22. Oktober 2019

"Zweite Revolution" oder Pyrrhussieg? Hohe Erwartungen nach dem Sturz der Regierung Dăncilă

Bukarest – Am 10. Oktober hat das rumänische Parlament die Regierung Dăncilă gestürzt. Sechs Oppositionsparteien haben den von der liberalen PNL eingeleiteten Misstrauensantrag unterstützt, 238 Abgeordnete und Senatoren von insgesamt 465 – fünf Stimmen mehr als erforderlich. Inzwischen hat Staatspräsident Klaus Johannis den Parteichef der ihm nahestehenden Nationalliberalen Partei (PNL), Ludovic Orban, zum Interimspremier ernannt und mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt. Doch diese gestaltet sich schwer, denn die Fraktionen, die den Misstrauensantrag mittrugen, stellen harte, teils widersprüchliche Forderungen. Auf der anderen Seite hegt die Bevölkerung gerade jetzt hohe Erwartungen an eine neue Regierung.
Das Misstrauensvotum sei eine Folge der Dauerproteste der Bürger gegen die PSD-Regierung, so Staatspräsident Klaus Johannis. In Umfragen befinden sich die Sozialdemokraten (PSD) mit 19 Prozent im freien Fall. Für viele Rumänen sei die PSD „die Personifizierung der flächendeckenden Korruption und Vetternwirtschaft im ganzen Land“, kommentiert die Deutsche Welle (DW). Nach deren Niederlage bei den Europaparlamentswahlen und dem überwältigenden Erfolg des Referendums zur Justiz sprechen einige rumänische Medien gar von einer „zweiten Revolution“ (Revista 22). Es stellt sich jedoch die Frage, ob die von der PNL versprochenen Maßnahmen, etwa die Rücknahme der Justizreform, Mehrheiten im Parlament erzielen können. Ist die Enttäuschung der Bevölkerung, die so dringend eine Änderung wartet, damit bereits vorprogrammiert?
Staatspräsident Klaus Johannis (rechts) hat den ...
Staatspräsident Klaus Johannis (rechts) hat den PNL-Vorsitzenden Ludovic Orban mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Foto: Rumänisches Präsidialamt (www.presidency.ro)
Für Neuwahlen, die im Prinzip auch Staatspräsident Johannis befürwortet, plädieren daher die Fraktionen PNL, USR und PLUS. Doch die Hürden hierfür sind hoch: Zwei Regierungen müssen innerhalb von 60 Tagen im Parlament durchfallen, bevor der Staatspräsident die Legislative auflösen kann. Kleinere Parteien wie ALDE und PP sind eher gegen Neuwahlen, weil sie Einbußen befürchten müssen. „Im Grunde gab es sie in der rumänischen Nachwendezeit noch nie, da die meisten Parlamentarier nicht gewillt sind, ihr Mandat früher aufzugeben, und es letztlich vorziehen, selbst einer unliebsamen Regierung das Vertrauen auszusprechen“, konstatiert hierzu die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ). Laut Verfassung sind Neuwahlen frühestens nach den Präsidentschaftswahlen, die am 10. November stattfinden, möglich. Bis dann würde die Regierung Dăncilă im Amt bleiben, wenn auch mit beschränkten Befugnissen (keine Eilverordnungen).

Ludovic Orban muss sein Kabinett binnen zehn Tagen nach seiner Ernennung aufstellen und im Parlament absegnen lassen. Eine harte Nuss stellen die Sondierungsgespräche mit den Fraktionen dar. Die PSD (mit 205 Sitzen im Parlament) boykottierte diese gezielt durch Fernbleiben: Keinesfalls werden man „Johannis‘ Regierung ins Amt hieven“, zitiert die ADZ Dăncilă. Wie beim Misstrauensvotum benötigt Orban jedoch mindestens 233 Stimmen. Neben den 94 eigenen Parlamentariern könne er laut ADZ mit 20 Stimmen der ALDE, 17 der PMP und 17 der Minderheitenfraktion rechnen, während USR und UDMR (40 bzw. 30 Stimmen) noch etliche Bedingungen stellten. Doch selbst dann fehlen noch 15 Stimmen, die nur von Victor Pontas ProRomania-Fraktion kommen könnten, die eine Unterstützung der PNL bisher kategorisch abgelehnt hat, schildert die ADZ das Dilemma.

Hinzu kommt, dass die Forderungen der USR und des Ungarnverbands UDMR zum Teil widersprüchlich sind: Der UDMR stellt sich kategorisch gegen die von der PNL geforderte Änderung des Wahlrechts für Bürgermeister, für die USR hingegen ist dies eine der vier Bedingungen. Die übrigen lauten: keine Straffälligen in öffentlichen Ämtern, Abschaffung des umstrittenen Ausgleichsgesetzes, auf dessen Basis zahlreiche auch schwer kriminelle Gefängnisinsassen entlassen wurden, und eine Voranhörung des rumänischen Kandidaten für das EU-Kommissariat im Parlament.

Orbans Kabinett steht bereits, verschlankt auf 15 Ministerien, die genaue Zusammensetzung wurde noch nicht bekanntgegeben. Prioritäten seien die Wiederherstellung des makroökonomischen Gleichgewichts, die Nachbesserung von wirtschaftsschädigenden Maßnahmen der Regierung Dăncilă, Förderung von Investitionen, eine Festigung des Rechtsstaats und des „europäischen Weges des Landes“, so die ADZ.

„Kein anderes Land im Osten der Europäischen Union ist so sehr im Krisenmodus wie Rumänien“, beschreibt Der Spiegel die Lage. Ein Ende sei nicht in Sicht. Denn einen Neuanfang werde es auch mit dem designierten Premier Ludovic Orban nicht geben. Für vieles, was die PNL verspricht und worauf die Bürger so dringend warten – vor allem die Rücknahme bestimmter Justizreformen -, dürfte es im Parlament keine Mehrheit geben. „Es ist sicher, dass viele – vor allem aus dem Bevölkerungssegment jener, die an den großen Demonstrationen von 2017-2018 teilgenommen haben – enttäuscht sein werden, daraus jedoch wird die Allianz USR-PLUS versuchen, Kapital zu schlagen“, analysiert Andrei Cornea in Revista 22. Er glaube jedoch nicht, fährt er fort, dass eine neue Gesetzgebung zwingend sei – es genüge die korrekte Anwendung der aktuellen, mit Ausschreibungen für Führungsposten in der Verwaltung statt Vetternwirtschaft. Es werde für die neue Regierung nicht leicht sein, nicht in die gleiche Falle zu tappen und Macht im persönlichen und familiären Sinne zu missbrauchen.

Nina May

Schlagwörter: Regierung, Dancila, Ludovic Orban, Klaus Johannis

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