28. November 2017

Dragneas Ringen um Macht nimmt groteske Formen an

Der Kampf, den der Vorsitzende der rumänischen Sozialdemokraten (PSD) und Präsident der Abgeordnetenkammer Liviu Dragnea führt, um seine Machtposition zu sichern und seine eigene Haut vor Strafverfolgung zu retten, nimmt immer groteskere Formen an. Zuletzt befremdete nur eine fehlgeleitete Steuerreform Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, weil ab Januar 2018 Lohnempfänger selbst für die Sozialabgaben aufkommen müssen; sogar die Beamten, deren Gehalt ab Januar um 25 Prozent erhöht werden soll, fühlen sich geprellt, weil unterm Strich kaum etwas übrig bleibt.
Einem Kalkül entspringt hingegen der geplante Umbau der Justiz, analysiert die Neue Zürcher Zeitung: Die Koalition PSD/ALDE wolle der schlagkräftigen Antikorruptionsbehörde DNA ganz klar die Flügel stutzen. „So entsteht der Eindruck einer Pseudoreform, die eigentlich darauf abzielt, korrupte Eliten zu schützen“. Die Nutznießer: Liviu Dragnea und ALDE-Chef und Senatspräsident Călin Popescu-Tăriceanu, beide im Visier der Strafverfolgung. Dragnea, bereits wegen Wahlbetrugs auf Bewährung verurteilt, steht auch wegen Amtsmissbrauch vor Gericht. Kürzlich beschlagnahmte die DNA zudem sein gesamtes Vermögen im Rahmen der Ermittlungen zur TelDrum-Affäre. Mittlerweile hatte sich bestätigt, dass das Unternehmen von Dragnea kontrolliert wird. Er soll diesem mit unlauteren Methoden zahlreiche lukrative Bau- und Sanierungsaufträge zugeschoben haben, wobei etliche, auch mit EU-Geldern finanzierte Arbeiten nie durchgeführt wurden. Dragnea steht im Verdacht der Gründung eines kriminellen Netzwerks, des Amtsmissbrauchs und des Fördermittelbetrugs. Umgerechnet rund 27,5 Millionen Euro sollen laut DNA beschlagnahmt worden sein. Sein tatsächliches Vermögen soll sich laut Hotnews.ro sogar auf etwa 30 Millionen Euro belaufen – Hotels, Häuser, Grundstücke und Konten mit eingerechnet. Woher stammt so viel Geld bei einem bescheidenen Beamteneinkommen, wie in seiner Vermögenserklärung angegeben? Auch Richter und Staatsanwälte in Rumänien laufen Sturm gegen das umstrittene Gesetzespaket, das ihrer Meinung nach einen massiven Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz darstellt. Ex-Premier Victor Ponta warnte seine Partei: Wenn das Gesetzespaket in dieser Form an das Parlament gehe, entstünde der Eindruck, es sei auf die Lösung der Probleme von Dragnea zugeschnitten worden.

Die Schlinge um Dragnea zieht sich zu. Doch statt an Rückzug zu denken, erklärt eine jüngst vom Exekutivkomitee der PSD einstimmig verabschiedete Entschließung dem „Parallelstaat“, der „den legitimen Machthabern die Kontrolle entreißen will“, den Krieg, schreibt die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ) am 21. November. Die PSD habe angekündigt, eigene Demonstrationen zu organisieren, wenn auch nicht in der Hauptstadt. Gegen Präsident Klaus Johannis, der als „Komplize“ und „Schirmherr“ dieser „obskuren Mächte“ bezeichnet wird, könne sich ein Amtsenthebungsverfahren anbahnen, warnte auch der Chef der Nationalliberalen Partei (PNL) Ludovic Orban, so die ADZ weiter. Ziel sei, Tăriceanu als Interims-Staatspräsidenten einzusetzen, um von dieser Seite her Einfluss auf die Justiz ausüben zu können. Laut Orban könne dies „ihren Todesstoß“ bedeuten.

Staatspräsident Johannis, der den Standpunkt vertritt, Politiker mit strafrechtlichen Problemen müssten von hohen staatlichen Ämter fern gehalten werden, weil sich ihr Bemühen sonst auf die Lösung der eigenen Probleme und nicht die des Landes konzentriere, sieht solchen Szenarien gelassen entgegen. Der „Parallelstaat“ sei ein „schlechter Witz“, eine Amtsenthebung entbehre jeder Grundlage und sei nicht im Interesse der Bürger. Inzwischen fordern nicht nur PNL und USR (Union zur Rettung Rumäniens) Dragneas Rücktritt als Präsident der Abgeordnetenkammer, sondern auch einige Parteikollegen.

Weitere Demonstrationen löste das Scheitern des am 17. November von PNL und USR initiierten Misstrauensvotums gegen die Koalitionsregierung aus – mit 159 Stimmen, 233 wären erforderlich gewesen; ALDE, PSD und der Ungarnverband UDMR hatten sich der Stimme enthalten. Premierminister Mihai Tudose erklärte, der Versuch, seine „erfolgreiche“ Regierung abzusetzen, sei blanker Populismus gewesen. Etwa 5 000 Demonstranten bildeten daraufhin eine Menschenkette um das Bukarester Parlamentsgebäude. PNL-Chef Ludovic Orban sprach vor diesen offen von einer „Cosa-Nostra-Koalition, die das ganze Land in Geiselhaft nehmen wolle“, berichtete die ADZ am 24. November. Mit welch bizarren Mitteln man mittlerweile kämpft, illustriert ein Artikel von Digi24: Darin wird aufgezeigt, dass die Senatoren von PSD und ALDE einer Sitzung der Verteidigungskommission geschlossen ferngeblieben waren. Das Gesetzesprojekt zum Erwerb US-amerikanischer Patriot Raketensysteme konnte wegen des organisierten Boykotts nicht diskutiert werden. Es sei nicht das erste Mal, dass diese Methode angewandt wurde, um die Arbeit einer Kommission oder des Parlaments zu blockieren, so der Autor Dan Turturică. Eine Machtdemonstration, ein Zeichen, dass die Zeit der freundlichen Diskussionen vorbei sei, mutmaßt er – doch weshalb, wo in der Woche zuvor die Regierung bereits zugestimmt und das Gesetzesprojekt an den Senat weitergeleitet hatte? „Was ist passiert zwischen dem 8. und 14. November?“, fragt sich Turturică und kommt zu dem Schluss: „Eine einzige bemerkenswerte Sache. Liviu Dragnea wurde im Dossier TelDrum beschuldigt.“

„Rumänien ist kein normales Land mehr“, wird der Politikwissenschaftler Ioan Stanomir im Deutschlandfunk zitiert. Er sieht das Land in einer Konfrontation zwischen westlichem Kapitalismus und einer Oligarchie nach dem Vorbild des ehemaligen Ostblocks. Letztere würde Rumänien „in einem Zustand ewiger Unterentwicklung gefangen halten“. „In einem normalen Land wäre kein Platz für eine politische Anordnung, wie wir sie in Rumänien haben. Bedauerlicherweise ist Rumänien aber ganz offensichtlich kein normales Land mehr, ich sage es mit großer Trauer“, bekennt Stanomir. „Das politische Überleben von Herrn Dragnea an der Spitze der Macht ist das deutlichste Zeichen des Abrutschens Rumäniens in die Abnormität.“

Nina May

Schlagwörter: Rumänien, Regierung, Korruption, Justiz, Dragnea, Johannis, PSD

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