2. Juni 2015

Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl: Vom Kern und den Grenzen der Legitimation

Dinkelsbühl – Der Pfingstmontagvormittag ist traditionell der Podiumsdiskussion vorbehalten als Abschluss des Heimattagprogrammes. Freie Sitzplätze waren im Kleinen Schrannensaal Mangelwaren, als Hofrat Volker Petri, Bundesobmann des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich, um 9.30 Uhr das Saalpublikum begrüßte, das Podium vorstellte und davon absah, das Thema anzumoderieren: „Repräsentation und Interessenvertretung“. Mäßig spannend, konnte man meinen. Die Diskussionsteilnehmer neben Petri, Dr. Bernd Fabritius, MdB, Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, Stadtrat Johann Werner Henning, Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Philippi, würden über ihr jeweiliges politisches, kulturelles bzw. kirchliches Tätigkeitsfeld sprechen und sich ansonsten konsensorientiert geben. Der Veranstaltungsverlauf sollte diesen Erwartungshorizont dann glücklicherweise nicht erfüllen.
Zunächst erhielten die Podiumsteilnehmer das Wort. Paul Philippi, dem am Vortag der dem Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis verliehen worden war, erinnerte an die Sächsische Nationsuniversität, welche jahrhundertelang die „Bürger des siebenbürgischen Sachsenbodens“ politisch vertrat und verwaltete. Der Name „Sachse“ sei daher „bodengebunden“. Die sächsische Nation sei eine „juristische, völkerrechtliche Einheit“ gewesen. „Sachsen“ habe man allerdings auch die Angehörigen der „Kirche Gottes sächsischer Nation“ genannt. Die außerhalb des Territoriums der Nationsuniversität wohnten, sich aber an das Recht und Gewohnheitsrecht dieser Kirche hielten. Nach der politischen Auflösung der Existenz der Nationsuniversität sei die Evangelische Kirche weithin auch politisch an deren Stelle getreten. Auf heute übertragen bedeute das: „Politisch werden die Sachsen Siebenbürgens, die Siebenbürger Sachsen, vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) vertreten.“ Die Siebenbürger Sachsen im Ausland und ihre Zusammenschlüsse „haben juristisch-politisch eine andere Position. Sie können wohl publizistisch auftreten und dadurch erhebliche Wirkung erzielen“, aber „als völkerrechtlich bzw. minderheitenrechtlich relevante Bezugsgruppe können wohl nur die Sachsen gelten, die in Siebenbürgen / Rumänien leben – sodass ihnen und somit dem DFDR, das „innerhalb Siebenbürgens selbstverständlich in Verbundenheit mit der Kirche“ arbeite, die Aufgabe zukommt, sich selbst bzw. die Siebenbürger Sachsen zu vertreten“, schlussfolgerte der Ehrenvorsitzende des DFDR. Es gehe im Zusammenwirken der Siebenbürger Sachsen darum, „dass die kräftigere Stimme der Auslandssachsen sich mit der entscheidenden Stimme der Inlandssachsen in gegenseitigem Einverständnis sprechen und handeln: jedes Gremium nach seinen jeweiligen Möglichkeiten“.

