27. Mai 2013

Christoph Hammer: Wir gehören zu Europa, dem wir Dank und Verpflichtung schulden

Dinkelsbühls Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer hat den Siebenbürger Sachsen bei Eröffnungsveranstaltung des Heimattages am 18. Mai 2013 für ihren wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Stadt Dinkelsbühl gedankt. Das vor 60 Jahren verabschiedete Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz sei auch heute eine notwendige Voraussetzung für die Eingliederung der deutschen Aussiedler in Deutschland. Aus einer Geschichte von Krieg und Leid lernend, plädierte der CSU-Politiker für ein Festhalten an europäischen Werten und ein friedliches Miteinander. Seine Ansprache wird im Folgenden leicht gekürzt wiedergegeben.
Sehr geehrte Ehrengäste, sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, Sie in der historischen Schranne willkommen zu heißen.

Die erste Fassung des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes vom 19. Mai 1953 wurde am 22. Mai im gleichen Jahr im Bundesgesetzblatt verkündet. Fast auf den Tag genau 60 Jahre alt ist dieses Gesetz mit dem heutigen Tag. Das Gesetz war und ist immer noch die notwendige Voraussetzung für die Integration der vertriebenen Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist mit dafür verantwortlich, dass die Aussiedlerpolitik innerhalb der Zuwanderungspolitik eigenständig bleibt. Das Gesetz regelt die Anerkennung als Aussiedler oder Spätaussiedler. Es informiert u.a. über die Rechte und Vergünstigungen, Behörden, Beiräte, die Pflege des Kulturgutes, die Forschung und die Statistik und regelt somit auf der Gesetzesebene vieles für die Aussiedler.

Die Siebenbürger Sachsen waren in der Vergangenheit Flucht, Vertreibung und Diskriminierung ausgesetzt. Nach ihrer Ansiedlung im Rahmen der Ostkolonisation im 12. Jahrhundert waren dies unter anderem der Verlust der Autonomie während der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie Ende des 19. Jahrhunderts, die Diskriminierung im Königreich Rumänien sowie während und nach dem Nationalsozialismus und zu Zeiten der kommunistischen Ceaușescu-Diktatur. Aufgrund dieser Vergangenheit mit vielen Zeiten der Flucht, Vertreibung und Diskriminierung hat eine gesetzliche Grundlage ihrer Rechten und Pflichten für die Siebenbürger Sachsen eine große Bedeutung. Ein Gesetz gibt Anerkennung und Unterstützung. Diese Anerkennung und Unterstützung muss den Aussiedlern allerdings nicht nur auf Basis des Gesetzes, sondern auch von der Bevölkerung gewährt werden. In Deutschland geborene Bürgerinnen und Bürger, Aussiedler und Zuwanderer müssen auch weiterhin solidarisch miteinander umgehen. Auch die enge Verbundenheit zwischen den in Osteuropa verbliebenen Deutschen und den in Deutschland bestehenden Verbänden kann zu einem guten Miteinander und zu einem guten Miteinander und gegenseitigen Verständnis über Ländergrenzen hinweg beitragen.

Das Motto der diesjährigen Heimattage heißt „Wir gehören dazu! Dank und Verpflichtung“.

Die Siebenbürger Sachsen erwidern mit diesem Dank wohlwollend die empfangene Hilfe, auch selbstverständlicher, weil gesetzlicher Hilfeleistungen, ein Dank, der verbunden ist mit einer Verpflichtung, die Kultur der Siebenbürger Sachsen als Teil der deutschen Kultur zu pflegen und zu fördern. Die Siebenbürger Sachsen gehören dazu. Sie identifizieren sich nicht nur mit ihrer neuen Heimat, sie wirken in ihrer neuen Heimat mit und beteiligen sich aktiv in Gesellschaft, Wirtschaft und im politischen Leben. Sie gehören zu Deutschland und zu Europa. […]

Ein Europa, zu dem alle gehören, mit dem sich die Bürgerinnen und Bürger identifizieren, sich gerecht behandelt fühlen und gerne als Europäer leben, ist eine Herausforderung. Ein Blick in die Vergangenheit vor allem Osteuropas zeigt dies. Ein friedliches Miteinander gab es in Europa auch nach den beiden Weltkriegen nicht immer. Zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen in Europa haben wir jahrelang als ja fast schon selbstverständlich hingenommen. Auf dem Balkan wurden ethnische, religiöse und vor allem schwere ökonomische Problemen miteinander vermischt und haben Kriege verursacht. So beeinflussten die Jugoslawienkriege über zehn Jahre das Leben und die Politik auf dem Balkan: Anfang der 90er Jahre der Krieg in Slowenien, dann der Kroatienkrieg, der Bosnienkrieg, der Kosovokrieg und schließlich noch der Aufstand in Mazedonien brachten viele Tode, Verletzte und viel Zerstörung der Wirtschaft und des sozialen Lebens mit sich. Weitere Staaten Osteuropas wie Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien und eben auch Rumänien standen während des Ost-West-Konflikts unter sowjetischer Hegemonie.

