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19. September 2016

Kulturspiegel

Streiflichter aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen

875 Jahre seit der Ansiedlung in Siebenbürgen / Sechste Folge: „Stille Jahre“, Vormärz, Revolution
Für die Herrschaftszeit von Franz II./I. (1792–1835), der auf die aufgeklärten, Reformen voranbringenden Absolutisten Maria Theresia, Joseph II. und Leopold II. folgte, hat der Historiker Heinrich von Treitschke den Begriff der „stillen Jahre“ geprägt. Still waren sie jedoch nur an der Oberfläche. Darunter brodelte es: Napoleon I. überzog Europa mit Krieg und Zerstörung, auch politischem und sozialem Wandel; das Heilige Römische Reich deutscher Nation zerfiel und wurde 1806 aufgelöst, an seine Stelle trat das 1804 proklamierte „Kaisertum Österreich“ (Franz war somit der letzte „römische“ und der erste „österreichische“ Kaiser, trug zwei Jahre lang zwei Kaiserkronen, ein absoluter Einzelfall in der Geschichte); die Völker Siebenbürgens, wie ganz Europas, wurden von einer Welle nationaler bis nationalistischer Begeisterung erfasst, die für heftige, in einem Blutbad gipfelnde Unruhen sorgte. mehr...

Kommentare

Artikel wurde 8 mal kommentiert.

  • bankban

    1bankban schrieb am 19.09.2016, 08:37 Uhr:
    Hallo Herr Gündisch,

    erneut vielen Dank für diese hervorragende Übersicht, die eine sehr spannende und zugleich umstrittene Periode behandelt. Verzeihen Sir mir, wenn mir wieder Gedanken und Fragen in den Sinn kommen.

    Zuerst eine kleine Korrektur: "Lajós" Kossuth ist falsch, "Lajos" wäre richtig.

    a)Ihre Aussage: "1791 forderten die Rumänen im „Supplex libellus Valachorum” ihre Rechte als Mehrheitsbevölkerung ein. Die sächsischen Politiker widersetzten sich, statt durch Entgegenkommen einen Verbündeten gegen den ungarischen Adel zu gewinnen, der sich zum Träger eines aggressiven Magyarismus entwickelte."

    Stellt es keine Rückprpjektion dar, wenn sie auf 1791 bezogen vom ungarischen Adel als dem Träge eines "aggr. Magyarismus" sprechen? Jener Adel besaß damals und noch viele Jahrzehnte lang (mind. bis 1844) keinerlei Nationsgefühl. Die meisten Adligen sprachen nicht einmal Ungarisch. Wie konnten sie dann bereits um 1791 herum Träger eines, zudem "aggressiven" Magyarismus werden? (By the way: was bedeutet das Wort "Magyarismus" Man kennt ja "Hungarismus" aus dem 20. Jahrhundert, aber "Magyarismus"...?)

    b)"Zudem war die Forderung, als ständische Nation anerkannt zu werden, in einer Zeit, in der das Ständesystem in Europa überwunden wurde, überholt. Doch hätten die Sachsen mit der Anerkennung der Gleichberechtigung aller Bürger ungeachtet ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, des allgemeinen Wahlrechts, der Steuergleichheit, einer korrekten, auch mehrsprachigen Ortsnamengebung, mit der Akzeptanz eines modernen Nationenbegriffs wesentliche Elemente demokratischen Zusammenlebens vorweggenommen und vielleicht auch realisiert, um die sie sich später, unter gewandelten Verhältnissen, so intensiv und oft vergeblich bemühen mussten."

    Glauben Sie nicht, dass Sie hier an der sächsischen Führungselite etwas bemängeln bzw. von ihr etwas fiordern, was nicht einmal heute überall in Europa selbstverständlich ist? M.E. projizieren Sie hier eindeutig moderne und postmoderne Selbstverständlichkeiten ins 18. Jh. zurück und wundern sich, dass die damalige sächsische Elite sich nicht so verhielt. Warum vergleichen Sie diese Elite stattdessen aber nicht etwa mit den deutschen Konservativen (bzw. konserv. Denkenden) um 1800-1810-1820? Wäre nicht das ein adäquater Vergleich? Die sächsische Elite dachte ja 1791/1800/1810 naturgemäß in den Kategorien und Begrifflichkeiten, mit welchen sie um 1775/1785/1795 erzogen wurde... Wir, die Spätgeborenen, können ihr doch nicht vorwerfen, dass sie nicht mit unseren Vorstellungen und Begriffen übereinstimmend dachten und handelten...
    c) Zu den Ereignissen in den sächsischen und schwäbischen Städten im Frühjahr 1848: was wissen wir über das Verhalten der Magistrate und Komitate etwa gegenüber den Juden? (Eine Frage rein interessehalber).
    d) Eine ganz heikle und umstrittene Frage, die Sie leider nicht behandelt haben, ist die nach dem Bürgerkrieg in Siebenbürgen. In manchen Darstellungen kursieren Horrorzahlen über 40.000 von Ungarn ermordete Rumänen oder über etliche Tausende, von Rumänen ermordete Ungarn, über niedergebrannte ungarische Adelssitze usw. Was ist der aktuelle Stand der Forschung in dieser Frage, Ihres Wissens?

