8. Dezember 2019

Hermannstadt und seine genussvollen Speisen

Kartoffelwuzerl und Zwetschgenröster mochte Bernd Fabritius, der jetzige Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, in seiner Kindheit. Bei dem Gewürz Estragon, in Siebenbürgen zumeist „Bertram“ genannt, wird die Politikwissenschaftlerin Ute Gabanyi sofort schwach. Und ein gebürtiger Hermannstädter sowie heutzutage mitten in Deutschland tätiger Kneipenwirt erkennt ultimativ bei Mici mit viel Knoblauch, Baguette und Senf den Geschmack seiner in Rumänien verbrach­ten Jahre. All das und noch einiges mehr erfährt der Leser in einem frisch gedruckten Buch.
Ja, was ist überhaupt das kulinarisch Besondere in Hermannstadt? Dagmar Dusil, einst dort geboren und mit diesem Landstrich auf Lebenszeit eng verbunden, widmete der Beantwortung dieser Frage viel Zeit. Ihre persönliche Antwort lieferte sie in der Veröffentlichung gleich mit. Und zwar im Klappentext. Die Verfasserin meint: „Einmalig und schmackhaft, vielfältig und europäisch. Lokal und international, einfach und raffiniert. Der Tradition verhaftet und doch modern.“ Eine These, deren Wahrheitsgehalt auf den danach folgenden knapp 200 Seiten mit einer liebenswerten Akribie untersucht wird. Zunächst geht es um Begleitumstände, welche den Alltag, die Kultur und das Zusammenleben in dieser Metropole mit einer wechselhaften Geschichte nachhaltig beeinflussten. Klar, vieles was hier benannt wurde, fand den Weg auf die Speisekarten, wurde quasi bei den überlieferten Rezepten gleich mit vererbt. Bemerkenswert ist der Umstand, dass viele von Hermannstadt Weggezogene zwar Teile des eigenen Hausrates zurücklassen mussten. Aber die fest eingeprägten Tischgewohnheiten konservierten viele fest im Gedächtnis und hielten auch anderswo daran fest. Diese Aussagen werden bildhaft von der Aufschreibenden mit Hilfe vieler Gespräche und Interviews mit einstigen Bewohnern verdichtet. Es obsiegen in schriftlicher Form recht individuelle Sichten auf facettenreiche Speisekammern, klappernde Kochtöpfe und pittoreske Standorte, wo es leckere Nahrungsmittel zu kaufen gibt. In geballter Form sorgt diese bemerkenswerte Faktenfülle für vielschichtige Einblicke. Die kredenzte Garnierung besteht aus lokalen und familiären Ess-Besonderheiten der Autorin. Und natürlich aus ausführlichen Verweisen auf verführerische Gaumenfreuden in Hermannstädter Lokalen sowie Tipps auf Fixpunkte der Esskultur außerhalb dieser Stadt.
Diese Veröffentlichung gehört natürlich in jede Küche und sollte dort ohne Reibungsverluste stets einsatzbereit sein. Eine Fülle von ausgegrabenen und nun gedruckten Rezepten erzeugen bei den Genießern unverzüglich eine durch nichts auszubremsende Lust auf variantenreiche Praxisbeispiele. Zumal die Autorin es nicht versäumte, viele private Anekdoten aus der hauseigenen Speisenbiografie einfach als Dessert oben drauf zu legen. Damit bleibt sie sich selbst treu. Gelang ihr doch schon vor Jahren mit „Blick zurück durchs Küchenfenster“ ein anregendes Meisterstück, nämlich einen prächtigen Appetitshappen in Wortform zu veröffentlichen.

Roland Barwinsky


Dagmar Dusil: „So is(s)t Hermannstadt“. POP Verlag, Ludwigsburg, 2019, Fragmentariumreihe, Band 15, 186 Seiten, 13,80 Euro, ISBN 978-3-86356-282-3.

Schlagwörter: Dagmar Dusil, Buch, Hermannstadt, Kulinarik

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