11. Dezember 2019

„Der Himmel überschüttet mit Sternen ...“: Horst Samsons Lyrikband „Das Meer im Rausch“

Über den 1954 in der Donausteppe/Bărăgan als Kind aus dem Banat hierher zwangsdeportierter Eltern geborenen Horst Samson notierte der Germanist, Journalist und Literaturhistoriker Walter Engel (geb. 1942), „kein anderer rumäniendeutscher Autor“ habe so „tiefgründige Meeres-Lyrik geschrieben wie er“. Spätestens der vor Kurzem im Ludwigsburger POP-Verlag veröffentlichte Gedichteband „Das Meer im Rausch“ belegt Engels Feststellung: In rund hundert Gedichten führt Samson in diesem Band einen Dialog mit dem Element, über das Goethe sagte, es sei „freundlich“ zu dem, der mit ihm „bekannt ist und es zu behandeln weiß“. („Wahlverwandtschaften“, 1809)
Dem 172-Seiten-Band Horst Samsons sind rund ein Dutzend Farbfotografien zum Thema „Meer“ beigegeben, doppelseitige, atmosphärisch dichte Prachtbilder – meist Nokturnen ohne Titel –, alle zum Thema „Heimat Meer“, wie eines der ersten Gedichte des Bandes heißt; die Gedichte stammen aus rund drei Jahrzehnten. Von Heiligenhafen am Fehmarnsund bis zum Schwarzen Meer, von Bergen an der norwegischen Westküste bis Kreta, von der bretonischen Côte de granit und der Torre de las Mora bis Lesbos in der Ägäis spannt sich der Bogen der Dialogvariationen, in denen der Dichter mit dem Atlantik, dem Mittelmeer, dem Donaudelta, mit dem Wasser in Häfen, Buchten und an Küsten Gedanken und Gefühle tauscht. Ein irrational wie rational weit- und tiefgründigerer Partner lässt sich schwerlich denken.
Es ist diese Mischung, aus der sich die Tonlage der Gedichte ergibt – das rationale Memento reicht sich gleichsam die Hand mit der, nicht selten verschleierten, ergänzenden Metapher. Oder: Einer jenseits der herkömmlichen Syntax „gestammelten“ Frage steht als Gegengewicht jedes Mal die fast nüchtern formulierte conclusio gegenüber. In diesem Wechselspiel liegt die geistige Textur der Samson‘schen Lyrik, liegt auch ihre Spannung, ihr Reiz: liegt die Unverkennbarkeit der künstlerischen Handschrift dieses Dichters. Wenn er z.B. das Gedicht „Am Fluss“ mit der gegenständlichen Feststellung beginnt: „Wir hielten Ausschau nach dem Boot./ Misstrauisch beäugte uns/ vom anderen Ufer aus ein Reiher./ Auf dem Bauch liegend kauten wir/ Grashalme ...“, dann ist mit der sofort folgenden Formel von den „Tücken der Wörter./ Des Suchens müde ließen wir/ die Sätze treiben“ die Loslösung vom figurativ vordergründigen Bild und der Wechsel in den Bereich des Sinnbildes vollzogen.

Immer wieder fällt auch die Stärke der Bilder in Horst Samsons Gedichten auf. „Die Seele horcht auf./ In der Ferne kreischt, glaube ich,/ eine Seeschwalbe. Die Sonne/ badet spät abends.“ („Ein kurzes Gefühl für das Meer.“) „Schwarzer Wein der Nacht,/ wir trinken dich und singen/ zur Gitarre.“ („Lebensfuge“) „Der Himmel überschüttet mit Sternen.“ („Sternenstunde in Torre de la Mora“) Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

Die Gedichte des Bandes „Das Meer im Rausch“ weisen Horst Samson einmal mehr als einen Lyriker durch und durch eigener Prägung aus, sicher angelegt im eigenen geistigen Duktus, in der Handhabung der Formenelemente und in den Spezifika des sprachlichen Vortrags.

Hans Bergel


Horst Samson: „Das Meer im Rausch“. Gedichte. POP-Verlag, Ludwigsburg, 2019, Broschur mit Schutzumschlag, 171 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-86356-285-4.

Schlagwörter: Lyrik, Gedichtband, Rezension, Samson, Bergel

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