11. November 2007

Claus Stephani: "Stunde der Wahrheit"

Ein Band mit Erzählungen des siebenbürgischen Schriftstellers Claus Stephani ist unter dem Titel „Stunde der Wahrheit“ soeben ist im Literaturverlag Hans Boldt (Winsen/Luhe) erschienen. Die ansprechende grafische Aufmachung von Moses Eisenthaler, der den Schutzumschlag nach einer Zeichnung von Hans Mattis-Teutsch gestaltete, sowie der Druck bei Gutenberg, Weimar, machen das Buch zu einer bibliophilen Ausgabe.
„Und daran war er wohl selbst schuld“, heißt es von Walter Huet, der in Stephanis Erzählung „Der Aussiedler“ morgens vor dem Spiegel steht, sein Alter ego betrachtet und Überle­gungen über seine Verwandlungen anstellt: Er war aus einem „Rumänen“ zum Deutschen geworden, wie dies in der Amtssprache heißt, und diesen Prozess der Umwandlung in einen anonym-standesgemäßen Bundesdeutschen versucht der Erzähler, ironisch-kritisch nachzuvollziehen.

Claus Stephani, in Kronstadt geboren, in Baldham bei München lebend, ist durch seine volkskundlichen Recherchen in Siebenbürgen, bei den Zipsern und letzten Ostjuden in der Maramuresch und der Bukowina ebenso bekannt und heimisch wie in Bukarest, wo er als Redakteur der „Neuen Literatur“ tätig war. Er förderte zwei Jahrzehnte lang junge literarische Talente, leitete den deutschen Schriftstel­lerkreis in Bukarest, betreute die langlebige Ru­brik „Manuscriptum“ und andere Themen und Folgen der damals internationalen Literatur­zeitschrift, die Abonnenten in 22 Ländern hatte. Stephani selbst veröffentlichte Kunstkritik, Ly­rik und Prosa, Märchen und Sagen sowie zahlreiche volkskundliche Studien und wurde in Rumänien und im Ausland als Buchautor und Ethnologe bekannt und ausgezeichnet. Seine bisherigen Prosabände erschienen unter anderem im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) und die rumäniendeutschen Märchen und Sagen im Eugen Diederichs Verlag, München. Die Samm­lung „Ostjüdische Märchen“ kam bisher in einer deutschen, rumänischen und italienischen Aus­gabe heraus.

In seinem neuesten Band legt Claus Stephani sieben Erzählungen vor, die alle mit Selbst­besinnung, Rückbesinnung und der Suche nach der echten Gesinnung zu tun haben. „Der Aus­siedler“ funktioniert seine Erinnerungen in ei­nen ironisch-grotesken Traum um, damit er die Diskrepanzen der neuen bundesdeutschen Wirk­­lichkeit ertragen kann. Ob er die Fremd­heit auch zuvor zu ertragen hatte und wie ihm dies gelungen ist, wird am zehnten Jahrestag seiner Einbürgerung nicht mehr gefragt.

Dem Erzähler geht es durchwegs um Situatio­nen, in denen jeweils eine Erzählgestalt zwischen Erinnerung und Gegenwart hin und her gerissen ist und die Entfremdung in jeweils einer neuen Umgebung zu ertragen hat, so z.B. der Aussiedler in Deutschland („Verwand­lungen“), oder die Daheimgebliebene in der stillen Vereinsamung („Das siebenbürgische Dorf“). Überall sind die Relikte von Zwängen zu spüren: in der kommunistischen Diktatur, wo der Einzelne eine perfide Selbstzensur zu seiner täglichen Tortur eingebaut hat („Die Hunde im Bărăgan“), in Deutschland, wo der bürokratische Apparat und eine Klischeeflut dem Neuankömmling das Leben erschweren („Ver­wand­lungen“, „Wiedersehen mit Genossen Fischer“).

Ein Ausweg aus dieser Situation scheint der „Aussiedler“ nur in einer stillschweigenden Gleichgültigkeit zu finden, die aber keiner der Erzählgestalten gelingt. Dass schließlich die doppelte Moral der kommunistischen Schön­färberei noch einmal in Frage gestellt wird („Die Stunde der Wahrheit“) schließt den thematischen Kreis: vom Aussiedler bis zu dem im Ausreiseland Rumänien verunsicherten Akade­miker reicht die Reihe, und „Das letzte Wort des Vaters“, das einen Weg aus der Klaustration andeutet – durch ein traditionstiefes hebräisches Schlüsselwort – erscheint als zentrales Erlebnis: man kann auch im Wort Wahrheit finden und die Brücke von Leben zum Tod, aber das ändert nichts an den Phobien des Alltags und ist weit entfernt vom endgültigen Abschied­nehmen.

Bei der Lektüre des Buches beeindruckt am meisten der Versuch des Autors, neue literarische Figuren zu schaffen, die nach Auswegen suchen und immer wieder die Wandlungen von Wort und Erlebnis durchleiden. Endgültige Klarheit und damit auch die „Stunde der Wahrheit“ finden sie nicht, immer nur relative Sicherheiten, die sich schnell verändern und so zu neuen Verunsicherungen führen können. Es sind die Wahrheiten, die der Erzähler dadurch vermitteln will.

Das „Nachwort“ stellt auch den Autor als eine seiner Personen dar, die sich der Deutungs­not­wendigkeit der eigenen Lebensverläufe zu stellen hat und aufdeckt, was nicht bekannt war. Da­durch aber trägt er dazu bei, die Ereignisse in Bukarest und Siebenbürgen – denn darauf bezieht sich sein Ich-Rollenspiel – als tatsächlich, als vieldeutig und als nie endgültig ausdeutbare und überwindbare Prozesse zu präsentieren. Die Schwierigkeiten der Positions­be­stimmung hier wie dort werden in diesem prägnanten, subjektiv knappen und Exempel statuierenden Erzählbändchen erkennbar, mit dem Claus Stephani seine zahlreichen Prosaveröf­fentlichungen, die sich immer schon am Rande der Mythen und des vielfältigen Verflochten­seins bewegten, fortsetzt.

Die Textsammlung beschert allen, die ihre ge­wohnte Umgebung verlassen mussten und früher oder später Zwängen politischer und gesellschaftlicher Art ausgesetzt waren, neue Fragen und Bestätigung. Die so genannte „alte“ und „neue Heimat“ werden hier auf der gleichen Erzählebene einander sehr nahe gebracht, al­lerdings nicht als Integrationsmuster.

Der Band „Stunde der Wahrheit“, ISBN 978-3-928788-61-8, kann Preis zum Preis von 8,80 Euro in jeder Buchhandlung bestellt werden.

Horst Fassel

Stunde der Wahrheit: Erzählung
Claus Stephani
Stunde der Wahrheit: Erzählungen

Boldt, Hans
Taschenbuch

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Schlagwörter: Neuerscheinung, Aussiedlung, Integration

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