    Vielen Dank für Ihre Antworten im Voraus.
  • konradguen

    2konradguen schrieb am 19.09.2016, 17:25 Uhr:
    Sehr geehrter Herr „bankban“,
    besten Dank für Ihr Lob und für Ihre anregenden kritischen Fragen.
    Lajos Kossuth ist richtig, die falsche Akzentsetzung war ein Versehen.
    Zu a) Ich deute ausdrücklich eine Entwicklung an („sich ... entwickelte“), die schon im 17. Jahrhundert begann und am Ende des 18. Jahrhunderts, vor allem aber im „Vormärz“ (und keineswegs erst 1844) weiterging, bis sich der „Magyarismus“ während der Revolution von 1848/1849 und vor allem nach dem Ausgleich von 1867 voll entfaltete. Unter „Magyarismus“ verstehe ich ein seit dem 17. Jahrhundert bemerkbares Nationalgefühl, das im 19. Jahrhundert – bereits im „Vormärz“! – zu immer aggressiveren Versuchen führte, die anderen Völker des „Reiches der Stephanskrone“ zu magyarisieren. In der Regel habe ich in dieser populären Darstellung die Unterscheidung zwischen „Ungarn“ für das Land und „Magyaren“ für das Volk aus Gründen der leichteren Verständlichkeit vermieden, beim Magyarismus und der Magyarisierung geht es aber um allbekannte Begriffe, die man nur so verwenden kann.
    Zu b) Historiker stellen auf der einen Seite, dem Gebot Rankes folgend, die Geschichte möglichst objektiv dar, „wie sie einst gewesen“, urteilen aus ihrer Zeit heraus über Fehlentwicklungen, die irgendwann geschehen sind, auch wenn Ranke das für sich nicht in Anspruch nehmen wollte: „Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen." (Sämtliche Werke Bd. 33/34, Leipzig 1885, S. 7). Konkret geht es aber um eine Politik, die damals, im Kontext der Josephinischen Reformen und des „Supplex“ durchaus naheliegend und aktuell war, insbesondere nach den jahrundertelangen, negativen Erfahrungen mit den Forderungen und Anmaßungen des ungarischen Adels. Ich projekziere also keine „modernen und postmodernen Selbstverständlichkeiten“ auf die sächsische Führungsschicht der Wende vom 18. Zum 19. Jahrhundert zurück, sondern stelle fest, dass diese die Zeichen ihrer, der damaligen Zeit nicht erkannt hat!
    Zu c) Die Juden haben selbstverständlich die Partei Österreichs ergriffen, das sich ihnen gegenüber viel freundlicher verhalten hatte, als die anderen Staaten und auch die anderen Völker des Habsburgerreichs. In den beiden mir vorliegenden Büchern von Moshe Carmilly Weinberger (Istoria evreilor din Transilvania (1623-1944), Bucuresti 1994) und Ladislau Gyémánt (Evreii din Transilvania. Destin istoric/The Jews in Transylvania. A Historical Destuny. Cluj-Napoca 2004) werden die Revolutionsjahre 1848/1849 nur kurz behandelt, mit Hinweis auf das Ergreifen der „österreichischen Partei“ sowie auf – nicht näher konkretisierte - Raubzüge und Brandschatzungen ihrer Güter durch die Gegner. Die Sachsen waren während der Revolution als Proösterreicher natürliche Verbündete der Juden.
    Zu d) Ich stelle in den „Streiflichtern“ nicht die Geschichte Siebenbürgens, sondern jene der Siebenbürger Sachsen dar, kurz und aufs aus meiner Sicht Wesentliche reduziert. Unter den Sachsen hat der Bürgerkrieg vergleichsweise geringe Opfer gefordert, sieht man von dem Verlust einiger ganz Großer wie Stephan Ludwig Roth, Anton Kurz oder Theodor Fabini ab. Opferzahlen werden in der rumänischen und in der ungarischen Geschichtsschreibung in so unterschiedlicher Höhe genannt, dass es schwer ist, ohne intensive Archivforschungen ein halbwegs realistisches Bild zu zeichnen, wohl auch unmöglich, wenn man an zeitlich näher liegende und eigentlich besser dokumentierte Statistiken denkt.
    Beste Grüße
  • bankban

