9. Juli 2019

70 Jahre Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland: Was ist das Geheimnis ihres Zusammenhalts?

Berühmt ist der Gemeinschaftssinn der Siebenbürger Sachsen. Historisch erklärbar durch die Notwendigkeit von dörflicher Disziplin und Zusammenhalt für das Überleben der Siedler in der Fremde, aber auch durch ihre Rolle als Verteidiger Siebenbürgens gegen die Einfälle der Türken und Tataren. Hingegen mag man sich wundern, dass ihn noch viele jener hochhalten, die schon lange nicht mehr in der alten Heimat leben, sondern – bestens integriert – in Deutschland.
Sichtbarstes Zeichen dieses Gemeinschaftssinns ist der jährlich an Pfingsten begangenen Heimattag in Dinkelsbühl: An die 24000 Teilnehmer trafen sich dort allein in diesem Jahr wieder, über zehn Prozent der in Deutschland lebenden Siebenbürger Sachsen. In den Rekordjahren 1990 und 2015 waren es rund 25000. Dabei liegt der Massenexodus aus Rumänien nun fast 30 Jahre zurück! Trotzdem wirkt die alte Heimat bis heute identitätsprägend und verbindend, selbst in der Generation der in Deutschland Geborenen. Eine wichtige Rolle bei der Erhaltung und immer wieder Neuschaffung dieses Wir-Gefühls spielt der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, der heuer 70-jähriges Jubiläum feiert.

An Mitgliedermangel leidet der 1949 gegründete Verband, dem als Bundesvorsitzende Herta Daniel vorsteht, bis heute nicht: 19574 Mitgliedsfamilien sind in acht Landesgruppen und 98 Kreisgruppen organisiert, es gibt über 50 Chöre und Singkreise, 25 Blaskapellen, 22 Kultur- und Theatergruppen.

Was verbindet die in Deutschland Geborenen mit einem Wir-Gefühl, das auf der Verbindung zu einer nie gekannten Heimat beruht? Einem Siebenbürgen, das für immer verlassen wurde, zu dem es kein Zurück gibt, zu viel hat sich inzwischen hier und dort verändert – höchstens einen Neubeginn, den nur wenige wünschen und noch weniger wagen. Doch fragt man jene, die Siebenbürgen noch erlebt haben, was sie am stärksten vermissen, kommt meist wie aus der Pistole geschossen: die Gemeinschaft!
Der Siebenbürgische Chor Baden-Württemberg vor ...
Der Siebenbürgische Chor Baden-Württemberg vor der von Bundeskulturreferent Hans Werner Schuster konzipierten Ausstellung „Für die Gemeinschaft einstehen – 70 Jahre Verband der Siebenbürger Sachsen“, Dinkelsbühl 2019.

„Ein erster Schritt, wieder Akteur zu werden“

Gemeinschaft in nächster Nähe mag man als selbstverständlich erleben. Gemeinschaft mit über ein Land hinweg Verstreuten hat etwas Virtuelles, das aktiv gewünscht und gepflegt werden muss – ein beträchtlicher Aufwand in den Zeiten vor Social Media. Waren es die zerrissenen Familien nach Fluchtbewegungen, Vertreibungen und Deportation nach dem Zweiten Weltkrieg, dann die lange Trennung durch den Eisernen Vorhang, die diesen nachhaltigen Wunsch auslösten? Ist dies der Grund, warum sich ausgewanderte Siebenbürger Sachsen vor 70 Jahren zusammenfanden, um „im ersten möglichen Moment des Grundgesetzes, 1949“ – den Verband ins Leben zu rufen, fragt Dr. Florian Kührer-Wielach, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IGKS), in seiner Rede mit dem Titel „Weil etwas fehlt“ auf der Festveranstaltung zum Jubiläum in Dinkelsbühl. Und folgert: Es war „ein erster Schritt, um wieder ein Akteur zu werden. Sich gegenseitig Hilfe zu leisten in einer Zeit, in der nicht etwas, sondern es an nahezu allem fehlte.“