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Resoluter Widerspruch kam von Bernd Fabritius. Der Bundesvorsitzende stellte klar, dass der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland alle Mitglieder, welche die Beitrittserklärung unterschrieben haben, juristisch vertrete, und zweifelsohne auch inhaltlich die in der Satzung verankerten Werte. Die Zusammengehörigkeit gründe auf der gemeinsamen Identität, „die geografische Verortung ist nicht konstitutiv für die Identität und Gruppenzugehörigkeit“. Die noch zu Zeiten der Sächsischen Nationsuniversität vorherrschende „territoriale Repräsentanz“ habe keine Gültigkeit mehr, „heute geht es um die siebenbürgisch-sächsische Volkszugehörigkeit“. Das Forum und der Verband der Siebenbürger Sachsen „stehen nicht in einer Konkurrenz zueinander, sondern in einer Gemeinschaft“. Der Kollektivvertretungsanspruch, politisch gesehen eine Frage der Legitimation, Kompetenz, der Autorität, wurde jedenfalls kontrovers erörtert. Fernerhin differenzierte Fabritius in seinem Statement zwischen „Repräsentation“ und „Interessenvertretung“: Das „öffentliche Auftreten und die Wahrnehmung jedes Einzelnen von uns“ seien „für die Außenwirkung der Siebenbürger Sachsen ausschlaggebend“, also repräsentativ wirksam. Demgegenüber setze die „Interessenvertretung nach innen und nach außen“ die „Legitimation der Vertretenen“ voraus.
Die Podiumsteilnehmer in Dinkelsbühl, von links: ...
Die Podiumsteilnehmer in Dinkelsbühl, von links: Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Philippi, Hofrat Volker Petri, Dr. Bernd Fabritius, MdB, und Johann Werner Henning. Foto: Christian Schoger
Konrad Gündisch, komm. Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München, konzentrierte seine Ausführungen thematisch auf die Repräsentanz und Vertretung im akademischen Bereich. Im Hinblick auf die Lehre gebe es ein breites Spektrum an Institutionen in Siebenbürgen und im deutschen Sprachraum. Beispielgebend verwies Gündisch auf Lehraufträge in Hermannstadt, Klausenburg und Bukarest, Gastdozenturen, das Betreuen von Seminaren, Magister- und Doktorarbeiten, das Durchführen von Exkursionen. Im Bereich der Forschung führte der Historiker neben dem IKGS auch das von Prof. Dr. Paul Niedermaier geleitete Institut für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt an, ferner das Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim, das Deutsche Kulturforum östliches Europa in Potsdam mit seinem Direktor Dr. Harald Roth, die in Tübingen ansässige Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa, das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (Stellvertretender Direktor Dr. Dr. Gerald Volkmer), An-Institut der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Öffentlichkeitswirksame Relevanz komme überdies den einschlägigen Publikationen (u. a. die vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde herausgegebene Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde sowie Buchveröffentlichungen in verschiedenen Reihen) und Preisen, wie dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis bzw. Jugendpreis oder dem vom Deutschen Kulturforum Östliches Europa vergebenen Georg-Dehio-Preis zu. Gündisch gab noch zu bedenken, „dass wir ohne Weiterentwicklung unserer Kultur hinter den Standards zurückbleiben und unsere Interessen nicht vertreten können“.

Volker Petri blickte zurück auf seine jahrelange Tätigkeit als Landesschulrat für Oberösterreich und damit Interessenvertreter der Evangelischen Kirche in Österreich, die in der katholischen Alpenrepublik anteilsmäßig nur vier Prozent ausmache. Anno 1947 habe sich die Zahl der damals rund 50 000 evangelischen Österreichern durch die hinzugekommenen 52 000 Flüchtlinge verdoppelt. Die Interessenvertretung für die siebenbürgischen Gemeinden, als „Minderheit in der Minderheitenkirche“, habe letzthin Früchte getragen („Es hat sehr lange gedauert.“). Heute, so versicherte Petri, seit nunmehr 17 Jahren amtierender Bundesobmann in Österreich, „wird uns in Kirche und Umwelt Anerkennung zuteil. Unsere Rolle in Österreich wird sichtbar. Unser nachbarschaftliches, kirchliches Denken, unsere Traditionen bereichern Österreich.“

Der Nürnberger CSU-Stadtrat Johann Werner Henning, auch 1. Sprecher der HOG Nadesch, gab Einblick in sein kommunalpolitisches Handeln. Im Bemühen um den Ausbau der Verbindungen von Politik und Wirtschaft engagiere er sich besonders für die Förderung von Handwerksbetrieben. Beispielhaft erwähnte Henning zwei Anträge betreffend Baumstriezelstände in Nürnberg und die erfolgte Konzessionserteilung für „gute Standorte in der Innenstadt und in der Südstadt“. Weiterhin lobte der Stadtrat die effektive Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis Nürnberg-Brașov/Kronstadt. So profitiere die Lehrerausbildung in Kronstadt durch das Organisieren von Fachlehrbüchern. Zur Verbesserung der Infrastruktur setzt sich der Kommunalpolitiker als Aufsichtsratsmitglied der Flughafen Nürnberg GmbH für attraktive Flugverbindungen nach Rumänien ein.

