20. September 2007

Heimat und Globalisierung: Ein Seminar in Bad Kissingen

Wo bin ich zu Hause? Natürlich liegt die Heimat für mich dort, wo es mir gut geht („Ubi bene, ibi patria“, formulierte Cicero), aber die Meinungen, was unter gut zu verstehen sei, gehen auseinander. Das Thema „Heimat“ im Zeitalter der Globalisierung wurde in einem Seminar erörtert, das die „Akademie Mitteleuropa“ Ende August im unterfränkischen Bad Kissingen organisierte. Dem Studienleiter Gustav Binder war es gelungen, als Referenten für die vier Tage dauernde Veranstaltung einen Soziologen, einen Theologen, einen Historiker und einen Filmemacher zu gewinnen, die alle einen Migrationshintergrund haben, so wie es auch bei dem zumeist in Rumänien verwurzelten Publikum der Fall war.
Die Vielzahl der Definitionsversuche legt nahe, dass es nicht leicht ist, den Begriff „Heimat“ überzeugend zu bestimmen. Für Personen, die nicht mehr an ihrem Geburtsort, nicht mehr in ihrem Geburtsland leben, gewinnt der Freundeskreis an Bedeutung; ein Grundstock von gemeinsamen Vorstellungen und Zielen ist unerlässlich. Jeder Mensch möchte akzeptiert und anerkannt werden, wem das misslingt, bleibt ein Fremder – wo immer. Eine Stimme aus dem Publikum ergänzte mit einem Zitat aus Morgenstern. „Nicht da, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.“
Spaziergang der Seminarteilnehmer mit ...
Spaziergang der Seminarteilnehmer mit Studienleiter Gustav Binder (vorne, 3. von rechts) im Kissinger Kurpark. Foto: Hans Fink
Zur Einführung ins Thema veranschaulichte der aus dem Banat stammende Soziologe Prof. Dr. Anton Sterbling die Ausmaße der gegenwärtigen Globalisierung, als deren Antriebskraft sich der spekulative Kapitalismus erweist. Bei diesem Prozess wird keine Angleichung der Wirtschaftsverhältnisse erreicht, wie manche Theoretiker behaupten; in Wirklichkeit klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Auch in Europa territorialisieren sich die Wohlstandsdifferenzen, das Gefälle zwischen der reichsten Region, als diese gilt der Großraum London, und der ärmsten Region, als diese gilt die Republik Moldau, beträgt zehn zu eins. Als dynamische Zentren der wirtschaftlichen Entwicklung wurden im Falle Rumäniens das Banat und Bukarest genannt.

Wie bei den Seminaren in Bad Kissingen üblich, wechselten Vortrag und Gespräch ab, und das war auch am zweiten Tag so, als Dr. August Schuller, vormals Stadtpfarrer von Schäßburg, die Unübersichtlichkeit des Vorgangs der Globalisierung für den Einzelnen bewusst machte. Unter den Siebenbürger Sachsen hat die Diskussion über Heimat lange vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Dr. Schuller verdeutlichte die Entwicklung des Heimatbegriffs nach der Auflösung des Königsbodens, eine Folge des sogenannten Ausgleichs zwischen den Regierungskräften Österreichs und Ungarns im Jahre 1867, worauf die Siebenbürger Sachsen sich von Österreich ab- und dem Deutschen Reich zuwandten.

Am dritten Tag referierte der Historiker Carsten Eichenberger vom Stuttgarter „Haus der Heimat“ über die Integration von Vertriebenen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern. Von den heute in Baden-Württemberg lebenden Familien stammt jede Vierte aus dem Osten. In den baden-württembergischen Schulen sind Flucht, Vertreibung und Integration seit dem Schuljahr 2004-2005 ein verbindliches Thema, es wird in der 9. Klasse behandelt. Das Stuttgarter „Haus der Heimat“ darf sich damit rühmen, eine Dokumentation erarbeitet zu haben, die mittlerweile bundesweit im Unterricht eingesetzt wird. Der rote Faden des Vortrags war die Biografie von Bundespräsident Horst Köhler, dessen Familie durch die vom NS-Staat erzwungene Umsiedlung aus Bessarabien nach Deutschland gelangte.

Der Filmemacher Günter Czernetzky, in Schäßburg geboren, definierte sich als „Revisionist“, d. h. als ein Mensch, der gängige Vorstellungen aufgrund neuer Einsichten umwertet. Er präsentierte das Filmprojekt „Wir wollen bleiben, was wir sind“, in dem die Geschichte der nach Deutschland verschlagenen Siebenbürger Sachsen ab 1945 dargestellt werden soll. Mehrere Dokumentarfilme, ein Stadtbummel und ein Ausflug in die Umgebung, ins Heimatmuseum von Nüdlingen, welches von dem Siebenbürger Sachsen Johann Göbbel betreut wird, sowie ein Besuch in der Deutschordensstadt Münnerstadt mit einem Riemenschneideraltar und Altartafeln von Veit Stoß – beide haben Bezüge zu Siebenbürgen – rundeten das Programm des Seminars ab. Kurioserweise wurde bei der Erörterung des Begriffs „Heimat“, obwohl vom Gefühl der Sicherheit in einer Gesellschaft von Gleichgesinnten die Rede war, das gemeinschaftliche Singen nicht erwähnt. Es ist kurios, weil Übereinstimmung nirgends deutlicher zum Ausdruck kommt als bei gemeinsamer Musik und weil man die Lust am Singen bei jedem Treffen der Rumäniendeutschen erleben kann.

Hans Fink

Schlagwörter: Aussiedlung, Integration, Identität

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