14. Februar 2012

Regierungsumbildung in Bukarest

Nach wochenlangen Straßenprotesten und massiv gesunkenen Umfragewerten für seine Regierung hat Premier Emil Boc am 6. Februar sein Amt niedergelegt. Nachfolger ist der parteilose Ex-Geheimdienstchef Mihai Răzvan Ungureanu, der die Regierung bis zu den Parlamentswahlen im Herbst führen soll.
Befürchtungen, der Rücktritt könne eine politische Krise auslösen, bestätigten sich nicht. Vier Tage nach Bocs Abgang stellte der designierte Premier Ungureanu sein neugebildetes 18-köpfiges Kabinett vor. Mit 237 Stimmen bei zwei Gegenstimmen stimmten die Palamentarier für die Regierung. 232 Stimmen wären notwendig gewesen. Rechnerisch verfügt die Regierungskoalition aus Demokratisch-Liberaler Partei, dem Ungarnverband (UDMR) und der Nationalen Fortschrittsunion (UNPR) über 245 Sitze.

Das Oppositionsbündnis USL (Sozial-Liberale Union), gebildet aus der Sozial-Demokratischen Partei (PSD), der National-Liberalen Partei (PNL) und der Konservativen Partei (PC), boykottierte die Wahl, indem es der Abstimmung fernblieb. Die USL kündigte außerdem an, vor dem Verfassungsgericht gegen die Ernennung der Regierung zu klagen. Der Stimme enthalten hat sich der Abgeordnete des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Ovidiu Ganț. Der DFDR-Vorstand hatte einstimmig beschlossen, der neuen Regierung kein Vertrauensvotum zu geben und die diesbezügliche Empfehlung dem Abgeordneten mitzugeben. Nach Ansicht des DFDR „ist der Regierungswechsel eine Image-Übung der PDL“. Ganț erklärte, durch die Entscheidung der PDL, auf Premier Boc zu verzichten, gefährde die Partei die Stabilität im Land, im verzweifelten Versuch, ihre Umfragewerte zu steigern. „Als Abgeordneter der deutschen Minderheit bin ich ausschließlich meiner Gemeinschaft und unserem Land gegenüber verpflichtet und nicht der PDL“, sagte der DFDR-Abgeordnete.

Hintergrund der Vorwürfe ist die Entscheidung der PDL-Parteispitze, die neun bisherigen PDL-Minister durch Politiker aus der zweiten Reihe zu ersetzen. Bei den neuen Ministern handelt es sich ausnahmslos um junge, bisher unbekannte Gesichter. Die Regierung ist mit einem Durchschnittsalter von 45 Jahren die jüngste seit der Revolution von 1989. Die beiden jüngsten Minister, Bogdan Drăgoi (Finanzen) und Alexandru Nazăre (Verkehr), sind erst 31 Jahre alt. Wirtschaftsminister wurde Lucian Bode, das Innenministerium verantwortet Gabriel Berca. Gegen die Ernennung des Landwirtschaftsministers Stelian Fuia protestierten Umweltorganisatoren, die seine Neutralität in der Frage der Gentechnik bezweifeln. Fuia arbeitete in der Vergangenheit beim amerikanischen Monsanto-Konzern, der unter anderem gentechnisch verändertes Saatgut vertreibt. Einzige Frau im Kabinett ist Arbeitsministerin Claudia Boghicevi. Ungureanu übernahm die bisherigen parteilosen Minister Cătălin Predoiu (Justiz) und Cristian Diaconescu (Außenministerium) sowie alle Minister des Ungarnverbands (UDMR) und der Nationalen Fortschrittsunion (UNPR). Vizepremier bleibt Bela Marko.

