22. Januar 2011

Menschen in Hermannstadt

Ein Bilderbogen aus der ehemaligen Europäischen Kulturhauptstadt in Fotos und Texten von Konrad Klein. Der gebürtige Hermannstädter (Jahrgang 1952) studierte in seiner Geburtsstadt Germanistik und nach der Auswanderung 1979 Religionswissenschaft in München. Seit 1987 arbeitet er als Lehrer in Gauting bei München und widmet sich in seiner Freizeit leidenschaftlich der Fotografie.
Beatrice Ungar (geb. 1963), streitbare Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung, in ihrem Redaktionsbüro in der Wiesengasse/Tipografilor 12. Besonders gern gelesen: ihre Kolumne „Alles ist (un)möglich“ von Seite 1, wo sie in launig-pointierter Weise den allgegenwärtigen Balkan in ihrem Land glossiert. Schade, dass sich uns „Ausgewunderten“ (W. Seidner) nicht jede ihrer Insider-Anspielungen erschließt. Auf dem Bild berät sie sich gerade mit dem hauseigenen Fotoreporter ­Sebastian Marcovici, 22. Seine Aufnahmen zählen zum Besten, was in den letzten Jahren in der rumäniendeutschen Presse erschien. Erst im Dezember erhielt er vom Verband der Rumänischen Kunstfotografen die Auszeichnung „Sportfotograf des Jahres“ für ein Motocross-Foto auf dem Hammersdorfer Berg bei Hermannstadt. Ebenfalls Spitzenplätze erzielten fünf weitere von „Sebis“ Arbeiten in den Bereichen Porträt und Fotojournalismus. Wir gratulieren!
Die Redaktion der Hermannstädter Zeitung ist von der Reissenfelsgasse/Gh. Lazăr, wo dieses Bild entstand, nur wenige Schritte entfernt. Doch Wolfgang Fuchs, 67, seit 1995 eine der Edelfedern der HZ, lenkt seine Schritte nur noch mal ausnahmeweise in die HZ-Redaktion. Seit September letzten Jahres ist er, von schwerer Krankheit genesen, im Ruhestand: „Ich freue mich jeden Tag, dass ich noch lebe. Mit einer Lunge kann man keine großen Sprünge mehr machen.“ Weniger bekannt ist, dass „Fuchsi“ neben markanten Reportagen auch Gedichte schreibt. Seinem Gedichtband „Der Ahn schnitt Rohr“ (2006) folgte erst jüngst ein weiterer: „Naoki tanzt“ (2010). Was er denn dazu meine, dass man davon Abstand nahm, am Wohnhaus von Oskar Pastior (hinten links) eine bereits fertige Gedenktafel zu enthüllen. „Ich wusste nicht einmal, dass er dort gewohnt hat.“ Ein Grund mehr, die Tafel anzubringen, wenn die IM-Diskussion um Pastior abgeflaut ist.
Anselm Roth, 53, produktivster Büchermacher in Hermannstadt, in seiner „Schriftstellerklause“, einem Campinghaus in Michelsberg bei Hermannstadt. Sein zusammen mit dem Buchhändler Jens Kielhorn vom Büchercafé Erasmus im Teutsch-Haus betriebener Schiller Verlag ist der Senkrechtstarter im rumäniendeutschen Verlagswesen (rund 50 Bücher in drei Jahren). Roth, ein Enkel des Politikers Hans Otto Roth, ist auch als Autor von Reiseführern (Hermannstadt, Schäßburg, Heltau) in Erscheinung getreten, noch mehr aber als Verleger selbst. Die Mediasch-Monographie, ein üppig bebil­dertes Buch, wäre ohne seine layouterische Kärrnerarbeit nie zustande gekommen. Das „große Geld“ verdient er freilich mit Kochbüchern und Reiseführern. Mitte Dezember brachte er Wilhelm A. Baumgärtners viertes Historienbuch („In den Fängen der Großmächte. Siebenbürgen zwi­schen Bürgerkrieg und Reformation“) heraus. Februar 2011 folgt eine illustrierte Neuauflage von Brigitte Ina Kuchars Kochbuch von 1984. Hinten guckt Roth eine selbstgemalte Dame über die Schulter.
