus dem Jahr 1557, als sich der Landtag zu Thorenburg auf Initiative der Sächsischen Nationsuniversität, erstmals in Europa, zum Grundsatz der Toleranz, der religiösen Duldung, bekannte!

Verantwortung für die Zukunft

Wenn Sie Ihr ehrenamtliches Wirken als Bundesvorsitzende Revue passieren lassen: Was waren in Ihrem persönlichen Erleben die drei besten Momente bzw. Erfahrungen? Welche Schattenseiten nahmen Sie in Ihrer Führungsverantwortung wahr?

Es ist ein Naturgesetz, dass jedes Licht, jeder Sonnenschein von Schatten begleitet wird. Trotz der sehr guten Arbeit an der Basis in den Kreisgruppen, ohne die der Verband nicht existieren könnte, gibt es leider viel zu oft Streitigkeiten, die zu gar nichts anderem als zur Schwächung unserer Gemeinschaft führen. Ich gehe davon aus, dass dies dem übereifrigen Bemühen Einzelner zuzuschreiben ist, das Beste für die Gruppe zu wollen, aber eben nur auf „die“ eine einzige Art. Etwas Kompromissbereitschaft täte gut und würde die Existenz eines Schlichtungsausschusses überflüssig machen.

Eine andere Schattenseite sind ab und an die teilweise im Schutze der Anonymität abgegebenen unsinnigen Kommentare und Beiträge auf unserer interaktiven Homepage.

Sehr gute Momente habe ich im Zusammenhang mit dem Großprojekt Schloss Horneck erlebt, wie etwa die Bewilligung der Fördermittel oder die große Spendenbereitschaft unserer Landsleute, die damit ihren Willen zum Ausdruck brachten, diese „Sachsenburg“ am Neckar für uns alle, für die kommenden Generationen zu erhalten.

Der kürzlich stattgefundene Verbandtag hat mich durch seine spannungsfreie und gelöste Atmosphäre und die sachlich orientierte Gesprächskultur der Delegierten beeindruckt. Man konnte erkennen, dass sich unsere gewählten Vertreter ihrer Verantwortung für die Zukunft unseres Verbandes bewusst waren und dass alle das große Ganze im Blick hatten.

Berührt haben mich während der vier Jahre dankbare Worte von mir unbekannten Landsleuten, die auf mich zugingen und zu den Vorhaben des Verbandes Lob oder konstruktive Kritik äußerten, was zu weiteren Erkenntnissen und Bekanntwerden von Wünschen der Basis und deren Umsetzung führte.


Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Daniel!

Schlagwörter: Herta Daniel, Ehrenvorsitzende, Interview, Verband, Verbandspolitik, Bundesvorstand, Schloss Horneck, FRG, Fremdrente, Restitution, Föderation, Mitgliederwerbung, Rainer Lehni, Bernd Fabritius, Verbandstag

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