18. Mai 2016

„Wir sind stolz auf diese deutsche Kultur!“

Am Pfingstsonntag erlebte Peter Altmaier (CDU) seine Heimattagspremiere in Dinkelsbühl. Der Chef des Bundeskanzleramtes sprach bei der Kundgebung vor der Schranne neben dem Ministerpräsidenten von Rumänien, Dacian Cioloș (Premier Dacian Cioloș: "Die Kirchenburgen Siebenbürgens zu neuem Leben wecken"), und dem Verbandspräsidenten Dr. Bernd Fabritius, MdB (siehe Bernd Fabritius: „Wir gehören dazu!“). Der 57-jährige Volljurist, engster Mitarbeiter von Bundeskanzlerin Angela Merkel und seit Herbst 2015 Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, äußerte sich in seiner Rede begeistert über die außerordentlich „starke, lebendige Kultur“ der Siebenbürger Sachsen als Teil der deutschen Kultur. Diese „wichtige Volksgruppe in Deutschland“ habe dazu beigetragen, „dass Deutschland heute so stark und leistungsfähig“ sei, betonte Altmaier. Die beim Trachtenumzug so zahlreich vertretenen jungen Landsleute hätten im Zuge der europäischen Integration die Chance, „ihr ganzes Leben in Freiheit, in Frieden und in Wohlstand zu verbringen“. Die Ansprache wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich überbringe Ihnen die allerherzlichsten Grüße unserer Bundeskanzlerin und von der Bundesregierung insgesamt zu Ihrem Treffen hier heute in Dinkelsbühl! Ich bin sehr gerne zu Ihnen gekommen, weil ich aus den Schilderungen von Bernd Fabritius weiß, wie aktiv, wie erfolgreich, wie menschlich sympathisch Ihre Landsmannschaft ist. Ich bin als Kanzleramtsminister leider nicht der wichtigste Minister in der Bundesregierung, da gibt es ganz andere, aber ich kann Ihnen versprechen, vor Ihnen steht heute der gewichtigste Minister in der Bundesregierung seit vielen Jahrzehnten.

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Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich zunächst bei Ihnen, Herr Premierminister, zu bedanken für das, was Rumänien in den letzten Jahren auch an deutsch-rumänischer Aussöhnung geleistet hat, und für die Unterstützung der Anliegen der Siebenbürger Sachsen aus Deutschland und aus aller Welt.

