15. Mai 2019

EU-Gipfel: Der europäische Geist von Hermannstadt

Das informelle Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am 9. Mai hat Hermannstadt nach zwölf Jahren wieder ins Zentrum der großen Öffentlichkeit gerückt. 2007 war Hermannstadt zusammen mit Luxemburg „Europäische Kulturhauptstadt“ und feierte zum Jahresbeginn die Aufnahme Rumäniens in die Europäische Union. Die damalige Freude und Zuversicht sind in den Herzen der Hermannstädter nicht verklungen, obwohl Rumänien gerade in den letzten Jahren schwere Zeiten durchmacht.
Die Herzlichkeit, die überzeugte proeuropäische Stimmung der zahlreichen Menschen, die nun die Straßen säumten, sprang auf die Spitzenpolitiker über. „Ich habe mich in diese Stadt verliebt, ganz Europa hat sich in Sie alle verliebt“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk bei der abschließenden Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis.

Der Gastgeber freute sich, dass diese „Botschaft der Geschlossenheit“ in Rumänien ausgegeben wurde. Der „Geist von Hermannstadt“ sei gleichsam eine „Bestätigung unseres eigenen Wunsches, innerhalb des europäischen Projektes weiterzumachen“, betonte der Siebenbürger Sachse, der von 2000 bis 2014 Bürgermeister in Hermannstadt war.
Das traditionelle Familienfoto der europäischen ...
Das traditionelle Familienfoto der europäischen Staats- und Regierungschefs wurde am 9. Mai 2019 auf dem Großen Ring in Hermannstadt gemacht. Foto: Vlad Popa
Verabschiedet wurden in der Erklärung von Hermannstadt zehn „Verpflichtungen“ für die Zeit nach der Europawahl, darunter die gemeinsame Achtung der Rechtsstaatlichkeit, die Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa und eine stärkere Rolle der EU in der Welt. Mit Rechtsstaatlichkeit haben gleich mehrere Mitglieder zu kämpfen, darunter ausgerechnet Rumänien, das in der ersten Jahreshälfte dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Nachdem das rumänische Parlament Ende April eine weitreichende Lockerung des Antikorruptionsstrafrechts beschlossen hatte, hat die EU-Kommission bereits mit Maßnahmen gedroht – ein Verfahren wegen der Verletzung der EU-Verträge oder ein Artikel-7-Verfahren, wie kürzlich vom Vorsitzenden des Europaausschusses des Bundestags Gunther Krichbaum (CDU) gefordert. Gegen Polen und Ungarn laufen solche bereits, mit zweifelhafter Wirkung.

„Es gibt kein Europa ohne Rechtsstaatlichkeit“, betonte EU-Ratspräsident Tusk auf der Pressekonferenz. Das Thema werde auch in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle bei der strategischen Agenda der EU spielen. In der Erklärung werden die Grundwerte und Prinzipen der künftigen Zusammenarbeit festgelegt. „Wir bekräftigen unsere Auffassung, dass wir in dieser immer unbeständigeren und schwierigeren Welt geeint stärker sind; wir werden Ungleichheiten zwischen uns weiter abbauen und stets den Schwächsten in Europa helfen, wobei wir die Menschen über die Politik stellen“, versicherten die Staats- und Regierungschef in ihrer Erklärung.

Für die Hermannstädter und die aus den umliegenden Orten angereisten Bürger war der EU-Gipfel eine Gelegenheit der Bestätigung, dass sie Europäer sind und sich nicht von der antieuropäischen Stimmung der rumänischen Regierung entmutigen lassen. Am Zaun stand auch ein alter Agnethler, dessen Sohn seit Jahren in einem westeuropäischen Staat arbeitet. Er könne nur mit der Hilfe seines Sohnes leben. Nun war er nach Hermannstadt gekommen, um jene Politiker zu sehen, die seinem Sohn ein würdevolles Leben in Europa ermöglichten. Um die Welt ging ein Foto der Nachrichtenagentur Reuters, das die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Bad in der Menge zeigt. Eine alte Frau streckt erfreut die Hände nach ihr aus und versucht, sie zu umarmen. Ein Zeichen der Solidarität mit der deutschen Minderheit setzte die Bundeskanzlerin auch beim Besuch des Forums in Hermannstadt (lesen Sie dazu einen Bericht in der SbZ Online vom 16. Mai 2019).

