22. Januar 2014

Als Gastarbeiter in Siebenbürgen: Burghüter in Deutsch-Weißkirch

Der pensionierte bayerische Lehrer Wolfgang Zenglein und seine Frau Ilona, eine Szeklerin aus Siebenbürgen, mit der er seit 40 Jahren verheiratet ist, sind im August 2013 ehrenamtlich als Burghüter und Fremdenführer in Deutsch-Weißkirch tätig gewesen. Sie erlebten eine glückliche Zeit und entlasteten die ortsansässigen Siebenbürger Sachsen während der Erntezeit und Hochsaison mit bis zu 350 Besuchern am Tag. Ihre Erfahrungen haben Wolfgang und Ilona Zenglein für die Leser der Siebenbürgischen Zeitung wie folgt zusammengefasst.
Das Engagement

An einem kühlen Vorfrühlingstag kamen meine Frau und ich nach Deutsch-Weißkirch. Die über siebzigjährige Burghüterin schloss die Kirchenburg auf. Sie redete uns an wie alte Bekannte, ihre Art zu zeigen, dass man interessiert und neugierig gegenüber den Gästen ist. Sie erzählte vom Leben im Dorf und der Burg, und dass sie gerne komme, auch wenn es immer beschwerlicher werde. Vielleicht um meinerseits etwas Verbindliches zu sagen, meinte ich, dass ich pensioniert sei, und wir bei den Führungen in der Burg helfen könnten, wenn wir nur in der Nähe wohnen würden. Sie meinte nur, dann kommen Sie halt, wir werden Sie hier schon unterbringen. Überrascht von der Besichtigung unseres unverhofften Arbeitsplatzes und gleichzeitig dem Gefühl, in den alten Mauern eine sehr glückliche Zeit erfahren zu dürfen, absolvierten wir unsere denkwürdigste Burgbesichtigung. Vereinbart wurde eine Viertagewoche, während dem ganzen August. Es war für uns Ehrensache, ohne Gegenleistung tätig zu werden und für den Aufenthalt aufzukommen. Nach ein paar Wochen stand in einer E-Mail: „Wir werden Sie im Predigerhaus unterbringen. Das passt zu Ihnen.“
Die Kirchenburg Deutsch-Weißkirch gehört zum ...
Die Kirchenburg Deutsch-Weißkirch gehört zum UNESCO-Weltkultuerbe. Foto: Wolfgang Zenglein
Drei Monate vergingen und wir konnten es kaum fassen, dass wir die schönste der Kirchenburgen vermarkten dürfen. Siebenbürgen ist uns nicht fremd. In den Studentenunruhen Ende der sechziger Jahre war die Welt der Siebenbürger Sachsen ein Raum, in dem man gerade als Wertekonservativer Deutschland und das Deutschtum aushalten konnte. Ich lernte meine Frau kennen, die zum ungarischsprachlichen Volk der Székler gehört. Beim Sonntagsgottesdienst in einem sächsischen Dorf wurden uns feste Plätze zugewiesen, ein Zeichen, dass wir in der Gemeinschaft langfristig aufgenommen waren, das prägt sich ein. Sehr enttäuschend war nach dem Umbruch von 1989 ein Besuch im entleerten Dorf. Daher erfüllte es uns jetzt mit Begeisterung, in einem Stück lebendiger sächsischen Welt zu arbeiten und sich für diese einsetzen zu dürfen. Wir lasen uns in die siebenbürgische und Deutsch-Weißkirchener Geschichte ein.

Anfang August kamen wir in Deutsch-Weißkirch an. Das Predigerhaus war sehr fürsorglich vorbereit. Das Musikzimmer war mit einem Flügel eines Wiener Hoflieferanten und Erzherzoglichen Kammerlieferanten ausgestattet. Eine Terrasse bot einen herrlichen Blick über den Predigergarten auf die weite Landschaft Siebenbürgens. Am Tag nach der Ankunft begann die Einweisung, dann die Teilnahme an einer Führung, und schon waren wir für den Betrieb auf der Kirchenburg verantwortlich.

