13. Februar 2011

Unterhaltsame Spannung bei gleitendem Lesen: Zum Dokumentationsband "Sachsesch Wält"

Das Vorwort stellt klar: Dieser vom Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland herausgebrachte (hochwertig verarbeitete und illus­trierte) Sammelband mit Mundarttexten ist kein Auswahlband. Also keine ruhig und endgültig ausgerichtete Allee reiner Prachtexemplare, kein tendenziell statisches Panorama. Es erübrigen sich demnach anthologiebezogene Fragen nach Auswahlkriterien bei Autoren und Genres, nach Schwergewichtsetzungen, nach Kanon bildender Repräsentativität, nach speziellen thematischen Angeboten. Dafür sind Fragen nach literaturpä­dagogischen Initiativen, literatursoziologische Überlegungen zu Kurz- und Langzeit-Perspektiven der Mundartdichtung bei Migranten, Proble­me der kritischen Wertung dieses literarischen Erbes wohl nicht verfehlt.
Denn dieser Band, und das ist nicht weniger sinnvoll, dokumentiert fünf Jahre Text- und Diskussionsinhalt der Mundart-Rubrik „Sachsesch Wält“ in der Siebenbürgischen Zeitung, das heißt er reproduziert all jene von November 2005 bis Oktober 2010 spontan eingelaufenen, höflich er­betenen, aber auch viele literaturgeschichtlich überlieferte Texte. Es handelt sich um Originale und Nachdrucke, Gedichte, Prosa und eine Dialog-Probe. Sie werden begleitet von kommentierender und zitierender Moderation, von fachlichen Anmerkungen zu Eigenheiten des Sieben­- bürgisch-Sächsischen und seiner Orthographie, von fotografisch gestützten Angaben zu Text-Quellen und zu den Lebensläufen der Autoren. Das gleitende Lesen von einer Informationsdichte zur anderen, von einer Sprachebene zur andern, vom deutschen Vorwort zur Einleitung, von der Einleitung zu den in sich sehr unterschiedlichen dialektalen Texten, begleitet von deutschen Erläuterungen und dem Autorenlexikon, gefolgt von sprachwissenschaftlicher Aufklärung schafft eine unterhaltsame Spannung. Kuriosa fesseln den Blick: Bischof Friedrich Teutsch versprach in einem scherzhaften Jugendgedicht, die Liebste mit Küssen zu belohnen, wenn sie in den Wintermonaten Sächsisch lernt. Der Autor M. Schneider liefert ein Gedicht, will aber im Lexikonteil nicht erscheinen. Der hochsympathische Fritz Frank (Österreich) steuert eine 1959 verfasste prägnante Vorstellung der Nordsiebenbürger bei, es ist sein einziges Gedicht.

Also keine Allee, dafür eine reiche Streuobstwiese mit nahem und schweifendem Blick auf Gärten, Häuser, Hänge, Felder, Wälder. Der Blick geht auch nach innen. Die Grundstimmung ist in das warme Licht der Erinnerung und Sehnsucht getaucht. In diesem Bangert (= Obstgarten) stehen solide Nussbäume, gedeihen Stachel­beeren, Pflaumen, Zwetschgen, Batull-Äpfel, Birnen, Kirschen. Bei manchem Baum ist ein Kronenschnitt fällig. Aus Mauernestern, üppigen Büschen und Holundersträuchern schwirren Vögel mit ihrem internationalen Ziwitt, und über Blumen und Blüten, die hier Tulipan (= Tulpe), Gadelius (= Löwenzahn), Pluddergotsch (= Schwertlilie) oder Palemitzken (= Palmkätzchen) heißen, taumeln Schmetterlinge, die auf zehn verschiedene Namen getauft werden können.

Nach inhaltlichen Anhaltspunkten entschieden sich die Herausgeber für eine Korpusgliederung in die Groß-Kapitel: Unsere Mundart, Alte und neue Heimat, Das sächsische Jahr, Liebesfreud und Liebesleid, Nachdenkliches und Zeitkritisches, Kinderfreuden, Lustige Sachen, zum Lesen und Lachen, Gern gesungen.

Mir fielen Texte über das Älterwerden, das Einkochen von Pflaumen, die verpasste Liebe zwischen Matz und Tildchen, die Beschreibung des modernen Badezimmers, die Erinnerung an die alten frommen Grußformeln auf dem Land, der Wunsch nach europäischen Dimensionen der Integration, verfängliche Gedankenverbindungen bei einer Pfarrerpräsentation und noch manch andere Beiträge positiv auf.

Mehrere Autoren haben, geleitet von praktischen Lebensregeln und auch ermuntert von materiellen Möglichkeiten, ihr ideell-dichterisches Vermächtnis den Nachkommen in der neuen Heimat sicherheitshalber über einen Selbstverlag anvertraut. Der Verfasser strengs­tes Publikum bleibt wohl die mit Realitäten und Dialektqualitäten vertraute Heimatortsgemeinschaft. Eine durch gelebte Tradition, durch Schule, Gemeinschaftsfeste und Lektüre angeregte Beziehung zu den Vorbildern (Viktor Kästner) oder Kollegen (Maria Gierlich-Gräf) schlägt sich in gleichen Reimen (Nutschen … lutschen, scher­jen … Siweberjen) nieder, die man sich, wie es scheint, mit der Unbekümmertheit volkspoetischen Nehmens und Gebens gelegentlich borgt.
In Autorentreffen ist die Schreibung immer wieder besprochen worden. Die Seminare und die im Einvernehmen übernommene Kontrolle der Rubrikleiter haben, wie der Band zeigt, orthographisch gefruchtet. Es wurde ein Mittelweg zwischen Lese-Freundlichkeit und Lautlehre gefunden. Bezüglich der dialektalen Authentizität werden sich die Autoren an die von Hanni Markel vorgeschlagene Probe halten: Lässt sich ein Text nahezu direkt in die hochdeutsche Schriftsprache übertragen, so sollte die Mundartfassung auf ihre Echtheit überprüft werden!