    3bankban schrieb am 19.09.2016, 21:54 Uhr (um 22:20 Uhr geändert):
    Herr Gündisch, vielen Dank für Ihre rasche Antwort. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber ich möchte mich weiterhin für die damalige sächsische Elite einsetzen, die Sie mit folgenden Worten angreifen: "Konkret geht es aber um eine Politik, die damals, im Kontext der Josephinischen Reformen und des „Supplex“ durchaus naheliegend und aktuell war, insbesondere nach den jahrundertelangen, negativen Erfahrungen mit den Forderungen und Anmaßungen des ungarischen Adels. Ich projekziere also keine „modernen und postmodernen Selbstverständlichkeiten“ auf die sächsische Führungsschicht der Wende vom 18. Zum 19. Jahrhundert zurück, sondern stelle fest, dass diese die Zeichen ihrer, der damaligen Zeit nicht erkannt hat!"

    Die sächsische Elite habe also die Zeichen ihrer Zeit um 1791 nicht erkannt, denn hätte sie das getan, dann hätte sie ja, wie Sie in Ihrem Artikel schrieben ... "... mit der Anerkennung der Gleichberechtigung aller Bürger ungeachtet ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, des allgemeinen Wahlrechts, der Steuergleichheit, einer korrekten, auch mehrsprachigen Ortsnamengebung, mit der Akzeptanz eines modernen Nationenbegriffs wesentliche Elemente demokratischen Zusammenlebens vorweggenommen" ... behaupten Sie. Und Sie schreiben auch: "Zudem war die Forderung, als ständische Nation anerkannt zu werden, in einer Zeit, in der das Ständesystem in Europa überwunden wurde, überholt."

    Meine Fragen:

    a) Wo, in welchem Land Europas war damals das Ständesystem tatsächlich überwunden?
    b) Glauben Sie wirklich, Ihre nachträglichen Forderungen an die damalige sächsische Elite ("... Anerkennung der Gleichberechtigung aller Bürger ungeachtet ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, des allgemeinen Wahlrechts, der Steuergleichheit, einer korrekten, auch mehrsprachigen Ortsnamengebung...") war damals realistisch? Hat überhaupt irgendwer in solchen Kategorien gedacht (abgesehen von der realitätsfernen Unabhängigkeitserklärung der USA 1776 oder vll. noch Voltaire/Rousseau, die aber in Sbb. 1791 allesamt eher keine Beststeller waren?)? Ja, wo gab es denn damals so etwas, in welchem Land? Etwa in Frankreich, dessen Nationalitäten in wenigen Jahrzehnten nach 1791 franzisiert wurden? (Ich empfehle die Untersuchung von Eugen Weber: From Peasants into Frenchmen... 1976). In welchem Land des damaligen Europas gab es denn "Gleichberechtigung aller Bürger ungeachtet ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, des allgemeinen Wahlrechts, der Steuergleichheit, einer korrekten, auch mehrsprachigen Ortsnamengebung, mit der Akzeptanz eines modernen Nationenbegriffs ..."? Ich bitte Sie... wo doch in kaum einem Land die Judenemanzipation durchgesetzt war um 1791... Wo gab es denn damals allgemeines Wahlrecht oder Steuergleichheit? Wo gab es damals mehrsprachige Ortsnamensgebung? Das sind doch alles Phänomene, Errungenschaften und Ergebnisse des 20. Jahrhunderts und wie weit es 2016 mit der Ortsnamensgebung ist, können Sie an Ihrem langjährigen Wirkungsort KLausenburg erfahren... Und dann erwarten Sie von der damaligen sächsischen Elite von 1791, sie hätte sich für all das aussprechen sollen, was damals nirgends auf der Welt existierte?
    c) Was ist für Sie ein moderner Nationsbegriff, den die damalige sächsische Elite hätte sich zueigen machen sollen: der von Renan 100 Jahre später? der französische politische Nationsbegriff oder der deutsche Begriff der Kulturnation? Aber die gab es beide 1791 nicht, geschweige denn unseren postmodernen heutigen... Ja, man liest häufig, selbst die Nation sei in Europa mit der französischen Revolution erst so richtig wirksam geworden. Auch das deutsche Nationalbewusstsein sei im Zuge der antinapoleonischen Befreiungskriege entstanden, also nach 1807/1813. Aber Sie erwarten von der damaligen sächsischen Elite, sie hätte sich schon 1791 dafür aussprechen sollen?
    (Genauso wenig glaube ich, im Übrigen, dass die ungarischen Adligen bereits im 17. Jahrhundert in nationalen Kategorien gedacht haben sollen...)
    d) Finally, Sie schreiben: "Historiker stellen auf der einen Seite, dem Gebot Rankes folgend, die Geschichte möglichst objektiv dar, „wie sie einst gewesen“..."
    Ich kenne viele Historiker, glaube aber nicht, dass es auch nur einen darunter gibt, der den Ranke des 19. Jahrhunderts als nachahmenswerten Geschichtstheoretiker anerkennen würde... Die meisten würden schlichtweg Hayden White etc. folgen und akzeptieren, dass sie immer nur je ein Narrativ einer Geschichte darstellen, das keinerlei Anspruch auf Objektivität besitzt...
    Ich hoffe, Sie konnten meinen Ausführungen folgen und verbleibe mit den besten Grüßen...
  • konradguen

