6. Mai 2014

10 Jahre Orgelbauwerkstatt und -schule in Honigberg

Es begann 1993, erinnert sich der Schweizer Orgelbaumeister Ferdinand Stemmer an die Zeit, die nicht nur seinem Leben eine entscheidende Wende geben sollte. Gemeinsam mit Orgelbauerin Barbara Dutli besuchte er zum ersten Mal Rumänien, um in Chendu einer kaum noch bespielbaren Orgel ein Gebläse einzubauen. „Während dieses Besuchs reisten wir auch in Siebenbürgen herum und besichtigten in Kronstadt die Schwarze Kirche, wo uns Steffen Schlandt die Buchholz-Orgel vorspielte.“ Ein schicksalhafter Zufall – denn als der junge Organist den Schweizern über den desolaten Zustand der kostbaren alten Orgeln in Siebenbürgen erzählte, nicht ohne zu bemerken, dass auch die kleine Chororgel der Schwarzen Kirche seit zwölf Jahren unbespielbar sei, fasste Stemmer einen spontanen Entschluss. Wenn die Kirchengemeinde einverstanden sei, würde er dieses Instrument kostenlos restaurieren.
Von 1998 bis 2001 folgten weitere Restaurierungsarbeiten an der großen Buchholz-Orgel unter Mithilfe von Studenten und Freunden der Familie Schlandt. Ob er nicht junge Rumänen zu Orgelbauern ausbilden könne, wurde Stemmer bei dieser Gelegenheit gefragt. Die Idee scheiterte damals jedoch an der Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz. Nun, wenn der Prophet nicht zum Berg gehen kann, muss der Berg eben zum Propheten: 1999 entstanden daher die ersten Pläne zum Aufbau einer Orgelbau-Lehrwerkstatt in Rumänien, mit Schweizer Meistern und nach dem in der Schweiz typischen dualen Ausbildungssystem. Barbara Dutli erklärte sich bereit, hierfür für einige Jahre als Hauptlehrerin ganz in das siebenbürgische Honigberg zu ziehen, wo Internatschule und Lehrwerkstatt im evangelischen Pfarrhaus und einem von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Gebäude entstanden. Im Oktober 2003 wurde die Lehrwerkstatt schließlich im Beisein von 200 Gästen festlich eröffnet.

Die Initiatoren des Projekts: Ferdinand Stemmer ...
Die Initiatoren des Projekts: Ferdinand Stemmer und Barbara Dutli. Foto: George Dumitriu
17 Orgelbauer und fünf Schreiner wurden seither in jeweils dreijähriger Lehre in Honigberg ausgebildet. Das Besondere am System ist die Kombination der Schule mit einer Produktionsfirma, der SC COT SRL, die durch reale Aufträge für praktische Aufgaben sorgen und einen Teil der Kosten wieder einbringen. Zudem wurde eine Kooperation mit der Fakultät für Holzbau an der Kronstädter Transilvania Universität initiiert, die den theoretischen Teil der Ausbildung übernahm. Nach dem Schweizer dualen System bestehen 80 Prozent des Unterrichts aus praktischen Arbeiten am Objekt, nur 20 Prozent sind Theorie. So konnten in den letzten zehn Jahren allein in Siebenbürgen über 30 alte Orgeln restauriert werden, „darunter auch eine der ältesten im Land, die 1699 gebaute Repser Orgel“, freut sich der ehemalige Schüler und heutige Mitarbeiter der Werkstatt, Arpad Magyar. Doch auch Wartungen und Neubauten gehörten zum Repertoire der jungen Orgelbauer. Die größte Herausforderung bestand im Bau der neuen Orgel für die Musikhochschule „George Enescu“ in Bukarest. Aber auch die Erfindung des Schweizer Musikers Arion Pascal wurde im Honigberger Atelier zur Serienreife entwickelt: Bei der Syntharp handelt sich um eine Art elektronisch angeregte Harfe, die grenzenlos Klangfarben spielen kann. Eine absolutes Novum auf dem Instrumentensektor.

„Wir haben in den letzten zehn Jahren intensiv junge Leute ausgebildet, um die Lücke, die durch die letzten 60 Jahre entstanden ist, mit neuen Fachkräften zu füllen“, erklärt Barbara Dutli. Das unter dem kommunistischen Regime wegrationalisierte Berufsbild des Orgelbauers und -restaurateurs wurde erneut geschaffen. „Auch bereits selbständige Orgelbauer dieses Landes konnten sich bei uns im Restaurierungsbereich und beim Gießen von Pfeifenmaterial weiterbilden“, freut sich die Fachlehrerin.

