19. November 2014

Richtungswechsel zu einem Rumänien der gut gemachten Arbeit

In Rumänien wurde am 16. November 2014 ein neuer Präsident gewählt. Einer der aussichtsreichsten Kandidaten war in diesem besonders harten Wahlkampf der Hermannstädter Bürgermeister Klaus Johannis. Er konnte sich überraschend, aber doch deutlich mit 54,50 Prozent der Stimmen durchsetzen. Friedrich Roth hat den nicht alltäglichen Wahlkampf für das Präsidentenamt beobachtet.
31. Oktober 2014, Freitagnachmittag. Am Hermannstädter Großen Ring findet, bei wohlmeinendem Sonnenschein, die Abschlusskundgebung der Christlich-Liberalen Allianz (ACL) statt. Am Sonntag steht der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2014 in Rumänien an. Klaus Johannis, landes- und europabekannt als Bürgermeister von Hermannstadt, ist einer der 14 Anwärter auf das Amt des rumänischen Präsidenten. Einige tausend Wähler aus Hermannstadt und dem ganzen Landkreis, aber auch aus Mühlbach, wollen dabei sein, wenn ihr Favorit ihnen ein Versprechen gibt: Wenn er im Bukarester Cotroceni-Palast eingezogen, von Zuhause sprechen wird, dann wird er immer seine Hermannstädter meinen. Typisch Johannis, damit müssen die Fans sich zufriedengeben, andere wohlfeile Versprechen gibt es nicht. Ich blicke mich auf dem alten Marktplatz um, vielleicht entdecke ich noch das eine oder andere mir bekannte sächsische Gesicht.
Tausende Anhänger jubeln Klaus Johannis bei der ...
Tausende Anhänger jubeln Klaus Johannis bei der abschließenden Wahlveranstaltung am 31. Oktober auf dem Großen Ring in Hermannstadt zu. Foto: Friedrich Roth
Umfragen sagen voraus, dass bloß Johannis und der amtierende Ministerpräsident Victor Ponta reelle Chancen auf die Stichwahl haben. Dementsprechend konzentrieren sich die Medien in der Berichterstattung auf die beiden Kandidaten.

Die willkommene Ausnahmeerscheinung ist aber Klaus Johannis, ehemaliger Physiklehrer der Brukenthal-Schule. Er sprengt den Kandidatenrahmen: Er ist Siebenbürger Sachse, evangelisch und hat als Bürgermeister viel geleistet. Er ist damit im In- und Ausland sehr bekannt geworden und spricht eine ganz andere politische Sprache.

Sein stärkster Kontrahent, Ministerpräsident Victor Ponta, setzt natürlich hier gleich an. „Ich würde nie sagen: Wählt den Klaus Johannis nicht, weil er ein Deutscher ist!“ Im nächsten Satz lässt der Premierminister wissen, wofür sich die rumänischen Wähler entscheiden müssen: „Aber ich kann nicht akzeptieren, dass man mich beschuldigt: Oh Gott, du kannst nicht Präsident sein, weil du Rumäne bist! Du kannst nicht Präsident sein, weil du orthodox bist! Soll ich mich schämen? Soll ich mich verstecken? Was soll ich tun?“

Für viele Menschen ist es eine unglaubliche Überraschung, dass Johannis überhaupt für dieses Amt kandidiert. Auf den Wahlplakaten wird der Name mit „I“ geschrieben. Kein Wunder: Früher wurden auf Geburtsurkunden viele Namen verstümmelt. Standesbeamte änderten sogar Geburtsdaten auf den Tag der Anmeldung. Hier wurde aus dem „J“ ein „I“. Es hat auch Schlimmeres gegeben. Johannis‘ Karriere hat trotzdem nur eine Richtung gekannt, nach oben. Nach dem Physikstudium in Klausenburg wurde er zunächst Fachlehrer an einer Agnethler Schule, 1989 kam er an das Hermannstädter Brukenthalgymnasium, 1997 wurde er Stellvertretender Generalschulinspektor, zwei Jahre später Generalschulinspektor des Kreises Hermannstadt.

