9. Juli 2006

Donau-Karpatenraum beschäftigt wissenschaftliche Tagung in Fünfkirchen

Ende Mai fand im ungarischen Pécs (Fünfkirchen) eine internationale und fächerübergreifende Tagung statt zum Thema "Landschaft - Mensch - Kultur: Der Donau-Karpatenraum, ein vielfältiger Natur- und Kulturraum". Veranstalter der Tagung waren neben dem Janus Pannonius-Museum und dem Lenau-Verein (beide Pécs) die Sektionen Naturwissenschaften und Volkskunde des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) sowie das Siebenbür­gische Museum in Gundelsheim/Neckar.
Die Wahl der Stadt Pécs als Tagungsort war nicht zufällig. Diese Kultur- und Wirtschaftsmetropole in Südungarn wurde bekanntlich vor einigen Monaten zusammen mit Istanbul und dem deutschen Essen zur Kulturhauptstadt Europas 2010 erwählt. Die Tagungsbedingungen im gastfreundlichen Lenau-Haus, dem in der Innenstadt gelegenen Kulturzentrum der dort lebenden Deutschen, waren günstig. Die Gäste der Tagung kamen aus Rumänien, Ungarn, Österreich und Deutschland. Prof. Dr. Ferenc Fischer, Leiter des Institutes für Geographie der Universität Pécs, erläuterte in seiner Eröffnungsansprache die schwierige Lage der Menschen im Donau-Karpatenraum in den letzten Jahrzehnten eingedenk der Teilung Europas. Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und die seit 2004 erheblich erweiterte Europäische Union eröffneten neue Perspektiven zur Überwindung der ehemals engen Grenzen in Südost-Mitteleuropa. Regionale Treffen dieser Art würden auch durch die Multiplikatorenfunktion der teilnehmenden und referierenden Wissenschaftler neue Handlungsmöglichkeiten ergeben, so Fischer. Es gelte dem geistigen Europa die Einzigartigkeit dieser Region bewusst zu machen.
Teilnehmer der Tagung in Fünfkirchen im dendrologischen Park Sellye bei Fünfkirchen (Pécs).
Teilnehmer der Tagung in Fünfkirchen im dendrologischen Park Sellye bei Fünfkirchen (Pécs).