Stets hilfsbereit und immer gut drauf: Monica Vlaicu, 65, ehemalige Direktorin des Nationalarchivs in Hermannstadt und seit 2004 Archivarin im Zentralarchiv der Landeskirche im Friedrich-Teutsch-Haus. Zu ihrem Aufgabenbereich gehört hauptsächlich die Bearbeitung von Familiennachlässen, die sie wiederholt auch publizistisch auswertete. Vor wenigen Tagen ist der 2. Band der Briefe von Jakob Rannicher bei Honterus erschienen. „Im Unterschied zu den betont sachlichen Briefen von Georg Daniel Teutsch und Waldemar von Baußnern hat mir die Arbeit an den Rannicher-Briefen weitaus mehr Spaß gemacht. Sie sind viel persönlicher und lebensnaher gehalten und zeugen von praktischem Denken, wenn er ‚seiner liebe Julie’ nach Hermannstadt schreibt.“ Ihr nächstes Buchprojekt treibt sie auch schon um: Briefe an Dr. Adolf Schullerus, zu dessen Brieffreunden auch so bekannte Zeitgenossen gehörten wie der Dichter des Siebenbürgenliedes, Max Moltke, und dessen Sohn Siegfried Moltke, aber auch General Falkenhayn und Feldmarschall August von Mackensen.
Einen echten Sensationsfund enthalten die­­se Archivkartons, die Dr. Wolfgang G. Theilemann, 46, Leiter des Zentralarchivs der Landeskirche, in seinen Händen trägt. Es geht um einen Dachbodenfund von mehr als 10 000 Bildern auf Papier, Filmen und Platten, den Pfarrer Dr. Stefan Cosoroabă vor einigen Jahren im Michelsberger Pfarrhaus machte. Als Cosoroabă Anfang 2010 beabsichtigte, einiges davon auszustellen, erkannte die ifa-Kulturmanagerin des Landeskonsistoriums Julia Jürgens die Bedeutung des Nachlass-Fundes und regte seine wissenschaftliche Bearbeitung mit einer entsprechenden Präsentation, inklusive der Erarbeitung eines Ausstellungskataloges, an. Es handelt sich größtenteils um Aufnahmen von Josef Fischer (seine privaten Exkursionsalben!). Vermutlich werden sich der Finder Dr. Cosoroabă und die Michelsberger Kirchengemeinde darauf verständigen, die Aufnah­men dem Bildarchiv des Zentralarchivs als Depositum zu überlassen.
Eine lebende Legende auch sie: die Puppenspielerin Lilly Krauss-Kalmár, am 4. Dezember junge 87 geworden und immer noch voller Pläne. Lebt seit 1926 in Hermannstadt, wo sie 1956 an die deutsche Abteilung des dortigen Puppentheaters kam; 1976 Ruhestand. Seit 1978 glücklich verheiratet mit dem Publizisten Zoltán Kalmár (86). 1978 erschien ihr Sammelband „Vorhang auf!“, der unter anderem eine Bearbeitung des sächsischen Märchenstückes „Am Medwischer Margretimarkt“ enthielt. Nach einem Zwischenspiel im sudanesischen Khartum (1981), wo sie Puppenspielkunst unterrichtete, ist sie mittlerweile wieder am Puppentheater in Hermannstadt, dem sie seit 1994 als Leiterin der deutschen Abteilung vorsteht. In Kürze soll im Honterusverlag ihr Buch „Das Zauberpferd“ erscheinen, das deutsch-rumänische Bühnenbearbeitungen aus „Tausendundeine Nacht“ und weiteren Texten der Weltliteratur enthält. Derweil hält ihr Mann die ungarische Kultur in Hermannstadt hoch. Seit 1995 gibt er die Dreimonatsschrift Nagyszeben és vidéke (Hermannstadt und seine Umgebung) heraus, übersetzte Emil Sigerus’ Chronik von Hermannstadt ins Ungarische (2006) und trat letztes Jahr auch mit seinem Buch Nagyszeben, a vörös város és hajdani magyarjai (Hermannstadt, die rote Stadt, und seine einstigen Ungarn) hervor. Laptop-Nutzer sind die beiden übrigens auch – Respekt, wie meine Schüler sagen würden.
Die komplette Fotoseite aus Folge 1/2011 können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.

Schlagwörter: Fotografie, Hermannstadt, Porträt

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