„In schweren Zeiten mache ich keine unrealistischen Versprechungen.“ Mit diesen Worten kündigte Ungureanu die Fortsetzung der unter Boc begonnenen Sparpolitik an, allerdings in abgeschwächter Form. Das Haushaltsdefizit solle maximal 3 Prozent betragen, unter Boc lag der mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgehandelte Wert bei 1,9 Prozent. Der Premier versprach eine moderate Erhöhung der Gehälter, „wenn es die wirtschaftliche Situation zulässt“, sowie die Anpassung der eingefrorenen Renten an die Inflation. Außerdem ging er auf die Forderung der USL ein, eine Reichensteuer einzuführen.

Was die Minderheiten angeht, konnte sich der UDMR durchsetzen. Ein Minderheitengesetz wurde ins Programm aufgenommen und der Unterricht in den Sprachen der Minderheiten soll ausgebaut werden. Die Regierung versprach zudem verstärkte Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Roma. Die Fraktion der Minderheiten macht die Erhöhung von Renten und Löhnen ab spätestens Mai zur Bedingung, unter der sie die neue Regierung unterstützt.

Wer ist der neue Premier? Der 43-jährige Mihai Răzvan Ungureanu ist Historiker mit einem Master-Diplom in Jüdischen Studien und spricht mehrere Fremdsprachen fließend, darunter Deutsch. Zwischen 2004 bis 2007 war er, damals noch als PNL-Mitglied, Außenminister in der Regierung von Călin Popescu-Tăriceanu. Im Zuge einer Spionageaffäre im Irak wurde er entlassen, in deren Verlauf ihm mangelnde Loyalität zu seiner Partei und zu große Nähe zu Präsident Băsescu vorgeworfen wurde. Er trat daraufhin aus der Partei aus und ging als Vize-Koordinator für Rumänien bei der Südosteuropa-Kooperationsinitiative (SECI) nach Wien. Noch im gleichen Jahr ernannte ihn Staatspräsident Traian Băsescu zum Chef des Auslandsgeheimdienstes SIE.

Den Äußerungen des Staatspräsidenten bei der Vereidigung der Regierung zufolge war der Rücktritt von Boc schon länger beschlossen. Der Name des künftigen Premiers (Ungureanu) sei längst bekannt gewesen, man habe sich bloß den Zeitpunkt für den Wechsel überlegen müssen, meinte Băsescu. Für Beobachter kam der Rücktritt von Boc zu Beginn des Wahljahres 2012 wenig überraschend. Spätestens im November wird in Rumänien ein neues Parlament gewählt. Außerdem stehen in diesem Jahr landesweit Lokalwahlen an. Unter diesen Vorzeichen konnte und wollte die PDL nicht mit Emil Boc und seiner im Volk ungeliebten Regierung ins Rennen gehen. Zu tief sitzt der Frust im Land über die vom IWF diktierten und in den vergangenen zwei Jahren von der Boc-Regierung umgesetzten, drastischen Sparmaßnahmen.

Die Proteste im ganzen Land richten sich denn auch gegen die Regierungspolitik, allerdings nicht nur. Korruption und Inkompetenz werden der politischen Führung vorgeworfen. Die Forderung nach einem Rücktritt von Präsident Băsescu war allerorten zu hören, dem seine Kritiker ankreiden, zunehmend autoritär und undemokratisch zu regieren. Dass der Präsident jetzt einen Geheimdienstler zum Premier ernennt, passt da ins Bild.

Es wird sich zeigen, ob Ungureanu für die PDL bis zu den Parlamentswahlen Boden gut machen kann. Derweil treten seit Ungureanus Ernennung die Differenzen im Oppositionsbündnis USL wieder deutlicher zutage. Während PSD-Chef Victor Ponta zumindest Gesprächsbereitschaft mit dem Premier signalisierte, beharrt der Vorsitzende der National-Liberalen, Crin Antonescu, auf dem bisher gefahrenen strikten Oppositionskurs. Es bleibt spannend im Wahljahr.

Holger Wermke

Schlagwörter: Rumänien, Regierung, Bukarest

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