Wir haben erlebt, dass nach so vielen Jahrzehnten von Elend, von Verfolgung, von Terror, von Unterdrückung wir heute die Chance haben, das zu tun, wofür unsere Vorfahren seit vielen Jahrzehnten gearbeitet und worauf sie seit vielen Jahrzehnten gehofft haben. Und deshalb möchte ich mich bei Ihnen allen bedanken dafür, dass Sie niemals aufgegeben haben, dass Sie in den 800 Jahren, in denen Ihre Vorfahren und teilweise auch Sie selbst in Siebenbürgen gelebt haben, niemals Ihre deutschen Wurzeln und Ihre deutsche Kultur vergessen haben, dass Sie vieles von dem bewahrt haben, was Sie mitgenommen haben. Und dann, meine Damen und Herren, und das finde ich so großartig, als Sie dann zurückgekehrt sind in Ihr Heimatland, nach Deutschland, als Deutsche hier gelebt haben, da haben Sie trotzdem das, was Sie in Rumänien über 800 Jahre lang entwickelt und vorangebracht haben, mitgebracht und hier in Deutschland entwickelt und bewahrt. Ich kenne kaum eine andere Volksgruppe, die so eine starke, lebendige Kultur hier pflegt. Es ist deutsche Kultur und wir sind stolz auf diese deutsche Kultur!
Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramtes, ...
Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramtes, spricht bei der Kundgebung vor der Schranne. Foto: Christian Schoger
Ich selbst habe in den 70er und 80er Jahren junge Studentinnen und Studenten kennengelernt, die aus Rumänien nach Deutschland gekommen waren mit deutschen Wurzeln, die hier sich einfinden mussten in ein Land, das ihnen zunächst einmal fremd war. Und sie alle haben es mit Bravour geschafft. Die Siebenbürger Sachsen, die heute hier in Deutschland als Deutsche erfolgreich sind, die Architekten, Ingenieure und Ärzte stellen, die Lehrer und Beamte, Musiker und Künstler stellen, Geschäftsleute, Unternehmer, Arbeitgeber, Menschen, die am Fließband arbeiten, Menschen, die dafür sorgen, dass es diesem Land gut geht, sie sind nicht nur eine wichtige Volksgruppe in Deutschland, sie haben dazu beigetragen, dass Deutschland heute so stark und leistungsfähig geworden ist, wie wir es alle kennen, wenn wir die Statistiken und Zahlen ansehen. Deshalb möchte ich Ihnen etwas zurufen, was mich tief im Innersten bewegt: Europa hat in den letzten Jahrhunderten sehr viele Kriege erlebt, vom 30-jährigen Krieg über die Napoleonischen Kriege, über den deutsch-französischen Krieg, den Ersten Weltkrieg, den Zweiten Weltkrieg, und 60 Jahre Kommunismus in der Hälfte Europas und der Hälfte des deutschen Vaterlandes. Und in all dieser Zeit, wo wir Europäer uns gegenseitig bekämpft haben, waren die Menschen die Leidtragenden und die Opfer. Und sie mussten bezahlen mit ihrem Glück, mit ihrem Wohlstand und viele von ihnen mit ihrem Leben. Als ich vorhin die vielen jungen Menschen gesehen habe, die mit Ihnen mitgegangen sind in diesem wunderschönen Trachtenzug, da musste ich daran denken, dass diese jungen Leute die ersten sind aus der Generation der Siebenbürger Sachsen seit vielen Hundert Jahren, die die Chance haben, ihr ganzes Leben in Freiheit, in Frieden und in Wohlstand zu verbringen. Und dass das so ist, verdanken wir auch der europäischen Einheit und der europäischen Integration. Ich weiß als jemand, der selbst in Brüssel gearbeitet hat, dass in Europa nicht alles perfekt ist, dass Fehler gemacht werden, dass wir uns manchmal ärgern über Bürokratie oder darüber, dass Europa so lange streitet. Aber wenn Sie sehen, dass wir heute nach Rumänien fahren können, ohne dass wir Angst haben müssen, dass rumänische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, in Frankreich und anderswo leben und arbeiten können, wenn wir sehen, dass wir fahren können von Portugal bis nach Estland und Lettland, ohne dass wir unseren Ausweis vorzeigen müssen, dann sage ich Ihnen, diese europäische Integration ist das Beste, was Europa in den letzten 200 Jahren passiert ist. Und deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass diese europäische Integration aufs Spiel gesetzt und kaputt gemacht wird von irgendwelchen Menschen, die uns in den Nationalismus zurücktreiben wollen.

Ich darf Ihnen versichern, dass wir Ihren Anliegen offen gegenüber stehen, dass wir wissen, wie wichtig es ist, dass dieser Teil unserer deutschen Identität nicht nur von denen weiter getragen wird, die unmittelbar aus Siebenbürgen zu uns gekommen sind, sondern auch von den Kindern und Enkelkindern, so wie wir unsere westfälische, unsere bayerische, unsere schwäbische, unsere sudetendeutsche, unsere ostpreußische Identität über all diese Jahre bewahrt und weiterentwickelt haben und auch für die Zukunft bewahren werden. Ich glaube, dass wir eine Chance haben, dass das, was noch vorhanden ist, in Siebenbürgen erhalten wird, dass wir eine Chance haben zu einer neuen Partnerschaft mit Rumänien, und dass Rumänien als Teil der Europäischen Union auch eine Entwicklung machen kann und soll, so wie alle anderen Länder in Mittel- und Osteuropa, wo die Menschen ein ähnliches Maß an Wohlstand, an Freiheit und Demokratie genießen können, wie dies bei uns seit vielen Jahrzehnten der Fall ist. Dass wir in Deutschland imstande waren, trotz vieler Unkenrufe, in den letzten 20 Jahren zu zeigen, dass wir mit den Folgen der Globalisierung fertig werden, dass wir neue Arbeitsplätze schaffen können, dass wir unseren Haushalt konsolidieren können, dass wir die Sozialsysteme stärken können, das ist ein großer Beweis dafür, dass dieses Land stark und vital ist, dass es anderen helfen kann.

