27. November 2019

„Minderheit ist Selbstbekenntnis“

Mit diesem sehr akzentuiert vorgetragenen Statement machte Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, einmal mehr seinen Standpunkt in der Podiumsdiskussion zum Thema „Der lange Schatten des Ersten Weltkriegs. Minderheitenschutz in Ungarn, Rumänien und Deutschland“ im Münchner Haus des Deutschen Ostens (HDO) deutlich. Die weiteren Diskussionsteilnehmer an diesem 15. November waren leiser unterwegs: die Historiker Prof. Dr. Gerhard Seewann und Dr. Florian Kührer-Wielach sachlich-unaufgeregt, der Historiker und Schriftsteller György Dalos philosophisch-bedächtig. Eine Klammer um diese vier bemühte sich Moderator Henning Senger von der Hanns-Seidel-Stiftung zu schließen.
Vorangegangen waren der Diskussion zwei Vorträge über „Ungarn nach 1918“ von Prof. Seewann und „Rumänien nach 1918“ von Dr. Kührer-Wielach, die die Phase der staatlich-gesellschaftlichen Neuorientierung und die damit verbundenen Versuche der Konsolidierung in den beiden Ländern nach dem Ersten Weltkrieg mit besonderem Blick auf die Situation der Minderheiten darstellten. Der „Hausherr“, HDO-Direktor Prof. Dr. Andreas Otto Weber, hatte die Begrüßung und die kurze Vorstellung der Referenten übernommen.
Diskussion über Minderheitenschutz im Münchner ...
Diskussion über Minderheitenschutz im Münchner HDO, von links: Dr. Bernd Fabritius, György Dalos, Moderator Henning Senger, Dr. Florian Kührer-Wielach, Prof. Dr. Gerhard Seewann.
Ungarn sei nicht Opfer westlicher Machenschaften in Folge des Ersten Weltkriegs, so Seewann, und die Täterrolle Ungarns und seiner politischen Elite werde bis heute geleugnet. Allerdings habe das Land durch die Unterzeichnung des Vertrags von Trianon am 4. Juni 1920 große Gebiets- und Bevölkerungsverluste hinnehmen müssen; im selben Jahr wurde Admiral Miklós Horthy zum Reichsverweser gewählt und der Assimilationsdruck auf Minderheiten erhöht, z.B. durch das Numerus clausus-Gesetz, das sich gegen die jüdische Bevölkerung im Land richtete. Bis heute leide die ungarische Gesellschaft an einem „Trianon-Trauma“, konstatierte Seewann. Revisionismus und Nationalismus, vor 100 Jahren als Reaktion auf den westeuropäischen Liberalismus entstanden, halten sich bis in die Gegenwart.

Rumänien konnte sich nach dem Ersten Weltkrieg als Gewinner fühlen. Große Teile Siebenbürgens, des Banats, der Bukowina und Bessarabiens wurden ihm zugesprochen, es entstand „Großrumänien“ (România Mare). Die neu gezogenen Grenzen zerschnitten allerdings regionale Zusammenhänge und forderten eine gewaltige Integrationsleistung des jungen Staates. Unter den Stichworten „Zentralisierung, Rumänisierung, Verstaatlichung“ lasse sich dessen politisch eingeschlagene Richtung zusammenfassen, führte Kührer-Wielach in seinem Vortrag aus. Die Verabschiedung der neuen Verfassung 1923 zog einen Verteilungskampf um Ressourcen und politische Dominanz nach sich. Die deutsche Minderheit in Rumänien habe im Gegensatz zu den Ungarndeutschen mehr politisches Bewusstsein an den Tag gelegt und sei politisch besser vertreten gewesen.

Vor diesem historischen Hintergrund der beiden südosteuropäischen Länder wurde im zweiten Teil des Symposiums „Von Siegern und Verlierern. Gesellschaftlicher Wandel und Minderheitenschutz in Ungarn und Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg“ auf dem Podium der Bogen in die Gegenwart geschlagen und durchaus kontrovers diskutiert – auch dank vieler Wortmeldungen aus den vollen Zuschauerreihen.
„Präventives Beleidigtsein“: Der in Berlin ...
„Präventives Beleidigtsein“: Der in Berlin lebende Schriftsteller György Dalos (Mitte) sorgte mit seinem trockenen Humor für manchen Lacher; links Dr. Bernd Fabritius, rechts Henning Senger. Fotos: Konrad Klein
Der Aussiedlerbeauftragte lobte die Minderheitenpolitik Ungarns, weil die deutsche Minderheit vom Titularstaat voll finanziert werde, was mustergültig sei. Rumänien setzte er mit Ausnahme der letzten drei Jahre in diesem Ranking auf den zweiten Platz und führte das Schulwesen und die politische Vertretung als Beispiele an. Die massive Verunglimpfung der deutschen Minderheit in der jüngsten Vergangenheit habe nicht verfangen, was ein weiterer Beleg für kluge, erfolgreiche Minderheitenpolitik sei, ebenso wie die Wahl eines Vertreters der deutschen Minderheit zum Staatspräsidenten.

Seewann warf die Frage auf, ob die Geschicke einer Minderheit im Mutterland oder dort, wo sie lebte, bestimmt würden; hier bestehe eine Diskrepanz auf Kosten der Minderheit. Einen weiteren Denkanstoß lieferte er mit der Dualität von Diversität als Betrug oder Bereicherung und schloss mit der Feststellung, dass unsere moderne Kultur ohne Diversität nicht lebensfähig sei.

Dalos erntete amüsiertes Gelächter für seine Zustandsbeschreibung der ungarischen Regierung („präventives Beleidigtsein“), die das ganze Ungarntum retten wolle, und bezeichnete es als Aufgabe, den ungarischen Nationalstolz in Einklang mit der europäischen Identität zu bringen. Er lieferte mit dem pathetischen, aber absolut ernst gemeinten Ausspruch „Am besten wäre der Frieden“ auch das Schlusswort des Symposiums.

Die gemeinsame Veranstaltung des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München (IKGS), des HDO und der Hanns-Seidel-Stiftung war Teil der im Mai begonnenen Reihe „Versailles, Trianon, Brest-Litowsk – Das lange Ende des Ersten Weltkriegs und das östliche Europa“. Diese wird am 5. Dezember um 19.00 Uhr mit dem Podiumsgespräch „,Wir‘ und ,die Anderen‘ – Minderheiten nach 1918 zwischen Konflikt, Identität und Loyalität“ mit Ulrich Sachweh und PD Dr. Tobias Weger fortgesetzt. Die Moderation dieses im HDO stattfindenden Gesprächs übernimmt Prof. Dr. Andreas Otto Weber. Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe online auf https://daslangeendevon1918.de/.

Doris Roth

Schlagwörter: Symposium, Erster Weltkrieg, Ungarn, Rumänien, Minderheiten, IKGS, HDO, München, Geschichte, Wissenschaft, Podiumsdiskussion

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