25. Juni 2016

„Dieses Europa hier, das kannte ich noch nicht“

Zwischen dem 20. und 22. Juni besuchte Bundespräsident Joachim Gauck gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt Rumänien im Zeichen der guten bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Wie bereits berichtet (siehe Bundespräsident Gauck auf Staatsbesuch in Rumänien), war der zweitägige Staatsbesuch mit den Stationen Bukarest und Hermannstadt, neben den deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehungen und dem Reformprozess in Rumänien, insbesondere dem europäischen Zusammenhalt gewidmet. Zur 60-köpfigen Delegation des Bundespräsidenten zählten unter anderem der Verbandspräsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Dr. Bernd Fabritius, MdB, und der aus Siebenbürgen stammende Rocksänger Peter Maffay, der in Radeln ein Projekt für traumatisierte Kinder betreibt, und der aus dem Banat stammende Nobelpreisträger Stefan Hell. Ebenfalls war die Bundesvorsitzende Herta Daniel bei Gaucks Heltau-Besuch vor Ort. Nach Absolvieren des dichten Besuchsprogramms in Bukarest flog die deutsche Delegation in Begleitung des rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis und seiner Gattin Carmen Johannis nach Hermannstadt.
In Heltau führte Bischof Reinhart Guib die beiden Präsidenten und zugleich Schirmherren der Stiftung Kirchenburgen in die Struktur, die vielfältigen Aktivitäten und Probleme der evangelischen Kirche in Rumänien ein. „Eine besondere und einmalige Herausforderung ist der Erhalt und die Nutzung dieser einmaligen und einzigartigen Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgen. Zwei Kirchturmeinstürze in Radeln und in Rothberg zeigen, dass akuter Handlungsbedarf besteht, um unsere Identifikationssymbole, die Kirchenburgen, um unser gemeinsames eigentlich europäisches Kulturerbe und zum Teil Weltkulturerbe für die nächste Generation vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Ein abgeschlossenes Projekt ist das aus EU-Mitteln finanzierte 18-Kirchenburgen-Projekt. Und mit der Vorbereitung eines weiteren Projektes für ebenfalls 18 Kirchenburgen und einigen durchgeführten und noch durchzuführenden Renovierungen durch den rumänischen Staat und dem Herrichten von rund 50 Kirchenburgen durch die Gemeinden und mit der Hilfe der Heimatsortsgemeinschaften und aller Stiftungen und Vereine konnten bislang immerhin nur ein Drittel der 160 Kirchenburgen und weiteren 80 Kirchen mittel- oder langfristig erhalten werden. Der Übergang von der Leitstelle Kirchenburgen zu der Stiftung Kirchenburgen der Evangelischen Kirche in Rumänien war ein notwendiger Schritt, um weitere Freunde und Förderer, Kompetenzen und Finanzierungsquellen ansprechen zu können.”

Bundespräsident Gauck bekräftigt Engagement für Kirchenburgen


„Ich kann es Ihnen versprechen, wir haben die Schirmherrschaft nicht nur aus Daffke übernommen, sondern weil es uns am Herzen liegt“, versicherte Bundespräsident Joachim Gauck und führte aus: „Wir wollen so ein europäisches Erbe nicht vor die Hunde gehen lassen. Jetzt packen wir Schritt für Schritt an, jeder mit seinen Möglichkeiten, und ich bin glücklich, dass dies Teil meines offiziellen Besuches hier ist. Ich besuche gerne Europa, und dieses Europa hier, das kannte ich noch nicht. Es ist mir ein weiteres Zeichen der Ermutigung und der Freude. Ich bin bei Ihnen.“

Ganz viele Menschen hätten in Europa ihre Wurzeln abgeschnitten, sagte Gauck weiter: „Sie haben vergessen, dass sie davon geprägt sind, wo sie herkommen, woher ihre Vorfahren geistliche Kraft genommen haben. Und hier in Ihren Gemeinden ist das nicht geschehen, sondern Sie haben nicht nur zu ihren nationalen Traditionen gestanden, sondern zu dem Glauben, der Ihrem Leben Sinn gegeben hat, und das ist der erste Grund, warum ich mich mit Ihnen eng verbunden fühle”, sagte Gauck, der ehemals als evangelisch-lutherischer Pastor und Kirchenfunktionär in der DDR tätig war.