Schritt in die Unabhängigkeit

Von Anfang an wurde bei der Ausbildung der Lehrlinge besonderes Augenmerk auf Veranwortung und selbständiges Arbeiten gelegt. Denn die schweizerische Stiftung, die das Aufbauprojekt aus Spendengeldern finanzierte, hatte von Anbeginn das Ziel, es eines Tages in rumänische Hände zu übergeben. „Jetzt ist der Moment gereift, dies zu tun“, freut sich Dutli, die den für die Übernahme der Orgelbaufirma SC COT SRL sorgfältig ausgewählten drei Nachfolgern – zwei Orgelbauern und einem Schreiner – noch mindestens bis Jahresende zur Seite stehen wird. Ab nächstem Jahr werden die jungen Leute dann ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Die Schweizer ziehen sich zurück, Ferdinand Stemmer tritt seine Rente an. Doch selbstverständlich wird es eine Übergangszeit geben, in der Dutli und Stemmer noch als Mentoren zur Verfügung stehen. „Die Schweizer Stiftung will ja nicht, dass ihr Kind untergeht“, versichert Barbara Dulti und ergänzt: „Sie werden so lange unterstützt, bis beide Seiten das gute Gefühl haben, die neue Herausforderung zu bewältigen.“

Auch die Ausbildung nach dualem System und anerkanntem Diplom bleibt gesichert. „In Zukunft wird ein gesunder Rhythmus in der Ausbildung von neuen Lehrlingen angestrebt, deren Kosten nach wie vor durch die schweizerische Stiftung getragen wird“, erklärt sie. Inwiefern die Zusammenarbeit mit der Universität fortgesetzt wird, wird sich in diesem Jahr entscheiden.

Zehnjährige Jubiläumsfeier am 9. Mai 2014

Auch für Barbara Dutli, die nun zehn Jahre ihres Lebens in Rumänien verbrachte und für ihre Lehrtätigkeit sogar Rumänisch lernte, beginnt bald ein neuer Lebensabschnitt. In der Festschrift zum zehnjährigen Jubiläum, das am 9. Mai feierlich im Honigberger Atelier begangen wird, erinnert sie sich: „Wissend, dass Stemmer mir den Rücken freihalten wird, um diesen wunderbaren, idealistischen Traum gemeinsam in Angriff zu nehmen, aber nicht wissend, was dieser schöne Traum alles mit sich bringt, entschied ich mich dafür, nach Siebenbürgen umzuziehen.“ Doch nicht nur die Ausbildung der jungen Leute, denen sie in all den Jahren auch persöniches Vorbild war, empfand sie als Bereicherung. „Es war auch hochinteressant, erfolgreiche Orgelbauer aus früheren Zeiten zu erforschen”, bekennt sie und weiß so manche Anekdote zum Besten zu geben, als das Team bei der Restauration der alten Orgeln zwischen von Mardern zerfressenen Bälgchen und verbeulten Orgelpfeifen gelegentlich auf versteckte Notizen früherer Restaurateure oder gar auf vergilbte Fragmente verlorener Partituren stieß. „Jeder Tag war eine Herausforderung, jeder Tag war ein Erlebnis“, resümiert sie ihre Erfahrungen in einem Land, das sie lieben lernte, trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse. Dank der regelmäßigen und kontinuierlichen Unterstützung der großzügigen Schweizer Sponsoren gelang es, mit vereinten privaten Kräften ein nachhaltiges Projekt zu realisieren, ohne auf den Staat zurückzugreifen, freut sie sich.

Auch der evangelische Bischof Reinhart Guib lobt das Projekt der Schweizer: „Durch die Lehrwerkstatt ist es gelungen, junge Menschen zum Hierbleiben zu motivieren, für einen Beruf zu gewinnen und zu begeistern. Auch hat die Stiftung entscheidend mitgewirkt, das musikalische Kulturerbe Siebenbürgens für die Zukunft sicht-, erfahr- und hörbar zu machen.“ Der Höhepunkt dieses langen Engagements wird die Durchführung des Weltkongresses der Orgelbauer durch die Orgelschule in Honigberg bilden, die im September 2014 in Rumänien stattfinden und Experten aus aller Welt nach Siebenbürgen bringen wird.

Nina May

Schlagwörter: Orgel, Restaurierung, Honigberg, Burzenland

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