Der EU-Gipfel wurde in zahlreichen Medien analysiert. Nikolaus Nusplinger gibt in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) zu bedenken, dass das Treffen zwei Wochen vor der Europawahl stattfand, in der 427 Millionen Stimmberechtigte aus 28 EU-Staaten ein neues EU-Parlament wählen. Damit sollten Weichen für die Zukunft der EU gestellt werden. Wenn die Weichen feststünden, was könnten die Bürger bei der Wahl zwei Wochen später noch bewirken? Ähnlich unklar sei auch der Zweck des Treffens: Ursprünglich sei geplant gewesen, den Neuanfang der EU nach dem Brexit zu gestalten. Doch in Anbetracht des verschobenen Austritts der Briten seien Zukunftspläne zum gegebenen Zeitpunkt schwierig. Weiter heißt es, die von EU-Ratspräsident Donald Tusk präsentierte Diskussionsgrundlage für die neue strategische Agenda 2019-2024 gleiche einem Wunschkonzert: Es berühre alle wichtigen Themen von Wettbewerbsfähigkeit über Verteidigung bis Klimaschutz und sei so allgemein gehalten, dass kaum namhafter Widerstand zu erwarten sei.

Die 27 verbliebenen Staats- und Regierungschefs bekräftigten: Wir halten zusammen durch dick und dünn. Sie erinnerten daran, dass Millionen von Menschen vor 30 Jahren den Eisernen Vorhang zu Fall gebracht hatten. Die neuen Werte gelte es, gemeinsam zu verteidigen – nach innen, aber auch in der Außenpolitik. Dennoch gab es im Detail unterschiedliche Positionen: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz forderte eine Neuaufstellung der EU - einen neuen Vertrag, einen Generationswechsel. Der französische Präsident Emmanuel Macron wiederholte, die EU müsse ins Digitale investieren, um gegen die USA und China zu bestehen und pochte auf mehr Klima- und Grenzschutz. Beschlossen wurde nichts von alledem. Bundeskanzlerin Merkel schlug vor, die Zahl der Gipfeltreffen von vier auf sechs im Jahr zu erhöhen, um den Stau der Dossiers abzubauen. Wie tief gespalten die Länder bei der Migration, dem Kampf gegen Steuerbetrug, bei Maßnahmen zu Klimaschutz oder Energiestrategie sind, werde verdrängt, kritisierten mehrere westliche Medien.

Eigentlich sollte der informelle Gipfel der EU-Staatsoberhäupter und Regierungschefs in Hermannstadt eine Konsolidierung der europäischen Einigkeit signalisieren und gleichsam Staatspräsident Klaus Johannis den Rücken stärken, der als Garant des europäischen Kurses in Rumänien gilt. Die sozialdemokratische Regierungspartei PSD von Liviu Dragnea heizte jedoch zeitgleich mit dem Gipfel – sowohl zur besten Sendezeit im TV als auch auf dem PSD-Meeting in Jassy – den nationalistischen und antieuropäischen Diskurs an. Der Gipfel habe Rumänien keinen Vorteil gebracht, tönte Dragnea vollmundig. Er habe „nur Parties Tag und Nacht gesehen, ausgedehnte Tafeln, aber nicht mit rumänischen Produkten, sondern allen möglichen Meeresfrüchten“. Er vermisste einen kohärenten Plan beim EU-Gipfel und kritisierte die Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Spitzenposten in der zukünftigen EU-Kommission und im EU-Parlament. Während sich die Ministerpräsidentin Viorica Dăncilă beleidigt beklagte, dass sie gar nicht zum Gipfel eingeladen worden sei, und Johannis ironisch konterte, sie könne ja zum Abschlusskonzert kommen, beschuldigte Dragnea den Präsidenten, die EU zu beeinflussen, noch mehr Druck auf Rumänien auszuüben. Er werde „nicht zulassen“, dass „einige bis zum Landesverrat hin geneigte Europäer“ das Land in „eine Kolonie“ verwandeln und dessen Reichtümer sang- und klanglos ausliefern würden, zitiert ihn die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ).

Unbeeindruckt von diesem zweifelhaften Diskurs der rumänischen Regierungspartei setzten nicht nur die Teilnehmer des EU-Gipfels, sondern auch die Hermannstädter selbst ein Zeichen für Europa und Zuversicht.

NM / SB




Schlagwörter: EU, Klaus Johannis, Hermannstadt, Europa, Dragnea

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