Dienst auf der Kirchenburg

Um neun Uhr dreißig, eine halbe Stunde vor der Öffnung der Burg machte ich mich auf den Weg, um die Weidenkörbe auszuleeren, die als Abfalleimer dienten. Ich hatte dann noch Zeit, um die Blumen zu gießen, Dinge zu ordnen und ein bisschen die Morgenstille zu genießen. Bald würden die ersten Besucher von auswärts kommen, vielleicht eine Reisegruppe aus Irkutsk oder Japaner. Vielleicht sind es französische Harleyfahrer, die ihr Biking mit Kultur garnieren wollen. Vielleicht sind es aufgeschlossene polnische oder Luxemburger Studenten, die einen wie ihren Professor umlagern werden. Es kann sein, dass Siebenbürger Sachsen, die seit über vierzig Jahren nicht mehr im Lande ihrer Ahnen waren, den Burghof betreten, gerührt vom bunten Leben im Dorf, erschreckt darüber, dass nun stammesmäßig Fremde im Dorf und in der Burg sich glücklich fühlen.
Siebenbürgisch-sächsisches Heimatmuseum in der ...
Siebenbürgisch-sächsisches Heimatmuseum in der Krchenburg Deutsch-Weißkirch. Foto: Wolfgang Zenglein
Ein Freund, der den Jakobsweg mitmachte, erzählte einmal, dass nach den Wochen der Strapazen vielen Pilgern beim ersten Anblick der Kathedrale von Sant Jago de Compostella die Tränen herunterliefen. So gravierend war es an der Kirchenburg nicht, obwohl die Besucher mindestens einen halben Reisetag und eine lange mörderische Schlaglochpiste hinter sich hatten. Eine erstaunliche Offenheit und Zutraulichkeit stellten sich aber ein und wir hatten an einem Tag mehr gute und tiefgründige Begegnungen als in Deutschland in einer ganzen Woche. Die Herzlichkeit der Besucher war oft überwältigend. Wir hatten die Verantwortung für die Anlage und wurden von den Besuchern als die temporären Burgherren angesehen, als Repräsentanten der örtlichen Bewohner. Das verpflichtete uns, gute Gastgeber zu sein und auf die vielen Besucher, die das erwarteten, persönlich einzugehen. Gegen elf Uhr nahm der Besucherstrom zu und meine Frau kam zur Unterstützung. Wir wechselten uns mit Kasse und Führungen ab, so wie es sich ergab. Wenn ich mich einmal ausklinken konnte, spielte ich für eine Viertelstunde auf der Orgel.

Sehr oft entstanden Gesprächsrunden im Burghof über die Geschichte und Zukunft der sächsischen Welt. Gut in Erinnerung ist eine Runde, in der ein Teilnehmer detailliert schilderte, wie ein schon verlassenes Dorf in den Cevennen vor allem von jungen Leuten wiederbesiedelt und wirtschaftlich überlebensfähig gestaltet wurde. Touristen strömten zur Burg und es war schön, dass es den meisten gelang, als Menschen Beziehung zur Stein gewordenen sächsischen Standhaftigkeit, Glaube und Tradition aufzunehmen.

Um sechs Uhr ging ein ermüdender, aber auch erfüllter Tag zu Ende. Wir mussten nicht reisen, die ganze Welt kam zu uns. Wir erhielten Einblick in die Denkweise vieler Völker und erfuhren viel Persönliches. Es war mir ein Bedürfnis, vor dem Weggehen noch einige Momente in der nun still gewordenen Kirche zu verbringen, um mit dem Gedanken: „Der Herr sei mein Hirte und meine Festplatte, bei ihm ist alles gut aufgehoben“ erleichtert zum Predigerhaus hinabzusteigen.

Zusammenfassende Gedanken

Einen Monat lang konnten wir an der Kirchenburg unseren Dienst einbringen und es war eine sehr glückliche Zeit. Wir haben uns an die Spielregeln gehalten, die jeder einhalten sollte, der bei Cousins und Cousinen als Erntehelfer im Einsatz war, und nach eingebrachter Ernte wieder ins eigene Haus zurückfährt:

1) Nehmt keine Privilegien an, wobei man durchaus zeigen kann, dass man nicht unter einem mangelndem Selbstwertgefühl leidet.

2) Kommentiere nichts und mache keine Verbesserungsvorschläge.

So waren wir von unserer Sippe und der Dorfgemeinschaft als ebenbürtige Verwandte aufgenommen, von liebevollen und wertvollen Menschen. Wir durften einen Teil des Jahres in einem noch funktionierenden sächsischen Dorf erleben, mit seinen frohen und traurigen Ereignissen, umgeben vom Deutsch-Weißkirch der Roma und vom Karpaten-St. Tropez, dem Deutsch-Weißkirch der Reichen und Schönen. Von der Lethargie des Müßigganges war nichts zu spüren. Wir haben ein Land des Segens, der Fülle und der Kraft kennen gelernt.

Albert Camus schrieb einmal in „La Peste à Oran“ den Satz: „Eine angenehme Art, mit einer Stadt Bekanntschaft zu machen, ist es zu erkunden, wie man dort liebt, dort arbeitet, dort stirbt.“ Oder: Man lernt nur dann ein Land kennen, wenn man dort arbeitet und seinen Alltag bestreitet.

Wolfgang Zenglein

Externer Link:

Ausführlicher Bericht mit Bildern auf dem Portal der GEO-Zeitschrift

Schlagwörter: Reisebericht, Siebenbürgen, Deutsch-Weißkirch, Tourismus

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