Aus der Not heraus ernannte ihn das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien zum Bürgermeisterkandidaten bei den Wahlen 2000. Dann kam der große Paukenschlag: Für die Wähler, für seine Anhänger aber auch für ihn selbst. Die damalige verzweifelte Stimmung der Hermannstädter Bürger machte das kaum Vorstellbare möglich: Im zweiten Wahlgang wurde Johannis zum Oberbürgermeister der Zibinsstadt gewählt: Damit tat sich eine große Chance für den damals 42-Jährigen und für Hermannstadt auf. Nach 14 Amtsjahren ist Johannis der bekannteste Bürgermeister Rumäniens und Hermannstadt die bekannteste Stadt, vor allem auch im Ausland, nachdem es 2007 Kulturhauptstadt Europas war, eine Gelegenheit, aus der richtig Kapital geschlagen wurde. Heute hat Hermannstadt eine moderne Verwaltung, eine gute Wirtschaftsbasis und gleichzeitig die alltägliche Korruption verbannt.

Johannis mischt seit 2009 in der Bukarester Landespolitik mit

Im Herbst 2009 folgte der Sprung auf die nächste Ebene: In die nationale Politik, bekannt auch als „Bukarester Haifischbecken“. Johannis wurde 2009 von mehreren Parteien für das Amt des Premierministers vorgeschlagen. Der wiedergewählte Präsident Traian Băsescu entschied sich jedoch anders. Um in Bukarest reelle Chancen zu haben, tritt der Hermannstädter in die Nationalliberale Partei (PNL) ein. Im Februar 2013 folgt der nächste Sprung: Zum Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden der PNL. Nach einer von Crin Antonescu vergurkten Europawahl wird er am 28. Juni 2014 von Klaus Johannis als Vorsitzender der Nationalliberalen Partei abgelöst. Am 11. August 2014 nominiert ihn die von ihm mit aufgebaute Christlich-Liberale Allianz (ACL), ein Wahlbündnis von PNL und Demokratisch-Liberaler Partei (PDL), als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2014.

Ende September wurde der Wahlkampf offiziell eröffnet. Frieder Schuller erzählte in der FAZ eine in Rumänien bekannte Anekdote, die die rumänischen Gegebenheiten, etwas zynisch, aber dennoch aussagekräftig umschreibt. Gott, recht unvoreingenommen, verteilt seine Gaben über die Länder dieser Erde. Rumänien überreicht er strahlende Gebirge, dunkle Wälder und die sattesten Wiesen. Petrus zupft am Gottesmantel und raunt: „Genug, genug“. Doch die Gaben senken sich weiter auf Rumänien, die reinsten Flüsse, goldene Felder und ein ganzes Donau-Delta. Petrus mahnt aufs Neue, doch Gott schüttet in seiner Geberlaune noch die herrlichsten Früchte, Blumen und die schönsten Tiere auf das Land. Jetzt protestiert Petrus: „Was zu viel ist, ist zu viel!“ Gott verspricht, seine Maßlosigkeit Rumänien gegenüber zu zügeln: „Ich werde mich dann wohl bei den Menschen etwas zurückhalten.“

Auf Wahlveranstaltungen, im Fernsehen und in der Presse werden oft keine programmatischen Argumente ausgetauscht, politische Visionen finden kaum Einzug in die Debatten. Dafür begegnet man auf Schritt und Tritt Attributen wie Lügner, Dieb, Baron, Manipulation etc. Es ist nicht leicht, als Provinzpolitiker gegen versierte, im Bukarester Haifischbecken sozialisierte Politiker zu bestehen. Schon die ideologische Orientierung Links und Rechts ist in Rumänien anders als sonst wo. Rechts heißt im Karpatenbogen europafreundlich, sich für Minderheiten einsetzen, gegen Korruption kämpfen. Wer Links sagt, meint oft die Nachfahren des alten kommunistischen Regimes, mit zweifelhaftem Kapital ausgestattete, ehemalige Securitate-Agenten, die heute den Ton angeben.

Klaus Johannis hat sich systematisch vorbereitet und ein autobiographisches Buch geschrieben, „Pas cu pas“ (Schritt für Schritt), das demnächst auch auf Deutsch erscheinen wird. Dort beschreibt er seinen Werdegang, kurz und trocken, vor allem aber seine Tätigkeit als Bürgermeister, auch trocken, trotzdem aber anschaulich. Damit kommen wir zum wichtigen Thema Kommunikation des Klaus Johannis. Der Bukarester Journalist Dan Tapalagă schrieb Ende September, dass Ponta wie ein „manelist“ nach Gefühl spiele, immer bereit, sein Publikum zu beeindrucken, während Johannis der Orgelspieler sei, mit ernstem Klang und immer partiturtreu spielend. Wenn er Johannis beschreibt, sieht der Leser unfreiwillig Kanzlerin Merkel in Gedanken vor sich: Kann kein bisschen Emotion erzeugen, ist unfähig für Empathie, und Theaterspielen ist auch nicht sein Ding. Für viele Wähler sind das aber absolut notwendige Qualitäten eines „guten Kandidaten“.