Bernd Fabritius hat gesagt, Sie sind keine Migranten, Sie sind Deutsche, und das unterschreibe ich zu einhundert Prozent. Wir Deutschen, ganz egal, wo unsere Vorfahren gelebt haben, ob in Ostpreußen oder im Sudetenland, ob in Russland oder in Rumänien, ob im Saarland oder in Hamburg, oder in Köln oder in Westfalen, wir Deutschen wissen, was Vertreibung anrichten kann. Und deshalb haben wir immer in den letzten 60 Jahren auch denen geholfen, die keine Deutschen sind, die aber Schlimmes und Schreckliches erlebt haben. Ich weiß, wenn junge Menschen zu uns kommen aus Ländern, wo man keine deutschen Traditionen und Wurzeln hat, wo man geflohen ist aus Angst um das Leben und aus Angst um die Zukunft unserer Kinder, dann haben es auch diejenigen Menschen nicht einfach. Wir wollen ihnen helfen und Schutz gewähren, so lange sie an Leib und Leben bedroht sind, und wir wollen ihnen die Möglichkeit bieten, Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu werden. Deshalb bieten wir auch unsere Kultur, unsere Werte, unsere Erfahrungen der letzten Hunderte Jahre an und sagen diesen Menschen: „Ihr seid willkommen, wenn Ihr bereit seid, euch in dieses Land so einzufügen, wie es für alle Menschen gilt, die dauerhaft in diesem Land leben.“ Und dass wir damit unsere eigenen Wurzeln nicht gefährden, dass wir keine Angst haben müssen, dass wir weniger deutsch, weniger europäisch sind als vorher, dafür sorgen Sie mit Ihrem Brauchtum, das Sie lebendig erhalten.

Lieber Bernd Fabritius, ich wiederhole das nicht. Du hast die Punkte aufgeführt, mit Deutschunterricht in Rumänien, mit der Restitution, mit Entschädigung für die Zwangsarbeiter auch aus Rumänien, die in Deutschland im Krieg eingesetzt waren, mit der Frage, was wir tun können, damit Ihr kulturelles Erbgut, ob es nun Schloss Horneck ist oder anderswo, so geschützt wird, wie es verdient ist. Wir alle werden dazu beitragen! Die Siebenbürger Sachsen sind zusammengenommen, wenn man alle auf der Welt mitzählt, größer als Luxemburg, als Malta. Sie haben vielleicht kein eigenes Bundesland, aber ihnen gehören alle 16 Bundesländer in Deutschland, und dafür sind wir froh und dankbar!

Lieber Herr Ministerpräsident, Ihre Regierung hat den deutsch-rumänischen Beziehungen gut getan, aber Ihre Regierung hat auch Rumänien insgesamt gut getan, und Ihre Regierung hat Europa gut getan. Deshalb wünschen wir nicht nur dem großen und stolzen Land Rumänien, sondern - ich sage das ganz persönlich als jemand, der Ihrer Rede zugehört hat, der Ihren Kanzleramtsminister Tudorache persönlich kennt, der weiß, wie Sie in den letzten Monaten gearbeitet haben – ich wünsche Ihnen persönlich viel Erfolg, nicht nur bis zur nächsten Wahl, sondern weit darüber hinaus! Alles Gute für Ihre wichtige Arbeit!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Heimattag hier in Dinkelsbühl und alles Gute für Ihre Arbeit in der Zukunft!

Schlagwörter: Heimattag 2016, Kundgebung, Altmaier, Ansprache

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