Dr. Irmgard Sedler, Leiterin der Sektion Volkskunde des AKSL, betonte in ihrer Begrüßungsansprache die besondere Rolle von Kulturregionen bei der Identitätsfindung der Menschen Mitteleuropas. Wie Dr. Erika Schneider, Vorsitzende der Sektion Naturwissenschaften des Arbeitskreises, erläuterte, korrespondiert die Donau als fluviale Hauptachse unseres Kontinents mit einer Vielzahl von historischen Beziehungen zwischen dieser Region und anderen Räumen West- und Mitteleuropas. Daniela Csizmádia (Pécs) sprach in ihrem Referat von der Brückenfunktion der Stadt Pécs als wichtigem Tor in diesem südöstlichen Kulturgürtel, in dem sich naturwissenschaftliche, historische, und kulturelle Dimensionen von Menschen und Völkern Mitteleuropas und des Balkans berühren und überlappen.
Im Folgenden sollen die weiteren Tagungsbeiträge kurz referiert werden. Exemplarisch für die Darstellung von wissenschaftsgeschichtlichen Dimensionen war der Vortrag "Reisen und Aufschreiben: Die Transformation der Landschaft in der Schrift. Naturwissenschaftliche Werke, die auf Reisen in die östlichen habsburgischen Länder basierten" von Prof. Dr. Marianne Klemun (Wien). Kata Frendel (Budapest) erläuterte Aspekte der traditionellen Volksmedizin einer ethnischen Minderheit der Ungarn im Csángo-Siedlungsgebiet der Täler Uz und Oituz in den rumänischen Ostkarpaten. Ebenfalls eine Minderheitengruppe betrachtete Dipl.-Ing. Christof Baiersdorf (Düsseldorf) in seinem Referat: „Die Rolle einer jüdischen Familie in der wirtschaftlichen Entwicklung im Donau-Karpatenraum in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Judith W. Müller, stellvertretende Leiterin des Janus Pannonius-Museumskomplexes in Pécs, sprach am Beispiel einer donauschwäbischen Familie über die komplexe Geschichte der Deutschen in Ungarn im 20. Jahrhundert. Fächer- und länderübergreifend orientiert war der 45-minütige Dokumentarfilm „Die Geschichte der Donau-Dampfschifffahrt-Gesellschaft (D.D.S.G)“ von Zoltan Huszár, Leiter des Museumskomplexes „Janus Pannonius“ Pécs. Das medizinhistorische Referat von Dr. med. Robert Offner (Bayreuth) hatte den Klausenburger Arzt Johannes Hertelius zum Gegenstand. Gemäß der fächerübergreifenden Ausrichtung der Tagung trug der Vortrag von Dr. Erika Schneider und Dr. Eckbert Schneider (Rastatt) "Die Landschaft des Südsiebenbürgischen Hochlandes und ihre Entwicklung unter dem Einfluss der Menschen" der komplexen Wechselwirkung Mensch - Natur Rechnung. Das Referat von Dr. Evelyn Rușdea (Freiburg), Dr. Ioan Augustin Goia (Klausenburg) und Prof. Dr. Albert Reif (Freiburg) "Die Besonderheiten der Kulturlandschaften in den Höhenlagen des Apuseni-Gebirges: Siedlungsgeschichte, Bauweise und Landnutzung" behandelte ein abgeschlossenes Forschungsprojekt im rumänischen Westgebirge. Dr. Irmgard Sedler (Ludwigsburg) referierte über „Die siebenbürgische Patriziertracht (16.-18. Jahrhundert) im Spannungsfeld west-östlicher Modeeinflüsse“. Weitere Referate mit kulturanthropologischen Inhalten und na­turwissenschaftlichen Bezügen folgten: Andrea Vándor (Pécs): „Änderung der Mentalität im Spiegel eines Kalenders von 1799 bis 1916“; Werner Sedler (Ludwigsburg): „Traditionales siebenbürgisches Wirtschaftswesen am Beispiel der überlieferten Transportmittel und –behältnisse“; Hermann Schobel (Würzburg): „Zur Geschichte der Rinderzucht in Donau-Karpatenraum mit besonderer Berücksichtigung Siebenbürgens und ihre kulturhistorische Bedeutung“; Dr. Ioan Augustin Goia (Klausenburg): „Der Einfluss der traditionellen Schafzucht auf die siebenbürgische Kulturlandschaft. Historischer Überblick bis in unsere Zeit“; Dr. István Burian (Pécs) und Dr. Krisztina Böszörményi (Pécs): „Die ‚Kopácsi Rét' - Auf den Spuren von Großherzogin Isabella“; Karla Roșca (Hermannstadt): „Vom Karpaten-Vereinsmuseum zum Museum der siebenbürgisch-sächsischen Volkskultur ‚Emil Sigerius' in Hermannstadt“.
Die Abschlussreferate der Tagung hatten naturwissenschaftlichte Schwerpunkte, darunter zwei Berichte aus der Geschichte der Medizin im Donau-Karpatenraum von Hansgeorg von Killyen (Lahr): „Ungarländische Zöglinge am Josephinum in Wien (1790-1870)“, sowie von Péter Szabolcs (Budapest): „István Mátyus (1725-1802), ein ungarischer Hufeland des 18. Jahrhunderts“. Es folgten zwei Beiträge mit vorwiegend botanischem Inhalt, von Karl Karácsonyi (Baienfurt): „Bemerkungen über die an ihrer Arealgrenze vorkommenden Pflanzenpopulationen im Nordwesten Siebenbürgens“, und von Dr. Uwe Grün (Bergisch Gladbach) und Dr. Heinz Heltmann (St. Augustin): „Der Nationalpark Königstein in den Südkarpaten Rumäniens, 15 Jahre seit der Gründung“.
Zudem unternahmen die Tagungsteilnehmer eine Tages-Exkursion in die ehemals von Deutschen besiedelte Region Baranya (Braunau) nach Bóly, wo ein gut ausgestattetes Volkskundemuseum und eine der größten Weinkellereien des Rebbaugebietes Villány, ein Betrieb der Familie Roth, besichtigt wurden. Eine zweite Exkursion führte in das einst sumpfige Gebiet der Ormánság, ein Teil des Donau-Drau-Nationalparks. Abschließender Höhepunkt war die Besichtigung der nationalen Denkmalstätte Mohács an der Donau, die zur Erinnerung an die Schlacht von Mohács (1526) errichtet wurde. Am letzten Tag der Veranstaltung konnten die Teilnehmer die zahlreichen Museen sowie weitere Sehenswürdigkeiten der Stadt und der Region besichtigen.

Finanziell unterstützt haben diese wissenschaftliche Tagung in Pécs das Bayerische Staatsministerium für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen über das Haus des Deutschen Ostens München, die Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung e.V. München, das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e.V. an der Ludwig-Maximilians-Universität München und die Heimatortsgemeinschaft Kronstadt/Neckarsulm.

Hansgeorg von Killyen

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2006, Seite 10)

Schlagwörter: Tagungen, Karpaten

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