Der Leser ist zu Gast im Urväterland bzw. Großelternland, in der virtuellen und realen Gesellschaft von 39 potentiellen Großvätern und 23 möglichen Großmüttern. Freilich können inzwischen 26 Verblichene der Großgruppe wie zum Beispiel ein Bischof, ein Maler, mehrere Lehrer, Pfarrer, ein Schlosser, Tierpräparator, eine Sekretärin, Kindergärtnerin, ein Weinbauer, Hausfrauen, ein Schwerbehinderter, zwei Notare nur noch im Geiste, das heißt mit (zum Teil beispielhaften) Textzeugnissen dabei sein.

Wenden wir uns also den 36 Lebenden zu. Gott sei Dank sind noch viele am Werk. Wählen wir die Alterspole. Günther Schuster (aus Mediasch), der Junior unter den Aktiven, ist gerade mal 50 Jahre alt. Er ist Industriefachwirt in Nürnberg, Vorsitzender der HG Mediasch, verantwortet für das Mediascher Infoblatt mit der Mundartbeilage Der Medwescher Tramiter und bringt dort zweimal im Jahr neben noasakseschen Gedanken über die Forderungen des Alltags und über die Macht des „Hier und Jetzt“ alte und neu entdeckte Texte von Schuster Dutz, aber auch von zeitgenössischen Autoren. Schuster selbst notiert sächsische und deutsche Texte und plädiert auch im Bereich der Wortkunst für Entwicklung. Der Senior Thomas Buortmes (Urwegen) hat im August 2010 seinen 90. Geburtstag erfüllt. Er schreibt aus gesättigter Lebenserfahrung: Krieg, Russlanddeportation, die Mühen eines LPG-Präses blieben ihm nicht erspart. Sein Gedicht Menj Äldernhäos beeindruckt durch gefasste Haltung und überzeugende Sprachbeherrschung. Man freut sich zu lesen, dass dieser uneitle Text von Karl Fisi vertont und damit in seinen Wirkungsaussichten verstärkt worden ist.

Und wie geht es weiter? Die Zeitung wird wohl nicht auf die Mundart-Rubrik verzichten, selbst wenn man weiß, dass Dichtung im Dialekt durch den Vortrag und weniger durch die Lektüre lebt. Die vom Verband herausgegebene Doppel-CD mit Märchen in siebenbürgisch-sächsischer Mundart hatte Nachfrage für zwei Auflagen. In fast allen siebenbürgischen Ortsmonografien, aber auch im Internet stößt man auf deterritorialisierte Mundarttexte. Grund für Zweckoptimismus? Werden die Kindeskinder in der neuen Wahlheimat ihrer Eltern noch zwei Muttersprachen, eine für das Herkunfts-Herz und die Klein­familie und die andere für den hier geschulten Verstand und den alltäglichen Außenverkehr haben wollen? Wie viel Sprache verkraftet der integrierte Sachs?

Bis die Zeit diese und ähnliche Fragen beantwortet, bleibt viel Gutes zu tun: Auch ich habe einen – zugegeben expansiven – Traum (Ech drieme mer e Driemeleng): Eine Anthologie bes­ter siebenbürgisch-sächsischer Texte in Überset­zungen mit beigefügter CD im von Schauspielern gesprochenen Originallaut. Die Zielsprachen: Deutsch, Englisch, Luxemburgisch, Rumänisch, Ungarisch. Ich träume weiter: Vierwöchige Sächsisch-Sommerkurse für Einsteiger und Fort­geschrittene z.B. an der Universität Trier an der Mosel oder Hermannstadt am Zibin, mit intensiven, von gestandenen Muttersprachlern abgehaltenen praktischen Kursen, Seminaren und landeskundlichen Informationsveranstaltungen (über architektonische Sehenswürdigkeiten, Kulinarisches). Fakultative Tanz- und Lied-Kurse. Im Beiprogramm Exkursionen nach Luxemburg und Brüssel. Kursgebühr 240 €. Zum Abschluss singen die Kursabgänger Af deser Iërd. Bei rechtzeitiger Anmeldung wird der Kurs gegen Gutscheine auch auf Konfirmandengruppen zugeschnitten.

Ich gestehe: Das ist nicht allein mein Traum, sondern auch eine abgewandelte Internetinformation: Für eine andere kleine, ebenfalls gefähr­dete Sprache werden, wie man liest, von Betrof­fenen ähnliche Kurse mit Erfolg in Weimar, New York, London, Paris, Tel Aviv angeboten. Wir haben alle noch viel zu lernen.

Horst Schuller

Sachsesch Wält. Mundart-Texte in der „Siebenbürgischen Zeitung“ 2005-2010. Herausge­geben von Bernddieter Schobel, Hanni Markel und Hans-Werner Schuster. Illustrationen von Renate Mildner-Müller und Wolfgang Untch. Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutsch­land, München 2010, ISBN 978-3-9802015-6-8, 227 Seiten, Hardcover, 9,90 € zzgl. Versand.

Schlagwörter: Saksesch Wält, Mundart, Rezension, Siebenbürgische Zeitung, Jubiläum

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