18. Oktober 2019

Multiplikatoren-Konferenz in Nürnberg zu rentenrechtlichen Entwicklungen

Im vollbesetzten Saal des Genossenschaftssaalbaus in Nürnberg fand am 9. Oktober eine Informationsveranstaltung zum Fremdrentengesetz (FRG) statt. Eingeladen hatten die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, die Landsmannschaft der Banater Schwaben und der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Die Anregung zu dieser Veranstaltung hatte Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium Dr. Rolf Schmachtenberg während eines Gespräches am 15. Mai 2019 im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Berlin gegeben (siehe Daniel bei Fremdrenten-Gespräch im Bundesarbeitsministerium).
In seinem einleitenden Statement ging der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Bernd Fabritius, auf die ihm immer wieder signalisierte Unzufriedenheit und das Unrechtsempfinden über die in den 1990er Jahren erfolgten Kürzungen im FRG ein. Er warnte allerdings davor, sich bei diesem emotional besetzten Thema instrumentalisieren zu lassen. Er rief den Anwesenden die bekannten Kürzungen im FRG in Erinnerung: 1992: 1/6-Kürzung; 1993: 30 %-Kürzung; 1996 40 %-Kürzung und Deckelung der Anzahl der Entgeltpunkte (EP) aus FRG-Zeiten auf 25 EP bei Alleinstehenden und 40 EP bei Verheirateten.

Dr. Fabritius betonte die Einstandspflicht der Bundesrepublik Deutschland für das besondere Kriegsfolgeschicksal der Spät-/Aussiedler und dessen Auswirkung für die rentenrechtliche Wiederherstellung der verlorenen Alterssicherung. Eine Kriegsfolge könne nicht rückwirkend aufgehoben werden. Die Prüfung der Kürzungen im FRG befinde sich derzeit auf dem politischen Prüfstand durch den vom Freistaat Bayern eingebrachten Entschließungsantrag in den Bundesrat, dem die Länder mehrheitlich zugestimmt hatten (siehe Bundesrat stimmt für Antrag zur Angleichung der Spätaussiedlerrenten). Damit werde die Bundesregierung aufgefordert, die für Spätaussiedler geltenden rentenrechtlichen Vorgaben zu prüfen, zu bewerten sowie festgestellte etwaige Nachteile im Sinne der sozialen Gerechtigkeit auszugleichen.

Ein aktuelles Thema hinterlegte Fabritius mit einem konkreten Beispiel: Die Rente aus Rumänien werde als Nettozahlung an den Rentner überwiesen, die deutsche Rentenbehörde ziehe aber von der Rente nach dem FRG den Bruttobetrag ab, so dass der Rentner einen Verlust erleide. So sei es verständlich, dass sehr viele von dem in der EU möglichen Dispositionsrecht Gebrauch machen würden (diese Zeitung berichtete: Artikel 50 EU-VO 883/2004: Aufschub des Antragsverfahrens im Herkunftsgebiet). Es gehe ihm darum, eine Regelung zu finden, um einen Selbstbehalt für Betroffene einzuführen. Das hätte für alle Vorteile: Die Rentenkasse würde gestützt und den Rentnern wäre auch geholfen, so dass der Bezug einer Rente aus dem Herkunftsland attraktiv werden könnte (Änderung in § 31 FRG notwendig).

Da man die persönliche Lebensleistung und die besondere Biografie dieses Personenkreises bei der Sicherung des Lebensunterhaltes im Alter stärker berücksichtigen müsse, habe er der Bundesregierung vier konkrete Korrekturvorschläge unterbreitet: Aufhebung der Deckelung, die Einführung eines Selbstbehalts bei Renten aus den Herkunftsgebieten, 40 %-Kürzungen bei Kindererziehungszeiten auf den Prüfstand stellen, und die Bundesregierung solle mit Staaten ohne Sozialversicherungsabkommen Zahlungen aushandeln. Er werde sich mit Nachdruck für deren Umsetzung einsetzen. Dafür werbe er derzeit im politischen Raum, weil für eine entsprechende Entscheidung eine Mehrheit im Deutschen Bundestag benötigt werde.
Die Bundesvorsitzende Herta Daniel (mit Mikro) ...
Die Bundesvorsitzende Herta Daniel (mit Mikro) dankt Dr. Bernd Fabritius (Erster von links) und Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg (Dritter von links) für die informative Multiplikatoren-Konferenz im Saal des Genossenschaftssaalbaus in Nürnberg; auf dem Foto außen rechts die Nürnberger Kreisverbandsvorsitzende Annette Folkendt.
Fabritius stellte die druckfrische Info-Broschüre „Die bleibende Verantwortung für deutsche Aussiedler und Spätaussiedler“ vor und dankte Dr. Schmachtenberg für die sehr gute Zusammenarbeit bei der Erstellung wesentlicher Textpassagen, die in Abstimmung mit dem Bundesarbeitsministerium erarbeitet wurden.