Sowohl die Staaten des Balkans als auch die ehemaligen europäischen Satellitenstaaten der Sowjetunion näherten sich politisch den westeuropäischen Staaten an. Diese osteuropäischen Länder sind in die Europäische Union aufgenommen worden. In der Europäischen Union sind nun nahezu alle europäische Staaten, so auch seit 2007 Rumänien, Mitglied. Es ist eine große europäische Union entstanden; eine Union aus Ländern mit unterschiedlichster wirtschaftlicher Entwicklung, mit verschiedensten ethnischen Völkern.

Mit diesem vereinten Europa kann der Frieden zwischen den Mitgliedstaaten erhalten bleiben, die europäischen Länder können konkret zu einer Zusammenarbeit bewegt werden, die europäischen Bürgerinnen und Bürger können in Sicherheit leben, wirtschaftliche und soziale Solidarität wird gefördert, in einer globalisierten Welt wird die europäische Identität und Vielfalt bewahrt und die gemeinsamen europäischen Werte können beworben werden.

Die Vollendung des Binnenmarkts Anfang der Neunzigerjahre war ein großer Erfolg für die europäische Wirtschaft. Die vier Grundfreiheiten „freier Warenverkehr“, „Personenfreizügigkeit“, „Dienstleistungsfreiheit“ und „Freier Kapital- und Zahlungsmarkt“ bilden die Grundlage des Binnenmarktes der Europäischen Union. Der Binnenmarkt reichte aber nicht aus. Damit der Markt reibungslos funktioniert, musste der Euro eingeführt werden; dies geschah 1999. Die Finanzkrise 2008/2009 und die Schuldenkrise 2010 haben jedoch gezeigt, dass der Euro durch Angriffe von internationalen Spekulanten gefährdet ist. Europas Wirtschaft gerät in Gefahr.

Seit Längerem klagen die schuldengeplagten Krisenländer in Europa, dass die Sparzwänge das Wirtschaftswachstum abwürgen und die Lage noch verschärfen. Sie sehen sich in einer Situation, die noch zu mehr negativen Auswirkungen führen kann. Aber nicht nur die Länder, die sich den Sparzwängen ausgesetzt fühlen, sondern auch die Nettozahler, also die europäischen Staaten, die kräftig für die Mitgliedstaaten zahlen, hadern mit Brüssel. Es kommt eine negative Dynamik in Gang. In Griechenland wird Bundeskanzlerin Merkel mit nationalsozialistischen Emblemen wie das Hakenkreuz in Verbindung gebracht. Das macht Angst. Es kann und darf nicht sein, dass wegen wirtschaftlichen Zwängen der Friedensprozess irgendwie gefährdet wird. Europa ist bei Weitem mehr als der Euro und wirtschaftliche Entwicklung.

Unsere guten Partnerschaften wie z.B. mit dem französischen Guérande zeigen sehr anschaulich wie wichtig und schön ein Zusammenleben in Europa sein kann. Erst Anfang Mai feierten wir in Dinkelsbühl 50 Jahre Städtepartnerschaft Dinkelsbühl-Guérande. Eine sehr vertrauensvolle Partnerschaft und eine der ersten Städtepartnerschaften zwischen europäischen Ländern überhaupt. Der Elysee-Vertrag von 1963 hat die beiden Nachbarn Frankreich und Deutschland nach langer „Erbfeindschaft“ und verlustreichen Kriegen seitdem immer mehr zusammengeführt. Aus einer Feindschaft wurde Freundschaft.

Eine ebenso gelebte Partnerschaft ist die mit der Stadt Schäßburg in Rumänien. Wir dürfen es nicht zulassen, dass an solchen Partnerschaften und Freundschaften, die Grenzen überwinden können, gerüttelt wird.

Sie, liebe Siebenbürger Sachsen, haben am eigenen Leib Unfrieden, Flucht und Vertreibung erfahren müssen. Die Geschichte muss uns lehren, jetzt und in Zukunft das Richtige zu tun. „Wir gehören dazu“.

Es darf nicht sein, dass Europa droht, in die Kleinstaaterei zurückzufallen. Europa, das Wachstum und Fortschritt gebracht hat.

Europa, das sich in einer Vielzahl von Politikbereichen betätigt, in denen ihr Handeln auch direkt den Mitgliedstaaten zu Gute kommt. Hierzu gehören zum Beispiel die Solidaritätsmaßnahmen in der Regional-, Landwirtschafts- und Sozialpolitik. Europa, das nach langen Jahrzehnten von Kriegen, Unterdrückung, Diskriminierung, Flucht und Vertreibung, Frieden geschaffen hat. Europa, das Grenzen der Ethik, der Konfessionen und der Kulturen überschreitet und die Länder zusammenführt.

Europa, zu dem wir alle dazugehören, dem wir Dank und Verpflichtung huldigen müssen. „Wir gehören dazu! Dank und Verpflichtung“ – das Motto des diesjährigen Heimattags der Siebenbürger Sachsen.

Ich darf Sie noch einmal alle herzlich willkommen heißen zum Heimattag. Dinkelsbühl gehört für dieses Wochenende Ihnen! Ich freue mich auf die Begegnungen mit Ihnen und wünsche viel Freude beim Wiedersehen mit alten Freunden und Bekannten.

Schlagwörter: Heimattag 2013, Dinkelsbühl, Partnerschaften, Europa, Christoph Hammer

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