15. Juli 2016

Bayerischer Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation in Nürnberg

Die Bayerische Staatsregierung, der Bayerische Landtag und die Vertriebenenverbände haben am 26. Juni in Nürnberg der Opfer von Flucht und Vertreibung gedacht. Die zentrale Botschaft des Gedenktages lautet: Es bleibt unerlässlich, alles zu tun, um das tödliche Unrecht von Vertreibungen, Umsiedlungen und ethnischen Säuberungen weltweit zu ächten und für die Zukunft zu verhindern.
Der dritte Bayerische Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung fand erstmals in Nürnberg, in zeitlicher Nähe zum bundesweiten Gedenktag statt, der am 20. Juni begangen wurde. Der Bayerische Ministerpräsident lud für den 26. Juni anlässlich des Gedenktags alle Landsmannschaften in Bayern zu einer Kranzniederlegung am Hallplatz in Nürnberg sowie anschließend zu einer Gedenkveranstaltung mit Empfang im Historischen Rathaussaal ein. Hochrangige Persönlichkeiten aus Politik und Kirche waren anwesend: Emilia Müller, Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, Dr. Marcel Huber, Leiter der Staatskanzlei, Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Sonderaufgaben, die Bundestagsabgeordneten Dr. Bernd Fabritius (CSU), Präsident des Bundes der Vertriebenen sowie Verbandspräsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Dagmar Wöhrl (CSU) und Martin Burkert (SPD), die Landtagsabgeordneten Josef Zellmeier (CSU), Karl Freller (CSU), Hermann Imhof (CSU), Volkmar Halbleib (SPD), Hans-Jürgen Fahn (Freie Wähler), Christine Kamm (Bündnis90/ Grüne), Regierungspräsident von Mittelfranken Dr. Thomas Bauer, sowie der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und langjährige CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt, die Nürnberger Stadträte Helmine Buchsbaum (CSU) und Hans Werner Henning (CSU), Erzbischof Ludwig Schick (Bamberg) und der griechisch-orthodoxe Erzpriester Apostolos Malamoussis aus München, ebenso die Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, Herta Daniel.

Mehrere Trachten- und Fahnenträgergruppen von Vertriebenen- und Aussiedlerverbänden aus ganz Bayern (Siebenbürger Sachsen, Sudetendeutsche, Schlesier, Ost- und Westpreußen, Pommern, Oberschlesier, Banater Schwaben, Sathmarer Schwaben, Deutsche aus Russland) nahmen an der Kranzniederlegung teil und erwiesen den Opfern die Ehre.
Siebenbürgisch-sächsische Vertreter in Nürnberg ...
Siebenbürgisch-sächsische Vertreter in Nürnberg beim dritten Bayerische Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation, von links nach rechts: Hildegard und Johann Steger, Rosl Potoradi, Dr. Bernd Fabritius, Herta Daniel, Hans Werner Henning, Roswitha Kepp, Inge Alzner, Johann Schuster.
Staatsministerin Emilia Müller würdigte die Heimatvertriebenen als „Opfer von furchtbarem Leid“. Die Menschen hätten „Willkür und Menschenverachtung, Tod und Gewaltakte“ erlitten. Müller sprach klar aus: „Vertreibung ist und bleibt Unrecht. Sie muss international geächtet werden.“ Zugleich würdigte sie ebenso wie die heimatpolitischen Sprecher der Fraktionen im Bayerischen Landtag Josef Zellmeier, Volkmar Halbleib, Hans-Jürgen Fahn und Christine Kamm die große Integrations- und Aufbauleistung der damaligen Vertriebenen und deren Nachkommen für das moderne Bayern. „Heute sind diese Menschen und ihre Nachkommen Brückenbauer für ein friedliches Europa“, so Emilia Müller.

Musikalisch umrahmt wurden Kranzniederlegung und Gedenkveranstaltung vom leider nicht überzeugenden Chor „Singende Herzen“ der Russlanddeutschen aus Ingolstadt, und der niveauvoll vorgetragenen Blasmusik durch die Stadtkapelle Röthenbach/Pegnitz. Der ansehnliche Zug der Teilnehmer, darunter zahlreiche Trachtenträger, auch Siebenbürger Sachsen, vom Mahnmal am Hallplatz bis zum Rathaus, angeführt von der Röthenbacher Blaskapelle, war bei bestem Sommerwetter eine farbenfrohe, stattliche Erscheinung.
Vertriebenendenkmal am Hallplatz: Bei der ...
Vertriebenendenkmal am Hallplatz: Bei der Kranzniederlegung würdigte Staatsministerin Emilia Müller die Heimatvertriebenen als „Opfer von furchtbarem Leid“. Fotos: Horst Göbbel
Im Historischen Rathaussaal wies Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly in seiner Begrüßung auf die Problematik Flucht, Vertreibung, Integration vor 70 Jahren und heute hin und betonte, eine Aussage von Christa Wolf aufnehmend, man lasse „den Auszug aus der Heimat nicht unbeweint“.

Immerhin seien etwa ein Viertel der Bewohner Nürnbergs entweder noch selber Flüchtlinge bzw. Vertriebene oder deren Nachkommen und Aussiedler. Die heutige Flüchtlingssituation brachte er in einen Zusammenhang mit der Integration der geflüchteten und vertriebenen Deutschen in die Westzonen bzw. in die junge Bundesrepublik, wo eine „gelungen Heimatfindung“ sich vollzogen habe. Die gegenwärtige Integration von Flüchtlingen sei eine große Herausforderung für unser Land.