Auf der Suche nach Sicherheit und Neuanfang

Erste Zellen von Siebenbürger Sachsen schlossen sich bereits 1945 zusammen, auf der Suche nach Sicherheit, bereit für einen Neuanfang unter widrigsten Bedingungen. Die Ausstellung zum 70. Verbandsjubiläum und ihre Begleitbroschüre „Für die Gemeinschaft einstehen“, beide konzipiert von Bundeskulturreferent Hans-Werner Schuster, zeigen Bilder von Landsleuten im zerbombten München, „Notgemeinschaften“ im Lager Sonne in Schwarzenbach, Halberdhütten im Lager Neukirchen oder den Treck der im Winter 1944 evakuierten Deutsch-Zeplinger, die mit Pferdewägen und zu Fuß an der Grenze zum Deutschen Reich ankamen. Rund 50000 Siebenbürger Sachsen gab es nach 1945/46 auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik: Evakuierte aus Nordsiebenbürgen und sechs Dörfern Südsiebenbürgens; entlassene Kriegsgefangene der Deutschen Wehrmacht; etwa die Hälfte der 30000 in die Sowjetunion Deportierten, die bis 1949 in den von den Sowjets besetzten Teil Deutschland entlassen wurden und in das Gebiet der späteren BRD weitergewandert waren; sowie einige Tausend, die sich schon in der Zwischenkriegszeit dort niedergelassen hatten. Link zum Video Festveranstaltung: Für die Gemeinschaft – 70 Jahre Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Video: Günther Melzer Die wichtigste Gründung war die 1945 vom Siebenbürger Sachsen Dr. Otto Appel ins Leben gerufene „Beratungsstelle für Südostdeutsche“ im Präsidium des Bayerischen Roten Kreuzes, die als Suchdienst für zerrissene Familien fungierte, Zuzugsgeneh­migungen und Wohnraum beschaffte und Dokumente übersetzen half. Ihre Aufgaben wurden 1947 vom „Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben“ übernommen, bis das Grundgesetz 1949 die Gründung von Vereinen erlaubte. In München entstand der „Verband der Siebenbürger Sachsen“, der sich bald auf ganz Deutschland ausdehnte. 1952 zählte der Verein rund 5000 Mitglieder.

Der erste Heimattag in Dinkelsbühl 1951 – unter Beteiligung von 4000 Landsleuten – war ein überwältigender Erfolg. Seither findet der Heimattag (mit zwei Ausnahmen) jährlich in Dinkelsbühl statt.
Dr. Florian Kührer-Wielach hielt in Dinkelsbühl ...
Dr. Florian Kührer-Wielach hielt in Dinkelsbühl eine brillante Rede über den Verband der Siebenbürger Sachsen. Fotos: George Dumitriu
Der Verband betrieb geschickte Öffentlichkeitsarbeit und suchte den Kontakt zu öffentlichen Stellen bis hin zur Bundesregierung. Auch zum Heimattag werden stets Politiker eingeladen – Plattform für eine Profilierung des Verbands vor den Mitgliedern. Aufgaben waren von Anfang an Interessensvertretung sozialer, wirtschaftlicher, aber auch rechtlicher Natur. „Gemeinsam mit dem Bund der Vertriebenen agierte der Verband im Vorfeld der gesetzlichen Regelungen 1952 bis 1954 ebenso erfolgreich wie bei deren Umsetzung: Anerkennung der deutschen Staatsbürgerschaft, Vertriebenengesetzgebung, Lastenausgleich“, erklärt Herta Daniel. Ein Meilenstein war 1957 die Übernahme der Patenschaft durch Nordrhein Westfalen.

1986 wurde in Dinkelsbühl das „Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen“ gegründet, das nach 1989 offen Hilfssendungen nach Rumänien schicken konnte und zum Mittler für Hilfsmaßnahmen der deutschen Regierung wurde. Hilfe zur Selbsthilfe leistet es seit 1992 mittels Wirtschaftsförderung über die Saxonia-Stiftung.

1990 standen dann erneut Rechtsfragen im Fokus. Als Rechtsanwalt, Bundesvorsitzender bzw. Verbandspräsident des Verbandes (2007-2018) konnte Dr. Bernd Fabritius, auch dank seines Bundestagsmandats, Regelungen zum Nachteil der Aussiedler teils wieder rückgängig machen. Aktuell bewegt das Thema Rentengerechtigkeit die Gemüter im Verband.

Auf kulturellem Gebiet ist die Gründung des Trägervereins „Siebenbürgisches Kulturzentrum Schloss Horneck“ 2015 der größte Meilenstein. Durch den Kauf des Schlosses in Gundelsheim mit Spendengeldern ist es gelungen, den zentralen Kultureinrichtungen eine Zukunft und einen dauerhaften Sitz zu sichern.

Nina May


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Schlagwörter: Verband, Jubiläum, Gemeinschaft, Siebenbürger Sachsen, Dinkelsbühl, Heimattag 2019

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Neueste Kommentare

  • 10.07.2019, 14:38 Uhr von gogesch: Das mit den Mitgliederzahlen sehe ich ja genauso wie Sie. Nur kommt es dann komisch, wenn demnächst ... [weiter]
  • 09.07.2019, 18:07 Uhr von Doris Hutter: Wie viele unserer Landsleute auch Mitglieder des Verbandes sind, zu beurteilen, ist ... [weiter]
  • 09.07.2019, 17:35 Uhr von gogesch: Endlich haben wir genügend Mitglieder und auch Horneck ist langfristig gesichert! Wunderbar, wenn ... [weiter]

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