Der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Dr. Rolf Schmachtenberg, schilderte die von der Bundesregierung vertretene Sichtweise. Man müsse das gesamte Rentensystem im Blick haben und könne nicht einzelne Gruppen, die mit ihrer Rente unzufrieden seien, herausgreifen und bevorzugt behandeln, da ein solches Vorgehen den anderen Gruppen nicht vermittelbar wäre. Er führe Gespräche mit allen Gruppen. Es gehe darum, in dem bestehenden Umlagesystem der Rentenversicherung Wege zu finden, das Rentenniveau insgesamt zu stabilisieren und zu erhöhen. Die Frage der Finanzierbarkeit solcher Maßnahmen sei für alle eine große Herausforderung. Mit der Einführung einer Grundrente könnten alle Gruppen mit niedrigen Renten grundsätzlich erreicht werden. Der Koalitionsvertrag sieht eine entsprechende Prüfung vor. Derzeit befasse sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zudem mit der Einrichtung eines Fonds für Härtefälle in der Grundsicherung im Rentenüberleitungsprozess. Mit einem Bericht werde im Dezember 2019 gerechnet. Mit den dabei gewonnenen Erfahrungen soll in einem weiteren Schritt Entsprechendes auch für die Spätaussiedler geprüft werden.

Es folgten viele Fragen aus dem Publikum, wodurch sich eine rege Debatte entwickelte. Die Teilnehmer kritisierten hauptsächlich einen ihrer Auffassung nach erfolgten weitgehenden Ausschluss der älteren Aussiedlergeneration aus der Solidargemeinschaft Rente durch die 1996 eingeführten substanziellen Rentenkürzungen bei gleichzeitiger voller Einbeziehung der arbeitenden Generation der Aussiedler zur Beitragszahlung, die Abkopplung der Rentenhöhe von der eigenen Lebensarbeitsleistung durch eine biografieunabhängige Deckelung der Renten auf Grundsicherungsniveau sowie administrative Hürden und Anrechnungsnachteile bei Durchsetzung von Rentenzahlungen aus den Herkunftsgebieten.

Die beiden Referenten gingen auf die Fragen ausführlich ein und boten Lösungswege an. Zu dem Anspruch auf Leistungen aus dem Ausland berichtete Dr. Schmachtenberg, dass es Sozialversicherungsabkommen mit anderen Staaten gebe bzw. angestrebt würden. Ein solches Abkommen mit der Ukraine sei unterzeichnet, es befinde sich zurzeit im parlamentarischen Verfahren. Mit Russland und Kasachstan stehe ein solches Abkommen noch aus. Um eine Vereinfachung des Verfahrens zur Antragstellung einer Rente aus dem Ausland zu erreichen, müsse die aktuelle Vorgehensweise einer Prüfung unterzogen werden. Die Staaten, die Beiträge in ihre Rentenkassen über viele Jahre erhalten hatten, sollten Renten für die Betroffenen auch nach Deutschland auszahlen. Als Erleichterung für die Antragsteller verwies Dr. Fabritius auf einen früheren Vorschlag, der eine Abtretung der im Herkunftsgebiet erworbenen Rentenansprüche an die deutschen Rentenbehörden durch die einzelnen Rentner vorsah. So könne das Solidarsystem gestärkt werden.

Auf eine entsprechende Wortmeldung erinnerte Dr. Fabritius daran, dass die Aufnahme deutscher Aussiedler und Spätaussiedler wegen ihrer vorteilhaften demografischen Struktur ein Gewinn für die Renten- und Sozialkassen sei, und verwies auf die Ergebnisse einer bereits 1996 unter dem Titel „Punktation zur Versachlichung der Aussiedlerdebatte“ veröffentlichten Untersuchung. Unter Bezugnahme auf Grundsätze des dem deutschen System der gesetzlichen Rentenversicherung zu Grunde liegenden Generationenvertrages äußerte der Bundesbeauftragte großes Verständnis für den deutlichen artikulierten Unmut der Teilnehmer. Fabritius sicherte zu, sich weiterhin mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass Benachteiligungen bei der Einbeziehung der älteren Generation in die Solidargemeinschaft Rentenversicherung beseitigt werden. Das gebiete schon das Prinzip gelebter und generationenübergreifender Solidarität in unserer Gesellschaft.

In seinem Schlusswort dankte Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg für die kritischen Hinweise. Er warb für Verbesserungen im Rentensystem, die allen zugutekommen sollen, die nach einer langen beruflichen Biografie, nach einem Leben voller Fleiß dennoch eine eher geringe Rente erhalten. Deswegen setze sich Bundesminister Hubertus Heil für die Einführung einer Grundrente ein. Dr. Fabritius betonte in seinem Schlusswort, dass die Lebensarbeitsleistung auch bei Aussiedlern und Spätaussiedlern bestimmend für den Altersunterhalt sei und die durch verschiedene Kürzungen in FRG geschaffene Schieflage dringend beseitigt werden müsse.

Ein herzlicher Dank gilt den Veranstaltungsorganisatoren vor Ort, Doris Hutter und Annette Folkendt.

Herta Daniel

Schlagwörter: Multiplikatoren, Konferenz, Nürnberg, FRG, Fremdrentengesetz, Verband, Russlanddeutsche, Banater Schwaben, Herta Daniel, Bernd Fabritius, Schmachtenberg

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