Der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Marcel Huber, dankte den Vertriebenen und ihren Nachkommen und bekräftigte: „Versöhner und Brückenbauer sind Goldes wert – vor allem dieser Tage. Menschen wie Sie halten Europa zusammen“. Der Gedenktag stehe eindeutig auch für Versöhnung, Frieden und Miteinander. Die Europäer müssten entschlossen ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen, so Huber. „Wenn wir Europäer nicht gemeinsam über unsere Zukunft entscheiden, tun das andere für uns.“ Mehrmals wurde klargestellt, dass trotz der ungeheuren Verluste die Vertriebenen früh Versöhnung gesucht und Kontakte zur alten Heimat aufgebaut hätten. Anfangs seien es persönliche Kontakte und bilaterale Freundschaften gewesen, heute verlässliche, starke Netzwerke, die für das gute Miteinander mit unseren östlichen Nachbarn unverzichtbar seien. Bei allen Widersinnigkeiten der Brüsseler Eurokratie müsse doch immer klar sein, dass die Europäer nur gemeinsam eine Chance hätten, ihre Lebensweise gegenüber den starken Gegenkräften wie der arabischen Welt, Russland und China zu verteidigen. „Bei aller Kritik: Europa ist eine Friedensgeschichte. 71 Jahre Frieden auf unserem Kontinent beweisen das“, so Marcel Huber. „Wer in Frieden, Freiheit und Wohlstand großgeworden ist, vergisst manchmal, dass das alles nicht selbstverständlich ist“, sagte Huber. Ohne überzeugte Europäer wie Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß könne Europa nicht existieren.
Gedenkumzug vom Hallplatz zum Nürnberger Rathaus, ...
Gedenkumzug vom Hallplatz zum Nürnberger Rathaus, darunter zahlreiche Trachtenträger, auch Siebenbürger Sachsen
Dr. Bernd Fabritius hat in seiner Festrede die Themen klar und verständlich auf den Punkt gebracht. Sie fand großen Anklang. Zunächst dankte er dem Freistaat Bayern herzlich dafür, dass er in vielen Fällen Vorreiter und Anwalt der vertriebenenpolitischen Anliegen sei. Auch den bundesweiten Gedenktag am 20. Juni gäbe es nicht, hätte die Bayerische Staatsregierung nicht abermals eine Vorreiterrolle übernommen. Er betonte, dass wir diese Tage zum Gedenken an die 15 Millionen deutschen Heimatvertriebenen und für einen Erinnerungstransfer nutzen müssten. Die Verzweiflung und die Todesangst eines jeden Einzelnen von ihnen seien für uns heutzutage kaum mehr vorstellbar. Gleichzeitig stellten wir fest, dass diese gera-de heute in der Beschreibung des persönlichen, individuellen Leids wieder erschreckend aktuell seien. Daher sei es eine wichtige Aufgabe, „jährlich aufs Neue daran zu erinnern – und zwar sowohl am 20. Juni in Berlin, als auch zu den Landesgedenktagen in Bayern, Hessen und Sachsen –, dass die Vertreibungen der Deutschen genauso ein Unrecht darstellen, wie die Vertreibungen anderer Gruppen und Völker – egal wo, egal wann, egal wonach.“ Und er fügte hinzu: „Vertreibungen sind weltweit zu ächten, Menschenrechte sind unteilbar.“ Dies gelte auch für das Unrecht, das den Deutschen damals widerfahren sei. „Dieses Unrecht ist daher im gleichen Atemzug mit den ethnischen Säuberungen von heute zu nennen. Denn sie sind allesamt gleich schrecklich und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“

Der Festredner nahm den Gedanken von Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly zum Thema der heutigen Flüchtlingsproblematik auf und betonte: Wir sind zu zwei Sachen verpflichtet: Erstens, den Schutzsuchenden von heute Schutz zu bieten und ihre Menschenrechte zu achten. Zweitens, den Menschen, die in Deutschland leben, den Schutz der eigenen gewohnten Umgebung, des diesen ausmachenden Wertekanons und letztlich auch deren kollektive Identität zu garantieren. Auch dieses ist ein Menschenrecht.“ Im Hinblick auf das Leitwort des Bundes der Vertriebenen 2016, „Identität schützen – Menschenrechte achten!“, verlangte er einen ehrlichen Umgang mit der eigenen Geschichte – hier und in unseren alten Herkunftsgebieten. „Dazu gehört der von Deutschland verbrochene Krieg, dazu gehört aber auch das Geschehen nach diesem Krieg in unseren Nachbarländern!“

Nach der Festrede von Dr. Fabritius folgte unter Leitung des Fernsehjournalisten und stellvertretenden Fernsehdirektors des Bayerischen Rundfunks Andreas Bönte eine umfassende Präsentation des langjährigen erfolgreichen pommerschen Kultur-Projektes „Ihna” aus Erlangen mit den Partnern aus Polen sowie eine anregende Diskussionsrunde mit den Vertriebenensprechern der Fraktionen. Dabei wurde betont, dass mit dem Gedenktag an die Millionen Frauen, Männer und Kinder aus den historischen deutschen Ost- und Siedlungsgebieten erinnert werde, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs ihr Eigentum, ihre Heimat und oftmals auch ihr Leben verloren haben. Bayern möchte die Erinnerung an diese Ereignisse für die künftigen Generationen lebendig halten und zu Verantwortung und Versöhnung mahnen. Der anschließende Empfang in der Ehrenhalle des Nürnberger Rathauses bot neben den feinen kulinarischen Köstlichkeiten die Möglichkeit zum Gespräch und landsmannschaftlichem Austausch.

Hildegard Steger/Horst Göbbel

Schlagwörter: Gedenktag, Gedenkfeier, Gedenkstätte, Flucht und Vertreibung, Deportation, Bayern, Nürnberg, Fabritius, Daniel

Bewerten:

13 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.