Lächeln hat er aber gelernt, wenn auch etwas künstlich. Seine Sätze wollen immer überlegt sein und klingen manchmal gekünstelt. Das führt oft dazu, dass seine ungewohnt knappen, manchmal missverständlichen Antworten auf den rumänischen Wähler etwas befremdlich wirken. Auch seine Wahlauftritte sind oft etwas holprig. Eine Dokumentation auf dem Sender „Digi24“ hat versucht, dem Fernsehzuschauer den Menschen Klaus Johannis näher zu bringen. Er hat nicht Basketball gespielt wie sein Mitbewerber Victor Ponta, sondern ist mit Eltern oder Freunden zum Wandern gegangen oder auf der Hohen Rinne Ski gefahren. Seine Ferien hat er oft bei den Großeltern in Girelsau verbracht. Auf Partys wurde westliche Beat-Musik gehört. Das ist für viele Rumänen eine fremde Welt. Aber auch die Chance einer Öffnung für eine neue Welt, in der „kein echter Rumäne“ (Ponta) die Zukunft zu erklären versucht.

Einige rumänische Journalisten haben die Chance genutzt, das sächsische Siebenbürgen vor allem den Altreichrumänen näher zu bringen. So schrieb Manuel Stănescu in der Tageszeitung „Adevărul“: „Die Siebenbürger Sachsen und mit ihnen die gesamte deutsche Minderheit in Rumänien haben das Recht auf eine wahrheitsgetreue Nachwelt, und nicht auf eine von Halbwissenden und Analphabeten, die nur enge, eigene persönliche Interessen wahrnehmen, grob Verzerrte.“

Natürlich wird mit harten Bandagen gekämpft, sehr harten. Oft gehen die Schläge unter die Gürtellinie. Das hat vor allem Johannis erfahren müssen. Kinderhändler, Immobilienspekulant, Lehrerbeschimpfer sind nur einige dieser hässlichen Tiraden. Jemand deutete seine Wahlkampfstrategie so: „Lass sie nur am Tor schellen, irgendwann langweilen sie sich und ziehen ab.“ Die Strategie kann aber nur funktionieren, wenn man in einem siebenbürgisch-sächsischen Haus wohnt, mit einem großen Tor und Jalousien an den Fenstern. Klaus Johannis ist aber nicht mehr in Hermannstadt und müsste es längst wissen: Wirft man uns in Rumänien zur Tür raus, kommen wir urplötzlich über den Kamin herein.

Über die Stichwahl sensationell ins Präsidentenamt

Nun hat sich der Siebenbürger Sachse am 2. November für die Stichwahl qualifiziert, Stimmenanteil gut 30%. Sein Gegner ist erwartungsgemäß Victor Ponta, der über 40% der Stimmen einheimste. Siebenbürgen und das Banat stimmten geschlossen für Johannis, das Altreich für Ponta. Die Auslandsrumänen wählten auch vorwiegend Johannis. Soweit sie überhaupt wählen konnten, weil es viel zu wenig Wahllokale gab. In ganz Deutschland bloß fünf.

Damit ging die Wahlkampftortur weiter. Auch die Grausamkeiten. Eines Morgens fand man auf dem Grundstück der PNL zig tote und lebende Hühner. Unbekannte hatten sie über Nacht hineingeworfen. Die zynische Reaktion einer Ponta-Vertreterin: Das ist eine Inszenierung der Johannis-Partei. Man sollte sie dafür bestrafen.

Die Kandidaten-Konfrontation fand ihre Fortsetzung in zwei Fernsehduellen. Skrupellosigkeit und Redegewandtheit können da von Vorteil sein. Ponta versuchte mit plumpen Gegenfragen konkrete Anschuldigungen zu kontern: Nachweislich zum Teil grob abgeschriebene Doktorarbeit, unwahre Angaben im Lebenslauf, Zieh- und Doktorvater Adrian Năstase, Ex-Regierungschef, saß bis vor kurzem wegen Korruptionsaffären im Gefängnis, Pontas Schwiegervater ist in kriminelle Holz- und Forstgeschäfte verwickelt. Argumente zählen aber kaum noch. Beide Kandidaten versuchen daher, vor allem durch ihr Auftreten beim Fernsehzuschauer zu punkten.

