6. November 2009

Herta Müller mit Franz-Werfel-Menschenrechtspreis ausgezeichnet

Frankfurt am Main - Die designierte Nobelpreisträgerin für Literatur 2009, Herta Müller, ist mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen ausgezeichnet worden. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, MdB, überreichte der aus dem Banat stammenden, deutschen Schriftstellerin am 1. November in der Frankfurter Paulskirche die Franz-Werfel-Medaille. Die Laudatio hielt der Schriftsteller Ilija Trojanow. An der feierlichen Preisverleihung nahmen rund tausend geladene Gäste teil. Wie in dieser Zeitung gemeldet, ist Müller der alle zwei Jahre verliehene, mit 10 000 Euro dotierte Preis vor allem für ihr Buch „Atemschaukel“ zuerkannt worden.
Nach der Begrüßung durch die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth sprach Erika Steinbach anerkennende Worte für Herta Müllers Mut, das Schicksal der Russlanddeportierten in einem Buch thematisiert zu haben. Die BdV-Präsidentin begrüßte unter den Festgästen auch zehn Überlebende der Deportation, die Siebenbürger Sachsen Erika Condriuc, Karl-Heinrich Galter, Waltraut Götz, Günther Guni, Ottilie Jakoby, Eva Kutschick, Gertraud Salmen, Edith Schnell und Irene Weber sowie den Banater Schwaben Hans Roch.

In seiner Laudatio auf die Preisträgerin sagte der aus Bulgarien stammende deutsche Schriftsteller Ilja Trojanow: „Die Toten unterliegen nicht den Menschenrechten. Sie werden in keiner der Chartas erwähnt, die als juristischer Grundstock dienen. Den Lebenden werden umfassende Rechte zugestanden, auch wenn sie in kaum einem Staat tatsächlich garantiert sind, den Toten aber wird nichts gewährt, weder ein Anspruch auf Gehör noch ein Recht auf Teilhabe am Fortleben. Sie haben kein Recht darauf, dass ihr Leid oder ihr Wirken nicht in Vergessenheit gerät. (…) Bis jemand wie Herta Müller daherkommt, eine, die sich unbeugsam die Aufgabe gestellt hat, die Verstummten zum Wort zu erwecken.“
In der Frankfurter Paulskirche nahm Herta Müller ...
In der Frankfurter Paulskirche nahm Herta Müller (Zweite von rechts) den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis entgegen. Die Literaturnobelpreisträgerin 2009 flankieren von links nach rechts: Laudator Ilja Trojanow, Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth und BdV-Präsidentin Erika Steinbach. Foto: Lukas Geddert.
Herta Müller bedankte sich für die Verleihung des Preises insbesondere auch, „weil ich nicht zu den Unterstützern des Zentrums gegen Vertreibungen zähle und ihn trotzdem bekommen habe“. In ihrer Dankesrede übte Müller Kritik an der Vergangenheitspolitik Rumäniens. So wies die Schriftstellerin auf Versäumnisse bei der Aufklärung der Verschleppung der jüdischen Bevölkerung aus Rumänien und Ungarn hin. Beide Länder hätten die Geschichte der Judenverfolgung nicht aufgearbeitet. Die Folgen dieser Versäumnisse seien bis heute zu spüren. Auch die deutsche Minderheit habe ihre Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet. Der Hass ihrer Landsleute anlässlich ihrer ersten und weiteren Veröffentlichungen gehe „Hand in Hand“ mit dem „Hass der Regierung“. Herta Müller berief sich jedoch auf ein Gratulationsschreiben des Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Bernhard Krastl, der ihr versprochen habe, für eine vollständige Aufklärung zu sorgen.

Kritisch fragte die Autorin dann: „Was ist mit der evangelischen Kirche in Rumänien?“. 1989 sollte Herta Müller auf dem „Forum Rumänien“ des Evangelischen Kirchentages in Deutschland zusammen mit Richard Wagner, ihrem damaligen Mann, sprechen. Man habe sie beide jedoch auf rumänischen Druck ausgeladen. Als Beleg zitierte Müller eine schriftlich dokumentierte telefonische Durchsage des Landeskonsistoriums der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien vom 16. März 1989 an den Landesbischof der Ev.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe, Joachim Heubach, Beauftragter der Evangeli­schen Kirche Deutschlands (EKD) für die Zu­sam­menarbeit mit der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. In der von Bischof Albert Klein gezeichneten Briefbotschaft heißt es: „Da das aus dem Banat ausgewanderte Ehepaar Wagner-Müller keinerlei Beziehungen zur christlichen Kirche zu erkennen gegeben hat, über die Medien aber durch schärfste Kritik der Verhältnisse in Rumänien weiterhin bekannt geworden ist, ist mit seiner Teilnahme an diesem Forum die Anprangerung Rumäniens vorauszusehen. Das wird von den ebenfalls zum Forum geladenen Vertretern der Rumänischen Botschaft als Einmischung in innere Angelegenheiten Rumäniens bezeichnet (…). Die Folge wäre aber, dass die Beziehungen unserer Kirche zur EKD schwer belastet und die weitere Zusammenarbeit in Frage gestellt wird. Nach eingehender Beratung sind wir, Landeskirchenkurator Hermannstädter, Bischofsvikar Dr. Christoph Klein, Hauptanwalt H.G. Binder und ich, zusammen mit Dekan Dr. Pitters und Prof. Dr. Paul Philippi zu folgendem einmütigen Ergebnis gekommen (…) 3. Wenn das Forum Rumänien vom Veranstaltungsplan nicht gestrichen wird, werden wir unsere beiden Delegierten nicht nach Berlin entsenden.“ Die Evangelische Kirche in Deutschland hat inzwischen zu den Vorwürfen der Literaturnobelpreisträgerin Stellung genommen. Wie ein Sprecher erklärte, sei es „sehr unwahrscheinlich“, dass die Schriftstellerin 1989 vom Kirchentag ausgeladen worden sei. Genau sei das aber heute nicht mehr zu rekonstruieren.
Herta Müller übte bei der Preisverleihung Kritik ...
Herta Müller übte bei der Preisverleihung Kritik an der evangelischen Kirche. Foto: Lukas Geddert
Anlässlich der Festveranstaltung las Herta Müller aus ihrem Buch „Atemschaukel“ das Kapitel „Hungerengel“. Im Publikum saß auch Oskar Pastiors Bruder Peter Pastior. Am Ende der Lesung bedankte sich die Autorin nochmals bei Oskar Pastior, ohne dessen Schilderungen seiner Lebensgeschichte im ukrainischen Deportationslager dieses Buch nie entstanden wäre.

Katharina Kilzer

Schlagwörter: Herta Müller

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