Premiere: zwei Staatspräsidenten in Hermannstadt


Der Besuch der beiden Staatsoberhäupter galt aber zunächst der Heimatstadt von Rumäniens Staatspräsident. „Ich war seit langem nicht mehr da”, stellte Rumäniens Staatspräsident und ehemaliger Bürgermeister von Hermannstadt Klaus Johannis fest, indem er den ihm gut bekannten heimischen Journalisten, die sich quer zum Haupteingang des Bürgermeisteramtes aufgestellt hatten, freundlich zulächelte.
Staatsbesuch in Rumänien: auf der Lügenbrücke in ...
Staatsbesuch in Rumänien: auf der Lügenbrücke in Hermannstadt (v. l. n. r.) Frau Carmen Johannis, Staatspräsident Klaus Johannis, Bundespräsident Joachim Gauck, Frau Daniela Schadt und Verbandspräsident Dr. Bernd Fabritius, MdB. Fotos: Werner Fink
In Hermannstadt besuchten die beiden Präsidenten in Begleitung ihrer Partnerinnen das Bürgermeisteramt, wo Bürgermeisterin Astrid Fodor sie empfing und wo Bundespräsident Joachim Gauck sich in das Ehrenbuch der Stadt eintrug.
Bundespräsident Joachim Gauck trägt sich im ...
Bundespräsident Joachim Gauck trägt sich im Beisein von Bürgermeisterin Astrid Fodor in das Goldene Buch der Stadt ein.
Gruppenbild in der Aula der Brukenthalschule (von ...
Gruppenbild in der Aula der Brukenthalschule (von links) mit Schuldirektor Gerold Hermann, Frau Carmen Johannis, Nobelpreisträger Stefan Hell, Staatspräsident Klaus Johannis, Bundespräsident Joachim Gauck, Frau Daniela Schadt und Dr. Bernd Fabritius, MdB.
Im Anschluss empfingen Schuldirektor Gerold Hermann, Lehrer und Schüler die prominenten Gäste im altehrwürdigen Brukenthal-Gymnasium. Weiter ging es zur evangelischen Stadtpfarrkirche, wo unter anderem Stadtpfarrer Kilian Dörr die Gäste begrüßte. Über die Lügenbrücke, die 1995 der damalige Bundespräsident Roman Herzog passierte, ging es zum Sitz des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien.
Im Spiegelsaal des Forumshauses begrüßte bei ...
Im Spiegelsaal des Forumshauses begrüßte bei einer Begegnung mit Vertretern der deutschen Minderheit, die aus ganz Rumänien angereist waren, Dr. Paul-Jürgen Porr, der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, die beiden Staatspräsidenten Klaus Johannis und Joachim Gauck, die ihrerseits je eine Ansprache hielten.
Der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Dr. Paul-Jürgen Porr, unterstrich ebenfalls die Tatsache, dass es eine absolute Premiere sei, gleichzeitig zwei amtierende Staatspräsidenten zu Gast haben. Porr wie auch Präsident Johannis gingen in ihren Ansprachen auf die Brückenfunktion der deutschen Minderheit in Rumänien ein. Johannis unterstrich die Bedeutung der Förderung von nationalen Minderheiten im europäischen Kontext. Die nationalen Minderheiten stellten, so Johannis, eine Bereicherung für die jeweiligen Staaten dar und trügen maßgeblich bei zur Entwicklung der Regionen, wenn sie entsprechend gefördert würden und ihre Identität pflegen und stärken könnten. Johannis betonte auch die Bedeutung der interkulturellen Zusammenarbeit für den Frieden in Europa und für die Völkerverständigung allgemein.

Friedliches interethnisches Zusammenleben empfindet Gauck als „Geschenk“


„Aber zur Zeit erleben wir in Europa, dass man sogar innerhalb der Gesellschaft des eigenen Landes neue Brücken des Verständnisses, des Verstehens braucht“, sagte Bundespräsident Gauck. „Wenn ich Sie heute besuche, dann fällt mir ein, was hier alles im Hintergrund ist, was ich nur ahnen kann, wenn ich Gebäude sehe und Menschengesichter. Das erste, was mir einfällt ist, dass die Älteren unter Ihnen, so wie ich, Zeugen einer schwierigen Beziehung zu einem schwierigen Vaterland, einer schwierigen Heimat waren“. Gauck wurde selbst 1989 Mitglied der „Neuen Forum“-Bewegung, die damals in der DDR die Wende mitprägte. „Die Aktivitäten der Demokratiebewegungen, das haben Sie ja alle gespürt, haben zu Veränderungen geführt, die uns eine friedliche Revolution, den Fall der Mauer, den Fall der Grenzen, überall in Europa und ein vereinigtes Europa gebracht haben. Deshalb gibt es zu der Landsmannschaft eine Verbindung, eine Verbindung, die über den Namen Demokratisches Forum, über die Demokratie, über die Haltung von Bürgern, die Demokratie wollten, wollen und gestalten und auch in Zukunft gestalten werden, wirkt. Dies ist für mich, was uns auch noch enger verbinden wird als landsmannschaftliche Reminiszenzen“.

Gauck war glücklich, auf seine Fragen nach ethnischen Konflikten zwischen Deutschstämmigen und Rumänen oder anderen Minderheiten immer gehört zu haben: „Nein, in Rumänien haben wir das nicht.“ So sagte er: „Das nehme ich auch als Geschenk mit in eine Politikwelt, in der gerade viele Menschen mit Ängsten Politik machen und wir eher an Abgrenzung und Gegeneinander und Abschottung denken, als an ein konstruktives Miteinander”. Es folgte auch eine persönliche Äußerung zu seinen Eindrücken in Hermannstadt. Bundespräsident Joachim Gauck sagte mit einem Augenzwinkern: „Wenn es nach dem Herzen ginge, blieben wir noch wenigstens eine Woche hier”.
Peter Maffay im Gespräch mit dem Vorsitzenden des ...
Peter Maffay im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Siebenbürgenforums Martin Bottesch.
„Wir versichern Ihnen, Herr Bundespräsident, dass wir auch in Krisenzeiten gute Europäer sind!“, lauteten Porrs abschließende Worte. „Wir waren es schon immer. Das, was wir heute als europäisches Gedankengut bezeichnen, friedliches interethnisches, interkonfessionelles Zusammenleben, das wurde hier in Siebenbürgen und dem Banat über Jahrhunderte gelebt.“ Als in Mitteleuropa der 30-jährige Krieg tobte, sei hier kurz nach Luther die Reformation absolut friedlich durchgeführt worden, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen. „Diese Tradition verpflichtet uns. Ich möchte Ihnen versichern, dass wir zusammen mit der rumänischen Mehrheitsbevölkerung und den 17 anderen Minderheiten dieses Landes unser Möglichstes tun werden für ein gemeinsames, grenzfreies, seiner Werte bewusstes Europa.“

Werner Fink




Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Hermannstädter Zeitung

Schlagwörter: Staatsbesuch, Bundespräsident, Joachim Gauck, Klaus Johannis, Bernd Fabritius, Bukarest, Hermannstadt, Heltau, Kirchenburgen

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