Das linke Regierungslager hat nichts unversucht gelassen, um die Wahl für sich zu entscheiden: Ende August ermöglichte die Regierung den Wechsel von über 400 Bürgermeistern aus anderen Parteien ins eigene Lager, großzügige finanzielle Unterstützung noch dazu. Sie sollen für Ponta-Stimmen sorgen. Priester der orthodoxen Staatskirche wurden auf ähnliche Weise instrumentalisiert, deckte die Presse auf. Die Anzahl der Wahllokale im Ausland wurde nicht erhöht, was den zahlreichen Ponta-kritischen Auslandsrumänen die Wahl schwer oder gar unmöglich machen sollte.

Die Politologin Alina Mungiu-Pippidi schrieb kurz vor der Wahl: „Herr Pontas Rivale besitzt möglicherweise nicht mehr Qualitäten, er hat aber diese eine. Er kommt nicht aus der PSD, er hat keine verdächtigten Verwandten oder Freunde, er hat die Aufhebung der Amnestie und Begnadigung schon vor der Wahl abgelehnt, und, als männliche Geste verzichtete er im Voraus auf die parlamentarische Immunität. Aus Hermannstadt hat er eine europäische Stadt gemacht, hat also das getan, was getan werden musste, er hat Europa hierher gebracht. Aber nicht seine Qualitäten, sondern seine Interessen sind das, was uns Hoffnung macht. Er hat kein Interesse daran, korrupte Politiker der Justiz zu entziehen, und ist der lebende Beweis, dass es möglich ist, einen Ort auch ohne Korruption zum Gedeihen zu bringen. Ich kenne keinen anderen Politiker, der seine Anhänger aufgefordert hat, die Feinde nicht anzugreifen, die ihrerseits ihn auf niedrigste Art und Weise angegriffen haben. Er ist ein westlicher Mensch, alltäglich in Westeuropa, aber ungewöhnlich für uns, die wir scheinbar nicht mehr an die Normalität glauben.“
Die Präsidentschaftswahl in Rumänien war ...
Die Präsidentschaftswahl in Rumänien war gleichsam eine friedliche Revolution und Abrechnung mit einer korrupten politischen Klasse. Aufnahme vor dem Generalkonsulat in München am 16. November 2014, rechts im Bild Martin Voglmair vom Bayerischen Fernsehen. Foto: Radu Neag
Am Sonntag, dem 16. November, ist die Entscheidung gefallen. Sie kommt einer Sensation gleich. Klaus Johannis wurde zum rumänischen Staatspräsidenten gewählt. Nicht unwichtig dabei: die hohe Wahlbeteiligung und das Votum der jungen Generation, im In- und Ausland, die einen Politikwechsel sehnsüchtig herbeisehnt. Sie und ihre Anliegen müssen in den Fokus der Bukarester Politik aufrücken.

Ponta hat seine Niederlage nach wenigen Stunden fair eingestanden und dem Gewinner gratuliert. Ein erstes Zeichen neuer Umgangsformen? Ausländische Kommentatoren heben auch die Toleranz der rumänischen Wähler hervor, den Vertreter einer Minderheit zum Präsidenten zu wählen. Johannis wird viel Kraft und Ausdauer benötigen. Ein erster Schritt auf dem Weg „zu einem normalen Land“ wurde getan.

Ich konnte auf dem Großen Ring, bei der letzten Wahlveranstaltung der ACL, keine weiteren sächsische Bekannte entdecken. Der Einzige stand auf der Bühne, vor der Menge: Klaus Johannis, der spätere Wahlsieger. Was ich damals noch nicht wusste: Julio Iglesias, der bekannte spanische Sänger, hat ihm schon im Sommer 2007 prophezeit: „Sie werden der Präsident Rumäniens! Ich habe hunderte Politiker in meinem Leben kennen gelernt. Ich weiß wie ein zukünftiger Präsident aussieht.“ Felicidades, Herr Johannis!

Friedrich Roth

Schlagwörter: Politik, Wahlen, Johannis, München

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  • 20.11.2014, 18:52 Uhr von Bir.Kle.: Să trăiască Președintele Klaus Johannis! Wer hätte das gedacht? Er hat es ... [weiter]

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