Sorge um Gundelsheim


Nach den Ausführungen des Podiums wurde die Diskussion auch für das Publikum freigegeben. Aus der Vielzahl an Beiträgen, an fruchtbaren Denkanstößen kann in diesem Rahmen nur äußerst selektiv berichtet werden. Kritisch hinterfragte Pfarrer i.R. Werner Knall aus Freiburg in seiner Wortmeldung den Begriff „Toleranz“, den er heute in seinem persönlichen Umfeld als negativ besetzt empfinde („Ich bin umgeben von Pegida-Sachsen!“).
Das Publikum im Kleinen Schrannensaal beteiligte ...
Das Publikum im Kleinen Schrannensaal beteiligte sich engagiert an der lebendigen Diskussion. Foto: Christian Schoger
Der ehemalige Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Zeiden, Erwin Albu, der nach eigenem Bekunden das Bürgermeisteramt in Zeiden anstrebt, prangerte den illegalen Raubbau an rumänischen Wäldern an. Er vermisse den entschiedenen Einsatz des Verbandes der Siebenbürger Sachsen gegen diese Naturzerstörung. Der Bundesvorsitzende Bernd Fabritius konterte energisch: Obzwar ihn diese Entwicklung persönlich besorge, sei er als deutscher Bundestagsabgeordneter nicht legitimiert, sich in die rumänischen Angelegenheiten einzumischen. Bundesobmann Volker Petri pflichtete seinem Vorredner bei und warnte vor „oberlehrerhaftem Auftreten“ („Jedes Land sollte seine eigenen Probleme selbst lösen.“).

Ein „heißes Eisen“ brachte der aus Schäßburg gebürtige Fürther Unternehmer Lukas Geddert zur Sprache. Der Vorsitzende der HOG Pruden, bekannt als großzügiger Förderer siebenbürgischer Einrichtungen, verlangte Aufklärung über die aktuelle „Brandsituation“ in Gundelsheim. Dazu nahm Dr. Fabritius Stellung. Der Bundesvorsitzende räumte ein, dass sich das Alten- und Pflegeheim auf Schloss Horneck derzeit in einem „finanziellen Tief“ befinde, dies sei jedoch eine Angelegenheit des Trägers der Immobilie, des Hilfsvereins der Siebenbürger Sachsen „Johannes Honterus“ e.V. Der Bundesvorstand habe am 22. Mai am Rande des Heimattages in Dinkelsbühl den grundsätzlichen Beschluss gefasst, „dass unsere Kultureinrichtungen in ihrer Einheit erhalten bleiben sollen“. Anknüpfend teilte der Vorsitzende des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrats, Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, mit, dass der Kulturrat am 23. Mai ganz in diesem Sinne „die Einheit der Kultureinrichtungen“ beschlossen habe, „wo ist zweitrangig“, fügte Gündisch hinzu. Die Frage nach der Zukunft unserer zentralen Kultureinrichtungen in Gundelsheim sorgte für hörbare Irritation im Saal.

Die Stellvertretende Bundesvorsitzende Doris Hutter unterstrich die Bedeutung der „Interessenvertretung auf der Basis unserer Mitglieder“ am Beispiel des Urzelbrauchs; so war in diesem Jahr ein Bus rumänischer Urzeln nach Nürnberg eingeladen worden.

Nach fast zweieinhalbstündiger intensiver Diskussion dankte der Bundesvorsitzende „für die sehr rege Beteiligung des Publikums“ und zog in seinem Schlusswort ein persönliches Fazit zum abgelaufenen Heimattag.

Christian Schoger


Schlagwörter: Heimattag 2015, Dinkelsbühl, Podiumsdiskussion, Fabritius, Philippi, Petri, Gündisch, Gundelsheim

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  • 13.06.2015, 22:22 Uhr von Fabritius: Hallo Herr Gogesch, da gebe ich Ihnen Recht, mich wundert es auch etwas - passt aber leider ins ... [weiter]
  • 13.06.2015, 11:24 Uhr von gogesch: Mit "keinen juckts" meinte ich den fehlenden Aufschrei, in den Reihen unserer Landsleute, die diese ... [weiter]
  • 12.06.2015, 10:51 Uhr von Fabritius: Lieber Herr Gogesch, mit Ihrer Vermutung, die Situation würde keinen "jucken", irren Sie ;-). Die ... [weiter]

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