    4konradguen schrieb am 23.09.2016, 12:35 Uhr:
    Ja, zufälligerweise kann ich Ihren Ausführungen folgen. Nur bin ich einige Zeit unterwegs, werde also später ausführlicher antworten. Vieles erübrigt sich aber, wenn sie meine Darstellung zur unmittelbar folgenden Zeit lesen, in der vieles von dem umgesetzt wurde, was man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ganz besonders ab Joseph II. versäumt hatte. Bis dahin viel Spaß beim Folgen meiner Ausführungen.
  • Bunzlau

    5Bunzlau schrieb am 23.09.2016, 16:26 Uhr:
    Hallo, bankban!
    Wo kann man die Ergebnisse Ihrer wissenschaftlichen Forschung, Ihre Erkenntnisse zum Thema "Geschichte der Siebenbürger Sachsen" nachlesen? Gibt es Bücher oder Artikel dazu?
    Schöne Grüße
  • bankban

    6bankban schrieb am 23.09.2016, 19:57 Uhr (um 19:58 Uhr geändert):
    Hallo Bunzlau!

    Wer sagt denn, dass ich dazu welche habe?

    Oder könnte es sein, dass meine Anmerkungen Sie irritieren und Sie einfach der Meinung sind, ich hätte nicht das Recht, so viele Fragen zu stellen und Anmerkungen zu machen?

    Unabhängig von alledem: falls irgendwie der Eindruck entstanden sein sollte, Herr Gündisch, meine Beiträge seien unangemessen oder impertinent, so bitte ich um Entschuldigung. Sicher: offenbar bin ich in manchen Aspekten anderer Auffassung als Sie. Aber es war und ist nicht meine Absicht, dabei Ihre Kompetenz anzugreifen. Ich dachte und denke nur, es sei irgendwie auch im Interesse der Gemeinschaft, einige Probleme zu diskutieren und zu erörtern. Mag dies auch kontrovers geschehen: so lange es in einem angemessenen Ton geschieht, profitieren alle davon.
    Falls meine Beiträge jedoch nicht als erkenntnisfördernd empfunden werden, bitte ich um einen Hinweis und ich stelle sie ein.
  • Bunzlau

    7Bunzlau schrieb am 24.09.2016, 10:35 Uhr:
    Ach ja, das habe ich mir gedacht.
  • konradguen

    8konradguen schrieb am 24.09.2016, 23:09 Uhr:
    Nein, Ihre Kommentare sind interessant und weisen auf Fragen hin, die auf engem Raum nicht so einfach zu stellen und zu beantworten sind. Dass ich sie ernst nehme, zeigt die Aufnahme unserer Diskussion in der Printausgabe. Sicher kann das aber in dieser Ausführlichkeit nicht mehr erfolgen. Zu Ranke nur so viel: Sein "wie es einst geschehen" bleibt Standard für die deutsche Geschichtsforschung, egal, ob da englische Autoren in anderer Sprache und mit anderen Worten dasselbe sagen: Geschichtsschreibung soll objektiv sein, kann es aber nicht ganz sein, denn jede/r betrachtet die Vergangenheit aus ihrem/seinem Gesichtswinkel. Muss man darüber streiten?

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